Kein Interview mit Heinrich IV.
Vor Urzeiten hatte ich mir vorgenommen einige Herrscher des deutschen Mittelalters mit fiktiven Interviews aufzuarbeiten um so ein wenig auf ihre Persönlichkeit, bzw. auf das was ich mir als ihre Persönlichkeit vorstelle, einzugehen . (Die bisherigen finden sich hier und hier)
Und dann kam ich an Heinrich IV. … Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, das wird super, denn da kann man viel schreiben. Bisschen Vaterkomplex da, bisschen Emazipationsversuch und Alleinstellungmerkmal hier und fertig ist die Laube. Pustekuchen! Heinrich IV. handeln und Handlungsweise ist komplexer als man denkt und so verzettelte ich mich immer weiter. Ihm im Interviewformat gerecht zu werden hätte jeglichen Rahmen gesprengt und alle Kürzungsversuche haben mich unbefriedigt zurückgelassen.
Ich habe mich daher dazu entschlossen, auf die, meiner meiner Meinung nach , wichtigsten Aspekte in Heinrichs Entwicklung einzugehen:
- Der Staatstreich von Kaiserwerth
- Der (Über-)Vater Heinrich III.
Beide Punkte sind eng miteinander verzahnt.
Das Grundsätzliche Problem zur Erörterung Heinrichs Persönlichkeit liegt in der Quellenlage. Viele Berichte über Heinrichs Leben stammen aus der Feder seiner Gegener , bzw. stellen Heinrich in ein dunkles Licht um seine Gegner besser erscheinen zu lassen. Ich möchte dies und die zwei zuvor genannten Punkte an einigen Beispielen erläutern.
Heinrichs Schwertleite am 29.3.1065 ist Heinrichs erster emanzipatorischer Schritt auf der Bühne der Geschichte. Es heißt Heinrichs erste Handlung mit dem ihm umgegürteten Schwert sei gewesen, es seinem Haupterzieher und Entführer von Kaiserwerth Bischof Anno II. von Köln an die Kehle zu halten. Nur seine Mutter Agnes sei in der Lage gewesen ihn vom kaltblütigen Mord abzuhalten.
Profiteur dieser Geschichte ist klar Agnes und mit ihr ihre Anhänger unter den Fürsten. Uns wird mitgeteilt das Agnes die bessere Erzieherin für Heinrich gewesen wäre, das Heinrich hitzköpfig ist und Anno II . als Erzieher nichts taugte. Eine Geschichte wie aus einer Dokusoap! Doch so einfach ist das nicht!
Heinrichs handeln lässt sich auch aus einem anderen Winkel betrachten, denn ähnliche Handlungen, wenn auch nicht bei der Schwertleite, begegnen uns seit Karl dem Großen. Es geht hier um eine Handlung gegenüber Abtrünnige und Verschwörer aus dem Hochadel. Heinrichs Handlung ist somit die Bestrafung an Anno II. für die Verschwörung und Entführung von Kaiserwerth, denn dieser hat ganz klar gegen das Gesetzt verstoßen, den Thronfolger entführt und somit die Macht an sich gerissen. Und dennoch verschont er ihn und nimmt ihn wieder in den Kreis der Seinen auf. (So auch schon geschehen etwa bei Zwentibold, dem illegitimen Sohn Arnulfs von Kärnten ) Heinrich IV. zeigt hier seine Stärke als Herrscher und seine Möglichkeit Recht zu sprechen, aber auch seine Tugenden (später Ritterlichkeit genannt) in dem er dem Täter vergibt und ihn verschont! Anno II. büßt nicht an seiner Macht ein. Noch 1073 tritt er als Vermittler Heinrichs IV. gegen die Sachsen auf und ist weiterhin Zeuge in Urkunden.
Das diese Handlung rein symbolischer Natur ist und nicht einem Mordversuch entspricht wird auch klar wenn man sich die Gegebenheiten jener Zeit noch einmal in den Kopf ruft.
(Zitat aus „Der Löwe im Winter“ Eleonore: Selbstverständlich hat er ein Messer. Er hat immer ein Messer. Wir alle haben ein Messer. Wir schreiben das Jahr 1183 und wir sind Barbaren.)
Anno II. lies Heinrich IV ausbilden. Das bedeutet auch die militärische und kämpferische Ausbildung. Aber auch Empfänge und Gottesdienste. Heinrich IV. Seite an Seite mit Anno. Hätte der pubertierende Heißsporn Heinrich es wirklich darauf angelegt Anno zu töten, es wäre ein Leichtes gewesen diesem ein Messer zwischen die Rippen zu jagen!
Heinrich IV. wird sich den Rest seines Lebens gegen die Einflussnahme Anderer auf seine Herrschaft wehren! Sei es die vorgeschriebene Hochzeit Mathildes, die er erst nach Jahren und der Weisung des Papstes annimmt, aber auch nie wieder darüber murrt oder die Aufstände seine Gegner. Er ist der einzige Herrscher! Seine Sicht der Dinge!
Wo wir bei Punkt 2. währen: der Vaterfigur Heinrichs III.
Heinrich III. war ein ungewöhnlich mächtiger und einflussreicher Herrscher und das obwohl er nur 17 Jahre regierte. Heinrich III. Herrschaft ist in der Tradition Heinrich II, des letzten Ottonen auf dem Herrscherthron, und dessen renovatio zu verstehen. Heinrich III. Vater Konrad II. konnte die Macht für die Salier konsolidieren, bevor Heinrich III. die Früchte ernten konnte und dort weiter machen konnte wo Heinrich II. aufhörte.
Heinrich III, setzte 1046 die 3 römischen Gegenpäpste ab und ernennt (er lässt nicht wie üblich wählen sondern nur von den Römern bestätigen!) den Bischof von Bamberg als Clemens II. ein. Auch dessen Nachfolger Damasus II. wurde von Heinrich III. in der Pfalz Pöhlde ausgewählt , genauso wie der nächste Nachfolger Leo IX., einem Verwandten der Salier, der in Worms bestimmt wird. Heinrich III. entmachtet den römischen Adel.
Diese 3 Päpste gelten als Reformpäpste die sich gegen die Simonie und für das Zölibat einsetzten. Somit stärkt Heinrich III. Adel und Kaisertum und versucht die Weltliche Macht der Päpste zu beschneiden und sie rein auf das Seelenheil zu verlegen. Das er auch den Weg für Heinrichs IV. Nemesis Papst Gregor VII. ebnen würde konnte damals keiner ahnen.
Auch der asketische Bischof von Köln, Anno II. war von Heinrich III. eingesetzt worden und handelte in dessen Sinne, selbst wenn ihm immer ein gewisser Machthunger vorgeworfen wird. Ebenso wie der Mitverschwörer und spätere Vertraute Heinrichs Adalbert von Bremen, der im Übrigen auch Heinrich III. erste Wahl für das Papstamt gewesen wäre, hätte er nicht abgelehnt. Sie waren es die Heinrich IV. versuchten in einer Richtung zu erziehen die der Heinrichs III. entsprach. Bis Heinrich IV. jedoch seine Macht erreicht hatte, hatte die Veränderung die seit der Zeit Ottos III. stattfanden die Gegebenheiten zu sehr verändert. Der Konflikt zwischen den Adelsfraktionen, (Reform-)Kirche und Interessensgruppen war zu groß geworden. Und selbst der Aufstieg Heinrichs III. war nur durch eine gewisse Portion Glück zustande gekommen.
No surrender, No retreat!
In diesen chaotischen Verhältnissen versuchte Heinrich IV. nun seinen Mann zu stehen. Vor sich der Adel der versucht seinen eigenen Weg zu gehen und wie Herr Rossi ständig auf der Suche nach dem Stück vom Glück ist, ein Reformpapst der für Heinrich über das Ziel hinaus schießt und über allem, fast wie ein drohendes Damoklesschwert der übermächtige Vater, der alles daran gesetzt hatte einen Sohn zu bekommen und zu früh verstarb und dem es nun gilt gerecht zu werden oder ihn am Besten noch zu übertrumpfen, obwohl die Gegebenheiten völlig andere sind.
Dies waren meiner Meinung die Beweggründe für Heinrich IV. handeln, welches mitunter aggressiv und rücksichtslos erscheint.
Zum Abschluss habe ich für diejenigen unter euch die es nun noch interessieren mag ein Fragment des Interviews in seiner letzt bearbeiteten Fassung. Sozusagen ein Beta
F: Sie gelten als komplizierte Persönlichkeit in komplizierter Zeit…
H: Tu ich das?
F: Ähh, so wird es zumindest Angenommen. Schon Ihre Wahl in Trebur, die eigentlich proforma hätte sein sollen, war überschattet von der Bedingung das sie sich als guter König erweisen müssten.
H: Sie werdens nicht glauben, aber ich kann mich kein bisschen daran erinnern. Ich war 3! Aber was ich sagen kann ist das dieses unwürdige Pack, diese Emporkömmlinge ihre verdammte Macht ausgespielt haben die ihnen nicht zusteht. Die sie sich erschlichen haben und die sie auch nur in Notzeit erhielten.
F: Gehen wir etwas weiter in Ihre Biographie. Ihr Vater starb 3 Jahre nach ihrer Königswahl. Und 4 Jahre später kommt es zum Staatstreich von Kaiserwerth.
H: (still) Ja, das müssen Sie sich mal Vorstellen. Der größte Kaiser den das Reich je gesehen hat wird zu früh in Gottes Schoss geholt. Und dann streiten sich alle um die Macht und vergessen die Ziele meines Vaters.
F: Sie sollen Anno von Köln bei der Schwertleite fast einen Kopf kürzer gemacht haben.
H: (stolz) Ich habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen! Ich hab ihm gezeigt wer Herr im Hause ist und gleichzeitig hab ich königliche Milde walten lassen, so wie es von mir erwartet wird! Hätte ich diesen Giftzwerg tatsächlich aufschlitzen wollen, wäre es mir ein leichtes gewesen im schon früher ein Messer zwischen die Rippen zu jagen. Es hätte mehr als genug Möglichkeiten gegeben.
F: Ok. Was hatten sie gegen ihre Frau?
H: Gegen Welche? Bertha? Nichts.
F: Aber sie wollten sie nicht heiraten.
H: Ja, wollte ich nicht.
F: Wieso?
H: (genervt) Weil ich keine Lust hatte mir vorschreiben zu lassen was ich tue.
F: Können Sie das näher beschreiben?
H: Herr Gott nochmal! Ist das den so schwer. Ich bin als Kind entführt worden, ich bekam immer vorgeschrieben was ich tun sollte, was ich wem sagen sollte. Ich konnte nicht mal einen Furz lassen ohne das jemand neben mir stand. Jedesmal hat mir irgendjemand was erzählt was ich zu tun und zu lassen habe. In dann sollte ich Bertha heiraten, aus heiterem Himmel, weil das so sein muss.
F: Sie gelten ja ohnehin als eher schwieriger Mensch mit eigenem Kopf. So war auch Ihre Beziehung zu Papst Gregor eher, naja schwierig.
A: Im Grunde hatte ich nichts gegen Hildebrand, oder von mir aus Gregor. Im Grunde… als Mensch meine ich. Aber er war dabei alles zu zerstören was das Reich ausmacht. Wir sind nicht Rom und sein Eigentum. Wir sind die Schutzherren Roms und nicht deren Schoßhündchen und Diener. Zumal das Mönchlein die Sache mit dem Gott gegebenen Königtum mal so gar nicht kapiert hat!
F: Was hat er nicht kapiert?
A: Sind denn hier alle schwer von Begriff? Ich erklärs mal für Doofe. Ich bin König, mein Titel kommt nicht weil ich irgendwie beim Puff spielen gewonnen hätte, sondern weil er von Gott selbst gegeben ist. Die Wahl ist nur proforma, auch wenn das die Neureichen gern anders gesehen haben. So. Also König kommt von Gott, der Papst wird gewählt und brauch meinen, ich wiederhole: „meinen Segen“ dazu! Meine Berufung kommt von Gott, seine von den Menschen und er ist nur Gottes Mittelsmann, der froh sein sollte das er mich segnen darf, wofür ich ihn Beschütze. So ist das seit ewigen Zeiten ausgemacht. Die Reihenfolge ist Kaiser und König und dann erst der Papst. Er Seelenheil, ich der Rest! Ende!
F: Und dennoch haben Sie sich vor Canossa in den Schnee gestellt und um Abbitte gebeten.
A: Das nennt man Strategie! Können Sie sich vorstellen das der Papst einen armen reuigen Sünder einfach im Schnee erfrieren lässt? Das wäre seinem Image sehr abträglich gewesen.
…
Hinweis zu Heinrich IV.:
Sehr gut lässt sich auch die Absetzungszene Heinrichs in Ingelheim am 31.12.1105 für ein Interview benutzen. Das mache ich als Gästeführer immer wieder, weil es die letzte Staatshandlung in der ehemaligen Ingelheimer Pfalz war. Warum fand sie hier und nicht in Mainz statt? Die Mainzer Bürger standenen eher auf Seiten des Vaters und nicht auf Seiten der aufständischen Fürsten und des jungen fünften Heinrichs. Und da aus der seit 1043, dem Hochzeitsfest des Großvaters hier, nicht mehr benutzten Pfalz wahrscheinlich schon eher eine Ritterburg geworden war, konnte man hier diesen Staatsstreich in einem „Hochsicherheitstrakt“ besser durchführen als in Mainz, wo an sich der Oppositionsreichtsag stattfand und anschließend mit der Wahl Heinrichs V. fortgesetzt wurde.
Quellen und Text dazu auf unserer Webseite.
http://www.ingelheimergeschichte.de/index.php?id=118
Den abgesetzten „Canossa-Kaiser“ auf seinem Schiff bei der Fahrt nach Köln zu interviewen – das wäre doch etwas. Ich persönlich halte diese Szene für die dramatischste, die überhaupt hier stattgefunden hat.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Geißler
Hist. Verein Ingelheim e.V.
Bitte verbessern: „Oppositionsreichstag“
Hallo Herr Geißler,
Erst mal Danke für den Kommentar! Zum Hintergrund der „Interviews“ muss ich sagen das sie in der Prämisse entstanden, ich würde die betreffende Person in der Jetztzeit treffen, mit all dem Wissen ihrer Zeit. Auslöser war das ich mir in St. Emmeram in Regensburg mal böse den Kopf gestoßen habe und ich mir dabei dachte warum kann ich nicht in Ohnmacht fallen und mal ne Vision haben … 😉 Bei Heinrich dachte ich an ihn in Trebur oder Speyer zu treffen… also rein fiktiv
Aber Spaß beiseite. Tatsächlich sind es auch solche Faktoren wie die Internierung Heinrichs in Ingelheim die das Interview in seiner Komplexität erweitert hatte. Man sollte dabei ja auch den Leser , der vielleicht nur den Gang nach Canossa kennt, abholen und gewisse Umstände erläutern. wobei sich hierbei auch ein Heinrich IV. zeigen könnte der seinem Sohn Heinrich V. einige der eigenen Probleme hatte ersparen wollen. Man merkt aber schon das er durchaus vielschichtig zu sehen ist, aber eben auch sehr Komplex.