Eine karolingische Truhe
Mitte der frühen 2000er baute ich mir einmal eine Truhe. Zum einen um ein bisschen Kram zu verstauen, zum anderen um des Bauens willen. Doch inzwischen gefällt sie mir nicht mehr, da die Größe etwas sperrig ist, die hohen Seitenstollen Raum verschenken und mir viel zu viele Nägel drin sind. Und zum Anderen ist die Form im karolingischen Raum nicht wirklich nachgewiesen.
Es handelte sich um eine sogenannte Sechs-Brett-Truhe, bzw. eine Seitenstollen Truhe. Zeitlich ist sie nicht off, aber sie lässt eher mit bekannten Vertreter wir der Mastermyr und der Oseberg Truhe im Norden nachweisen.
Es stellt sich daher die Frage, wie eine Truhe im karolingischen Raum aussah. Wenn man einen Reliquienkasten als Vorbild nehmen und in der Größe hochskalieren will, hat man in aller Regel ein generelles Problem. Viele der Reliquienkästen wurden schon im Mittelalter “restauriert”. D.h. man hat Beispielsweise Beinplatten, die als Außenverzierung dienten, abgenommen und auf einem neuen Kasten befestigt. Sprich die Verzierung blieb erhalten, jedoch nicht die eigentliche Kiste. So geschehen etwa beim Reliquienkasten von Essen Werden.
Und tatsächlich wäre mir kein Fund einer erhaltenen Truhe aus karolingischer Zeit bekannt. Es gibt jedoch einen archäologischen Befund, der hier von größtem Interesse ist und gleichzeitig auch zeigt, wie wichtig anständige Archäologie und Stratigraphie ist.
Der Truhenfund
Als ab 1973 der Stadtkern von St. Denis bei Paris neu angelegt wurde, nutzte man die Situation, um das bekannte karolingische Kloster und dessen Anlagen genau zu untersuchen. Nördlich der Klosterkirche fanden sich, bogenförmig angeordnet, die Überreste einiger Gebäude. Im Osten zwei Kapellen und im Westen ein Saalbau mit Gang und Turm, der als Palast bzw. Klosterpfalz interpretiert wird. In diesem, bzw. unter diesem Bau, fanden sich die Überreste von 4 od. 5 Truhen und einem Fass.1 Wobei Überreste ein bisschen viel gesagt ist.
Der Boden von St. Denis bietet nicht das, was man sich für einen guten Erhaltungszustand von organischem Material wünscht und so blieben nur die Abdrücke, bzw. Verfärbungen im sandigen Boden und ein kleiner Metallrest erhalten.
Bevor wir nun zu einer der Truhen kommen, kurz zur Lage der Truhen, denn auch dieser ist interessant. Die Truhen und das Fass befanden sich in einer Grube, die aus dem Fußboden ausgehoben worden war. In die Grube waren sie versenkt worden und wahrscheinlich danach mit Fußbodendielen wieder abgedeckt worden, um sie zu verstecken. Es liegt nahe diesen Vorgang im Zusammenhang mit den Überfällen der Nordmänner auf Paris zu sehen. Die Mönche hatten wohl versucht Gegenstände gegen Plünderung zu verstecken.
Zurück zur Truhe. Eine der Truhen hatte glücklicherweise einen deutlichen Abdruck hinterlassen, die Aussagen über ihr Aussehen lieferten.
Die Truhe war etwa 80 cm hoch, 137 cm lang und 72 cm breit. Die Ecken der Truhe bestanden aus Pfosten mit einer Größe von 7 x 14-18 cm, die in die Nuten eingebracht worden waren. In diesen Nuten ruhten die Außenwände der Truhe. Eine Konstruktionsweise die auch aus dem Hochmittelalter bis in die Neuzeit bekannt ist, doch dazu später mehr.
Ein Deckel konnte nicht direkt nachgewiesen werden, jedoch wurde eine Haspe, bzw. ein Schlossblech2 die auf einen verschließbaren Deckel hinweist. Metallene Scharniere, Nägel oder anderes Metall fehlen dagegen. Es ist daher anzunehmen das ein hölzernes Scharnier den Deckel hielt und der Rest der Truhe von hölzernen Zapfen versehen war.
Als Material für die Truhe wird Eiche vermutet, das möglicherweise mit Wachs oder Pech behandelt worden war, was wiederum den Abdruck im Erdreich begünstigte.
Vergleiche
Die Truhe entspricht in ihrem Typus den (Front-)Stollentruhen des Hochmittelalters die bis in Gegenwart überlebten, wobei sie einer gewissen Subart angehört: der Eckpfostentruhe ( mit gespundeten Wandungen). Solche Truhen, deren Pfosten wesentlich schmaler sind als die der klassischen, hochmittelalterlichen Frontollentruhen.
Karl Rumpf beschrieb solche Truhen in seinem Artikel “Frühformen hessischer Truhen” von 1948 anhand eines Mehlkastens von 1759 aus dem Kreis Gersfeld. Dabei sind auch die Außenwände der Truhe mit Nut und Feder versehen und sind daher ohne sichtbare Spalten gefertigt.
Genau den Bau einer solchen Truhe kann man sich auf Youtube ansehen, exakt mit Spundwänden, Holznägeln, Nut und Feder, gefilmt 1955 in Ungarn! Hier der Link https://www.youtube.com/watch?v=3V0gQ9M45G8 , Bilder bietet auch diese Seite zu ungarischer Volkskunst: https://mek.oszk.hu/02700/02791/html/113.html
Bei dem Film sieht man sehr schön warum die links, bei der hessischen Truhe verwendeten Bohlen leicht Keilförmig sind: Die Bohlen wurden aus einem Baumstamm durch Spalten hergestellt.
Das Scharnier
Wyss lieferte zur Rekonstruktion der Truhe von St. Denis mindestens zwei Abbildungen. In Kunst und Kultur der Karolingerzeit wird die vorsichtigere Gewählt. Hier besitzt die Truhe keinen Deckel und somit auch kein Scharnier. Auf der Internetseite des französischen Kultusministeriums und des Nationalen Archäologiemuseums wird dagegen dieselbe Isometrische Zeichnung, jedoch mit Deckel, gezeigt.
Wyss entschied sich, bei dieser Zeichnung einen Zapfen aus den hinteren Pfosten nach oben herausragen zu lassen, dieser ist mit einem Loch versehen. Der Deckel besitzt nun an gleicher Stelle Aussparungen. Die Dielen des Deckels besitzen an ihren Schmalseiten Löcher, durch die nun ein Holzstift durch die Zapfen der Pfosten, zurück in die Dielen verläuft, um so ein Scharnier zu bilden.
Die erwähnten ungarischen, hessischen und sonstigen Truhen platzieren jedoch ihre hölzernen Scharniere anders. Hierbei ist der oberste Teil der Diele, die die Rückwand bildet, länger als die Eckpfosten und ragt über diese hinaus. ( siehe Abbildung, in der Mitte über der Sütterlin Beschriftung). Dieses hervorstehende Teil wird abgerundet und von außen eine Leiste aufgesteckt. Auf diese werden die Bohlen für den Deckel gestiftet.
Letztere Lösung halte ich für wesentlich sinnvoller, denn wenn ich Wylls Lösung umsetzen möchte muss ich die Dielen des Deckels miteinander verbinden. Potentiell über zwei Leiste die dann im Inneren der Truhe liegen. Das wäre durchaus mit einer Verzapfung möglich, da aber die Leisten nur mit den Zapfen mit den Deckeldielen verbunden wäre, würde die Schwerkraft gegen mich arbeiten. Entweder lockern sich die Zapfen, oder die Leiste würde mit der Zeit ganz langsam nach unten wandern, bis sie abfällt. Und dabei ist es egal ob die Zapfen von oben, oder von unten kommen.3
Eine durchaus brauchbare Anleitung für solch eine Truhe, wenn auch die hochmittelalter Variante mit breiteren Stollen, bietet Viatores Historiae.de als PDF unter diesem Link: http://viatores-historiae.de/wp-content/uploads/2020/12/Bauanleitung-Frontstollentruhe.pdf
Ach und bevor ichs vergesse: Die Truhen waren leer. Kein Silber, keine Edelsteine. Entweder wurden sie genutzt, das verstaute Material wurde wieder entfernt oder es handelte sich um organisches Material, wie etwa kostbare Stoffe, das längst vergangen war.
Kunst und Kultur der Karolingerzeit S. 140 spricht von 4 Truhen, während https://archeologie.culture.gouv.fr/saint-denis/en/carolingian-chest von 5 Truhen spricht ↩
M.Wyss Saint Denis in Kunst und Kultur der Karolingerzeit – Beiträge zum Katalog der Ausstellung S. 140 ↩
Alternative wäre auch eine Verbindung mittels Schwalbenschwanz denkbar, bei der ich aber nicht sicher bin ob ich diese sauber hinbekommen würde ↩
Eine Antwort
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