Von der Pfalz Verberie über Aachen nach Compiegne (nach Gavet u.A.)

Bild: http://www.philippe-gavet.com
Die Sache mit den Architekturzeichnungen und Compiegne vom Freitag hat mir keine Ruhe gelassen und ich habe einfach mal nachgeforscht. Philippe Gavet scheint wirklich Kunsthistoriker zu sein und wird auch in einigen Büchern (französischen) als Quelle genannt. Soweit so gut. In dem karolingischen Teil des Online Abdruck seiner Bücher, die übrigens unter so was ähnlichem wie cc-by-sa stehen (zumindest fasse ich die Einleitung so auf), versucht er ein Bildüber die Entwicklung der (west-)karolingischen Architektur aus der Gallo-Romanischen zu zeichnen.
Hierzu verwendet er einen Grundriss einer großzügigen villa rustica und wandelt ihn in einen merowingischen Königshof ab.
Die villa ist rein hyptothetisch und aufgeteilt in einen königlichen und wirtschaftlichen Bereich. (Curtis und Curticula heißt das übrigens fachlich Korrekt) Den Grundriss den Gavet für sein „Grand Domaine Rural“ verwendet hat jedoch ein Vorbild.
Es ist eine Zeichnung von Eugène Viollet-le-Duc (+1879), Architekt und Kunsthistoriker, der 1854–1868 das „Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVe siècle“ veröffentlichte. Viollet-le-Duc ist damit ein Vorläufer „unseres“ Dehios.
Und eben hier taucht die Zeichnung eines Königshofes auf, der dem Grundriss Gavets in etwa entspricht.
Der Königshof von Verbie
Viollet-le-Duc versuchte in seiner Zeichnung den Königshof von Verberie darzustellen, der etwa 15km von Compiegne entfernt liegt.
Ausgrabungen gab es nicht. Viollet-le-Ducs Zeichnung ist also ebenfalls hypothetisch.
Diese Zeichnung verwendet Gavet ebenfalls in seinem Abschnitt „Programmes Carolingians“, jedoch coloriert und mit der Aufschrift „Verberie?“ versehen. Er gibt weiterhin Viollet-le-Duc als Quelle an, weist auf die fantasievolle Natur des Bildes hin, Entgegen Wikipedia, die in der Kirche St. Pierre die Pfalzkapelle sieht (das liegt übrigens daher, weil das südliche Querhaus früher den Namen Chapelle Charlemagne trug). Pfalzkapelle. Das liegt übrigens daher weil das südliche Querhaus früher den Namen Chapelle Charlemagne trug.
Viollet-le-Duc und Gavet sehen als Lage die Position des heutigen Schlosses von Verberie an, bei dem ähnlich wie in Trebur ein Grundriss aus zwei Quadraten entdeckte wurde – die als typisch geltende Form der Curtis.
Gavet nutzt nun Viollet-le-Ducs Zeichnung als Inspiration: Er sieht den ersten Grundriss (oben) als Palast Typ I (mit 2 Höfen) und nun in Verberie den Palast Typ II (mit 3 Höfen) (Bild hier), wobei eine der Höfe, der hintere, Benediktinern dient. Also ein Pfalz Stift, jedoch verwendet Gavet diesen Ausdruck nicht. Die drei Höfe führt er auf Karl den Großen und seine kirchlichen Ambitionen zurück.
Den Machtverlust der einstmals wichtigen Pfalz Verberie sieht er in immer größeren Versammlung und veränderten Ansprüchen. Es entsteht darauf hin Aachen, so Gavet. (Auf Gavets etwas eigentümliche Aachen Interpretation möchte ich jetzt nicht eingehen, auch wenn ich die Grundrissidee mit dem Eingang nach Osten hin interessant finde, da es einige Probleme lösen würde)
Kommen wir nun zu Compiegne
Klar ist das Karl der Kahle nach dem Vertrag von Verdun keinen Zugriff auf Aachen hatte, so wie Ludwig der Deutsche auch, da Aachen im Reichsteil Lothars lag. Karl ließ also Compiegne ausbauen und lies es nach sich Carlopolis nennen. Und hier haben wir nun mehrere Interpretationen.
Fangen wir bei der französischen Wikipedia an. Im Artikel über das Chateau de Compiegne findet sich die Angabe das Karl der Kahle 877 die Abtei Saint Corneille ( damals Maria geweiht) an der Stelle der alten, noch merowingischer Zeit stammenden, Pfalz habe Gründen lassen, während er seinen neuen Palast an der Stelle des heutigen Schlosses erbauen ließ.
Meine zweite Quelle zu Compiegne ist „799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit – Beiträge zum Katalog der Ausstellung“ S. 131 ff. Hier befindet sich das „Palastareal“ rund um das Kloster Saint Corneille. Nach Norden zur Oise hin fanden sich mehrere Gräben aus der Zeit vom 7. bis 11. Jahrhundert, die ohne die unbekannten Zusammenhänge recht wenig Sinn ergeben.
Wegen Copyrights und so habe ich das Ganze auf eine Google Earth Karte gezeichnet. Der graue Fleck unter dem Graben des 10. Jahrhunderts (orange) stellt den Kreuzgang des Klosters dar, das irgendwie darauf stand (so genau kann ich auf der original Karte mit ihrer schematischen Darstellung nicht erkennen)
Innerhalb des Grabungsareals (wohl bei den Gräben) wurde kostbarer wiederverwendeter römischer Marmor gefunden die auf die Nähe der Gebäude schließen lies.
Die Kirche soll eine Kopie des Aachener Oktogons gewesen sein, das nach einem Brand 917 mit einem Kornelius geweihten Langhaus und vorgelagertem Atrium erweitert wurde. Dies wiederspricht also der Angabe in der französischen Wikipedia komplett. Das Schloss liegt übrigens rechst der eingezeichneten Gräben, außerhalb des Bilds.
Nun zu Gavet. Dieser sieht die Pfalz Compiegne an annähernd gleicher Stelle wie die Angaben aus „799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit – Beiträge zum Katalog der Ausstellung“, jedoch spekuliert er und das ganz gewaltig:
An der Stelle des heutigen Schlosses findet sich bei Gavet die merovingische Pfalz, die er als Pfalz seines Typus I darstellt. Dies ist wohl als Platzhalter oder Symboldarstellung zu verstehen. Die Pfalz Karl des Kahlen ist monumental dargestellt und versteht sich nach Gavet als Nachfolge auf Aachen und Ingelheim, das er hauptsächlich Ludwig dem Frommen zuschreibt. Gavet erklärt in seinem Text dazu Funktionen der einzelnen Abschnitte. Das liest sich als habe er entweder eine Quelle aufgetan die die Gebäude beschreibt oder aber, was wahrscheinlicher ist, er die Funktionen ableitet und so versucht eine theoretische Gestalt der Pfalz herzuleiten. Im Anschluß leitet Gavet übrigens noch die Form späterer französischer Burgen, wie dem ursprünglichen Louvre von dieser Form ab. (Man kann einen Turm des alten Louvre noch im Keller sehen,weiß aber nicht mehr welche Abteilung das war, ist schon ein paar Jahre mit meinem Kunst LK dort war)
Fazit: Gavet ist zwar korrekter als als Wikipedia Frankreich, die Ableitung aus dem Zusammenhang als durchgehende kunstgeschichtliche Angelegenheit ist jedoch eher fragwürdig. Unter anderem auch, weil die Architektur, so wie er sie fast wie genetisch vererbbar behandelt, auch an seinen Halbbruder Ludwig den Deutschen weiter gegeben worden wäre. Ich denke nicht das die Herren sich hier in etwas nachstanden. Die Pfalz Frankfurt jedoch weist ein vollkommen anderes Muster auf.
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