Beinschienen, ein Nachtrag/ Gedanke
Ich muss einen Nachtrag zu meinem letzten Post zu karolingischen Beinschienen (hier) machen. Zwar hatte ich eigentlich vor, die folgende Abbildung einzubinden, hatte es aber aus irgendeinem Grund vergessen. Als ich vergangenes Wochenende kurz beim Märzfeld des Contingents vorbeigeschaut hatte, fiel es mir dann aber wieder siedend heiß ein.
Es geht um eine Abbildung aus dem MS CLXV aus Vercelli, einer Sammelhandschrift zu kanonischem Recht, die um 825, bzw. dem 2. Viertel des 9. Jahrhunderts in Norditalien (Pavia?) entstand.
Die Handschrift erscheint mir generell mit ihren Illuminationen interessant zu sein, jedoch fand ich hier kein Digitalisat, sondern nur einzelne Abbildungen. Ich hatte die Abbildung schon einmal zum Thema Helme verwendet. ( Bitte merken Sie sich das, das könnte in Zukunft noch mal wichtig werden…)
Die Abbildung zeigt ein Geschehnis im Zusammenhang mit dem Konzil von Nizäa, bei dem Kaiser Konstantin arianische Schriften verbrennen lässt.
Den linken, oberen Teil der Abbildung nimmt Kaiser Konstantin mit seinen Soldaten als weltlichen Part ein. Hier interessiert uns nun der Soldat am linken Bildrand.
Obwohl es sich um eine Darstellung aus der römischen Epoche handelt, sehen die Personen, vor allem die Soldaten, nicht aus wie römische Soldaten. Wir sehen Flügellanzen, die üblichen Schilde mit Spiralmuster und dem Drei-Punkte-Muster, Wir sehen einen Helm mit zentralem Band, an dessen hinteren Teil eine Kette zu hängen scheint und Rüstungen…
… aber was sind das für Rüstungen? Man könnte sie natürlich als Schuppenpanzer identifizieren, würde man sich nur den unteren Rand des Hemdes ansehen. Oben jedoch, auf der linken Schulden sind fast geschlossenen Kreise dargestellt. Es dürfte sich eher um ein Kettenhemd handeln. Es macht den Anschein, dass der Zeichner genervt war von Kringel zeichen und unten nur noch Wellenlinien malte.
Schauen wir noch weiter hinunter sehen wir das sich diese Muster auch an den Beinen fortsetzt. Gerade einen Schuppenpanzer an den Beinen würde, was die Bewegungsmöglichkeit angeht, große Probleme aufwerfen. Schon bestehende Schuppenpanzerrekonstruktionen hadern immer wieder mit der Beweglichkeit in den Schultern.
Demnach müsste es sich eigentlich um Kettenbeinlinge handeln. Aber Beispielsweise schreibt Donald J. La Rocca
(…) the mail leg defences known as chausses were in general use for only a short period of time; from the late eleventh century to the late fourteenth century.1
Als Quelle nennt La Rocca die Darstellungen des Teppichs von Bayeux und dort nur bei Wilhelm dem Eroberer und Eustache de Boulogne. Zu einer ähnlichen Zeitstellung für Kettenbeinlinge kommen auch Pavel K. Alekseychik und Robbie L. F. McSweeney in “The Roland statue at the Verona cathedral: an examination of the mail chausse, helmet straps and helmet decoration”.
Gerade die zuletzt erwähnte Quelle der Roland Statue in Verona ( Abbildung bei Index of Medieval Art Princton hier )ist insofern interessant, als das diese Figur nur einen Beinling trägt. Und zwar am linken Bein. Die Autoren des Papiers (mir lag nur der Preprint vor) nennt als Grund , dass es das Bein ist, das dem Betrachter zugewandt ist. Gleichzeitig ist aber anzumerken, dass dieses Bein auch jenes ist, das beim Angriff vorne steht und dessen unterer Teil exponiert und nicht vom Schild geschützt ist. Ähnliches ist bei Beinschienen von Gladiatoren zu bemerken, als auch beim Armschutz bei Legionären, der nur den Schwertarm bedeckt.
Was die Begrifflichkeit von Kettenbeinlingen und Chausses angeht, so taucht der Begriff erst später auf. Wir wissen also nicht wie die Kettenbeinlingen im 11. Jahrhundert genannt wurden. Der Begriff Chausse stammt aus dem Mittelfranzösischen und bezeichnet Beinlinge bzw. Strümpfe uns stammen vom lateinischen Calcea (Strumpf od. geschlossener Schuh ab).
Worauf ich hinaus will, könnte es nicht sein, dass die Karolinger bereits Chausses, Kettenbeinlinge nutzten? Diese aber auf Grund ihrer Funktion noch mit demselben Namen wie die Römer für ihre Beinschienen versahen?
Dies könnte auch erklären warum immer wieder in frühmittelalterlichen Gräbern oder auch als einzelner Lesefund kleinere Fragmente von Kettengeflecht gefunden wurden, die nicht zuzuordnen waren, auch nicht als Teil eines Kettenhemdes identifiziert werden und daher als Schmuck angesprochen werden.
Donald J La Rocca , Notes on the mail Chausse, The Journal of Arms & Armour Society Vol XV N0.2 1995 S69 ↩
Freut mich wenn ich die Anregung für den Nachtrag war.
Tatsächlich hat dieses Bild und die Darstellung auf dem Teppich mich dazu veranlasst mir Kettenbeinlinge zuzulegen.
Leider Hatte ich an dem Tag die Armlinge nicht an. Sonst hätten wir über die auch noch diskutieren können. Wir interpretieren die Darstellung der Unterarme analog den Beinen tatsächlich als Kettenarmlinge.
Gruoss
Eustache de Boulogne