Der Weg zur karolingischen Rüstung – Teil IV – Arm- und Beinschienen
Tatsächlich lassen mich die Arm- und Beinschienen nicht los. Da hat mir jemand einen Floh ins Ohr gesetzt! Ich hatte durch die Testamente und durch Zufälle nun einige Ideen oder sagen wir mal Ergänzungen zu diesem Thema.
Aber fangen wir einmal ganz allgemein an, denn schon zur Begrifflichkeit der Arm- und Beinschienen gibt es etwas zu sagen.
Während das Deutsche eigentlich nur den Begriff Beinschiene kennt, differenziert das Englische bei Bein- und Armschutz: Mit greave etwa, wird eine röhrenförmige Beinschiene bezeichnet, während die splinted greave, eine Beinschiene aus Schienen, also einzelnen Metallteilen, meist auf einem Träger, bezeichnet.
Diese Differenzierung ist wichtig. Denn je weiter wir nach Osten kommen, desto stärker nimmt die Fundanzahl der splinted greaves zu, weshalb die splinted greaves in aller Regel den Steppenvölker zugeschrieben werden, während die greaves, also röhrenförmigen Beinschienen eher in der Nachfolge der Griechen und Römer stehen und somit auch den Byzantinern zugesprochen werden. Oder anders formuliert werden die splinted greaves in Verbindung mit dem Lamellar gesehen, was sie wiederum an die Steppenvölker rückt.1
Zu mährischen Funden, bzw. im Fall der Arm- und Beinschienen nicht vorhandenen Funden gibt es einige Stimmen. Ungermann gibt die allgemeine Meinung zu nicht Vorhanden sein der Funde bereits im Abstract zu Die “Wadenriemengarnituren im frühmittelalterlichen Mähren” wieder:
(…)greaves (made from organic materials)
In keinem der Gräber wurden Beinschienen gefunden. Der Schluß, der hier gezogen wird, ist, dass diese aus organischem Material, wie Textil oder Leder bestanden und daher vergangen sind. Ich will diese Möglichkeit keineswegs ausschließen, muss aber zu bedenken geben das in den den entsprechden Gräbern genauso keinerlei Rüstungsbestandteile wie Brünne oder Helme gefunden wurden. Meist waren “nur” Schwerter und Lanzen beigegeben. Es kann also nicht ausgeschlossenen werden das teurere metallene Rüstungsbestandteile vererbt wurden, werden Waffen mit personalisiertem Charakter dem Toten mitgegeben wurden.
Aber Ungerman führt weiter aus:
Weit häufiger dürfte der Schienbeinschutz – wie M. Müller sicherlich korrekt annimmt – aus Leder, wattiertem Stoff oder Filz bestanden bestanden haben (auch Kolias 1988, 71), denn ein Fußkämpfer musste diesen vom Schild unbedeckten Teil des Beins, d. h. ungefähr ab dem Knie abwärts, irgendwie schützen. Wenn er jedoch einen solchen Schienbeinschutz
mit kreuzweise geführten Wadenriemen am Bein fixierte (was eine der wenigen praktischen Lösungen war), haben wir keine Möglichkeit, sie auf den Abbildungen von den Beinbinden, die mit den gleichen Riemen gebunden wurden, zu unterscheiden (Müller 2003, 74, Taf. 12:46). 2
Ungerman und andere gehen also von einer textilen Panzerung aus, die nicht zwingend sichtbar sein muss, da sie möglicherweise unter den Wadenwickeln verborgen ist.
Auch hier möchte ich noch einmal meinen Senf dazu geben. Nach der Lex Riburia ist der Preis für “gute Beinschienen” (Bainbergas bonam) mit 6 Solidi veranschlagt. Genauso viel wie für einen Helm. Wohingegen ein Schild nur 2 und ein Schwert ohne Scheide 3 Solidi kosten sollte. Dementsprechend ist gedanklich zumindest eher ein metallener Gegenstand, denn eine textile Panzerung ist zu erwarten. Zumindest bei den “guten Beinschienen”.
Kolias hatte in “Byzantinische Waffen” bezüglich eines byzantinischen Beinschutzes von der Möglichkeit auf eines wattierten Beinschutze geschrieben, um genau zu sein von einem Beinschutz aus Rohseite, mit Rohbaumwolle gefüllt. Dies findet seine Ergänzung bei Clive R. Owen, der 1976 bezüglich angelsächsischer Kleidung schrieb:
The following terms appear to be the names of garments which covered foot as well as leg. ‚HOSA‘, BTD „a covering for the leg, hose“, appears to have had the semantic range of
modern English „hose“, possibly with the additional meaning „leg guards, greaves“. ‚Hosa‘ glosses caliga, vel ocrea ( leather shoe; metal greave, and in the eleventh century thigh boot or legging, respectively ) 3
um später im Appendix auch den lateinischen Begriff ocrea entsprechend als “metal greave (cf. ocre (eleventh century) thigh boots or leggings)”, aufzulösen. 4
Weiterhin fand ich einen “Beinschutz” aus Dura Europos. Wobei dessen Funktion letztendlich nicht ganz klar ist. Es handelt sich um ein Stück aus 5mm starkem Leinenstoff mit einer der Wade angepassten Form, bei einer Länge von 44,2cm und Breite von 27cm.5 Es besaß 6 aufgenähte Lederflicken an denen wahrcheinlich Bänder zum Befestigen befanden. Das Textil ist recht derbe aus einer Lage dickem Leinen gefertigt. am oberen Ende (in Richtung Knie) befindet sich zwei Schnitte im Gewebe, die möglicherweise im Kampf entstanden sind. James sieht in ihnen ein Futter für bronzene oder eiserne Beinschienen, da sie alleine wohl zu dünn wären. 6 Nur wenn sie das Futter sind, fragt sich wie die Schnitte hineinkommen.
Weiterhin habe ich mir noch einmal die Begrifflichkeiten in den Testamenten Eberhard von Friauls und Ekkard von Macons angesehen.
Der Beinschutz der Testamente
In Eberhard von Friauls Testament taucht der Beinschutz als bemberga bzw. Beinberge auf. Der Begriff entsprich den der Beinbergas aus der Lex Riburia. Aber auch dieser Begriff an sich ist interessant, denn auch er ist extrem vielfältig. Denn heute wird damit in aller Regel ein bronzezeitliches Schmuck- und Schutzelement bezeichnet. Zwei Spiralen sind miteinander über ein Band miteinander verbunden. Mal sind die Spiralen breiter und das Band schmaler, mal umgekehrt (je nach Zeitstellung und Kultur). Das Ganze gibt es auch in der Armvariante und nennt sich dann entsprechend Armberge.
Ekkard von Macons Testament dagegen ist bezeichnet den Beinschutz als bragaria aurea. Bragaria bedeutet im Lateinischen tatsächlich Hose. Man muss also so oder so fragen, ob es sich nicht doch um eine gold verzierte Hose handelte oder der Begriff der “Hose” synonym mit dem oben genannten “Hose” gleichzusetzen ist. Die MGH kommentiert im Text allerdings es solle sich in diesem Fall um eine Auflösung zu bracharia handeln. Bracharia bedeutet wörtlich soviel wie Klammer, aber auch Armband (vgl. engl. bracelet ). Es wäre dann sozusagen eine “Beinklammer”, womit man eine Konstruktion aus Lamellen oder Schienen ausschließen sollte.
Der Armschutz der Testamente
Eberhards Armschutz wird als manica/manicae bezeichnet. Wie bereits erwähnt handelt es sich bei dem als manicae bezeichneten Gegenstand eigentlich um den Armschutz römischer Gladiatoren ( der murmillo trug diese und möglicherweise der cruppellarius )und später auch Soldaten. Wie die lorcia segmantata, bestanden auch sie aus Segmentplatten. Archäologisch sind sie etwa aus Newstead, Carlisle und Ulpia Traiana Sarmizegetusa bekannt.
Der “normale” Legionär trug die manica nur am rechten Arm, dem Schwertarm, während er mit der linken den Schild hielt und dieser daher ohne Rüstungsteil auskam. .
Nun war die Frage die ich mir dabei stellte: Kann Eberhard noch so etwas wie eine römische manica getragen haben? Ich muss gestehen das ich ab diesem Punkt recht unwissenschaftlich, weil planlos, vorging. Zunächst stieß ich aus Zufall in einem Shop für Reenactment Bedarf auf den Versuch, einen Rüstungsteil aus der byzantinischen Heilig Kreuz Kirche in Akhtamar (entstanden 921) nachzubilden. Es handelt sich dabei um das Relief des Goliath auf der Fassade der Kirche.7 (Umbrigens sehen andere in diesem den byzantinischen manikelia der kataphraktoi, was dann wiederum bedeuten würde das es Ein Polsterschutz aus Seide und Baumwolle wäre.Wobei als manikelia der Oberarmschutz gemeint sein könnte., aber manica und manikelia sind klar im Wort miteinander verwandt …)
Mit diesem Armschutz im Hinterkopf fiel mir plötzlich die Darstellung P141 St.Gallener Psalter ein. Auf der Abbildung des Angriffs Joabs fällt die Darstellung seines Ärmels auf. Eggenberger bezeichnet diese immer als “Ärmeltunika”. Während die anderen dargestellten Ärmel farbig dargestellt sind, wobei ein schattierter Faltenwurf zu sehen ist, ist Jobs Ärmel weiß, mit vier dicken Streifen, parallel zum Handsaum, gezeichnet. Mit etwas Fantasie kann man hier eine ebensolche manica erkennen.
Weiterhin gibt es dem Armschutz von der der Taman Halbinsel (östlich der Krim, Kertsch Brücke und so… )8. Dabei handelt es sich um eine röhrenförmige Armschien, die aus drei Teilen besteht, die jeweils mit Scharnieren verbunden sind und mittels Riemen und Schnallen geschlossen werde. Es wurde lediglich einer gefunden, der auf Grund der Positionierung der Schnallen wohl für den rechten Arm bestimmt war. Sie befinden sich heute im Staatsmuseum Moskau. Dies wäre vergleichbar mit der Tradition der manica, die nur am Schwertarme getragen wurde.
Wie so oft bei Funden aus dem heutigen Russland gibt es aufgeladene Diskussion wer nun der Urheber der Armschinen ist. Die Russen sehen die Rus als Urheber, Das Grab war aber aus dem Bereich des Chasarischen Kaganats, wobei der Fund byzantinischen Provenienz gewesen sein könnte.
Andererseits weisen diese Armschienen auch Ähnlichkeiten mit dem Bazuband auf, einem Indo-Persischen Armschutz, die es aber auch in Schienenbauweise gibt. Hier sind aber keine Scharniere verbaut, sondern in aller Regel sind die Elemente mit Kettengeflecht verbunden.
Letztendlich sind wir immer noch genauso schlau wie vorher, nur haben wir noch mehr mögliche Varianten!
Some Aspects of Byzantine Military Technology from the Sixth to the Tenth Centuries S16 ↩
Anmerkung Mechthild Müller ( Die Kleidung nach Quellen des frühen Mittelalters. Textilien und Mode von Karl dem Großen bis Heinrich III. Ergänzungsbände zum RGA 33 (Berlin – New York 2003) ) liegt mir leider als Quelle nicht vor, jedoch hatte ich Kolias “Byzantinische Waffen” bereits mehrfach verwendet. ↩
Gale R. Owen, ANGLO-SAXON COSTME: A STUDY OF SECULAR, CIVILIAN CLOTHING AND JEWELLERY FASHIONS, Thesis for the Degree of Doctor of Philosophy University of Newcastle upon Tyne 1976, S 584 ↩
Gale R. Owen, ANGLO-SAXON COSTME: A STUDY OF SECULAR, CIVILIAN CLOTHING AND JEWELLERY FASHIONS, Thesis for the Degree of Doctor of Philosophy University of Newcastle upon Tyne 1976, S 724 ↩
Abbildung ist hier zu finden http://users.stlcc.edu/mfuller/duraTextileFuller.html ↩
Simon Timothy James, The arms and armour from dura europos S39 und S159 ↩
Link hier: https://truehistoryshop.com/shop/vambraces-splitted-universal-copy/ ↩
Beschrieben in Arendt, Ein alttürkischer Waffenfund aus Kertsch, Zeitschrift für Historische Waffenkunde, XIII Juli 1932 ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…