Gedanken zu „Gürteltaschen mit nierenförmigen Klappdeckel“
Die Merowingerzeit ist bei den Männern von einer kleinen nierenförmigen Rückentasche geprägt, die zum Verstauen persönlicher Gegenstände dient. Oftmals sind dies ein kleines Gebrauchsmesser, Scheren, Feuerstein, Pinzette, Pfriem und/oder Schleifstein1
Diese Taschen hatten sich bis zum Ende des 6. Jahrhunderts durchgesetzt, wobei ihre Verbreitung mit der dreiteiligen Gürtelgarnitur einhergeht.
Für die Zeit davor ist anzunehmen, dass Taschen an Schulterriemen befestigt waren, die etwa in der Höhe Unterkante Brustbein bis mittleren Bauchraum hingen.2
Doch diese nierenförmigen Taschen scheinen es durchaus in sich zu haben.
Sie finden sich nicht nur im Frankenreich. Auch in den Vendel Gräbern sind sie zu finden. Ein besonders prunkvolles Unikat, bei dem der Klappendeckel aus Goldblech mit einem ziselierten Rankendekor verziert ist, soll von der nördlichen Schwarzmeerküste kommen3
Die “Gürteltaschen mit nierenförmigen Klappdeckel” haben an sich schon gewisse Probleme. Was erhalten blieb, waren immer nur Teile der “nierenförmigen Klappe”. Wie die eigentliche Tasche aussah, etwa in ihrer Tiefe und Höhe oder Form, wissen wir nicht. Und selbst von den Deckeln sind nur Fragmente erhalten. Schulze-Dörlamm führt in ihrer Fundkarte der Taschen lediglich 23 Taschen an4 Davon eine mit Goldblech, 11 mit Rahmen aus Eisen, 2 mit Rahmen aus Silber oder Gold mit Almandin, 2 mit Holzdeckel und 7 mit Rahmen aus Silber oder Bronze. Wenn es sie ihne Rahmen oder Holz gab, also nur aus Leder haben sie sich nicht erhalten.
Diese Taschen sollen aus Byzanz stammen, wie etwa eine Tasche Apahida ( Rumänien) aus dem dritten Viertel des 5. Jahrhunderts5 und kamen über Italien wohl ins Frankenreich.
Als älteste bekannte Tasche gilt eine mit cloisonierten Rahmen, die einem aus dem Osten stammenden Krieger zwischen 480 und 500 auf in einem Gräberfeld bei Basel mitgegeben wurde.6
Die späteste nierenförmige Tasche hingegen soll jene aus dem Grab von Sutton Hoo sein, die König Raedwald (+624/625) zugeschrieben wird.7. Doch wo der Franke noch persönliche Gegenstände in seiner Tasche trug, war Raedwalds Tasche mit fränkischen (!) Münzen gefüllt.
Ein weiteres Problem stellen einige sogenannte Taschenbügel dar. Alle Bügel bestehen aus einer Basis aus Eisen, bzw. kohlenstoffhaltigem Stahl, der dann mit Edelmetall versehen sein kann, das dann auch weiter verziert sein kann, zum Beispiel mit Cloisonné. Jedoch scheint an einer Stelle, meist der Längsseite, der Stahl offen zu liegen. Diese Bügel sind oftmals mit einer Schließe versehen, andere mit länglichen Öffnungen, die als Riemendurchzug interpretiert werden. Sowohl Durchzug als auch Schließe werden als Verschluss des Taschendeckels interpretiert.
Bei diesen einfachen, aber auch zum Teil stark verzierten Varianten soll es sich um Feuerschläger handeln.
Nach neueren Untersuchungen von Olivier Vrielynck und Gaëlle Dumont8 scheint sich diese Vermutung zu bestätigen. Demnach wären die, mitunter verzierten, Feuerschläger, lediglich mit ihrer Schließe an einem Riemen befestigt gewesen, während der eigentliche Taschenverschluss die Verlängerung dieses Riemens bildete, der etwa an der Unterseite der Tasche durch eine Schlaufe gezogen wurde.
Nach Schulze-Dörrlamm sollen diese Taschen jedoch nicht einfach nach dem Jahr 625 verschwunden sein.
Zwar lässt sich auf dem Kontinent keine dieser Taschen mehr finden, aber dies ist kaum verwunderlich, denn das Christentum verbreitet sich und Bestattungen sind nur noch selten mit Beigaben anzutreffen. Hinzu kommt, dass die einfachsten Varianten der nierenförmigen Tasche nur aus Leder gefertigt sind und der Erhalt organischer Materialien grenzt nahezu an ein Wunder.
Schulze-Dörrlamm sieht daher vielmehr eine Wandlung der Taschen. Aber nicht im fränkischen Raum, sondern in ihrer byzantinischen Heimat.
Schlüsselstück dieser Theorie ist die mit Goldblech verzierte Tasche vom Schwarzen Meer. In Byzanz sollen sich daraus Jagdtaschen entwickelt haben, die an Schulterriemen getragen wurden, genauso wie sich die magyarischen Tarszoly Taschen daraus entwickelt haben sollen9, die mit ihren markanten Beschlägen dann etwa im frühen 10. Jahrhundert auch in Birka und Röstahammaren gefunden wurden.
Als Beispiele für diese Jagdtaschen nennt sie einen Taschendeckel aus Elfenbein aus dem 11. Jahrhundert mit einer Höhe von 13,5cm und 14,7cm Breite ( Im Salierkatalog Reich der Salier S. 449) Eine Abbildung auf einem Relief aus dem 10 Jh. soll sich im Ausstellungskatalog “Bizantini, Croati, Carolingi. Alba e tramonto di regni e imperi” Nr. 365 Abb. 242 befinden. Den Katalog habe ich jedoch leider nicht und Schulze-Dörlamm benennt diese Relief auch nicht.
Doch was für eine Tasche trug der Franke nach dem 7. Jahrhundert am Gürtel?
Um ehrlich zu sein: Ich hab keine Ahnung.
Ich habe mir noch einmal Gräber aus Mähren des 9. Jahrhunderts angesehen, die noch Beigaben enthalten. Aber die Ergebnisse waren eher ernüchternd. Ein Kindergrab enthielt wohl einen Beutel mit Nüssen, aber nähere Informationen über diesen Beutel waren nicht auszumachen. Zwei weitere Gräber mit Beuteln, alle mit Fragezeichen versehen, gibt es noch.
Grab 580:
Eisernes Klappmesser (Rasiermesser) mit trapezförmigem Etui; die breitere Hälfte mit einem Lederband und Gewebe umwickelt, an dem ein größerer Fetzen faltenreichen Leders (wohl eines Beutels) haftet; L. 10,2 cm; Br. des schmaleren Endes des Etuis 1,4 cm; L. des Etuis 8,4 cm; Inv.-Nr. 3066 / 57. Nach dem Brand des Magazins nicht mehr zu identifizieren. Zeichnung im Inventar.
Mikulcice Die Nekropole an der dreischiffigen Basilika S.119
Diese Objekte fanden sich am unteren Ende des Grabes in Höhe der Füße. Die Tasche oder Beutel, wenn es denn einer war, befand sich also im Grab nicht am Gürtel.
Grab 457 Mikulčice:
Teil eines Lederbeutels (?), außen mit mehreren Gewebeschichten, innen Negativabdruck der Außenhüllen der beiden Messer ; Inv.-Nr. 2376 / 57. Beim Brand des Magazins vernichtet. Nicht gezeichnet.
Mikulcice Die Nekropole an der dreischiffigen Basilika S.77
Von diesem Objekt wissen wir also nicht mehr als diesen kurzen Textabschnitt.
Im heutigen Österreich findet sich vielleicht noch ein Hinweis. Jedoch erscheint dies auch eher alles theoretisch.
In Grab 56 im Gräberfeld Obere Holzwiese in Thunau fand sich noch eine Schnalle, die entweder Teil eines Gürtels oder aber möglicherweise den Verschluss einer Tasche , oder zu deren Befestigung am Gürtel diente.10 Ebenso in Grab 87 von Pitten Niederösterreich.
In Grab 30 von Matzhausen, Oberpfalz fand sich ein “wellenförmiger Beschlag” der als Taschenbügel gedeutet wird11
Es muss also zunächst offenbleiben wie eine karolingische Gürteltasche aussah. Möglicherweise ähnlich wie ein Zwischenstück zwischen nierenförmiger Tasche und Tarsoly Tasche. Andererseits verwirrt mich immer wieder das die nierenförmige Taschen, bzw. Deckelform im 13. Jahrhundert wieder auftaucht. War sie vielleicht nie weg?
R.Marti, Zwischen Römerzeit und Mittelalter S110 ↩
B. Sicherl, Das merowingische Gräberfeld von Dortmund-Asseln S29 ↩
M. Schulze Dörlamm, Rangabzeichen und Schmuck von Männern in Byzantinische Goldschmiedearbeiten im Römisch Germanischen Zentralmuseum S117 ↩
M. Schulze Dörlamm, Rangabzeichen und Schmuck von Männern in Byzantinische Goldschmiedearbeiten im Römisch Germanischen Zentralmuseum S120 Abb. 95 ↩
M. Schulze Dörlamm, Rangabzeichen und Schmuck von Männern in Byzantinische Goldschmiedearbeiten im Römisch Germanischen Zentralmuseum S118 ↩
A.M. Pülz und M. Schulze Dörlamm, Rangabzeichen und Schmuck von Männern in Byzantinische Goldschmiedearbeiten im Römisch Germanischen Zentralmuseum S118 ↩
M. Schulze Dörlamm, Rangabzeichen und Schmuck von Männern in Byzantinische Goldschmiedearbeiten im Römisch Germanischen Zentralmuseum 118/ 122 ↩
O. Vrielynck und G. Dumont, Fermoirs et/ou briquets ? Réflexions sur la typologie et la fonction de petits objets mérovingiens à partir de fouilles récentes en wallonie. ↩
M. Schulze Dörlamm, Rangabzeichen und Schmuck von Männern in Byzantinische Goldschmiedearbeiten im Römisch Germanischen Zentralmuseum 125 ↩
E. Nowotny Thunau am Kamp – Das frühmittelalterliche Gräberfeld auf der Oberen Holzwiese S84 ↩
E. Nowotny Thunau am Kamp – Das frühmittelalterliche Gräberfeld auf der Oberen Holzwiese S102 ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…