Warum eigentlich immer Wikinger?
Seit langem frage ich mich warum viele, wenn sie einen Einstieg ins Reenactment oder nennen wir es mal (ohne eine Wertung abzugeben) den „Versuch das Mittelalter darzustellen“ wagen, den Weg des Wikingers einschlagen.
Ich glaube es hat viel mit dem Wikinger Image an sich zu tun. Wilde Kerle die Saufen können/dürfen bis zum Umfallen. Das Schwert immer griffbereit an der Seite. Kein Gesetzt hält einen auf. Einen Rang oder so was gibt es (scheinbar) nicht, der ihnen verbieten könnte eine Waffe zu tragen und das Trinkhorn darf man weiter benutzen… Tja, der Einstieg wird leichtgemacht.
Der Wikinger verbreitet ein Gefühl von Freiheit und Ungebundenheit, sozusagen der Marlboromann des frühen Mittelalters. Scheinbar bietet der Wiki dem Einsteiger einfach viel Raum für Träume und Interpretationen, so dass er leichter angenommen wird als das in Internet-Foren scheinbar stärker reglemtierte Hochmittelalter. Auch dürften die bereits existierenden Grobmittelalter-Wikis eine Rolle spielen, die mit bunten Kettchen, Thorshämmern bis zum abwinken behängt und mit totem Fuchs auf der Schulter den Urtyp des germanischen Helden geben.
Man merkt aber, dass viele, die sich tiefer mit der Materie auseinandersetzten , dann zur Darstellung eines Händlers oder Handwerkers umschwenken und Abstand vom waffenstrotzenden Brachialwiki nehmen.
Dabei ist der Wiki ja allein schon ein mißverstandene Gestalt. Die geschnitzten Comics auf Stabkirchen zeigen gut frisierte, gepflegte Menschen, der Wikinger hatte ein Bügeleisen, die Thorshämmer fanden sich in Frauengräbern und haben möglicherweise schon eine Verbindung mit dem christlichen Kreuz… usw.
Das Gerücht von den Wikingern gäbe es ja so viele Funde an denen man sich orientieren könnte, finde ich mehr oder minder an den Haaren herbeigezogen. Wikinger ist nicht gleich Wikinger, genauso wenig wie ein Schwede ein Norweger ist. Die meisten berufen sich daher ja auf eine Darstellung nach Funden aus Birka oder Haithabu. Aber Birka war, genauso wie Haithabu, eine Handelssiedlung. Viele Kulturen trafen hier aufeinander und der ein oder andere Händler segnete hier auch, fern der Heimat, das Zeitliche und lies damit Spuren seiner ursprünglichen Kultur in den Orten und den Gräbern zurück. Also muss man auch hier vorsichtig sein und kann sich nicht wahllos bedienen.
Natürlich ist das Schöne an wikingerzeitlichen Funden, gerade aus Haithabu, der Erhaltungszustand. Ich selbst hab hier auch im Schrank die Bücher über die Textilfunde aus Haithabu stehen. Der saure, feuchte Boden hat die Stoffe ja auch wunderbar konserviert.
Aber die Frage bleibt trotzdem: aus welchem Dunstkreis, aus welcher Zeit stammt der Fund, sonst geschieht es leicht das der Wikinger komplett nach Funden eingekleidet ist, aber die Funde mal locker 200 Jahre und 1000km abdecken.
Ich für meinen Teil konnte den Wikinger nie so wirklich etwas abgewinnen. Allgemein dachte ich das Frühmittelalter wäre so eine, naja, barbarische Zeit, weswegen ich erst vom staufischen Hochmittelalter und über die Salier, ins Frühmittelalter geschliddert bin.
Es war Zufall das ich zu den Karolingern gekommen bin. Als ich hier (und auch vorher schon) mit meinen Recherchen zur Pfalz Trebur begann, ging es mir um die Salier. Ich wollte eigentlich wissen wie die Pfalz zur Zeit der Salier aussah und wie es sich hier lebte. Ich wollte meinem Salier mehr Substanz geben. Mit der Zeit merkte ich, das wenn ich der Pfalz auf die Spur kommen will muss ich am Anfang beginnen und fand immer mehr Information über die Karolinger. Dabei musste ich feststellen, das die Epoche gar nicht so fundarm ist wie das manchmal dargestellt wird und Abbildungen gibts auch eine Menge (sogar sehr Gute!). Man muss also garnicht auf die Wikinger zurückgreifen wenn man das Frühmittelalter darstellen möchte.
Außerdem hab ich ein Grundproblem mit dem Wikinger darstellen. Wenn ich etwas Darstellen möchte, möchte ich auch das Umfeld, die Kultur verstehen. Vielleicht bin ich wirklich etwas ignorant, aber ich bilde mir ein das bei einem Wikinger nicht, oder nicht zufriedenstellend verstehen zu können. Ich habe kein Gefühl für die Landschaft in der der gemeine Wiki lebt, das Meer ist mir fremd und dann ist da die Sache mit der Religion… Ich bin katholisch erzogen, war mal Messdiener, aber habe jetzt nicht mehr viel damit am Hut, bilde mir aber ein darüber zumindest einen besseren Zugang zum mitteleuropäischen Frühmittelalter zu haben, als zum Nordeuropäischen. Tja und die Quellenlage was die Religion angeht finde ich auch eher dürftig. Die Edda in der Form in der wir sie kennen stammt, wenn auch von Island, aus dem 13. Jahrhundert, da war nicht mehr soviel mit dem was wir als Wiki kennen, aber vielleicht ist das nur Ansichtssache.
So, das waren meine Gedanken zum Wiki am Freitag, schönes Wochenende wünsch ich!
Der hauptsächliche Grund dürfte sein, daß eine einfache Wikidarstellung finanziell auch für den kleinen Geldbeutel erheblich leichter zu schultern ist, als – das Ding ist schließlich gerade für Anfänger wichtig 🙂 – der Schwertträger des Hochmittelalters. Spätestens bei einer Eventtauglichen Unterkunft, gemeinhin Zelt genannt, trennt sich da die Spreu vom Weizen.
Man sollte niemals ausser acht lassen, das wir alle ein reales Leben führen mit realen Reglementierungen. 🙂
Mhh, ich glaub das Geld machts gar nicht so. Ob ich mir eine Tunika oder eine Cotte von Leonardo Carbone hole machts glaub ich nicht aus. Und wenn ich was selber nähe ist es ohnehin egal.
Was Karolinger angeht ist das natürlich was anderes, fertiges gibts fast nichts. Schwert zu bekommen oder sowas ist nicht ganz so einfach.
Ha ha, das mit den Reglemtierungen kenn ich von meiner Freundin: Nee, da mach ich nicht mit. Ich muss schon auf der Arbeit Regeln befolgen 😉
Was ich aber ganz vergessen hab ist der Musikaspekt: Ey ich hör Paganmetal, da bin ich doch schon Germane 😉
Hei,
bezeichnend finde ich, dass viele „Wikinger-Darsteller“ mit der
jüngeren Eisenzeit überhaupt nichts anfangen kann. 🙁
Und wegen Musik, die Musiker in Norge, die Paganmetal und sonstiges
spielen kennen in der Regel auch die alte, bis ganz alte Folkemusikk
womit aber die (deutschen) „Wikinger-Darsteller“ überhaupt nichts
anfangen können. Wenn die Musik machen, dann eher Stücke aus Mittel, Süd- oder Westeuropa aber kaum, eher selten etwas aus dem
Norden.
Und dann (wenn ich schon man dabei bin) finde ich es absolut eine
Katastrophe, wenn die deutschen „Wikinger-Darsteller“ zu einem „Wikitreffen“ nach Skandinavien reisen und von dortigen grottenschlechte, zum übelwerden, „Wikinger-Darsteller“ deren schlechten Plastikrekonstruktionen einfach ungefragt (ohne Gehirn) kopieren und es hier in Deutschland dann nachmachen, nur weil es skandinavische „Wikinger-Darsteller“ es (leider) vorgemacht haben.
Nächstes (evtl.) Jahr darfst du dir wegen Textilien ein neues Buch kaufen. 😉
Ich stimme deiner Analyse zu.
Die Wikingerzeit bzw. das Frühmittelalter, waren eben noch richtig schön archaisch 🙂
Außerdem war diese Zeit noch ein wenig antik angehaucht.
Hoch- und Spätmittelalter, waren hingegen schon eine absolut eigenständige Angelegenheit.
Der Mensch im Frühmittelalter, war noch einer freierer.
Die Leibeigenschaft späterer Zeiten war erst zu erahnen.
Der freie Bauer, der noch als sein eigener Herr in den Krieg zog, gehörte also zum Alltag.
Konventionen und Regeln der späteren Städtekultur, gab es auch noch nicht und selbst Priester durften heiraten.
Eine interessante Zeit also, die unserer weniger ähnlich ist, als das was gleich danach kam.
Ich persönlich interessiere mich sehr für die Übergangsphase zwischen Früh- und Hochmittelalter – also die Zeit um das Jahr 1000.
Da war noch nicht diese heute so ausgelutschte Ritterkultur vorhanden, aber es gab schon etliche schöne, mittelalterliche Steinbauten (ich mag die Frühromanik einfach) und das Land war nicht mehr ganz so viel von Sümpfen und Wald überzogen.
Man weiß auch wenig über diese Zeit und hört nicht viel davon in den Medien.
Das macht es spannend und interessant… zumindest für mich.
@ Jøran-Njål
Schlechte Reenactment-Darsteller, findet man für jede Epoche 😉
@Jøran-Njål Das mit dem Plastik-Lagern hat man ja auch schon aus Hastings gehört, bzw. gesehen, scheint Epochenübergreifend zu sein. Die Engländer sind nach „Feierabend“ mit Gummistiefeln durch die Gegend marschiert und die Vorgaben von den Vikings waren denen ziemlich egal 😉
Das mit dem Pagenmetal u.ä. hängt glaube ich auch mit der Kultur zusammen, die doch in Dänemark,Schweden und Norwegen präsenter ist und mehr wachgehalten wird als bei uns. Hab ich zumindest das Gefühl ohne je nördlicher als Haithabu gewesen zu sein 😉
Meinst du „Textil und Tracht in Haithabu“ von Inga Hägg?
@Hobo-Cop Was mich so fasziniert ist dieser Übergang von Spätantike zu Frühmittelalter, gerade in der Architektur und Architektur allgemein 😉 Ja leider wird Frühmittelalter und ottonische Epoche, gerade in Hessen, schwer ausgeklammert. Thüringen und auch Sachsen-Anhalt ist da besser drauf. Halle sind immer weit
@Markus: Beim frühen, frühen Mittelalter, wird mir das Herz immer ganz schwer, wenn ich daran denke, was da an Wissen und Fertigkeiten langsam aber kontinuierlich zerstört wurde bzw. verloren ging 🙁
Zu Hastings und Gummistiefeln: Ich war bei der letzten großen Veranstaltung im Jahr 2006 dort mit dabei und kann leider nur bestätigen, dass es Gruppen gab, die nachdem das Publikum abgezogen ist, auf jede Authentizität gepfiffen haben.
Man muss aber sagen, dass es nicht sehr viele waren. Habe auch mit Nigel Amos und Kim Siddorn von Regia Anglorum darüber gesprochen und die meinten, bei der nächsten großen Veranstaltung dieser Art in Hastings, die glaube ich 2011 oder 2012 stattfinden soll, wird man seitens der Veranstalter (English Heritage) wohl höhere Qualitätsstandards anlegen müssen, auch fürs Lagerleben, da sonst Regia „ungemütlich“ werden würde und seien Unterstützung dafür stark zurückschrauben würde.
Andererseits seien immer Kompromisse notwendig, da man sonst nicht so eine große Anzahl an Darstellern zusammenbekommen würde.
Und das stimmt natürlich auch irgendwie.
Mein Schwert hatte 2006 z.B. eine Fiberglasscheide – eine authentische mit Holzkern um 250 Euro, hätte ich mir damals als Student nur schwer leisten können.
Heute sieht das anders aus und ich würde mir wohl eher die Hand abhacken, als mit so einem furchtbaren Ding irgendwo aufzukreuzen. 🙂
@Hobo-Cop Das „Verlorengehen des Wissen“ ist auch so ein Aspekt, der mich ganz besonders fasziniert. Was ging warum verloren, was wurde übernommen, welche Einflüsse gab es für die Architektur im Utrechter Psalter, die Rückgriffe Einhards beim Bau seiner Basiliken (die Laurentiuskirche in Trebur hatte gerüchteweise ebenfalls Backsteinpfeiler), die Übernahme römischer Traditionen um dann daraus wieder etwas Eigenständiges zu machen (gerade unter den Ottonen)
Wollte damals mit dem FFC auf die Insel, aber meine Holde wollte sich nicht „unterordnen“ (s.o.) und zum Anderen hab ich am 13.10. Geburtstag… hätte eigentlich verpflichetet 😉
Paul Chen Prügel? 😉 Hatte meine Scheiden immer mit Holz selbstgebaut, wegen der Kosten.Zu Anfangs Sperrholz, dann massiv. Ausserdem finde ich das immer mal ganz angenehm was handwerkliches mit Holz zu machen, wenn ich schon im Job nur mit Technik und Platinenschieberei zu tun hab. Schmiede hätt ich auch im Museum, aber das will ich mir nicht auch noch ans Bein binden. Ausserdem gibts einen Schmied im Ort der gerne mal was ausprobieren würde, hab schon Vorlagen für ein Petersen H geben lassen.
Aber inzwischen dümpelt das so alles vor sich hin, wegen dem Austellungskram. Müsste noch ein Unterkleid nähen, Stickereien machen etc….
Ich glaube das mit den Wikingern ist „gefühlt“. Wenn ich mir das auf Mittelaltermärkten so ansehe, dann ist „Hohes Spätmittelalter die Zeit der Wahl für zukünftige Schwertträger
@Markus: In der Tat, das war tatsächlich ein Paul Chen/Hanwei-Prügel 😀 Gut geraten!
Zu meiner Entschuldigung: Ich war jung und hatte kein Geld 😉
Heute bevorzuge ich Schwerter von Albion.
Schwertscheiden selber basteln, kam für mich nie wirklich in Frage.
Das wirklich schön hinzubekommen, würde mir definitiv mehr Können abverlangen, als ich in der Hinsicht besitze. Und um mich da einzuarbeiten, fehlt mir die Geduld, leider.
Da jongliere ich lieber täglich mit meinen Pixeln und Polygonen. Dinge am Rechner zu konstruieren, ist eben einfacher als mit den Händen.
Das FFC hatte damals in Hastings übrigens eine sehr gute Figur gemacht.
Ich kämpfte allerdings auf der gegnerischen Seite 😉
@Hobo-Cop War nicht so schwer, Chen Schwerter sind die einzigen die ich kenne die diese Scheiden haben 😉
Albion? Hut ab Mütze auf! Die haben sehr schönes Material und seit die in Europa direkt verkaufen sogar erschwinglich. Wenn sich alles wieder beruhigt denke ich mal über eins von Axon nach.
So lang muss es mein Pole tun.
Auweia, Pixel und Polygone? Und dann komm ich mit meinen armseligen Animatiönchen unhd Bildchen daher, aber der Geldbeutel für die Austellung sagt nunmal selbermachen. Wollte eigentlich auch ein paar Jungs vom FFC angagieren für das Museumsfest, so von wegen Heinrich IV. Truppen sichern die Pfalz oder so,hatte schon mit Gawan gesprochen, aber das hätte mein komplettes Austellungsbudget aufgefressen, das noch nicht mal in Gänze von der Gemeinde bewilligt ist.
Du bekommst wenigstens von der Gemeinde Geld.
Hingegen hier wo ich lebe, weiiiit von Trebur entfernt, ging vor ein paar Wochen ein ambitionierter Mittelalterverein fast pleite, weil der von ihm veranstaltete Markt zum zweiten Mal in Folge, im Regen untergegangen ist und die knausrige Stadt für so etwas auch keine Förderungen rausrückt.
Wann habt ihr denn eigentlich dieses Musemumsfest?
Mich würde mal interessieren wo „weiiit“ ist.
Ich find gerade meinen Terminplan nicht, es müsste aber Juli oder August 2011 sein, ist also noch ne Weile hin 😉 Die restlichen Termine hab ich aber schon mal hier geschrieben: http://www.tribur.de/blog/?p=5434 es sollen aber noch einige Sachen dazu kommen.
Geplant sind für das Fest so Sachen wie Färbevorführung, Schmiede, Lebensmittel wie Hirsebrei oder sowas 😉
Oh, das hört sich sehr interessant an.
Ich bin zurzeit beruflich immer alle paar Wochen mal in Köln, manchmal bleibe ich auch übers Wochenende, wenns die Zeit erlaubt.
Und Trebur liegt in relativ geringer Nähe zu Köln.
Da läge ein Abstecher im Bereich des Möglichen.
Ich wohne übrigens da, wo auch der Gouvernator von Kalifornien ursprünglich herkommt 🙂
Allerdings ohne den extremen Dialekt bzw. Akzent 😉
Wenn interesse besteht, ich mach auch Führungen 😉 Mein Museumsschlüssel ist allerdings noch in der Mache 😉
Einfach vorher Melden, Email über den Kontakt oben, bin übers Wochenende nicht immer zuhause!
Moin!
Es gibt nicht nur Wikinger im Norden. 😉
Wir sind grade frisch mit einer friesischen Darstellung Ende 8. Jhd. am Start (Recherche läuft seit Anfang 2009).
Wenn man mit „Wikinger“ die Gesamtheit der Lebenswelt im Norden zusammenstaucht auf ein Miniaturgebilde mag der Bericht in Teilbereichen stimmig sein. Aber einige, so wie ich, kamen weder über das Kämpfen noch das Saufen zur Darstellung von „Nordleuten“. Das Zeigen häuslichen Lebens und den Facetten des Alltags haben eher wenig mit dem zweiten Absatz des Beitrages zu tun.
Vielleicht sollte der Beitrag hinsichtlich seiner Korrektheit noch einmal überarbeitet werden.