Triangulatur Teil I – Bauplanesoterik?
Immer wieder sah ich Zeichnungen von Kirchengrundrissen. Komplexe Netze spannten sich darüber. Kreise, Dreiecke, Quadrate, Linien und Pentagramme waren über Grund- und Aufrisse gespannt. Bildbeschreibungen erläuterten dann etwa „ Die Abmessungen der Pfeilerbasilika sind aus der Kreisgeometrie des Sechsecks entwickelt“1
Da gab es wohl ein System, mit dem man mittels Geometrie Kirchengrundrisse und deren Proportionen erfassen konnte. Man konnte das zugrunde liegende Maß daraus bestimmen und gegebenenfalls auch Bauteile rekonstruieren. So dachte nicht nur ich, sondern auch die Gelehrten, die diese Systeme anwendeten. Alles nur eine Frage der Geometrie!
Irgendwann einmal begann ich dieses System auf die Laurentiuskirche anzuwenden. Oder eher ich versuchte es. Ein System von dem man das Gefühl hatte ihre Nutzer machten daraus eine Geheimwissenschaft, denn es gab meist nur eine fertige Zeichnung mit Angabe von römischen Fuß, oder einem Fußmaß von 27-44cm und allem dazwischen, jedoch ohne wirklich den Weg dorthin zu beschreiben. Für die Treburer Laurentiuskirche lief für mich darauf hinaus zwei nebeneinander liegende Quadrate zu erhalten, in, auf und über die ich nun Kreise oder Dreiecke ziehen konnte, die mir aber nicht wirklich irgendetwas brachten. Irgendwie erschien mir das alles sehr willkürlich und die Skizzen wanderten in eine Ordner mit unbearbeiteten Sachen.
Immer wieder stieß ich danach auf solche Konstruktionen. Zuletzt als ich kürzlich die karolingische Justinuskirche in Frankfurt Höchst besuchte und mich dazu informierte. Irgendwann hatte ich auch mittlerweile erfahren das sich diese „Geheimwissenschaft“ Triangulation oder Triangulatur nannte und irgendwie auf dem Dreieck basierte. In der Hoffnung nun wieder mehr zu erfahren begann ich mich erneut damit zu befassen.
Zunächst hatte ich wegen der Zeitstellung der Gotik die Veröffentlichungen von Konrad Hecht unter dem Titel „Maß und Zahl in der gotischen Baukunst“ außer Acht gelassen, mich aber dann doch mit diesen auseinandergesetzt. Wobei ich auf Hechts Schlussfolgerungen später zu sprechen komme.
Darin setzt sich Hecht zunächst mit den Aussagen zur Triangulation auseinander. So etwa auch mit Sulpiz Boiserée, der an der Auffindung der Kölner Dompläne und der Fertigstellung des Doms beteiligt gewesen war. Dieser schrieb 1823 vom „Pyramidalssystem“ auf einem gleichseitigen Dreieck mit dem sich, wenn auch mit kleinen Abweichungen, sämtliche Dachgiebel und Schrägen konstruieren ließen denn sie „verhalten wie die Zentriwinkel eines regelmäßigen Sechs-, Sieben-, Acht-, Neun-, Zehn-, Elf- und Zwölfecks.“ Für mich hört sich das immer noch sehr willkürlich an, mit genug Ecken krieg ich jeden Winkel hin, zumal doch immer noch Abweichungen vorhanden sind.
Ausschlaggebend für diese Dreieckstheorien, oder Triangulation, war wohl im Ursprung die Texte des Vitruv zu Proportionen und eine aufgefundene Architekturzeichnung Gabriel Stornacolos zum Mailänder Doms von 1301 bei der sich über einen einfachen Aufriss aus Linien der 5 Schiffe, Dreiecke projiziert sind, die sich mit den Ansätzen der Spitzbögen kreuzen.
In Deutschland wurde diese Zeichnung Stornacolos durch Dehio populär. Alhard von Drach, hatte 1897 aber schon so seine Probleme damit. Er wusste nicht, wie er sie auf die deutsche Gotik anwenden sollte und kritisierte, dass Stornacolos Zeichnung bereits aus dem Niedergang der Gotik in Italien kam. Anders sah das Mohrmann im selben Jahr, als er notierte „…gibt den annehmbaren Beweis, daß zu Ausgang des Mittelalters die Triangulierung wenn nicht viel geübt, so doch wenigstens bekannt war…“
Hinzu kommt die Grundannahme das die ausführenden Baumeister nicht wirklich rechnen konnten. Sie konnten zwar den Fuß Addieren, aber beim Teilen , also ½ , 1/3 oder ¼ Fuß usw. ging schon nichts mehr, so die unausgesprochene Unterstellung.
Bereits an dieser Stelle war ich etwas verwundert. Hatte nicht Karl der Große die 7 Künste gefördert, zu denen auch Arithmetik, und Geometrie gehörte? Und selbst wenn man mathematisch die Teilung nicht hätte durchführen können, so wäre es ein leichtes gewesen eine Knotenschnur mit 1 Fuß Länge zu halbieren, zu vierteln , zu dritteln oder sonst wie zu manipulieren. Selbst ich habe sowas als mathematischer Vollhonk schon gemacht in Ermangelung eines Zollstocks, aber im Vorhandensein einer 1m langen Wasserwaage und einem Stück Schnurs!
Zwischenstand
Mein Gedanke zu „Dreiecken in Romanik und Gotik“ zu diesem Zeitpunkt, war relativ ernüchternd. Er war verbunden mit einem Ausruf der Verwunderung und dem Hinweis das wir hier oft gebundene System haben, bedingt durch die Gewölbe, in der Romanik auch quadratische Systeme (z.b. Hildesheim St. Michael) , und allein dadurch finde ich bergeweise Quadrate und Dreiecke in den Grundrissen.2
Keine universelle Triangulation
Zu allem Übel scheint es keinerlei universelle Triangulation zu geben. Jeder macht was er will, oder was gerade passt um ans gewünschte Ziel zu kommen.
Zum Beispiel wendete der bereits genannte Karl Alhard von Drach 1897 als erster die Triangulation von Dehio auf die Einhardsbasilika in Steinbach an. Drach verwendete in Steinbach ein gleichseitiges Dreieck als Grundmaß. Daneben entwickelte er aber selbst noch das Drachssche Dreieck mit einem Scheitelwinkel von 45°…
Für die Justinuskirche verwendete Metternich in seiner Triangulation wiederum ein gleichseitiges Dreieck, bei dem die Länge der Grundlinie, die an der inneren Westwand gemessen wird die Entfernung zum dritten Punkt definiert. Diese Länge definiert wiederum auch die Höhe des Kirchenschiffs. So zumindest Metternich.
Zu allem Überfluss passt diese Konstruktion dann auch nicht immer. So bemängelt Stefan Wintermantel in „Basilica non indecori operis – Das Planungskonzept an der Einhardsbasilika in Steinbach in Michelstadt im Odenwald“, dass die Konstruktion von von Drach für Michelstadt an der Ost-, Nord- und Südseite an der Innenwand verläuft, and der Westwand jedoch auf der Außenseite.
Geradezu ironisch wird es, wenn Metternich in „Die Justinuskirche in Frankfurt am Main-Höchst“ zu den Konstruktionen anderer schreibt: „Kottmanns Ansichten bedürfen keiner Erörterung, (…)“ und dies in den Fußnoten mit „Er setzt seine Meßpunkte ohne Begründung ganz nach Belieben auf die Innen- bzw. Außenkante der Mauern.“ auflöst. Sein eigenen Messpunkte liegen jedoch in der Westseite auf der Innenline, bei der westlichen Seite des Querhauses mitten in der Mauer und im Osten dann wieder auf der Außenseite der Mauer.
Passend notiert Wintermantel dann auch3: „In der Folgezeit erhöhten die Proportionsforscher die Auswahl potentieller Proportionsfiguren, so dass letztendlich bei fast jedem Gebäude eine davon mehr oder weniger genau mit Konturen des Grund- oder Aufrisses in Deckung gebracht werde konnte.“
Auch Hecht verglich die Ergebnisse von 11 Triangulationen, die auf den Freiburger Münsterturm angewendet wurden und rechnete diese nach. Dabei zeigte sich das Differenzen von bis zu 15% und 6m von der aufgestellten These zu den verwendeten Baumaßen entstanden. Hatten die Baumeister gepfuscht und waren sie großzügig mit Toleranzen umgegangen?
Unwahrscheinlich, denn 22.10.1400 wurde Baumeister Jean Mignot, der am Mailänder Dom baute gefeuert, weil er ein Kapitell 1,5 Zoll zu stark hatte herstellen lassen, nachdem er vorher schon Ärger wegen 1 Zoll zu starken Pfeilers gehabt hatte. Hecht schließt daraus das es selbstverständlich Toleranzen und Ungenauigkeiten beim Bauen gab, aber 6m sind dann doch zuviel!
Dehio, von Drach und Co. Hatten diese Probleme auch schon bemerkt. Mal begründet man das mit „freiem Überschuß“, eine schöne Wortschöpfung Dehios, ein anderes mal mit rechnerischen Problemen ( Da das Verhältnis von Basis zu Höhe im des Pi/4-Dreiecks ein irrationales ist(…) ) oder man sagte gleich das „Die zulässige Fehlergrenze wird man indessen nicht zu eng ziehen dürfen, da (…) für die damaligen Hilfsmittel viel mehr Schwierigkeiten vorhanden waren, die Sache ins Große zu übertragen als heute. Ungenauigkeiten konnten kaum vermieden werden“.
Aber auch ein weiteres Grundproblem der ganzen Geschichte wird deutlich. Jeder verwendete andere Pläne mit unterschiedlichen Bemaßungen. Schon bei den Entstehungen der Pläne die Verwendung zu den Triangulationen am Freiburger Münsterturm genutzt wurden konnten nicht zwingen Fehlerfrei sein. Und Pläne aus Papier verändert sich durch Temperatur, Luftfeuchtigkeit und ähnliches.4 Ganz zu schweigen von diversen zeichnerischen Ungenauigkeiten.
Auch bei meiner Laurentiuskirche habe ich solche Probleme in Plänen. Zwar ändern sich meine Größen nicht durch Luftfeuchtigkeit, aber ich habe mit immer wieder unterschiedlichen Längenangaben zu kämpfen: So variiert etwa die Breite des Querhauses mit Angaben von : 5,38/ 5,30 und 5,27 bzw. 5,25 (Nördlicher bzw. südlicher Teil).
Ansichtssache
Hecht zeigt an einem Beispiel aus S. Petronio in Bologna, das man auch schon in der Bauzeit seine Probleme mit dem Dreieck hatte.
Nach dem das Mittelschiff vollendet war, reichte ein Schneider namens Carlo Carazzi ein Beschwerde ein, denn die Höhe des Gewölbes passe nicht mit der von ihm errechneten Höhe aus dem gleichseitigen Dreieck überein. Der Streit hielt an und musste in Rom geschlichtet werden. Das Ergebnis war, das die Höhe richtig sei wie sie ist, denn das Verhältnis zu Seitenschiffen und Kapellen passe und würde leiden wenn man denn höher gebaut hätte. Der Schneider hätte aber im Prinzip auch recht, wenn denn das Dreieck von Anfang an Maß aller Dinge im Bau gewesen wäre, was es demnach eben nicht der Fall war.
Gedanken
Nachdem ich hier nun einen Blick auf die Triangulatur bzw. Triangulation in der Architektur geworfen habe und mir Bergeweise Zeichnungen dazu angesehen habe, halte ich diese Variante für extrem weit hergeholt. Es erinnert mich an Leylines. Je ungenauer ich mir etwas anschaue, desto besser schaut das aus. Fange ich an das zu vergrößern, bzw. genauer zu messen tauchen immer mehr Differenzen auf, die ich mir natürlich irgendwie schönreden kann, etwa mit Messfehlern in Plänen oder Pfusch am Bau bei den Bauarbeiten.
Um aber dennoch vielleicht ein besseres Verständnis in der Architektur zu erlangen werde ich mir nächste Woche Hechts gegenläufiges System aus „Maß und Zahl“ genauer betrachten.
aus Beschriftung Bild1 in F.Schwäbel, Neue Fragen zur frühen Baugeschichte der St. Emmeramskirche in Regensburg S69 ↩
Tatsächlich dacht ich mir: Habt ihr einen an der Waffel oder seid ihr Blind? ↩
S12 ↩
Diese Erfahrung musst ich beruflich einmal machen als ich einem älteren Architekten einen noch älteren Kopierer Maßhaltig einstellen sollte. Unmöglich! Nur interessierte ihn das nicht… ↩
Kleine Idee zu den „fehlerhaften“ Plänen und abweichenden Maßen: Mittlerweile ist es ja möglich Gebäude in 3D zu scannen und das passiert auch mit Kirchen. Millimetergenau, laser/lidarbasiert und daraus wird dann ein 3D-Modell erstellt, an dem du natürlich wunderbar rummessen kannst. Die Frage ist nur, ob du an die entsprechenden Scans kommst.