Zum karolingischen Wehrgehänge (inkl. PDF zum aktuellen wissenschaftlichen Stand)
Ich habe mich nun wieder etwas eingehender mit der Problematik des karolingischen Wehrgehänges befasst. Mein Plan einer Übernahme des von Lüppes veröffentlichten spätmerowingischen Wehrgehänges in die Karolingerzeit, kann ich so direkt nicht umsetzten. Die Gründe sind hierfür relativ einfach. Lübbes hat für seine Rekonstruktion wesentlich dünnere Riemen nach Fund (etwa 1,3cm Breite) vorrausgesetzt. Es gab auch stärkere Riemen, für die er selbst darauf hinweist , dass hier der Weberknoten hinter der Scheide nicht die Lösung ist, da das stärkere Leder sich nicht sinnvoll zu einem Weberknoten binden lässt.
Nun gehe ich bei meinem Experiment von einer Riemenbreite von ca. 2,5 cm aus, auf Grund meiner Beschläge., so dass der Weberknoten nicht praktikabel ist. Ich schaue mich daher einmal mehr um nach einer befriedigenden Lösung. Ebenso lässt sich der Kleeblattriemenverteiler nicht ohne unschöne Stauchungen des Leders an die Stelle der Rautenverteilers setzten.
Jetzt habe ich eine sehr ausführlich Abhandlung des Themas von Simon Ungermann online gefunden, aus der ich das wichtigste herausziehen möchte und einige Punkte noch mal hinterfragen will. (PDF hier)
In allen mir bekannten Veröffentlichungen wird von der selben Methodik ausgegangen: Die Beschläge sind sämtlichst an der Scheide angebracht und darüber mit dem Kleeblattriemenverteiler verbunden, die Ausführungen wie diese Verbunden sind unterscheiden sich jedoch.
1. Menghin (1980) und Mitchell (1994)
Sowohl Menghin als auch Mitchell gehen vom selben Verbindungsmodell aus. Menghin rekonstruierte sein Modell nur nach Abbildungen des 9. Jahrhunderts. Mitchell wendete dieses Modell auf die Garnitur von San Vinzenzo al Volturno an.
Die Nachzeichnung sieht zwar seltsam aus, ist jedoch genau nach Menghin gefertigt und man kann deren Problem bereits erkennen. Sowohl am oberen Riemen, als auch am unteren Riemen werden bei dieser Tragweise Stauchungen des Leders auftreten die auch zu ungleichmäßigen Abnutzungen an den Beschlägen führen (die nicht nachweisbar sind) . Gleichzeitig ist die Scheide wieder mit vollem Druck an den Körper gepresst. Ein Problem, das Lübbes mit dem im archäologischen Befund von Altdorf nachgewiesenen Weberknotens zu vermeiden weiß.
Ich halte dafür eine Übernahme in exakt dieser Art und Weise für nicht praktikabel.
2. Jiří Košta und Jiří Hošek ( 2008)
Košta und Hošek erstellen die Vorlage für die links stehende Zeichnung für die Beschlaggarnitur aus dem „Fürstengrab“ von Kolin, die aus 2 kleineren, einem größeren Beschlag, Verteiler und Schließe besteht.
Nach Simon Ungermann geht der Grundentwurf, mit den über den Scheidenrand hinausragenden Beschlägen auf M. Baumeister zurück, wobei dieser nach E. Wamers die Beschläge von Biskupija-Crkvina verwendet, aber von einer falschen Befestigungsart ausgeht (Stegöse statt Nieten, wie tatsächlich vorhanden und ohne Kleeblatt). Baumeister ging weiterhin davon aus, dass die Verwendung des Kleeblattriemenverteilers unpraktikabel und unergonomisch sei. Der Verteiler sei vielmehr Ausdruck von Symmetrie und habe seinen Platz nur als Repräsentation bei Hofe gehabt. Das Wehrgehänge sei also nie zum Tragen gedacht gewesen.
Dem widerspricht Kosta und entwarf den linken Rekonstruktionsversuch ( Der obere Riemen ist nur der Leibgurt und gehört nicht zum Schwertgurt!!!) und zusätzlich eine weitere Version als Schulterriemen. Ein Grund für diese Rekonstruktion sind die Beschläge aus dem Fund von Kolin. Sie besitzen auf einer Seite eine Nietreihe und auf der Anderen einen Riemendurchzug, den er zur Befestigung der Riemen in Richtung Verteiler nutzt, während die Nieten die Befestigung an der Scheide darstellen.
Im Ansatz ist dies durchaus praktikabel, weisen doch die wikingischen Scheidenfunde auf der Isle of Man (Ballateare und Cronk Moar Schwert) D-Ringe am unteren Scheidenteil auf.
![Wehrgehänge cronkmoar ballateare](https://i0.wp.com/www.tribur.de/blog/wp-content/uploads/2011/12/Wehrgeh%C3%A4nge-cronkmoar-ballateare.jpg?resize=300%2C423&ssl=1)
Rekonstruktion der Wehr des Ballateare Schwerts als Schulterriemen (oben), unten Cronk Moar Schwert. beide 9. Jahrhundert
Kosta scheint sich also an dieser Rekonstruktion zu orientieren und begeht dabei den selben Fehler, der bei der Rekonstruktion des Ballateare Schwertgurtes unterlaufen ist.
Bei der Tragweise als Schulterriemen fängt die Konstruktion, nach Angaben im Netz, unglaublich an zu schwingen wenn man sich bewegt.
Nach Angaben im Forum von MyArmory, konnte bei der Balleteare-Version das Schwingen reduziert werden, im dem der Riemenverteiler von oben, nach unten versetzt wurde, so in etwa wie es bei der Kosta´schen Variante der Fall wäre.
Im Prinzip könnte mich mit der Rekonstruktion von Kosta als Gürtelversion anfreunden. Jedoch hat sie für mich noch einige entscheidende Schwachstellen, wenn nicht sogar logische Fehler. Wenn ich zwei schmale Beschläge am oberen Teil verwende, habe ich zwei überstehende Teil am Ende der Scheide. Lasse ich hier den Riemen direkt hindurchlaufen verschärft sich das Problem das die Scheide in Hüfte drückt, immens. Nun drückt nicht mehr die flache, abgerundete Scheide, sondern auch noch die Metallbeschläge in die Seite. Es muss also ein Äquivalent zum Weberknoten auf der Rückseite der Scheide gegeben haben!
Zudem, würde die Rekonstruktion nach Kosta dem obigen Idealbild entsprechen, würde der Gurt nur „locker auf der Hüfte“ getragen , womit er bei unüberlegten Bewegungen schnell hinunter rutschen würde. Bindet man ihn jedoch fest um die Hüfte, so würden die Riemen am Kleeblatt gespannt und gestaucht, die symmetrische Optik wäre verloren. Nur wenn man einen Hauptgurt, wie den Leibgurt auf der Skizze , verwenden würde und der Riemen der vom Kleeblatt wegführt auf diesen mündet und die Schwertscheide (mittels Weberknoten?) mit diesem verbindet, scheint mir dies praktikabel!
Der nächste Punkt ist die Frage nach einer Öse. Ich habe meine Scheide mit einer hölzernen Öse ausgeführt. Grund dafür waren ältere Scheiden und die Abbildungen des Stuttgarter Psalters, auf denen meist keinerlei Beschläge zu erkennen sind, dafür aber der oberste Riemen immer unterbrochen wird. Hierbei war auch die „Scheidendarstellungen aus ikonographischen Quellen“ (Abb. 29 ) bei Geibig entscheidend. Links die einzige Darstellung des Stuttgarter Psalters mit Beschlag, bei der der Beschlag durch einen an eine Öse „in“ der Scheide unterbrochen wird. Zudem ist der Beschlag nur nach hinten über die Scheide hinaus zu erkennen. Eine ähnliche Unterbrechung findets sich auf auf den Umzeichnungen von Schwertdarstellungen der aktuellen Forschung (siehe Košta – Hošek Zeichnung)- Sie wird aber als Zwischenraum der beiden oberen Beschläge interpretiert.
Ein weiter Punkt , der mir zu denken gibt, ist das in dem oben verlinkten PDF angegeben wird, das die Wikinger weder von Franken noch irgendeiner anderen Bevölkerungsgruppe Europas ein Art des Schwertragens übernommen hätten. Tatsächlich aber scheint es Parallelen zwischen den Begräbnisfunden der Isle of Man (dreifach-Riemenverteiler und Öse an der Scheide) und den karolinigschen Wehrgehängen zu geben (Kleeblatt Riemeverteiler und Beschlag mit Riemenführung).
![uploadgehänge](https://i0.wp.com/www.tribur.de/blog/wp-content/uploads/2011/12/uploadgeh%C3%A4nge.jpg?resize=245%2C370&ssl=1)
Skizze einer möglichen Abwandlung der Rekonstruktion von Košta – Hošek, bei der versucht wurde deren Fehler auszumerzen
Meine momentane gedankliche Vorstellung geht zur Zeit eher in die Richtung des links abgebildeten Bildes, das ich gestern Nacht noch schnell gekritzelt habe. (Man möge über den Knick in der Scheide hinwegsehen)
Die Scheide wäre nun auf Höhe der Öse mit dem Gürtel verbunden. Das Schwert würde angenehm hoch hängen und nicht so leger tief wie in der oberen Rekonstruktion hängen, wodurch sie beim Gehen nicht so behindern sollte. Der nun in diesem Fall frei gewordene dritte Beschlag könnte zur Verbindung des Schleppgurtes mit dem Hauptriemen verwand werden.
Auf Höhe der Öse, wo die Scheide mit dem Hauptriemen verbunden ist , liegt der Drehpunkt der Scheide. und ich könnte sie an dieser Stelle nach vorne kippen, so wie das so oft im Stuttgarter Psalter geschieht.
Einzig stört mich die Verwendung eines zusätzlichen Riemens, sind doch in den Handschriften meist drei Teile zu erkennen. Es muss aber überlegt werden, ob hier nicht eine Abstraktion stattfand, die die Abbildung auf das wesentliche, den Bereich um das Kleeblatt, reduzierte
…garantiert fällt mir aber noch irgendwas ein was ich vergessen habe… also tbc
Es hat zwar nur am Rande damit zu tun, aber was hältst du eigentlich von Punzierungen des Leders?
Ich persönlich finde das eher problematisch.
In der Literatur kann man dazu auch irgendwie so gut wie gar nichts finden – zumindest nicht fürs Frühmittelalter.
Siehe auch hier, deine Beschläge mit Gürtel (ganz nach unten scrollen):
http://www.aulus-ledermanufaktur.de/aulus_ledermanufaktur/Historisch.html
Um ganz ehrlich zu sein ich weiß es nicht, hab mir aber gerade gestern drüber nachgedacht als ich meinen Gürtel geölt habe.
Punzierte Scheiden gibt es ja, so wie das hier http://www.tribur.de/blog/?p=16518. Bei den Gürtel bin ich im Moment vorsichtig. Was aber nicht heißt das es das nicht gegeben hat.Aber vielleicht sollte ich mir mal die Lederfunde von Haithabu besorgen.
PS: Schließe und Riemenzunge im Link kommen mir irgendwie bekannt vor
[Edit] Ok, aus Londen gibt es einen Fund aus dem 12. Jahrhundert eines punzierten Gürtels, aus Birka Taschen… also denke ich das das durchaus drin sein sollte
Ich bin bei Recherchen zu einem Wehrgehänge nach Balleare auf Deine Seite gestoßen. Mich treibt in der Tat die Frage um, ob ein Schultergehänge nach Balleare nicht sehr stark schwingt – und wie man das verhindern kann ohne von der grundsätzlichen Umsetzung als Schultergehänge abzurücken.
Ich sehe auf dem Schlachtfeld oft die Kombination aus Schultergehänge und Hüftgurt, um das Schwert auf einer Höhe zu stabilisieren (gerade bei Langwaffenkämpfern ungemein wichtig, um das Schwert schnell ziehen zu können, wenn die Linie bricht). Aber so ganz das Wahre ist das meiner Meinung nach auch nicht… Was meinst Du?
Ich bleibe beim Lösungsvorschlag von LL, Der Stimmt sicher für das 5.6.und 7. Jahrhundert