Von langen Haar zum zum Schnauzbart – Die Haartracht der Franken
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich darauf kam, es muss wohl im Zusammenhang mit den Bärten des Stuttgarter Psalters gewesen sein, dachte ich mir, ich müsse mich einmal mit dem Bart Karls des Großen befassen.
Vielleicht gäbe es ja ein Siegel, das ich bisher nicht beachtet hatte, da ich nie wirklich danach gesucht hatte. Und tatsächlich taten sich mir 2 Siegel auf. Eines davon aus dem Jahr 807 aus Ingelheim.
Auf beiden Bildern sah ich auf das Profil eines bärtigen Mannes, Vollbart. Einmal mit etwa Schulterlangem Haar, einmal etwas kürzer. Die Gesichter wirken alt, eingefallen und standen in keinem Verhältnis zum Münzbild von 813, des wohlgenährten Herrn mit Schnauzbart.
Das Problem der Vollbart-Siegel lies sich relativ schnell lösen. Hier war nicht Karl abgebildet. Er hatte zum Siegeln eine römische Gemme genutzt. In einem Fall soll es sich um Kaiser Commodus handeln, so schrieb zumindest Theodor von Sickel in Urkundenlehre.
Ansonsten haben wir von Karl selbst nur so 2,5 Portraits. Primär natürlich die Münzportraits. Dann eine Bleibulle, die jedoch nicht mehr existiert, aber in Zeichnungen des 17. Jahrhunderts überliefert ist. Und als die 0,5 werte ich einmal das Portrait auf dem Tricliniums Mosaik im Lateran. 0,5 daher weil es so oft abgefallen und verändert wurde , dass das eher unsicher ist ( Ich dazu mal hier geschrieben)
Jedoch trägt Karl in allen Fällen einen Schnauzbart.
Damit hätte ich es belassen können, doch irgendetwas ließ mich dann nach Literatur zu dem Thema suchen, die ich dann auch in “Charlemagne’s Mustache: And Other Cultural Clusters of a Dark Age (The New Middle Ages)” von Paul Edward Dutton fand. Und so stürzte ich in einen ganzen Kaninchenbau.
Dieser beginnt bei den Chatten, bei denen es üblich war, dass Jungen, sobald sie die Pubertät erreicht hatten, sich weder Haupt- noch Gesichtsbehaarung stutzen durften. Erst wenn sie einen Feind getötet hatten, durften sie ihre “Blutbärte” scheren und ihr Gesicht wieder zeigen. So zumindest Tacitus.
Der Satiriker Juvenal berichtet, die Germanen hätten immer mit den Haaren gespielt, sich mit den fettigen Haaren Locken gedreht und Tacitus berichtet zudem die Germanen hätten rote Haare gehabt und Isidor spricht von den blutroten Locken der Goten.
Tacitus berichtet in seiner Historiae1 weiterhin von einem Julius Ciuilis, der im Jahr 69 einen Feldzug gegen Vitellius führte. Dieser Julius Ciulilis war trotz seines Namens Bataver, also Germane. Er hatte sich geschworen, sich nach germanischer Sitte nicht den Bart zu scheren und ihn rot zu färben, bis er die römischen Armeen besiegt hatte. Und auch Ammianus Marcellinus in seiner Res gestae berichtet, dass viele Germanen sich die Haare rot färbten. Das bedeutet das die Haare nicht genetisch bedingt rot waren, sondern einfach nur gefärbt wurden. Hier war wohl ein Blutsymbol am Werke, wie schon bei den “Blutbärten” der Chatten.
Weniger über Länge und Farbe, als mehr die Repräsentation der Haare definieren sich die Sueben mit ihrem Suebenknoten. Für Tacitus versuchten die Sueben durch den Knoten größer zu wirken.
Neben den Haupthaaren wird dann der Schnauzbart, wie ihn Karl der Große trug, im späten 5. Jahrhundert mit Theoderich greifbar.
So gibt es neben dem bekannten Gold Medallion Theoderichs, das diesen stark romanisiert zeigt, ein mögliches weiteres Bildnis des Gotenherrschers.
Auf dem Gold Medaillon trägt Theoderich einen Schuppenpanzer mit Paludamentum. In seiner linken Hand hält er ein Zepter mit Nodus (Kugel) und darauf stehender Figur, potentiell eine Siegesgöttin mit Lorbeerkranz. Und an dieser Stelle muss ich Dutton widersprechen. Schreibt er doch:
“Theoderic the Great may be dressed in Roman clothes and flanked by a symbol of victory, but his hair is everything and it is not some Caesar’s cropped and thinning strands that we see, but an impressive construction of curls that proudly proclaimed that he was a Germanic king and no clipped Roman”
Für mich jedoch erscheint die Frisur analog zu Bellisar oder Iulianus argentarius in den Mosaiken von Sant’Apollinare Nuovo. Maximal ein wenig länger. Sie wäre also als byzantinisch, oströmisch oder römisch allgemein anzusprechen. von daher wirkt nur sein Schnauzbart germanisch.
Die Amethystgemme, die Teil eines Siegelrings war, gibt nicht den Namen des Dargestellten an, aber dessen Monogramm. Dieses kann zu Theoderich aufgelöst werden, muss es aber nicht!2 Bei diesem Bildnis sind die Haare zu einem Mittelscheitel gekämmt, umrahmen das Gesicht und reichen über die Ohren bis in den Nacken, vielleicht bis knapp über die Schultern. Auch er trägt wieder einen Schnauzbart. Wie im Medaillon scheint dieser gepflegt und an den Seiten spitz auszulaufen. Die Gemme erinnert eher an den Siegelring Childerichs.
Interessant dabei ist, das es im Latein kein wohl keine vollständig zufriedenstellende Übersetzung für den Schnauzbart gibt. Der Begriff labri superioris capilli (Haare an der Oberlippe), so Dutton, sei eher als eine Zustandsbeschreibung, als eine Definition. Möglicherweise weil Römer keinen Schnauzbart ohne echten Bart, also Vollbart trugen, ergab sich nicht die Notwendigkeit für ein Wort wie Schnauzbart. ( Wie oft kann ich hier eigentlich Schnauzbart schreiben??? )
Mit Agathius tauchen nun die Franken auf, wenn dieser berichtet:
Denn es ist der Brauch der fränkischen Könige, sich nie die Haare schneiden zu lassen. Sie werden von Kindheit an nie geschnitten und jede einzelne Locke hängt direkt über die Schultern, da die vorderen auf der Stirn gescheitelt sind und zu beiden Seiten herabhängen. Sie sind jedoch nicht wie die der Türken und Awaren ungepflegt, trocken und schmutzig und zu einem unansehnlichen Knoten zusammengebunden. Im Gegenteil, sie behandeln sie mit allen möglichen Seifen und kämmen sie sehr sorgfältig. Der Brauch hat diese Praxis dem Königshaus vorbehalten, als eine Art besonderes Zeichen und Vorrecht. Untertanen lassen sich die Haare rundherum schneiden und es ist ihnen streng verboten, sie weiter wachsen zu lassen.
Und so stellten die Burgunden an den Haaren fest das sie den Frankenkönig Chlodomer, Sohn Chlodwigs, bei der Schlacht bei Vézeronce getötet hatten und spießten seinen Kopf auf um die Furcht unter den Franken zu säen.
Für Dutton ist dies ein Beispiel für die Bedeutung von Haaren als Symbol der Freien unter den Franken des 6. und 7. Jahrhunderts, wobei die Länge der Haare eine Hierarchie bildet. An unterster Stelle standen die kahl geschorenen Sklaven.So war es dann auch ein schweres Vergehen, einen Sklaven oder Verbrecher mit einer Perücke auszustatten, damit dieser als Freier durchgeht. Freie Franken von hohem Stand besaßen längere Haare, jedoch nicht so lang wie die der Könige. Nach Agathius durfte es nicht die Schulter berühren.
Als Beispiel der Wichtigkeit von Haaren wird das Beispiel des Händlers Eufronius angeführt, das Gregor von Tour erzählt. Diesem Euphronius wurde gegen seinen Willen die Haare geschoren um ihn zu erpressen. Euphronius lässt sich nicht erpressen, aber verlässt aus Scham seine Heimatstadt Bordeaux und lebt in einer anderen Stadt, wo ihn niemand kennt, bis die Haare nachgewachsen sind und er zurückkehren kann. Täter war Bischof Berthramn von Bordeaux, der sich Euphronius Güter einverleiben wollte.3 Mit dem Scheren der Haare setzt er Euphronius öffentlich herab und stellt ihn bloß. Etwas, das noch öfter in der fränkischen Historie geschehen wird.
Auch Theuderich III wurde geschoren und nach St. Denis verbannt. 2 Jahre später aber, nach dem Tod seines Widersachers Childerich und fast noch wichtiger nach dem nachwachsen der Haare, kam er zurück. Für Dutton ist ist St. Denis weniger Verbannungsort, denn Rückzugspunkt für Theuderich, um seine geschorenen Haare zu verbergen.
Für die Theorie des echten Skalpierens, also dem Abtrennen der Kopfhaut vom Schädel, wie sie etwa Hoyeoux4 vertrat und bereits durch Averil5 in Frage gestellt wurde, sieht Dutton keine echten Hinweise.
Ganz genau so aber wie Unfreien die Haare geschoren wurden, so ist auch die Tonsur der Mönche als Zeichen der Unterwerfung zu verstehen. Die Mönche zeigten so die Unterwerfung gegenüber Gott, in die sie sich begaben.
Die religiöse Konnotation von Haaren war aber auch schon vor dem Christentum bekannt. So erzählt Apuleius in seiner Geschichte “ Der goldene Esel/ Metamorphosen ” von einem Lucius der einen gewissen Fetisch für Frauenhaar hat und in einen haarigen Esel verwandelt wird. Er erhält seine Gestalt zurück, als er die Göttin Isis aus dem Meer aufsteigen sieht und ihr glänzendes Haar in Locken auf die Schultern fällt. Während die Mägde, die ihr folgten, ihr Haar wie die Göttin kämmten, waren ihre männlichen Priester kahlrasiert. Auch Lucius wird daraufhin zum kahlrasierten Priester der Isis.
Dutton wirft die Frage auf wann sich die herrscherliche Haartracht wandelte. Wann wurden aus langhaarigen Merowingern, kurzhaarige Karolinger? Hatte Karl Martell, der ja noch nicht König war, aber als princeps oder subregulus beschrieben wird, sich seine Haare auf die Länge des merowingischen Marionettenkönigs wachsen lassen um klar zu zeigen wer das Sagen hatte? Aufgrund der Betonung der Haare des letzten Merowingerkönig durch Einhard, vermutet Dutton eher das die alten Konventionen zu diesem Zeitpunkt noch galten, halfen sie doch bei der Unterscheidung und vielleicht wurden sie auch noch überspitzt.
Den Wandel vermutet Dutton in den 740er und 750er Jahren durch Pippin dem Jüngeren. Ausschlaggebend könnte zunächst ein Ereignis gewesen, das Paulus Diaconus notierte. Zwischen 735 und 738 sandte Karl Martel seinen Sohn Pippin zum Langobardenkönig Luitprand, wo er symbolisch adoptiert wurde, da Karl Martell Verbündete suchte. Zu dieser Prozedur gehörte es das Luitprand “der Sitte nach sein Haar nahm” in dem er ihm die Haare schnitt und ihn reich beschenkt wieder zu seinem Vater schickte.6
Ähnliches wie bei Pippin und Luitprand war bereits zwischen Alarich und Chlodwig geschehen. Je nach textlicher Überlieferung berührte Alarich Clodwigs Bart, oder rasierte ihn und wurde somit sein Pate. Dieser Brauch war wohl eine teilweise Übernahme aus dem Römischen, der barbatoria, dem ersten feierlichen Rasieren eines jungen Römers, dessen erstes Barthaar dann den Göttern , den Eltern oder dem Kaiser geopfert wurde.
Dutton vermutet eine Vermischung von Praktiken. Vorstellbar wäre etwa das germanischen Hilfstruppen ihrem Vorgesetzten die Haare übergaben. Hier verschmolz ein rituelles Haareschneiden mit dem familiären Aspekt der barbatoria.
Das zeremoniellen Bartscheren als Initiationsritus kommt zur Zeit im 9. Jahrhundert aus der Mode. Ersetzt wird es durch Vergabe der Waffen an den Jugendlichen. Woraus später die Schwertleite entsteht. Sowohl Dutton als auch Pierre Riche betonen hier das man damit ironischerweise ein altes römisches Ritual mit einem älteren Germanischen ersetzt.
Letztendlich wird die Vermutung geäußert, dass Personen wie Bonifatius und Abt Fulrad von St. Denis das Bild der neuen Herrschers bestimmten. Beide, selbst mit christlicher Tonsur und kurzen Haaren, Rom zugewandt und gegen das Heidnische kämpfend.
Somit war der letzte rituelle Handlung in altem merowingischen Denken die Tonsur Childerichs III. und seine Verbringung ins Kloster. Eine Handlung, die jeder in noch merowingischer Zeit und mit merowingischem Denken verstehen konnte.
Mit dieser Handlung konnten, ja mussten, die Karolinger unter Pippin einen klaren Schnitt ( Pun intendet) machen. Oder wie es später Zar Peter der Große zugeschrieben wird: Die alten Zöpfe müssen ab! Die Kurzhaarfrisur nach römischem Vorbild wurde zum Standard.
Von da an ändert sich vieles. Die Karolinger entwickeln geradezu einen Fetisch für Herrschaftsinsignien. Wo Childerich auf seinem Siegelring und Agilulf auf der Helmplatte Ihre Haare als Herrschaftszeichen tragen, haben die Karolinger plötzlich Kronen auf dem Kopf. Dutton umschreibt es das man fast das Gefühl habe, die Karolinger wollten damit das Fehlen der Locken kompensieren.
Noch aus dem späten 9. Jahrhundert stammt eine italienische Sage, die erzählt das Grimoald III, der Langobardische dux von Benevent ( ich hatte ihn bei dem Post zu den Münzen erwähnt) erst das Amt seines Vaters antreten durfte, nachdem Karl darauf bestanden hatte das sein Name auf den Münzen erscheint und Grimoalds Bart geschoren wurde.
Die Vermutung, dass Karls Schnurrbart inspiriert ist von seiner Verehrung des Ostgotenkönigs Theoderich liegt nahe, so Dutton. Aber letztendlich fasst er es so zusammen:
“Auch wenn Karl der Große seinen Schnurrbart absichtlich dezent trug, war er, wenn man darüber nachdenkt, dennoch eine starke Aussage darüber, wer er und diese neuen karolingischen Könige waren oder vielmehr, was sie nicht waren. Sie waren nicht die haarigen, halbchristlichen merowingischen Könige, die Gregor von Tours karikierte; sie waren Christen, zivilisiert, kurzhaarig, schnurrbärtig und immer noch Germanen.” ( S30)
Tacitus Historiae 4.12-37 ↩
vgl. Richard Dellbrueck, Spätantike Germanenbildnisse und Dietrich-Testimonien
des 6. bis 16. Jahrhunderts aus Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik Band 4. S.271 ↩
Gregor 10 Bücher Geschichte 7:31 ↩
J. Heyeoux, Reges criniti, chevelures, tonsures et scalps chez les Mérovingiens ↩
Cameron Averil. How did the Merovingian Kings wear their hair? ↩
Historia Langobardorum Buch 6 53 ↩
Man könnte hier auch noch den Bericht der Annales Nazariani zum Tassilo-Prozess in Ingelheim 788 anführen:
„Und als das so ausgeführt wurde, wurde der schon erwähnte Herzog von Franken ergriffen, entwaffnet und vor den König geführt. Und sobald sie sich nun unterhielten, befragte er (Karl) ihn über seine Machenschaften und hinterhältigen Pläne, was er mit vielen Stämmen schon lange gegen ihn zu organisieren versucht hatte. Und als es deutlich wurde, dass dieser sie keinesfalls mehr abstreiten konnte, wurde ihm gegen seinen Willen befohlen, sein Kopfhaar abschneiden zu lassen. Er aber bat den König inständig, dass er nicht ebendort vor (versammeltem) Hof tonsuriert würde, natürlich wegen der Verlegenheit und der Peinlichkeit, für die das von den Franken gehalten zu werden schien.
Der König gab seinen Bitten nach und schickte ihn zum Heiligen Goar, dessen Gebeine bekanntlich am Rhein ruhen, und ebendort wurde er zum Kleriker gemacht. Und von dort wurde er ins Kloster Gemedium verbannt. “ (MGH SS 1 Annales Nazariani, S. 43/44; Übersetzung Geißler)
Der alamannischen Berichterstatter setzte einen frankenkritischen Akzent, indem er schrieb, dass die Franken die Tonsurierung (als Mönch) für peinlich hielten.