Der Mann von Bernuthsfeld – Teil 1 – Der Fund und seine Geschichte
1907 wurde im Meerhusener Moor beim Torfstechen eine Moorleiche gefunden. Der exakte Fundort war lange unbekannt. Er lag in der Nähe einer Engstelle des Moores, vielleicht ein Übergang, wohl eine alte Wegführung.1 Die Moorleiche wirft noch heute Fragen auf und ist durch ihre Zeitstellung einzigartig.
Fundgeschichte
Die Fundgeschichte spiegelt exemplarisch Vorgänge wider, die oftmals bei Funden aus dieser Epoche geschahen, aber leider auch heute noch ganz ähnlich vorkommen. Zwei Brüder mit Namen Ehme und Rolf de Jonge, im Alter von 16 und 18 Jahren, fanden am 24.5.1907 eine skelettierte Leiche in einer mit Moos ausgepolsterten Grabgrube beim Torfstechen in 60cm Tiefe. Zunächst brachten sie die Leiche auf eine Nachbarparzelle, um ungestört weiter zu arbeiten. Ob sie den örtlichen Polizisten später selbst informierten, oder wie gelegentlich zu lesen der Kneipenflurfunk funktioniert hat, konnte ich nicht direkt in Erfahrung bringen, aber letztendlich wusste der Polizist Gendarmeriemeister Bruns davon.2, der wiederum das Amtsgericht Aurich informierte, die dann Ermittlungen einleiteten.
Der Polizist ließ sich nun die vergrabene Leiche zeigen. Da die Kleidung des Toten aber nicht nach 1907 aussah, wurde Franz Wächter, Archivrat des Auricher Staatsarchivs, hinzugezogen. Dieser fand an der ursprünglichen Begräbnisstätte noch weitere Haare und Knochenreste, Fuß- und Fingernägel, eine Messerscheide und Textilreste.
Ein hinzugezogener Zahnarzt stellte auf Grund des Zahnstatus die Diagnose, es handele sich um ein 20-jähriges Mädchen. Wächter selbst wollte in der Kleidung einer Frauentracht Ostfrieslands des 16. Jahrhunderts sehen. Ein örtlicher Lehrer wollte in dem Toten dagegen die Überreste einer “alten Zigeunerin” erkennen, die von ihrem Clan umgebracht und verscharrt wurde.3
Die Vermutungen bei der Leiche handele sich um eine Frau, die als Ehebrecherin im Moor getötet wurde, verbreiteten auch die Zeitungen.4
Wilhelm von Bode wollte das Skelett dauerhaft auf die Berliner Museumsinsel bringen, doch es wurde der “Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer Emden” übergeben.
Nach dem Chaos um die Entdeckung wusste keiner mehr, was nun der ursprüngliche Begräbnisort und welcher der Ort der Zweitbestattung war. Erst 1925 erfolgte durch Hans Hahne eine wissenschaftliche Publikation des Fundes.
Erste Befunde durch Grotian, Hahne und folgende
Erstmals untersucht wurde die Leiche von Generalarzt der Rechtsmedizin Kiel Dr. Grotian wahrscheinlich noch 1907. Zu diesem Zeitpunkt waren noch Reste des Gehirns vorhanden. Aufgrund der Beckenform bestimmte er das Geschlecht als männlich. Er schätzte den Toten auf 18 bis 20 Jahre und nahm an, dass der Mann erschlagen worden sei. Grotian ging mit der Leiche gelinde gesagt pragmatisch um.
Die durch das Moor geschrumpften Knochen weichte er in Wasser ein und formte sie beim Trocknen wieder in das, was er als Ursprungsform ansah.
Hahne trug ab 1915 alle Informationen zum Mann von Bernuthsfeld zusammen, publizierte jedoch erst 10 Jahre später. Nach Hahne war der Mann ca. 30 Jahre alt, 160cm groß und starb durch einen Schlag auf die linke Schädelhälfte. Er folgte hier Grotian. Als Grund für seinen Tod vermutete Hahne, dass er auf Grund “seiner Entstellung” erschlagen worden war. Dennoch wurde noch 1928 von der vermeintlichen Frauenleiche berichtet.5 Als Datierung nimmt man die Eisenzeit an, speziell irgendwo zwischen 300 und 400 n. Chr.
1974 ging dann die Phantasie mal wieder mit Alfred Diek, in “Die Moorleiche von Bernuthsfeld und ihre Schicksalsgefährten”, etwas durch, als er schrieb dass der “ kleinwüchsige und schmächtige Reiter zur Winterszeit durch einen sehr wuchtigen Hieb mit stumpfen Gegenstand auf die linke Kopfseite getötet”, wurde.
1976 untersuchte der bekannte, aber inzwischen auch nicht mehr als so astrein angesehene, Karl Schlabow die Textilien und zwischen 1996 und 1998 wurden durch Heidemarie Farke die Gewebe aller Teile der Tunika genau beschrieben. Im Rahmen einer Moorleichenausstellungen, im schwedischen Silkeborg, ebenfalls 1998, erfolgte dann erstmals eine C14 Datierung der Moorleiche, die mit dem Ergebnis 680-774 , bzw 662-870 n. Chr. aufwartete. Aus der bis dahin vermeintlich eisenzeitlichen Leiche war nun eine solitäre Frühmittelalterliche geworden.
Die neueren Untersuchungen von 2011
Die osteologische Untersuchung durch Guinevere Elizabeth Granite, erstmals veröffentlicht 2012, ergab eine Körpergröße von 156cm ( 5 ft 1.5 in ) bis 177cm ( 5 ft 9.5 in ). Problem dabei stellt dabei der Zustand der Knochen dar. Grotian hatte ja die Knochen eingeweicht und geformt. Etwas, das möglich ist, da im Moor das Kalk der Knochen abgebaut wird. Sie schrumpfen dadurch (Langknochen um ca. 3%) und werden weich. Es ist nun schwer festzustellen, wie lang sie wirklich ursprünglich waren, bevor sie schrumpften und durch Grotian wieder gestreckt wurden. Der Mann sollte aber in etwa der Durchschnittsgröße entsprochen haben. Im Groben schlossen sich weitere Untersuchungen dieser Angabe an. So etwa Klingener et al., die aber die Angabe 160cm bis 170cm als Mindestwerte angeben6 (Ein großer Einwand dazu erfolgt im nächsten Teil bei der Betrachtung der Tunika)
Es gab eine Verwachsung der Wirbel T12 und L1 (Übergang der Brustwirbel zum Lendenwirbel) die möglicherweise angeboren war, aber auch durch eine Knochenentzündung, Bandscheibenvorfall oder Tuberkulose hervorgerufen worden sein könnte. (Hierzu folgt noch eine Anmerkung meinerseits) Diese Verletzung muss nicht zwingend schmerzhaft gewesen sein und könnte den Mann auch nicht eingeschränkt haben.7 Schloss Granite einen Tod in Folge der Beschädigung des Schädels, mit Einschränkungen nicht aus, ergab der Gesamtkomplex der Untersuchungen 2011, an denen auch Granite beteiligt war, das der Schädel durch das auf ihm lastende Gewicht des Moores eingedrückt worden war oder durch die Spaten der Torfstecher beschädigt wurde. Dem Toten wurde also nicht der Schädel eingeschlagen. Auch sonst konnte kein Grund für den Tod ermittelt werden.
Diese Untersuchungen ergaben nun ein Alter von 30 bis 40 Jahren und eine normale bis schlanke Statur. Seine Beinmuskulatur muss gut ausgebildet gewesen sein. Die Belastung war dabei so hoch , dass der Mann bei Eintritt des Todes eine Arthrose entwickelt hatte, die ihm in der Hauptsache in der Hüfte und dem Großzeh Probleme bereitet haben dürfte. Aber gleichzeitig schien er nicht schwer gehoben zu haben, wie die Untersuchung der Wirbelsäule zeigte, denn diese war im Bereich von Hals und Brustwirbel am stärksten belastet worden. Seine Wirbelsäule zeigte Spuren einer Skoliose. Er scheint sich einmal einen schwere Zerrung im Schultergürtel zugezogen zu haben, war Rechtshänder und hatte sehr wahrscheinlich blaue Augen ( 90-95% Wahrscheinlichkeit nach genetischer Untersuchung). Als Kind und Jugendlicher litt er an Infektionskrankheiten und erlebte in seinem ganzen Leben immer wieder Phasen von Mangelernährung und ernährte sich zeitweise hauptsächlich von Süßwasserfischen. In seiner Jugend entwickelte er einen Rundrücken durch Morbus Scheuermann (Wachstumsstörung , möglicherweise durch Mangelernährung die zu verminderter Rückenmuskulatur führte) Im erwachsenen Alter hatte er einen Rippenbruch, der aber problemlos verheilte. Seine Zähne waren in einem sehr guten Zustand. Bei Todeseintritt fehlte kein Zahn und es gab keine großen Abriebspuren, wie sie für gewöhnlich auftreten.
Zudem kommen die üblichen Erkrankungen jener Zeit wie Arthrose und eine chronische Nebenhöhlenentzündung hinzu.
Eine noch 2012 in der Presse8 vermeldete Krebserkrankung des Mannes konnte nicht bestätigt werden. Die Vermutung rührte aus der letzten Konservierungsmaßnahme der Knochen. Dies wurden mit Kunststoff überzogen bzw. darin eingelegt. Es wurde jedoch nicht beachtet, dass an den Knochen feine Wurzelreste anhafteten. Durch den Kunststoff färbten sich die Knochen gleichmäßig in einem fast schwarzen Farbton, wobei die Pflanzenreste leichte Unebenheiten auf den Knochen zurückfließen. Diese hielt man zunächst für das Ergebnis eines gestreuten Knochenkrebs.
Eine Rücksprache mit meiner “InHouse”-Physotherapeutin ergab zudem, dass Morbus Scheuermann meist immer mit Deckplatteneinbrüchen der Wirbel einhergeht und somit für die Verwachsungen der Wirbel verantwortlich ist. In Kombination mit der Skoliose wäre dadurch auch die stärkere Abnutzung im Hals- und Brustwirbelbereich zu deuten, wie mir erklärt wurde. Andererseits könnten ähnliche Schädigungen im oberen Teil der Wirbelsäule beim Tragen von schweren Lasten wie Kiepen oder einem Tragejoch entstehen.
Der Mann lebte in einer Zeit politischer Umwälzungen in seiner Region. Vielleicht hatte er die Konflikte zwischen dem fränkischen Hausmeier Pippin dem Mittleren und dem friesischen rex Radbod miterlebt, vielleicht aber noch Vorstöße Karls des Großen nach Norden.
Letztendlich gelang es sogar, den ursprünglichen Fundort der Leiche wiederzuentdecken, indem man Personen befragte, die die Finder noch persönlich kennengelernt hatten. 9
Das Begräbnis des Mannes
Nach der Bergung und dem nicht mehr nachvollziehbaren Fundort des Mannes von Bernuthsfeld bleiben einige Fragen zum Begräbnis des Mannes. Da die Grabgrube sorgfältig mit Moos ausgelegt gewesen sein soll, scheidet ein “Verscharren in aller Schnelle” aus. Dies würde auch einer Mordtheorie widersprechen.
Seltsam erscheint auch die Lage der Leiche, denn die durch Hahne erfolgte Rekonstruktion der Fundlage des Mannes zeigt ihn in gehockter Stellung, den Kopf auf der rechten Seite liegend. Dabei rekonstruierte Hahne diese Position auf Grund des Faltenwurfs an der Kleidung. Ein Hockergrab ist für das frühe Mittelalter eher ungewöhnlich. Leider lässt sich die Ausrichtung des Toten nicht nachvollziehen. Heumüller schreibt hierzu: “Eine naheliegende Möglichkeit wäre daher, dass der Mann von Bernuthsfeld – aus unbekannten Gründen – beim Überqueren des Moores zu Tode kam. “10
Der Tod könnte durchaus natürliche Umstände gehabt haben.
Der Tod des Mannes von Bernuthsfeld
Obwohl die Todesursache des Mannes letztendlich unbekannt ist, lassen sich einige Aussagen zu seinem Tod treffen. Ursprünglich hatte ich mir hierzu eigene Gedanken gemacht, nachdem ich aber sah das diese sich grundsätzlich mit den Angaben von Dirk Schoenen11 decken, werde ich ihm hier folgende Angaben machen und diese nur ein wenig ergänzen.
Irgendwann, im späten 7. oder 8. Jahrhundert, versuchte ein Mann die Durchquerung des Meerhusener Moors. Hierzu nutzte er eine Engstelle im Moor, die wahrscheinlich als Wegführung bekannt war. Heute verläuft etwa 400m westlich des Weges die L7 zwischen Aurich und Westerholt. Dabei handelt es sich genauer um die Strecke zwischen Tannhausen und Terheide. Aus welcher Richtung er kam oder wohin er wollte, ist nicht bekannt.
Wahrscheinlich aber war es kalt, wohl Winter. Diese Vermutung ergibt sich aus der Kleidung, die der Tote trug, bzw. mit sich führte. Er schafft die Durchquerung des Moores nicht und bricht zusammen. Der Grund ist nicht bekannt. Vielleicht hatte er eine einfache, profane Erkrankung wie einen viralen Infekt, gepaart mit hohem Fieber. Zumindest rollt er sich, eingewickelt in zwei Mäntel, in gehockter Stellung zusammen und stirbt.
Er versinkt nicht etwa im Moor, sondern bleibt wohl zunächst am Wegesrand liegen, so dass der Verwesungsprozess eintritt.
Hier zeigen sich Parallelen zu dem Fund des “Kindes aus der Esterweger Dose”, das ebenfalls im Moor starb und verweste. Die Knochen wurden wahrscheinlich durch einen starken Regenschauer in eine Mulde gespült, die vom Moor bedeckten Knochen wurden dann 1980 gefunden. Dadurch, dass die Leichen nicht im Moor lagen, konnte der Verwesungsprozess einsetzen. Die Gerbung der Haut zu Leder durch das Moorwasser konnte nun nicht eintreten, so dass die Leichen skelettierten.
Nun blieb der Mann von Bernuthsfeld nicht so lange offen liegen wie das Kind aus der Esterweger Dose. Irgendwann wurde er von jemandem gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war die Leiche wohl noch nicht skelettiert, aber zumindest hatte die Verwesung eingesetzt und der Tote in einem solchen Zustand, dass ein Abtransport nicht mehr möglich war. Um ihm jedoch ein im Ansatz würdiges Begräbnis zu bieten, hob man eine 60cm tiefe Grube aus, kleidete sie mit Moos aus und legte den Toten, so wie man ihn vorfand, in diese Grube.
Wo Schoenen die Möglichkeit nicht ausschließt, dass man dem Mann vielleicht den großen Mantel, der in sehr gutem Zustand war, mit ins Grab gab, denke ich eher, dass man ihm die Sachen abnahm, die noch brauchbar waren. Vielleicht Schuhe und Messer. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass man bei dem Mann keine Utensilien wie etwa einen Feuerstein fand.
Nächste Woche gehts dann weiter mit den Textilien.
M. Heumüller, Der Mann von Bernuthsfeld und die Moorleichenforschung in Niedersachsen in MATERIALHEFTE ZUR UR- UND FRÜHGESCHICHTE NIEDERSACHSENS BAND 57 – „Bernie“ – Die Moorleiche von Bernuthsfeld S.19 u S25 ↩
M. Heumüller, Der Mann von Bernuthsfeld und die Moorleichenforschung in Niedersachsen in MATERIALHEFTE ZUR UR- UND FRÜHGESCHICHTE NIEDERSACHSENS BAND 57 – „Bernie“ – Die Moorleiche von Bernuthsfeld S.24 ↩
J. Bär , “Bernie” wiederentdeckt – Die Moorleiche von Bernuthsfeld im Blickpunkt interdisziplinärer Wissenschaft in Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 4/2014 S.147 ↩
Meldung aus der Zeitung Nachrichten für Stadt und Land vom 6.6.1907 ↩
Magdeburger Volksstimme 13.3.1928 ↩
S.Klingener et al. Ergebniss der anthropologischen Untersuchung der Moorleiche des “Mannes von Bernuthsfeld” ↩
G.E. Granite PORTABLE X-RAY FLUORESCENCE SPECTROSCOPY AND ITS RESEARCH APPLICATIONS TO NORTHERN EUROPEAN BOG BODIES S65 ↩
Ostfriesen-Zeitung vom 25.4.212 ↩
J.Bär, “Bernie” wiederentdeckt – Die Moorleiche von Bernuthsfeld im Blickpunkt interdisziplinärer Wissenschaft in Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 4/2014 S.150 ↩
M. Heumüller, Der Mann von Bernuthsfeld und die Moorleichenforschung in Niedersachsen in MATERIALHEFTE ZUR UR- UND FRÜHGESCHICHTE NIEDERSACHSENS BAND 57 – „Bernie“ – Die Moorleiche von Bernuthsfeld S26 ↩
D. Schoenen, Entstehung von Moorleichen – unter der besonderen Berücksichtigung des Mannes aus dem Moor von Bernuthsfeld ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…