Karolingische Bildung – Teil III – Das Lehrprogramm
Viel wurde für den Unterricht der Schüler nicht benötigt. Unverzichtbares Utensil eines Schülers aber waren eine Wachstafel mit Stylus (graphium). Während des Unterrichts konnten auch Papyrus (carta) als Übungsmaterial und für grobe Vorarbeiten, oder aber Rinde, wenn Papyrus nicht verfügbar war, verwendet werden.1 Daneben gab es eine Vielzahl von Büchern, wie etwa der in letzter Zeit von mir des Öfteren erwähnten Boethius, die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, Cassiodors Lehrbuch zur Grammatik, die zeitlich späteren Werke Beda Venerabilis oder Aratea Handschriften , computistische Sammelhandschriften und viele mehr.
Bücher wie die des Boethius, des Symmachus oder des Cassiodor hatten versucht dem Wissensverlust im Weströmischen Reich entgegenzuwirken und Sammelhandschriften mit dem Wissen ihrer Zeit angelegt. Diese Handschriften waren nun die Grundlage für den Unterricht in den Sieben freien Künsten.
Die Künste als Fächer
Im Kapitular von 789 war das Lesen und Schreiben von, bzw mittels Psalmen (psalmos), Schriftzeichen (notas) , Gesängen (cantus), Zeitrechnung bzw. Zeitberechnung (compotum) und Grammatik (grammaticam) als zu lehrende “Fächer” festgelegt worden.
Die Psalmen waren im Mittelalter eines der wichtigsten Bücher der Bibel. Oftmals als eigenes Buch abgeschrieben (Psalterium, z.B. Stuttgarter Psalter ) fanden sie große Verbreitung. Es bot sich an, genau diese biblischen Texte als Grundlage der Wissensvermittlung des Lateinischen zu nutzen.
Bei den Fächern selbst greift man auf eine abgespeckte Variante der klassischen sieben freien Künste zurück, wobei man diese neu arrangiert, zusammenfasst und ergänzte.
Die Sieben freie Künste
Die sieben freien Künste gliedern sich in zwei Abteilungen. Da ist zunächst das Trivium mit den drei Fächern, bzw. den drei Künsten der Grammatik, Rhetorik und Dialektik. Vereinfacht ist dies der sprachliche Teil der Künste
Zweiter Teil ist das Quadrivium mit den mathematischen Fächern oder Künsten: der Arithmetik, der Geometrie, die Musik und der Astronomie.
Die 789 geforderten Fächer und ihre Stellung innerhalb der Künste
Die Aufnahme von Gesängen (cantus) in den Lehrplan entspricht der Musik im Quadrivium. Im Quadrivium ist dabei nicht einfach Singen gemeint. Vielmehr geht es dabei auch um Musiktheorie, um Intervalle und ähnliches. Aus diesem Grund wird auch die Musik zum mathematischen Quadrivium gezählt. Hier gibt es eine Überschneidung mit den zu lernenden Nota, dem Kurzschriftsystem. Denn dieses wurde auch zur “Notation” der Töne verwendet!
Die Forderung “compotum” zu lehren, gemeint ist hier in allererster Linie die Berechnung des korrekten Ostertermins innerhalb des Kalenderjahres, nutzt dabei gleich mehrere Fächer des Quadriviums. Es kommen sowohl die Astronomie als auch die Arithmetik zum Tragen. Das Ganze ist nicht wirklich einfach, wer sich das mal durchlesen will kann das gerne bei Wikipedia mal tun ( Link : https://de.wikipedia.org/wiki/Computus_(Osterrechnung) )
Grammatik zu lehren, besteht aus der Notwendigkeit dem Schüler nicht nur Lesen, sondern auch Schreiben beizubringen. Und zwar korrektes Schreiben. Dieses Fach überschneidet sich wieder mit den geforderten Notae, die ebenfalls einer Grammatik benötigen, da sie ja nur eine Kurzschrift sind.
Tironische Noten bzw notae:
Die Karolinger verwendeten tironische Noten in Urkunden, zur platzsparenden Abschrift von Dokumenten oder um platzsparend Kommentare in Handschriften an die Ränder zu schreiben. In der französischen Nationalbibliothek befindet sich z.B. unter der Signatur MS Lat. 13160 auch einer von sechs kompletten Psaltern in tironischen Noten. 2
Mit diesen erlernten Fächern war dem Schüler bereits ein immenses Basiswissen mitgegeben worden, dessen Grundlage in der Religion lag. Alleine mit diesem Wissen war für jeden die Basis geschaffen worden, etwa die Stelle eines einfachen Landpriesters perfekt bedienen zu können. Das dieses Wissen dafür vollkommen ausgereicht hätte, zeigt sich in späteren Beschwerden und etwa der Synode von 895 in Tribur, bei der auch das mangelnde Wissen der einfachen Priester ein Thema sein wird, bei dem nicht einmal diese Anforderungen erfüllt werden.
Das erweiterte Programm an den Kloster- und Domschulen
Man könnte diese Fächer in etwa mit einer Art Unterstufe oder Grundschule verstehen, die allen männlichen Personen angedacht war. Dem Adel jedoch, der vielleicht einmal in diplomatische Dienste treten sollte, oder aber auch ein hohes Amt in der Kirche versehen würde, war dagegen das volle Programm der sieben Künste angedacht.
Wobei auch hier unterschieden werden muss.Das Trivium bildete die Grundlage des erweiterten Unterrrichts. Das Quadrivium wurde dann wiederum nur von den größten und leistungsfähigsten Schulen unterrichtet. 3
Das Trivium
Grundlage des Triviums war die Grammatik, womit in diesem Fall das systematische Studium des Lateinischen gemeint ist. Es ging dabei nicht um ein Verständnis der Texte, um diese etwa kritisch zu hinterfragen. Es ging tatsächlichum stupides lernen der Texte. Wichtiges Element der Grammatik war aber auch damit verbunden das Erlernen der Rechtschreibung.
War die Grammatik abgeschlossen, baute darauf die Rhetorik auf. War in der Antike noch das Schreiben ausgefeilter politischer Reden Teil der Rhetorik, war inzwischen das Verfassen von Urkunden und Korrespondenzen nach festen Vorgaben entscheidender. Zudem sollte dem geübten Schreiber auch vertragliche Fallstricke und Hinterhalte offenbar werden. Dennoch war die klassische Rethorik der Antike nicht verloren. So beruft sich Einhard auf Cicero, während die ganze Vita Caroli Magni von den Kaiserbiographien Suetons inspiriert ist.
Als letztes Fach des Triviums folgte noch die Dialektik. Dem Schüler sollte “die Verschlagenheit der Ketzer selbst durchschauen lernen und im Stande sein, die gefährlichen Trugschlüsse derselben zu widerlegen” 4 Dabei ist die Dialektik eng mit der Rhetorik verwandt. Im Grunde handelt es sich um Argumentieren in der Diskussion. Die Dialektik wird im 12. Jahrhundert unter Denkern wie Petrus Abaelardus ( Pierre Abaillard ) ein wesentlich bedeutenderes Fach.
Das Quadrivium
Die vier Fächer des Quadriviums sind die Krönung der Ausbildung. Dabei bauen auch hier die Fächer aufeinander auf.
Die Ausbildung beginnt mit der Arithmetik, also Mathematik im Allgemeinen.
Um selbst zu Rechnen gab es mehrere Möglichkeiten, wie dies ausgeführt werden konnte. Eine Möglichkeit war das Fingerrechnen, das für Addition und Subtraktion vollkommen ausreichte. Dabei geht es nicht darum 3 Finger der linken Hand und 4 Finger der rechten Hand zusammen zu zählen und 7 zu erhalten, sondern es gibt ganz komplexe Finger- und Handstellungen für Einer, Zehner, Hunderter usw. ( 1 ist den kleinen Finger der linken Hand einknicken, bei der 7 wird der kleinen Finger möglichst weit auf die Handfläche gebogen, 10 ist den Zeigefinger zum Daumen einknicken usw. ) Optisch muss ein schneller Rechner wohl wie eine Naruto Jutsu ausgesehen haben…
Überliefert ist uns das Fingerrechenen unter anderem durch Beda Venerabilis (+735), einem angelsächsischen Benediktiner. In seinem Buch “De temporum ratione”, einem Standardwerk zur Osterberechnung, erklärt Beda bereits im ersten Kapitel die Fingerstellungen. Dieses Buch gehörte auch zur Ausstattung der Schulen.
Unklar ist die Verwendung des Abakus. Der Abakus lässt sich erst im 10. Jahrhundert im klösterlichen Umfeld nachweisen, doch wurde der Abakus bereits seit Jahrtausenden genutzt. Die Römer nutzten den kleinen Hand-Abakus, der überall mit hin genommen werden konnte und für Ingenieure unverzichtbar war. Einige wenige Exemplare haben bis in heutige Zeit überlebt. Und zwar nicht weil sie korrodiert aus dem Boden gezogen worden wären, sondern weil Gelehrte sie verwahrten.
Eine weitere Möglichkeit des Rechnens war das Rechnen auf dem Rechenbrett bzw. das Rechnen auf Linien, das erstmals nachweislich im 10. Jahrhundert durch Gerbert von Aurillac, dem späteren Papst Silvester II. eingesetzt worden war5. Doch auch dieses war bereits den Römern bekannt.6
Ein Rechenbrett war aber nicht zwingend von Nöten. Man konnte sich die Linien in den Boden ritzen und ein paar Steinchen in den Feldern verschieben.
Diese Rechenvarianten mit dem Abakus und dem Rechenbrett sind nun im 9. Jahrhundert nicht nachweisbar. Es gibt Vermutungen das Wissen sei für 200 – 300 Jahre verloren gegangen um dann wieder aufzutauchen. Andere gehen davon aus dass weiterhin genutzt wurde.7
Auch die heute so gehassten Textaufgaben gab es bereits. Im Propositiones ad acuendos iuvenes ( Aufgaben zur Schärfung des Geistes der Jugend), die Alkuin zugeschrieben wird, finden sich zahlreiche Textaufgaben. Neben der Version wie man mit einem Boot Wolf, Ziege und Kohlkopf über den Fluss bringt, wobei nur eine weiteres Tier oder Gegenstand im Boot platz findet und Ziege nicht mit dem Kohl und der Wolf nicht mit der Ziege alleine gelassen werden darf, gibt es noch weitere Varianten dieses Problems. Dann gibt es eine Aufgabe in denen ein Mann mit 100 Denaren 100 Schweine kaufen soll, wobei ein Eber 10 Denare, eine Sau 5 Denare und 2 Ferkel einen Denar kosten. (Lösung: 1x Eber, 9 Säue und 45 Paar Ferkel)
Wer möcht kann sich darin gerne üben, ich habe eine englische Version mit Lösungen der Rätsel gefunden : Alcuin’s book – MacTutor History of Mathematics (st-andrews.ac.uk) Viel Spaß!
Die Fortsetzung bildet die Geometrie, bzw. die Euklidische Geometrie. Boethius bezeichnet die Geometrie als die Lehre von unbeweglichen Größen,8 und stellt sie damit der Astronomie als Lehre von beweglichen Größen gegenüber. Für einen Baumeister (Architekten), Landvermesser, oder wer auch nur im entferntesten mit geometrischen Figuren zu tun hatte, war die Geometrie unerlässlich.
Es folgt die Musik. Jedoch ging es bei der Musik nicht ums Musizieren. Musiker wurden als Handwerker gesehen und als solche wurden diese den Artes mechanicae, den praktischen Künsten, zugerechnet.
Vielmehr befasste sich die Musik im Quadrivium mit der Musiktheorie nach dem Vorbild der Musiktheorie des antiken Griechenlands. Diese befasste sich mit Oktaven, Quinte, Quarte, der Konsonanz usw. also Sachen die sich mathematisch berechnen lassen.
Das Quadrivium endet mit der Astronomie. Zwar beinhaltet die Astronomie auch Astrologie, aber im frühen Mittelalter war wieder die Berechnung des Ostertermins ein ausschlaggebender Faktor, denn hierfür waren die Mondphasen, bzw. der erste Vollmond nach Frühlingsbeginn wichtig. Aber auch sonst befasste man sich mit Gestirnen und Sternbildern. Davon zeugt Beispielsweise der Leidener Aratea, auch wenn es sich dabei um eine Kopie einer spätantiken Vorlage handelte.
Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle noch versuchen deutsche Übersetzungen der Lehrbücher zu finden, aber entweder sind die hinter Paywalls, oder online erst gar nicht verfügbar…
P. Riché, Education and Culture in the Barbarian West S 460 ↩
https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b90726050/f2.planchecontact ↩
F.-M. Konrad, Geschichte der Schule, Die Dom- und Klosterschule des hohen Mittelalters ↩
F.-M. Konrad, Geschichte der Schule, Die Dom- und Klosterschule des hohen Mittelalters ↩
S. Wintermantel , Die Zahlen aus der Baubeschreibung der Chronik von Saint-Bénigne in Dijon, S.20 ↩
Es gibt einige Quellen, im Internet beispielsweise hier: https://www.scheuerer-ingolstadt.de/muspaed/mp-rechenbrett.htm , die das Rechenbrett erst in die Zeit der Kreuzzüge versetzen und es damit näher in die Zeit von Adam Ries verschieben, der es später propagierte. Doch scheint diese Beliebheit in Wellen zu verlaufen ↩
A.E. Denkmayr, Sage, wer es kann… Bildung im Frühmittelalter am Beispiel der Vermittlung mathematischen Wissens zur Zeit Karls des Großen S87 ↩
A.E. Denkmayr, Sage, wer es kann… Bildung im Frühmittelalter am Beispiel der Vermittlung mathematischen Wissens zur Zeit Karls des Großen S25 ↩
Sehr geehrter Herr Zwittmeier, zur Ortsnamen-Geschichte von Geinsheim hier ein paar Anmerkungen. Die Zuordnung der Namen Gemminesheim und Gemminisheim im…
Danke Christian, tatsächlich war ich vor 2 Jahren dort, muss aber gestehen das ich den Textilien wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe.…
Hi. Bin grad über den Artikel gestoßen. Wenn du mal in die Nähe von Hildesheim kommst: Im dortigen Domschatz befinden…
Nein aktualisiert nicht. Die müsste noch in der Variante wahrscheinlich noch irgendwo in meinem Archiv schlummern
Hallo Markus, hast du die Karte zwischenzeitlich zufällig für einen anderen Post/Vortrag/Ausstellung aktualisiert?