Der Hof Annapes im Brevium Exempla
Gestern schrieb ich ja das ich mich mit dem Brevium befasse und ich dachte mir ich könnte das auch hier tun, wobei ich auch einige Probleme erläutern kann.
Das Problem sind dabei Begriffe die oftmals sehr allgemein gehalten sind und dadurch diverse Möglichkeiten zur Interpretation bieten. Das sein an dieser Stelle mal durch ein kleines Beispiel verdeutlicht.
Ein unbekannter Chronist des Jahres 2013 (!) hat folgenden Satz überliefert:
Er saß, mit Brille auf der Nase, vor dem Fernsehgerät.
Scheint simpel zu verstehen oder? Ist es aber nicht! Wer die Szene reenacten wollte, oder sich darüber Gedanken macht wird auf einige Probleme stoßen! Was für ein Fernsehgerät war es? Röhrenfernseher, Plasma oder LED? Und warum trug „er“ eine Brille? Trug er sie immer oder hatte er vielleicht eine 3D Brille auf der Nase weil er einen 3D Fernseher hatte? Saß er nur da, schaute er fern, wollte er Konsole Spielen, oder einen Film sehen…1
Dies nur als Verdeutlichung der Probleme die sich ergeben. Nun aber zum Brevium Exempla und dem Gut in Annapes. Ich habe hinter die jeweiligen Sätze Übersetzungen und Interpretationen geschrieben.
Invenimus in Asnapio fisco dominico salam regalem ex lapide factam optime, cameras III;
Wir fanden im königlichen Fiskalgut von Annapes einen königlichen Saalbau, bestens aus Stein errichtet, 3 Räume;
Sehr wahrscheinlich war Annapes das caput fisci/ villa capatinea, also der Hasuptort eines Fiskalbezirkes, was auch durch die Auflistung weiter Orte nahe liegt. Dort gab es eine sala regalis, einen „königlichen Saal“ oder „Saalbau“. Schon jetzt wird klar wie unklar alles ist, denn dieser Saalbau besitzt 3 Räume. Ein rechteckiger Bau, aufgeteilt in 3 gleiche Räume, 2 Raume unten und Saal darüber oder doch eher wie in Frankfurt ein Saalbau mit 2 kleinen Annexen? Weiterhin kommt die Frage hinzu ob sich der erste Teil des nächsten Satzes noch auf die sala regalis bezieht, oder auf das drauf folgende Gebäude. Ich tendiere zu letzterem wegen dem „cum“, also „mit“.
solariis totam casam circumdatam,
rund um das Gebäude Galerien
Die letzten drei Worte kann man sich eigentlich auch ohne Lateinkenntnisse zusammenreimen. „solariis“ Tauchen in Texten immer wieder auf und dennoch hat man damit ein paar Schwierigkeiten. Die ältere Literatur verwendet hier gerne den Begriff „Söller“, den ich aber ungern nutze, da ihn heute kaum noch einer kennt. Regino vom Prümm verwendet „solarium“ für die Decke, durch die Ludwig der Deutsche 870 in der villa flamersheim kracht und sich zwei Rippen brach.2 Auch in einer Beschreibung Aachens taucht ein „solarium“ auf, von dem aus Karl seine untergebenen durch Gitter/Geländer beobachten konnte.3 Grundsätzlich sollte es sich um einen erhöten Punkt mit einer gewissen Fernsicht handeln. Da es sich in diesem Text um ein Gebäude handelt um den sich dieser Bauteil herum zieht, halte ich Galerie fü angemesse.
cum pisilibus XI;
mit 11 beheizbaren Räumen
Auch hier gibts übersetzerische Probleme, denn „psilibus“ ist ein eher seltenes vulgärlateinisches Wort. Es bezeichnet wohl einen Raum, der von Außen über einen Anbau beheizt werden konnte.
infra cellarium I; porticus II,
darunter ein Lagerraum, 2 Gänge
Natürlich kann man „cellarium“ auch mit Keller übersetzten. Mag ich aber nicht weil ich schon Leute erlebt habe die dann gleich rufen „Ja, das sind doch die Webkeller“. Deswegen schrieb ich Lagerraum. Es wohl ein in die Erde eingetiefter Lagerraum, was auch schon das „infra“ andeutet. Die Anzahl der Räume und die Beheizbarkeit sprechen für ein Frauenarbeitshaus, wohl ein Webhaus. Der zu verarbeitende Flachs benötigt eine gewisse Feuchte, was den Kellerraum erklärt.
„porticus“, ja ja, der gute alte „porticus“. Man denkt wohl unwillkürlich an Portal und einen großen Durchgang, einen Bogen oder ähnliches. Ein „porticus“ ist aber zunächst einmal etwas durch das man geht. Die Römer benutzten das Wort füe einen „Laubengang“, im Grunde einen überdachten Gang, der sich z.B. vor einer Ladenzeile befand.4 Es also wohl ein Gang irgendeiner Art, vielleicht gebildet von der Galerie darüber oder als Verbindungsgang, vielleicht zur sala regalis .
alias casas infra curtem ex ligno factas XVII cum totidem cameris et ceteris appendiciis bene conpositis;
17 weitere Häuser im Hofareal aus Holz erbaut mit ebenso vielen Zimmern, mit weiteren Anbauten in gutem Zustand
Dieser Teil ist realtiv unmissverständlich, lediglich die „appendiciis“, wörtlich „Anhängsel“ (man denke an den Blinddarm: Appendix, oder den gleichnamigen Anhang in Büchern) lassen Raum für Spekulationen. Es folgt eine Aufzählung weiterer Gebäuden neben den 17 Erwähnten.
stabolum I, coquinam I, pistrinum I, spicaria II, scuras III.
einen (Pferde-)Stall, eine Küche, ein Backhaus, zwei Scheunen, drei Heuböden
Eine Aufzählung weiter Gebäude im Hof.
Curtem tunimo strenue munitam, cum porta lapidea, et desuper solarium ad dispensandum.
Der Hof stark befestigt, mit einem steinernem Tor, darüber eine Galerie für Bekanntmachungen/Ausblick
Der Satz „Curtem tunimo strenue munitam“ ist unterschiedlich interpretiert worden. Von Palisade, wie es die Uni Leicester in ihrer Übersetzung angibt, oder als Wall, wie es Binding tut5. Ich habe mich für die möglichst wörtliche Übersetzung entschieden, da ich es für spekulativ halte was unter „stark befestigt“ zu verstehen ist. Auch das „solarium“ taucht hier wieder auf und dient „ad dispensandum“. Dies kommt vom lat. dispendere „ausspannen, ausbreiten, ausdehnen“ und lässt die Möglichkeit zu das es es für einen weiten Rundumblick dient, wird aber auch interpretiert als ein Ort von Bekanntmachungen.
Curticulam similiter tunimo interclausam, ordinabiliter dispositam, diversique generis plantatam arborum.
Ein kleinere Hoffläche genauso befestigt, gut bestellt mit verschiedenen Bäumen bepflanzt.
Die „curticula“ wird oftmals als ein kleinerer Vorhof interpretiert, jedoch gibt es hier keine Information über seine Lage. Gemeint kann hier auch einfach ein Bangert oder Hostert, also eine eingehegte Bepflanzung, sein, die in einigem Abstand zur Curtis liegt.
Im Anschluß an diesen Teil erfolgt Aufzählung des Inventars des Hofes an Werkzeug und Tieren und Einnahmen, die Pralellen mit dem Capitulare de Villis aufweist, welche sich in der selben Handschrift findet. Dies soll aber hier im Moment nicht interessieren.
Letztendlich kann man an diesem Texteil über Annapes viele Informationen erhalten, bekommt aber mindestens genauso viele Fragen wieder aufgebrummt. Wie ist der Hof nun befestigt? Besitzt er auch militärische Funktion? Warum wird keine Kapelle erwähnt? Befindet sich diese vielleicht im Ort in der Nähe?
Übrigens findet sich eine zeichnerische von diesem Bericht inspirierte Rekonstruktion hier. Man achte darauf , das bei dem Bild die sala regalis und der „11-Zimmer-Bau“ vereint würden. Die porticus wurde als 2 Vordächer umgesetzt. Analogien des Aufbaus finden sich dabei auch zu einer Luftaufnahme des potentiellen merowingischen Hofes von Crécy-en-Ponthieu, den man hier in Falschfarben bestaunen kann. Ich habe mir auch schon fest vorgenommen mal eine Rekonstruktion davon zu machen.
Auflösung: Ich saß vor der Glotze, nachdem ich von der Arbeit kam, einen Kaffee gemacht hatte und hatte noch die Sonnenbrille auf der Nase vom autofahren. Die Playstation hatte ich gerade angestellt um Bioshock Infinite auszuprobieren und der 3D fähige LED TV stellte sich per HDMI automatisch an. ↩
Günther Binding „Deutsche Königspfalzen von Karl dem Großen bis Friedrich II.“ S.75 ↩
Liebe Römer schlagt mich wenn ich da jetzt was falsches erzählt habe ↩
Günther Binding „Deutsche Königspfalzen von Karl dem Großen bis Friedrich II.“ S.61 ↩
Kleine Idee zu den "fehlerhaften" Plänen und abweichenden Maßen: Mittlerweile ist es ja möglich Gebäude in 3D zu scannen und…
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