Vortrag Weinfurters in Trebur
Ich hoffe man keinen Notizen zu Weinfurters Vortrag einigermaßen Folgen. Wer mal einen Vortrag von Weinfurter gehört hat, weiß das es manchmal nicht einfach ist zwischen Wichtigen und weniger Wichtigem zu unterscheiden. Ich habe zwar ein Audiofile für den eigenen Gebrauch aufgenommen, aber durch die Akustik der Kirche, ist es stark verhallt und manche Sachen sind beim Korrektur hören nicht so zu verstehen gewesen.
Neue Forschung zu Canossa war die Überschrift des ersten Abschnitts von Weinfurters Vortrag. Er geht auf Johannes Frieds erste Veröffentlichungen in der FAZ ein. Er berichtet über die Diskussion in Aachen und einem Streitgespräch am 7.4.2009 im SWR. „Wir sollten die Legende schnell vergessen – aber die Neue“ titelte Althoff dabei, so Weinfurter.
Weinfurter will nun die neue Deutung unter die Lupe nehmen. Er erläutert die These Frieds, dass der Fürstentag von Tribur nur eine Schattenveranstaltung war und das sich Papst und Heinrich IV. bereits abgesprochen hätten. Heinrich hätte ein doppeltes Spiel gespielt als er in Oppenheim war und die Fürsten in Trebur tagten. Die Fürsten hätten nicht nur nichts gewusst sondern waren nur Marionetten des päpstlichen Gesandten. Da Heinrich IV nicht gewollt habe das die Fürsten an seinem Friedenswerk beteiligt seien, begab er sich zum Papst nach Oberitalien.
Das Neue wäre: Der Papst wäre nicht überrascht von Heinrichs erscheinen gewesen. Daher hätte er keine Angst vor Heinrich und es hätte ein reger Gesandten austausch stattgefunden. Man habe sich dann auf ein Treffen in Canossa geeinigt.Er hätte also nur ein „bisschen“ Reue gezeigt als er barfuß vor der Burg Canossa stand.
Nach Weinfurter muss Fried einräumen, dass der Vertrag den die beiden schlossen nicht erhalten ist und auch nur schwach in den Quellen zu erkennen sei.
Der Gang nach Canossa sei also eine recht angenehme Sache gewesen weshalb Fried in der FAZ schrieb „Nach Canossa wollen wir gehen“
Den folgenden Abschnitt seines Vortrages überschreibt Weinfurter mit der Frage. Wie kann man zu derart unterschiedlichen Ansichten zu Vorgang Canossa kommen und welche Quellen stehen zur Verfügung.
Fried gehe davon aus das Menschen ein sehr schlechtes Gedächtnis habe, von daher sind nur zeitnahe Quellen von Wert, was Weinfurter auch nicht anzweifelt.
Er nennt als ganz ungewöhnliche Quelle einen Brief des Papsts, den Weinfurter in großen Teilen zitiert.Fried sage der Brief sei nur bedingt nutzbar, er sei nur eine Täuschung der Fürsten um ihnen schmackhaft zu machen warum er Heinrich bereits vom Bann befreit zu haben. Stattdessen präferiere Fried den Bericht des Arnulf von Mailand, wo von einem Friedensbündnis die Rede ist. Weinfurter wirft Fried vor den Satz „sub condituione…“ zu ignorieren, der die Bedingung ausdrücke das für den Papst die Sache noch lange nicht gelöst war. Der Friedensvertrag zwischen Heinrich und Gregor bezog sich nur auf die Wiederaufnahmen in die Kirche, daher versuchte Gregor auch noch bis 1080 Heinrich auf einen Gerichtstermin zu treffen, der aber nie zustande kommt.
Als nächste Quelle Frieds nennt er die Königsberger Fragmente, aus der 2. Hälfte des Jahres 1077 vielleicht Siegfried von Mainz geschrieben. Hier wird über den Fürstentag von Trebur berichtet. Wo es heißt das der Termin des geplanten Treffens von Augsburg von Januar auf Februar verschoben wurde, wo dann die Fürsten dem Papst entgegeneilen könnten. Die Fürsten hätten nicht unterschieden zwischen. kirchlicher und weltlicher Seite des Verfahrens. Es galt die höchste Maxime das der König dem Papst Gehorsam leisten müsse, aber der König habe sich nicht an die Abmachungen gehalten und sei dem Papst entgegen gereist, dies sei aber nicht nach kirchlicher Sitte abgelaufen , da der König keine echte Buße geleistet habe.
Weinfurter kann in dieser Textquelle keine Änderung der bestehenden Ansichten des Vorgangs erkennen. Es gibt keine Trennung von Kirche und Staat, diese entsteht erst weil Heinrich dem Papst seinen Willen aufdrückt, also als Folge.
Lampert von Hersfeld, wird von Fried wegen seiner feindseliger Grundhaltung abgelehnt.Auch Bernhard von Konstanz sei nicht brauchbar , da parteiisch. Alle anderen Quellen, wie etwa die Vita der Mathilde von Tuszien, liegen zeitlich später und seien daher ebenfalls nicht zu gebrauchen.
Welche Schlüsse kann man also ziehen? Völlig abwegig scheint Weinfurter der Eindruck einens „Friedensfestes“, völlig spekulative findet er den Eindruck das Heinrich ein doppeltes Spiel spiele. Als besonders bedenklich findet Weinfurter die Abwertung des Papstbriefes. Es sei keine Frage das der Papst viel in diesem Brief zusammenfasse, aber das Wichtige sei das sich Heinrich dem Papst unterwarf, wo sein Vater noch 3 Päpste absetzten lies.
Dritter Punkt Weinfurters ist die Frage: Kommen wir wirklich weiter wenn wir uns nun in so engen Formen begeben und uns fragen ob es ein Friedensfest oder Unterwerfungsakt war?
Weinfurter begreift Canossa als Umbau der Werteordnung. Für viele Fürsten gab es im Reich keine Gerechtigkeit mehr. In Trebur wollte man auf dem Fürstentag einen Neuanfang wagen.
Der Sachse Bruno berichtet aus Trebur, dass sich Sachsen und Schwaben hier trafen, die sich zuvor noch bekriegt hatten. In der Pfalz gaben sich Otto von Northeim und Welf IV. den Friedenskuss (Weinfurter sprach von einer wahren Kussorgie) unter Tränen und sie stellten ihr Lager nah beieinander auf um zu zeigen das es keine Geheimnissen zwischen ihnen gab. Hier kann man ablesen welchen Stellenwert die Versammlung in Trebur hatte. Berthold von Reichenau berichtet vom päpstlichen Legaten, der erlaubt das alle ehemals abfälligen Bischöfe wieder in die Gemeinschaft aufgenommen würden, wenn sie sich dem Papst zuwenden. Dies zeige die Wichtigkeit der Verhandlung in Trebur. Man wollte eine Grundlage für ein besseres Reich schaffen und stellte seine privaten Konflikte hinten an, zu Gunsten der Rettung des Reichs. Es war der erste Hoftag ohne König. Der Aufstieg der Fürsten.
Weinfurter beschreibt nun die Herrschaftsverhältnisse unter Heinrich IV. und die Situation des Papstes.
Die Gesellschaft begann sich funktional auszurichten, während sie früher vom Heilswert bestimmt war. Nun sollte es explizit Kleriker geben, explizit Krieger und explizit Arbeitende. Hier gab es keinen Platz mehr für ein Sakralkönigtum.
Trebur sollte ein Treffen der modernen Fürsten sein, während der König der alten Grundlage nachhing. Von daher ist es nicht entscheidend was wirklich in Canossa passiert sei. Es sei im Grunde egal ob der Papst nun ein paar Tage früher oder später in Canossa eintraf. Canossa sei eine Chiffre für eine elementare Veränderung von Werten und Moral im Reich.
Habe mich sehr über die Zusammenfassung gefreut, da ich kurzfristig nicht kommen konnte, obwohl ich ganz in der Nähe war. Mein ausdrückliches Dankeschön dafür.
Als Psychologe finde ich natürlich die Perspektive spannend, daß Verzerrungen des Gedächtnisses die Geschichtsschreibung verändern. Schon Nietzsche beschrieb, wie sich Gedächtnis und Gewissen streiten: „Das habe ich getan,“ sagt meint Gedächtnis. „Das kann ich nicht getan haben,“ sagt mein Gewissen. Lange sei es so hin und her gegangen. Und schließlich habe das Gedächtnis (!) nachgegeben.
Die Psychologie lehrt, daß nicht nur das Gedächtnis anfällig ist, sondern schon die Wahrnehmung sehr unzuverlässig ist. Und was erfahren wir heute nicht alles über Geheimverträge hinter den vorgezeigten Verträgen. Da geht es um gezielte Verheimlichung tatsächlicher Machtverhältnisse. Man denke nur daran, daß sich der neu gewählte Bundeskanzler bei den alliierten Besatzungsmächten „vorzustellen“ hat, de jure aber die Wahl genehmigt werden muß.
Heinrich ist als Junge von einem Kirchenfürsten entführt und sehr streng und ungerecht behandelt worden. Und genau dieser Heinrich soll dann zur Deeskalation einen heimlichen Friedensvertrag mit dem obersten Kirchenfürsten schließen wollen?! Ausgeschlossen! Es sei denn … der Vertrag war nur verlogene Taktik. Dann könnte beides stimmen. Dann gab es vielleicht tatsächlich Unterhändler, die einen solchen Vertrag schlossen, Gregor war geschmeichelt (denn schließlich mußte er auch Erfolge vorweisen, war er doch vorher nur einfacher Mönch gewesen und hatte die Hierarchieleiter recht unlauter übersprungen). Aber Heinrich hatte es nie ernst gemeint. Schließlich hatte er schon seinen kirchlichen Entführer damals zu überlisten gelernt. Hat er nicht auch den voller Haß gepeitscht?
Nach Althoff hat Heinrich mit einer Inflation des Fußfalls dieses Ritual zum Erliegen gebracht. Auch der Fußfall war ein vorher vereinbartes Ritual und keinesweg eine spontane Handlung. Es gab ein ausgehandeltes Drehbuch, was den beobachtern vorgeführt wurde und was heimlich vereinbart. Da liegt es nahe anzunehmen, daß im damaligen Denken auch der Ablauf in Canossa im Voraus ausgehandelt war. Aber es lag in niemandes Interesse, diese Vorverhandlungen zuzugeben.
Aus dem heraus, was wir heute wissen, waren beide keine integeren, ehrlichen Menschen. Stellen wir uns solche Menschen als Mächtige heute vor: Der Nicht-Angriffspakt von Hitler und Stalin war von keinem der beiden ernst im Sinne einer dauerhaften Lösung gemeint. Beide wollten Zeit gewinnen und hatten vor ihn zu brechen. Zwischen Heinrich und Gregor könnte es doch durchaus ähnlich gewesen sein?
Danach war es weder ein Friedensfest und noch ein Unterwerfungsakt. Selten ist die Wirklichkeit so einfach. Es war doch der Versuch sich gegenseitig mit Vorteilen zu bestechen, um eigene Vorteile zu vergrößern. Es gab offene und verdeckte Schachzüge. Wie eben heute auch.
Da finde ich einen Historiker, der ein Friedensfest vermutet entweder etwas naiv oder eben genauso gerissen mit der öffentlichen Meinung spielend wie Heinrich IV. und uns damit am eigenen Beispiel vorführend wie es damals gelaufen sein könnte.
Nicht weniger propagandamäßig klingt es für mich allerdings, wenn es heißt, die Fürsten hätten ihre eigenen Konflikte hintanstellen wollen zur Rettung des Reiches. Es war der erste Hoftag ohne König, aber der König stand offenbar als machtvolle Figur in der Vorstellung aller im Hintergrund. Nur deshalb rückten sie zusammen aus Angst und um in der Gemeinsamkeit eine ausreichende Gegenkraft zu bilden.