Der Fall Tassilo III. – Teil 1 – Die Agilolfiger
Nach den letzten zwei Blogposts, in denen ich mich zum einen mit der Verschwörung Pippins des Buckligen, als auch mit der Eroberung des Langobardenreiches auseinander gesetzt habe, dachte ich mit ich befasse mich direkt mal mit Tassilo III.
Das Verschwinden des älteren bairischen Stammesherzogtums ist eng verzahnt mit der Eroberung des Langobardenreiches und ohne den Niedergang wäre es nicht zu einem Aufstand Pippins gekommen, bzw. er hätte wohl kaum Unterstützer in Regensburg gefunden.
Doch einfach ist das nun wirklich nicht. Um mir ein wenig Zeit zu erkaufen und dabei auch noch dafür zu sorgen, dass diese Aufarbeitung übersichtlicher wird, habe ich mich dazu entschlossen, dieses Projekt in 3 Teile zu teilen.
Teil1, also dieser Teil, wird sich zunächst mit der Verwandtschaft und der Herkunft Tassilos befassen. Denn allein diese zeigt die Bedeutung der Person Tassil III.
Teil 2. Wird dann, ähnlich einer Biographie, Tassilo III. bis zu seinem Tod begleiten und dabei versuchen, sich seiner Position zu nähern.
Teil 3. wird dann einen Blick auf die Seite Karls des Großen werfen, denn auch seine Seite verdient trotz allem einen Blick und ist genauso ambivalent wie Tassilos.
Teil1: Die Familie Tassillos – Die Agilolfinger
Tassilo stammt aus der Familie der Agilolfinger bzw. Agilufinger oder wie sie bei Fredegar genannt werden, die gens nobilis Ayglofinga.
Der erste Name, der einem dabei natürlich in den Sinn kommt, ist Agilolf bzw. Agilulf und dann denkt man an den Langobarden Agilulf und die Stirnplatte des Agilulf Lamellenhelms. Problem dabei ist: Dieser Agilulf ist nur eingeheiratet in die Familie der Agilolfinger und mehr noch, er ist weder Baier noch Langobarde. Er wird auch Turingus bezeichnet, “der Thüringer”. Wahrscheinlich kam er, bzw. seine Sippe nach der Zerstörung des Thüringer Reiches 531 auf der Flucht zu den Langobarden.
Und dennoch wird er zu den Namensgebern gezählt,denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Agilolfinger zu einem bestimmten Zeitpunkt, aus irgendeinem Grund, ihn als so wichtig sahen , dass sie den Namen als Gentilnamen wählten. 1
Aber der Name Agilolf taucht auch früher schon auf. Es gab einen Suebenkönig Agilulf (+457) im heutigen Spanien, der möglicherweise mit dem Warnen Agiulf identisch ist, den der Westgote Theoderich II. bei den Sueben installieren wollte.
Eine in der Wissenschaft diskutierte und durchaus überzeugende These ist, dass die Agilolfinger ursprünglich aus einem burgundischen Geschlecht entstammen. Hierfür sprechen Namen einiger Familienmitglieder, wie etwa Fara, die in Beziehungen mit Burgundischen Ursprüngen stehen. So gab es im 7. Jahrhundert einen Bischof “Faro de gente Burgundionum” der daher auch Burgund(i)ofaro genannt wurde und als Abtbischof in Meaux bei Paris agierte2 . In diesem Zusammenhang finde ich es interessant, dass in einer konstruierten Stammliste, der als solches nicht viel Glauben geschenkt werden darf, der Großvater des ersten nachweisbaren bairischen Herzogs ein Agilulf von Meaux auftaucht.
Weiterhin gab es einen Fara, der wohl um Mainz begütert war. Ich erwähne ihn wegen seines Schicksals. Sein Vater Chrodoald fiel im Jahr 624 beim Merowinger Dagobert in Ungnade und wurde getötet. Fara verbündete sich später mit Radulf von Thüringen, einem Thüringer, der von Gnaden der Merowinger als dux eingesetzt wurde, und zettelte einen Aufstand gegen die Merowinger und deren Hausmeier an. Fara starb in einer Schlacht, irgendwo zwischen Mainz und Fulda. 3
Was nun folgt, ist vielleicht etwas zu konstruiert, aber ich möchte es zumindest notiert haben.
Plinius der Ältere bezeichnet die Burgunden als Teil der Vandalen. Zu diesen gehören auch die Warnen, die unter anderem im Gebiet der Thüringer siedelten. Die Grenzen zwischen diesen Gruppen sind fließend. Könnte es vielleicht sein, dass der aus Thüringen geflohene Klan des Langobarden Agilulf vielleicht Warnen waren? Er vielleicht einem Zweig der Ur-Agilolfinger entsprungen war und die spätere Heirat in den Verband der bairischen Agilolfinger eines Stärkung des Familienclans war? Faras Bündnis mit Radulf könnte dann auch einen Grund in verwandtschaftlichen Beziehungen mit dort ansässigen Gruppen gehabt haben.
Eine weitere Theorie präsentiert Wilhelm Störmer. Demnach könnten die Ahnen der Agilolfinger ursprünglich über Böhmen eingewandert sein und Nachkommen germanisch-römischer Söldner des 5. Jahrhunderts von der Donau sein. Ihr erster Herzog wäre dann quasi der Nachfolger des Regensburger Stadtkommandanten gewesen.4
Aber wieder weg von den Theorien hin zur Herkunft der Agilolfinger!
Ums kurz zu machen. Wir haben keinen ursprünglichen Ahnherr, den wir greifen können und der den Namen Agilolf oder Agilulf trägt. Oder wie es Carl Hammer formulierte: “wo wir Nachrichten über die frühen bayerischen Herzöge haben, gibt es keine Agilolfinger, und wo wir Nachrichten über Agilolfinger haben, gibt es keine bayerischen Herzöge“
Was wir aber haben ist der Name Garibald und dessen Varianten, wie etwa Charivald. Und mit diesem Namen werden die Agilolfinger in Bayern greifbar, denn um 548 wird Garibald I. Herzog von Bayern. Dieser Garibald war nicht irgendjemand und er war vorallem kein Bajuware! . Er war Franke, das legt die Lex Baiuvariorum nahe, und wurde vom Merowinger Theudebald als dux, wohl in diesem Kontext am ehesten als Gouverneur zu verstehen, eingesetzt.
Garibald war mit Walderada verheiratet. Diese war Tochter Wachos, König der Langobarden aus dem Geschlecht der Lethinger, die gerade frisch in Italien eingetroffen waren und für viel Wirbel sorgten. Bevor Walderada Garibald heiratete war sie Witwe des Merowingers Theudebald und mit und Chlotar I.verheiratet gewesen. Chlotar I. musste sich aber wegen kirchlichem Widerspruchs von ihr trennen und gab sie “einem der seinen”, eben dux Garibald I. von Bayern zur Frau.
Eine Seitenlinie der Agilolfinger sind im Übrigen die Alahofinger ,auch Bertholde genannt. Wie schon zuvor bei Fara erwähnt lassen sich zentrale Besitzungen der Agilolfinger im Mittelrhein-Mosel-Gebiet, sowie vor allem am Mittelrhein zwischen Mainz und Worms nachweisen5 Gerade in der Region um Mainz häufen sich Namen wie Grimoald, Grimold, Garibald und Alaholf, was wiederum Gockel6 zu der Vermutung bringt, das hier die fränkische Heimat der Agilolfinger liegt. Ich hatte dazu schon einmal geschrieben : https://www.tribur.de/blog/2023/06/29/der-aelteste-mainzer-adel/
Zurück zu Garibald I. als erstem Herzog der Bayern. Garibald hatte mehrere Kinder. zunächst Tassilo I. , der die bairische Linie fortführt. Seine Tochter Theodelinde soll zunächst den Merowinger Childebert II. heiraten. Dies schlägt aber fehl und während im Merowingerreich die Bruderkriege toben, schafft es Garibald I. sich eigenständigkeit herauszuarbeiten. Hierzu benötigt er Verbündete und findet sie in den Langobarden, schließlich war seine Frau Walderada Langobardin. Der Grundstein war also gelegt.
Theudelinde geht nach Italien und heiratet zunächst König Authari aus dem Geschlecht der Beleos. Im Schlepptau hatte sie ihren Bruder Gundoald, der Herzog von Asti wird und eine Enkelin des Königs Wacho heiratet.
Als Authari nun stirbt haben er und Theudelinde keine Kinder. Sie heiratet erneut. Nun den bekannten Agilulf (der mit dem der Helmplatte) dem Thüringer, der nun zum König gewählt wurde.
Wer aufgepasst hat, sollte bemerkt haben, dass es hier innerhalb kürzester Zeit verschiedene Geschlechternamen der Könige der Langobarden gibt. Die Lethinger, die Beleos und die ungenannte Familie Agilulfs. Dies liegt daran, dass die Langobarden wohl noch am ehesten das Herrschaftssystem pflegen, wie es Tacitus in seiner Germania beschreibt mit princeps, duces und rex.7 Und so wählen sie ihren rex aus der Reihe ihrer duces.
Zurück zu Agilulf und Theudelinde . Mit Agilulf hat Theudelinde nun zwei Kinder. Eine Tochter und den Zukünftigen König Adaloald. Die bairischen Agilolfinger scheinen also nun den Gedanken einer Königsdynastie bei den Langobarden zu initiieren.
Doch als Adaload an der Macht ist, zeigen sich Zeichen von Wahnsinn. Er wird gestürzt.
Neuer König wird nun der Sohn von Theudelindes Bruder Gunoald. Es ist Arioald, wir schreiben das Jahr 626 und er ist der erste langobardische König aus dem patrilinearen Geschlecht der bayerischen Agilolfinger. Und eigentlich auch fast schon wieder der Letzte, denn es gibt nach ihm wieder eine Königswahl und es folgt Rothari aus dem Geschlecht der Arodus.
Dennoch werden bairische Agilolfinger und Langobarden immer wieder untereinander heiraten. Und immer wieder kommen Nachfahren des Bayern Gundoald an die Macht und schaffen es nach Rothari eine etwas chaotische Dynastie aufzubauen, die aber letztendlich, nicht zuletzt wegen innerdynastischen Konflikten zugrunde geht: Aripert (653-661) Godpert (662), Percarit (671-688), Raginpert (701) Cunincpert (688-700), , Luitpert (703). Aripert II (703-712) ist der letzte Agilolfingische König der Langobarden. Und Und über allem schwebt die selige Teudelinde die den Dom in Monza errichtet und wenn auch nicht als Heilige, sondern nur als Seelige verehrt wird, dennoch wie eine Heilige behandelt wird.
Die Agilolfinger, die einst als Franken nach Baiern kamen, sind inzwischen Integriert ins bairische Volk, genießen aber eine Sonderstellung unter den Familien der nobilitas, wie uns die Lex Baiuvariorum berichtet:
Von den Geschlechtern, die genannt werden Huosi, Trozza, Fagana, Hahilinga und Anniona:
Diese sind sozusagen die vornehmsten nach den Agilolfingern aus herzoglichem Geschlecht. Ersteren nämlich gewähren wir doppelte Ehre, und so sollen sie auch doppelte Buße empfangen. Die Agilolfinger aber sollen bis zum Herzog hin vierfach gebüßt werden, weil sie die höchsten Fürsten unter euch sind. 8
und weiterhin
Der Herzog aber, der an der Spitze des Volks steht, war immer aus dem Geschlecht der Agilolfinger und muss es sein, weil unsere Vorgängerkönige ihnen zugesichert haben, dass sie einen aus ihrem Geschlecht, der dem König treu und klug war, zum Herzog ernennen, um dieses Volk zu regieren 9
Gerade der letzte Abschnitt zeigt an, dass die Herzöge zu einem unbekannten Zeitpunkt von den Königen, also ursprünglich den merowingischen Franken, eingesetzt wurden.
Nun haben wir also in Bayern und partiell in der Lombardei Agilolfinger an der Macht. Aber das reicht noch nicht! Am Ende des 7. Jahrhunderts taucht ein alamanischer dux Namens Gottfried (Gotefrid) auf. Auch er stammt aus dem Geschlecht der Agilolfinger, doch kennen wir seine Verwandtschaftsgrade nicht.10
Hierzu passt auch sehr gut eine Anmerkung von Roman Deutinger, der schreibt, bezugnehmend auf die Verwandtschaften der Agilolfinger und der Lex Baiuvariorum:
Selbst wenn man der Aussage der Lex vertraut, alle Bayernherzöge seien immer Agilolfinger gewesen (und es gibt gute Gründe, das nicht zu tun!), dann darf man sich diese Agilolfinger nicht als eine abgeschlossene, einheitliche, streng patrilineare und agnatische Dynastie vorstellen, sondern bestenfalls als einen losen cognatischen Verband, dessen genealogischer Zusammenhang nicht rekonstruierbar ist 11
Aber vielleicht wurden auch in der Alamannia Agilolfinger als Herzöge von den Franken zur Befriedung eingesetzt. Ganz so, als wären sie so etwas wie eine “Familie fürs Grobe”.
Der alamanische dux Gottfried aber war mit der Tochter des bairischen Agilolfingers dux Theodo I. verheiratet, damit alles schön im Clan bleibt. Ihr gemeinsamer Sohn ist Odilo, der Vater Tassilos III. Diesen Titel in der Alamania haben die Agilolfinger bis zur Zeit des dux Theudebald der nach dem Tod Karl Martells einen Aufstand gegen die fränkischen Hausmeier führt, der 746 im Blutgericht von Cannstatt endet.
An diesem Aufstand war auch der bairische dux Odilo beteiligt. Dieser hatte am Hof von Karl Martell dessen Tochter Hiltrud geschwängert. Schwanger floh diese vom Hof des Hausmeiers zu Odilo, als Karl Martell starb. Sie heiratete Odilo und gebar ihm einen Sohn. Den zukünftigen Herzog Tassilo III.
Die Schwängerung, der vermeintlichen Brautraub der keiner war, und das Bündnis mit dem alamannischen Agilolfinger Theudebald führen zur Intervention von Karl Martells Söhnen Karlmann und Pippin III (nur zur Erinnerung : das ist der Vater von Karl dem Großen! ) Es kommt 743 zur Schlacht bei Epfach, bei der Odilo von den Alamannen und Sachsen(!) unterstützt wird. Odilo unterliegt und muss die Oberhoheit der Franken anerkennen, behält aber im Gegensatz zu den alamannischen Agilolfingern sein Herzogtum ,was bei den Verfahrensweisen der der zukünftigen karolingischen Herrschern eigenartig erscheint, denn sie haben bereits begonnen nach und nach alle Herzogtümer auszuschalten.
748 stibt jedoch Odilo. Grifo, Halbbruder von Hiltrud und Sohn Karl Martells entführt Mutter und Kind und will die Macht in Baiern an sich reißen. Diese werden aber von Pippin III befreit , der ihn nun Siebenjährigen als Herzog einsetzt.Die Quellen schreiben das er das Herzogtum als Beneficium erhielt. Als seine Mutter 754 starb, wurde Pippin auch Vormund Tassilos III. Zu diesem Zeitpunkt war auch Pippin III. bereits Vater. Karl war 747 oder 748 geboren worden, Karlmann 751. Karl und Tassilo waren also nur 6 oder 7 Jahre auseinander und Karl dürfte Tassilo von frühester Kindheit an gekannt haben.
Letztendlich kann man zur Genealogie der Agilolfinger sagen, wenn die Personen, die in den Quellen als Agilolfinger bezeichnet werden oder aber diesen zugerechnet werde, tatsächlich Agilolfinger sind, dann muss es sich um eine extrem weitverzweigte Familie handeln, deren Geschichte bis in die Tiefen der Völkerwanderungszeit zurückreicht und schon damals einen entsprechenden Status besaß. Andererseits könnte diese ursprüngliche Familie einen solchen Eindruck hinterlassen haben, dass angeheiratete Familien (kognatische Familien) diesen Namen übernahmen, was wahrscheinlich erscheint.12
Und dennoch. Die Agilolfinger lassen sich heute mit Garibald I. noch vor den Arnulfingern und Pippiniden, also den direkten Vorfahren der Karolinger, nachweisen. Natürlich wissen wir nicht wie dies in der Welt des 8. Jahrhunderts war, aber es macht deutlich, dass es sich nicht um irgendeine Familie der frühmittelalterlichen Welt handelt.
W.Strömer , Adelsgruppen im früh- und hochmittelalterlichen Bayern S. 16 ↩
E. Zöllner, Die Herkunft der Agilolfinger S.3 ↩
M. Gockel, Karolingische Königshöfe am Mittelrhein S.308 ff ↩
W. Störmer Die Bajuwaren – Von der Völkerwanderung bis Tassilo IIIS.56 ↩
Die Bajuwaren von Severin bis Tassilo 488-788 S147 ↩
M.Gockel karolingische Königshöfe am Mittelrhein S289 ff ↩
siehe hier: https://www.tribur.de/blog/2025/04/10/herrschaftslegitimierung-und-adel/ ↩
zitiert nach W. Störmer, Die Bajuwaren – Von der Völkerwanderung bis Tassilo III S.32 ↩
Zitiert nach : R. Deutinger, wer waren Agilolfinger? S177 ↩
Es geistern zwar wie bei allen Personen hier auf genealogischen Seiten im Netz diverseste Stammbäume, die aber in keiner Weise belegbar sind! ↩
R. Deutinger, wer waren Agilolfinger? S180 ↩
Siehe hierzu R. Deutinger, wer waren Agilolfinger? ↩


Oh ja gerne!
Hallo, Bei Recherchen zur Tunika Heinrich des Zänkers bin ich auf eine ähnlich Lösung gekommen, ich habe mir das Stifterbild…
Hab jetzt gerade Terra X schauen wollen. Seit neusten mit KI generierten Stimmen. Diese Entwicklung gefällt mir nicht. Ich muss…
Gut gelungen. Dieses Miniriemchen im Riemendurchzug der Scheide hält das Ganze.
Freunde von mir waren schon da. Ich weiß nur nicht ob ich selbst schaffen werde :-(