Der Weg zur karolingischen Rüstung – Teil III – Was für drunter…
Wer Kettenhemd sagt, meint in aller Regel auch im gleichen Atemzug, wenn auch unausgesprochen, ein irgendwie gepolstertes Kleidungsstück, das man darunter trägt.
Doch auch hier haben wir Probleme ein solches Kleidungsstück zu identifizieren. Als eine der ältesten Abbildungen des Mittelalters gelten rautenförmig abgesteppte Kleidungstücke auf dem Teppich von Bayeux. Der älteste mir bekannte Funde ist der sogenannte “Ärmel des hl. Martin” in der Kirche St. Martin in Bussy-Saint-Martin (Frankreich) eine Reliquie die als Ärmel eines Gambesons identifiziert wurde, der wohl in die Zeit von 1170-1270 datiert.1 Das gute Stück, mit angesetztem Handschuh, besteht aus Leinen, Seide und einer Füllung aus Rohbaumwolle und indigo blauem Leinengarn. Der Oberarm ist etwas dünner, besitzt aber mehr Schichten (Schichtfolge: Seide, Baumwolle, Doppellage Leinen, Baumwolle, Seide) als der Unterarm (Schichtfolge: Seide, Baumwolle, Baumwolle, Seide). Eine durchaus komplexe und durch seine Materialien kostspielige Konstruktion.
Aber warum überhaupt etwas unter der Kette tragen? Ich hab doch eine Tunika an! Wir werden in der Folge römische und byzantinische Meinungen hören, warum man das machen sollte. Aber es gibt noch mehr Gründe.
Unter einem eisernem Kettenpanzer wird eine Tunika sehr schnell, sehr schlecht aussehen. Abrieb vom Eisen, Flugrost usw. hinterlassen unschöne Flecken auf der Tunika. Aber wichtiger ist die Schutzwirkung. Ein Kettenhemd schützt zwar vor Schnittverletzungen, aber gegen ein stumpfes Trauma, hat es relativ wenig zu bieten. Haue ich jemandem mit einem Knüppel auf die vom Kettenhemd geschützte Schulter, werde ich keine Schnittverletzung erzeugen (klar wie auch mit einem Knüppel..) , aber ich werde meinem Opfer mit großer Wahrscheinlichkeit das Schlüsselbein brechen und damit Schulter und Arm kampfunfähig machen. Eine Polsterung darunter kann die kinetische Energie abmildern, analog zur Knautschzone eines Autos.
Aber drehen wir die Uhren jetzt etwas zurück. Etwas weiter als nötig. Wie so oft führt uns der Weg zunächst zu den Römern.
Schon in Caesars Commentarii de bello civili wird berichtet, dass sich die Soldaten zusätzliche Schutz aus Filz , gesteppten Stoffen und Häuten herstellen.2
Die Subarmalis
Die älteste Beschreibung dieser Unterkleidung unter einer römischen Rüstung stammt aus dem 2. Jahrhundert und wurde vom Decurion Docilis verfasst, der eine Auflistung erstellte, was denn seinen Leuten fehle. Darunter war häufig die subarmalis, wobei er auch eine “kleinere subarmalis” nennt, was darauf hinweist, dass es verschiedene Arten dieses Kleidungsstückes gab. Durch die Mehrfachaufzählung der subarmalis wird auch vermutet das es eine obere und untere subarmalis gab – eine gepolsterte Variante, sowie eine, die die eigentliche Polsterung gegen Regen schützte. Auf diese werden wir unter einem anderen Begriff noch stoßen.
Die subarmalis wird bis ins 5. Jahrhundert hinein erwähnt, so etwa auch im 4. Jh. als Septimius Severus die Prätorianer nur in subarmalis, also quasi nicht wirklich kampfbereit, antreten ließ, als er sie vom Hof jagte. Die subarmalis ist aber auch durch Abbildungen in Reliefs bekannt. Die Pteryges, die die Oberschenkel und Schultern bedecken, können zum Beispiel Teil der subarmalis sein.
Abgesteppte römische Panzer
Aber auch vertikal abgesteppte Panzerungen, ähnlich denen eines hochmittelalterlichen Gambesons, sind schon bekannt. Es gibt einige Darstellungen des Kriegsgottes Mars, der einen solchen zeigt. Interessant ist hier auch eine Verstärkung an den Schultern.
Ob es Überschneidungen solcher gesteppter Panzerung mit den oben genannten Polsterrüstungen gibt, ist nicht bekannt, aber nicht auszuschließen.
Das de rebus bellicis und der thoracomachus
Das De rebus bellicis eines anonymen Autors, das wahrscheinlich aus dem 4. Jahrhundert stammt, nennt als Kleidungsstück unter dem eigentlichen Panzer, ein griechisches Wort verwendent, den thoracomachus (von Thorax). Dieser solle dem Gewicht der Rüstung und der Reibung derselben am Körper entgegenwirken und er beschreibt diese auch: (S169)
“Diese Art der Kleidung ist aus dickem, wollenen Stoff , zum Beispiel Filz, gemacht und dem Oberkörper des Menschen angepasst (…)”
Der Autor warnt aber auch vor Problemen damit:
(…) sorgt auch für Probleme beim Träger, da sich sein Gewicht erhöht bei starkem Regen. Es ist daher ratsam darüber ein schützendes Kleidungsstück zu tragen aus gut behandelter “libyscher Haut” (gemeint ist ein Schaf- oder Ziegenleder das Wasserdicht gemacht wurde, vgl. römische Zelte) in der gleichen Form wie der thoracomachus.
Das Originaldokument enthielt auch Zeichnungen, jedoch überdauerten diese die Zeit nicht. Was blieb sind jedoch Handschriften und Drucke von Kopien. Während die jüngeren Kopien sich dem zeitgemäßen Stil anpassen und den Römer mit Puffärmeln und theracomachus und lybische Haut als abgesteppte Tunika, ähnlich einem Gambeson oder Aketon zeigen, zeigen die älteren Handzeichenungen nur tunikaähnliche Kleidungsstücke ohne jegliche Steppung.
Zu erwähnen sei auch noch die “kimmerische Tunika” , diese wurden von Römischer Reiterei bei den hippika gymnasia, Reitwettkämpfe mit Lanzenwurf, getragen. Es war eine reich geschmückte, abgepolsterte Tunika. Quasi eine Sportkleidung wie der Panzer eines Footballspielers.
Die Mähr vom sauren Wein
Immer wieder taucht in den Handschriften auch Essig oder sauerer Wein auf, der zum “Härten” des genutzten Materials der Polsterung, den Filz, dienen soll. Wijnhoven lehnt dies in European Mail Armour jedoch ab, bzw. nennt es ein mögliches Ammenmärchen jener Zeit. Wohl eher diente der Essig dazu, die vom Filzen basische Wolle mittels des Essigs wieder auf einen pH-neutralen Wert zu bringen, um den Wollfilz haltbarer zu machen.
Später wurde diese Essig/ Saurer Wein Geschichte auf ein angebliche Leinenrüstung der Kreuzfahrer übertragen . Jedoch existiert der Originaltext nicht mehr und wurde nur 1647 von Isaac Casaubon in einem Kommentar
Das Peri strategias
Auch das byzantinische Peri strategias aus dem 9. Jahrhundert kennt eine gepolsterte Unterkleidung und die Gründe diese zu tragen decken sich mit denen des de rebus bellis :
Sie (die Rüstung) sollte nicht auf der normalen Kleidung getragen werden, wie es einige tun um das Gewicht zu reduzieren, sondern über einem Kleidungstück das mindestens einen Finger dick ist. (byzantinisches Maßsystem = 1,95cm) Hierfür gibt es zwei Gründe. Das Metall soll nicht am Körper reiben, sondern passend und bequem am Körper anliegen. Zusätzlich soll es verhindern das Geschosse das Fleisch erreichen, durch das Eisen, die Form und die Weichheit, aber auch weil das Metall vom Fleisch gehalten wird.
und
Damit das harte Material nicht am Körper reibt, soll man gepolsterte Kleidungstücke unter ihnen tragen
Der Autor bezeichnet dieses Kleidungsstück als himation
In Byzanz gibt es aber auch eine weitere Polsterrüstung, den Kavadion. Dieser besteht aus Seide, die mit Baumwolle gefüllt ist. Die Füllung wird als Bambakion bezeichnte. Durch die Verwendung des Begriffes Bambakion anstelle Kavadion in einer Osprey Publikation kann man heute unter dem Begriff Bambakion Textilpanzerungen kaufen die eigentlich ein Kavadion sind…
Was sieht man in karolingischen Handschriften?
Ohne jetzt zu sehr auf Abbildungen und Interpretationen von Handschriften einzugehen, das hebe ich mir für die entsprechenden Artikel auf, kann man sagen, dass eigentlich nie etwas zu erkennen ist, das man direkt als gepolsterte Kleidung interpretieren kann.
Im Psalter von Corbie tauchen einige Tuniken auf, die auf Grund ihrer Darstellung unterschiedlich interpretiert werden können. Man kann sie als kaftanartige Tuniken sehen, oder der Zeichner stellte eine Tunika mit asymmetrischen Kragen (wie David im Goldenen Psalter von St. Gallen) und machte aber die Linien der Halsschlitzung und der Seitenschlitzung zu lang.
Wenn es sich um eine kaftanartike Tunika, ähnlich dem Haithabu Klappenrock, handeln würde, könnte man sich diese ähnlich den Kampftunika vorstellen die man seit einigen Jahren im Reenactmentbedarf kaufen kann. Filztuniken, bzw. mit Filz gefüllte Tuniken oder Klappenröcken. Wobei hier als Einwand gelten könnte, dass der Kaftanschnitt und die Tradition, Tuniken aus Filz herzustellen eher nomadischen Steppenvölkern zugeschrieben wird.
Im Goldenen Psalter von St. Gallen wiederum gibt es eine Reiterszene, den Aufmarsch von Joabs Soldaten (p140, die bekannte Darstellung mit der Draco Standarte, LINK). Sowohl bei Joab, als auch bei dem Bannerträger, sind am Ärmel der Rüstung (Eggenberger, bezeichnete sie zunächst als Schuppenrüstung, sieht diese später, Ganshof folgend, aber als Versuch der Darstellung eines Kettenhemdes!) Kanten zu erkennen, beim Bannerträger sogar eine leichte Wulst. Auffällig ist ebenfalls Joabs unterer Saum der Rüstung, die als Streifen mit schwarzen Punkten dargestellt ist. Kettenhemden, etwa mit Messingringen als Randzier, sind bekannt seit römischer Zeit, nicht aber ein solch breiter verzierter Rand. Vielleicht hatten die experimentierfreudigen und neue Wege gehenden Zeichner des St. Galler Psalters die Absicht mehr Realität darzustellen und zeigte den Saum des darunterliegenden Kleidungstücks und wollte so Joab hervorheben.
Fazit
Immer wieder taucht in Texten Wolle oder gleich Filz auf, der unter römischen Rüstungen getragen wurde. Auch an völkerwanderungszeitlichen Funden von Kettenhemden finden sich immer wieder dicke Anhaftungen von Wollstoffen, möglicherweise Filz.
Dies führte, gemeinsam mit Interpretationen von bildlichen Abbildungen, mitunter zu einigen Blüten bei Rekonstruktionen, wie etwa der “Banded Mail”/ “lederstreifige Ringrüstung”. Hier vermutete man, dass die Ringe auf derben Stoffen aufgenäht wurden.
Filz scheint zunächst das Material der Wahl gewesen zu sein um eine Dämpfung unterhalb der Rüstung zu ermöglichen. Baumwolle, wie in Byzanz dagegen, scheidet zu 99.9% aus.
Als schützendes, bzw. wetterfestes Deckmaterial wäre ein dünnes, flexibles Leder durchaus denkbar, aber auch Leinen kommt in Betracht. Wobei wir eigentlich bei einem einfachen Gambeson wären. Eine gefütterte Tunika, oder Überwurf könnte durch aus der pellicia meliora aus Ekkard von Macons Testament entsprechen, bzw diesen Namen tragen.
Die byzantinische Variante mit Seide als Oberstoff ist im Westen ebenfalls undenkbar. Wenn es solch einen gegeben haben sollte, dann lediglich als Geschenk an den Königshof, und selbst dabei ist es fraglich, ob dieser überhaupt genutzt worden wäre und nicht einer anderen Verwendung zugeführt worden wäre (oder vielleicht eher in seine Bestandteile zerlegt wurde).
Kleine gedankliche Ergänzung mit hessischem lokal Kolorit:
Interessant finde ich im Zusammenhang mit dem Gambeson auch einen der Niederländischen Begriffe dafür : Kolder3. Bei dem Wort Kolder klingelt es vielleicht dem ein oder anderen Südhessen in den Ohren, zum Teil auch bekannt als Kolter. Dies bezeichnet eine Decke oder Steppdecke, während es im Leipziger Raum eine abgeranzte, derbe Pferdedecke bezeichnet.Das der selbe Begriff der im Niederländischen einen Gambeson bezeichnet im Dialekt einen eine dicke, gepolsterte, oder gesteppte Decke bezeichnet ist bezeichnend4 (Und Maliënkolder ist passender Weise das Kettenhemd 😉 )
PDF dazu hier: ARTICLE-Eng Bussy – 23 mai2017.pdf (guerriersma.com) ↩
Commentarii de bello civili 3.44, der englischen Übersetzung von Peskett 1957 folgend ↩
z.B. Bei diesem Stück hier im Centraal Museum Utrecht Kolder — Centraal Museum Utrecht ↩
zum Wort: seit dem 12. Jahrhundert bezeugt; mittelhochdeutsch: kulter, gulter, golter; von altfranzösisch : coultre, coltre entlehnt; aus lateinisch: culcita = Polster, Bett, Kissen ↩
Wieder eine sehr schöne Diskussion des Themas. Dein eines Zitat gibt es ja wieder, aber Du hattest es weiter oben nicht explizit bei den Argumenten für eine Polsterjacke geschrieben: sie hält auch Spitzen vom Körper weg, insbesondere Pfeilspitzen. Dazu gibt’s auch Videos von Beschusstests, die den Nutzen eines Gambesons zeigen.