Umhängetaschen
Nach dem ich mich kurz mit den “Gürteltaschen mit nierenförmigen Klappdeckel” befasst habe, wollte ich mich nochmals mit Umhängetaschen auseinandersetzen. Ausschlaggebend war hier die Aussage Mechtild Schulze Dörrlamms, die, bezugnehmend auf eine Klappdeckel aus Goldblech vom Schwarzen Meer schrieb:
Deshalb ist sie (Die Tasche mit goldenem Deckelblech) eine frühe Vorläuferin der mittelbyzantinischen Beuteltaschen mit einem großen, rankenverzierten Klappdeckel aus Edelmetall, die von Jägern an einem Schulterriemen getragen worden sind (a) und im frühen 10. Jahrhundert den vornehmsten Ungarn und Wikingern (b) als Rangabzeichen dienten.
Hierzu gibt sie zwei Fußnoten an, von mir hier (a) und (b) genannt:
(a) nennt ein Elfenbeinrelief mit David-Szene aus der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts und einen italienischen Ausstellungskatalog, der diese Abbildung enthalten soll. Zwar habe ich bergeweise Ausstellungskataloge, nur eben keine Italienischen… Ich denke jedoch, die entsprechende Szene gefunden zu haben. Es sollte sich um den im Museo Nazionale del Palazzo di Venezia Rom, unter der Inventarnummer 1491 aufbewahrten “David Casket” handelt. Hier wird die Geschichte Davids erzählt. Auf der Rückseite gibt es die Szene des Kampfes Davids gegen Goliath und die Anschließende Köpfung Goliaths. In beiden Szenen trägt David eine Umhängetasche, in der er die Steine seiner Schleuder verwahrt, wie man im zweiten Bild klar sehen kann.
Die Köpfungsszene scheint am detailreichsten. Hier ist diese Tasche ist nach unten halbrund. Der Rand scheint verstärkt, Die Trageriemen scheinen an einer zusätzlichen Lasche befestigt. Ein metallener Klappdeckel kann ich aber beim besten Willen nicht ausmachen.
(b) verweist sie auf einen 3cm starken Elfenbeindeckel der im Katalog “Das Reich der Salier” abgebildet ist. Mit seiner Größe von 13,5cm x 14,7cm passt dieser in Form und Größe in die Kategorie der Tarsoly Taschen (Asgesprochen übrigens etwa Tarschoy) der Magyaren, auch wenn sie dies sicherlich nicht war.
Im Grunde sagt Schulze-Dörrlamm aus der Gürteltasche, vorallem jene mit einem Metalldeckel, wie sie am Schwarzen Meer gefunden wurde und die byzantinischen Werkstätten entstammt, habe sich zum einen die Tarsoly Tasche der Magyaren entwickelt und zum anderen eine ähnliche Umhängetasche.
Der Weg der Tarsoy Tasche
Eine Taschenplatte einer Tarschoy Tasche findet sich im Katalog von Europas Mitte um 1000 1. Sie ist mit einem zentralen byzantinischen Kreuz geschmückt. Die 13,6cm x 15,6cm goße Platte wird laut Katalog auf Grund ihrer Archaischkeit mitunter noch in das 9. Jahrhundert datiert und könnte damit noch im Etelköz, grob die Region der südlichen Ukraine und Moldau, entstandensein. Die offizielle Datierung ist die 1. Hälfte des 10. Jh.
Für die Magyaren bedeutet dies , dass sie die Tasche vor 896 kennen gelernt haben müssen, dem Beginn der ungarischen Landnahme. Zuvor befanden sich die Verbände u.a. im heutigen Gebiet der südlichen südlichen Ukraine und damit auch im byzantinischen Einflussbereich.
Nun aber zu den Umhängetaschen
Die Taschen von Sutton Hoo
Ursprünglich gab es im Sutton Hoo Schiffsbegräbnis (ca. 625 ) neben der nierenförmigen Gürteltasche auch drei weitere Taschen. Tasche 1 scheint derart fragmentiert, dass zu ihr keine weiteren Aussagen getroffen werden können. Marquita Volken, Quita Mould und Esther Camaron2 werteten jedoch die original Unterlagen und Fotografien erneut aus und konnten so Aussagen zu Tasche 2 und 3 treffen, die übereinander auf einem paar Schuhen im Grab abgelegt worden waren. Über und unter diesem Lederkonglomerat waren Metallschüsseln abgelegt, was den Erhaltungszustand förderte. Unter dem ganzen Paket fanden sich die fragmentierten Reste eines Kettenhemdes.
Die beiden Taschen bestanden demnach aus einem U-förmigen, oben offenen Taschenkörper. Auf seiner Vorderseite war am oberen gerade Ende ein längerer, aber ebenso u-förmiger Deckel befestigt, der die Tasche verschloss. Auf dem Deckel saß mittig eine Schließe. Ein Riemen war auf der Außenseite des u-förmigen Beutels befestigt, der durch einen Schlitz im Deckel durch die Schließe geführt wurde und in einer Riemenzunge auslief.
Am Taschenkörper und Deckel war am oberen Ende, links und rechts zwei Schließen angebracht um einen Tragegurt zu befestigen.
Die Deckel von Tasche 2 hatte eine Größe von ca. 25cm Länge x 15cm Breite, Tasche 3 war etwas kleiner (Maße waren nicht angegeben).
Die Überlänge des Deckels im Verhältnis zum eigentlichen Beutel sorgte dafür, dass der Beutel vollgestopft und ausgebeult sein konnte, der Deckel den Beutel aber dennoch auf der ganzen Länge bedeckte.3
Die Tasche von Krefeld-Gellep
Im Kammergrab 2268 von Krefeld-Gellep (ca. 580-600) fand sich eine auf einem Wagen beigesetzte Frau. Innerhalb eines Bronzekessels fanden sich die gut erhaltenen Reste einer Tasche.
Der eigentliche Beutel des Taschenkörpers ist wieder U-förmig mit einer Größe von ca. 18 x 17 cm. Am oberen Ende des Beutels ist ein Lederdeckel mit mehreren Nieten befestigt, der die Tasche abdeckte und eine Größe von 25,5 x 22,5 cm besitzt. Dieser Deckel ist mit Schlitzungen, Fäden und Paspeln verziert, die in der Mitte eine freie Rechteckige Fläche bildet, auf der eine Schnalle sitzt.
Der Verschluss der Tasche erfolgte analog zu den Taschen von Sutton Hoo. Wieder war an der U-förmigen Tasche ein Riemen befestigt, der durch eine Schlitzung auf dem Deckel in die Schließe geführt wurde und außen auf dem Deckel in einer Riemenzunge auslief.
Ebenso besaß die Tasche wieder zwei Schnallen am oberen Ende, diesmal jedoch nicht direkt mit der Tasche verbunden, sondern am Taschendeckel war ein weiteres kurzes Stück Riemen mit Beschlagplatte befestigt, an dem die Schnallen angebracht waren. Da sich der Umhängeriemen nicht vollständig erhalten hatte, waren davon nur noch die Riemenzungen erhalten, die durch die Schließen gesteckt waren. 4
Weitere Taschen
Marquita Volken et. al. nennen weitere Taschen, die nach diesem Schema aufgebaut scheinen.
Als Beispiel, bzw. stellvertretend für eine Gruppe von Taschen, nennt sie den Fund von Lich-Steinstraße (Kreis Düren)
5 Jedoch war diese Tasche wahrscheinlich nur mit einem Einzelnen Riemen am Gürtel befestigt.
Weiterhin wird Grab 8 von St. Ulrich und Afra in Augsburg genannt. Hier fanden sich mehrere Teile eines durch geflochtenen Leders. Ein Teil des Leders wird als in der Originalpublikation als Teile eines Armbesatzes eines Leinenhemdes/Leinentunika gedeutet, der andere durchflochetene Besatz der sich daneben befand als Teil des Stulpen eines Handschuhs, da zwei solche Besätze übereinander an einem Ärmel keinen Sinn ergeben.6 Volken schlägt vor das diese durchflochtene Verzierung Teil eines Taschendeckels war und ein Stück Leder mit halbrunder Biegung Teil des Taschenkörpers.
Zur Aufhängung der Taschen am Riemen mittels zweier Schließen
Die Tasche von Krefeld Gellep und Sutton Hoo besaßen zwei Schließen die die Tasche mit einem Schulterriemen mit zwei Gürtelzungen verband. Die Schließen legen nahe das eine Längenverstellung des Schulterriemens über diese Schließen erfolgte, nicht wie heute über eine einzelne Schließe oder einen Schieber. Vorteil ist das der Riemen ohne weitere Probleme gewechselt werden kann.
Auch auf dem Elfenbeinrelief mit David-Szene aus der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts wäre diese Möglichkeit gegeben, wenn dann die Verdickungen am unteren Teil des Riemens Schließen darstellen.
Sicher ist jedoch das diese Art der Befestigung der Taschen am Riemen nicht nur eine Sache der Merowingerzeit ist. Auch im Harley Psalter , einer Kopie des Utrechter Psalters aus dem 11. Jahrhundert ist eine U-förmige Tasche, jedoch mit kleinerem Taschendeckel zu sehen, deren Riemen mittels 2 Schließen an der Tasche befestigt ist. (Harley Psalter f.66v ). Auf dem Gegenstück des Utrechter Psalters auf f.65v ist aber nur eine u-förmige Tasche zu sehen. Details bleiben verborgen.
Einschub: Ein unvergleichliches Reliquiar
Das Hildesheimer Marienreliquiar, dessen Aussehen von Wikipedia als “ eigentümliche halbkreisartige, nach unten geöffnete Form der Kapsel ohne Vorbilder” bezeichnet. Könnte tatsächlich einfach auf dem Kopf stehen. Umgedreht könnte sie eine U-förmige Tasche darstellen.
Das Reliquiar konnte ursprünglich auch um den Hals getragen werden, jedoch sind die Befestigungen dafür, ebenso wie der Originaldeckel von dem man annimmt es war ein Schiebedeckel, längst verschwunden.
Damentasche am Gürtel
Diese Taschen sind auch auf der Sion Pyxis zu vermuten, bei der zwei Frauen am leeren Grab Christi stehen und mit Taschen oder Behältnissen in der Hand abgebildet sind. Manuela Studaer-Karlen nennt jedoch als Möglichkeit diese Objekte als eine an einer Kette befestigtes Weihrauchgefäß7
Einschub/Anmerkung zu den merowingischen Damentaschen
Das von mir für die Beschreibung der Tasche von Krefeld-Gellep verwendete Paper von Max Martin befasst sich eigentlich unter dem Titel “Tasche oder oder Täschchen? Zu einem Accessoire der merowingischen Frauentracht” mit den Beschlägen auf merowingischen Frauentaschen, ähnlich denen von Lich-Steinstraße (Kr. Düren). Ihm fiel auf das diese Beschläge, meist mit vier Winkeln, immer eine Größe von 14 -13cm Höhe und 11,5 – 12,5 cm bilden – definiert durch die Lage der Winkel. Diese Fläche deckt sich in der Größe mit der Freifläche, die die Tasche von Krefeld-Gellep in ihrem Zentrum bildet. Er stellt daher die Frage ob es nicht kleine Täschchen waren ware, sondern große Taschen mit der Größe der Tasche von Krefeld-Gellep, was bisher nicht festgestellt werden konnte , da sich bei diesen kein Leder erhalten hatte.
Tarsoly
Der Hauptunterschied zwischen den Tarsoly und den oben genannten Taschenmodellen stellt der Verschluss der Tasche dar. So sind bei den Tarsoly drei Verschlussmöglichkeiten auszumachen:
- In dem Deckel befindet sich ein Durchbruch. In dieser Öffnung befindet sich ein Riemendurchzug der auf der darunterliegenden, eigentlichen Tasche befestigt ist. Über die Vorderseite der Tasche läuft ein Riemen, der durch den Durchzug gesteckt wird und so die Tasche verschließt. ( Beispiel: Kryukovo Kuznoye Grab 256, Martan-Chu, Gnezdovo C160, Birka Bj93 )
- Grundaufbau identisch wie 1. jedoch befindet sich auf der eigentlichen Tasche kein Durchzug, sondern ein Haken der den Deckel festhält. ( nur Birka Bj716 ) Stellt diese vielleicht Flickwerk nach Verlust des Durchzugs dar?
- Wahrscheinlich kam diese Lösung bei allen Taschen mit massiven, aufgesetzten Metalldeckeln zum Zug. Auf der Rückseite der Tasche verläuft ein Riemen nach unten und endet in einer Schließe. Aus dem Leder des Deckels lauft ein Riemen, der nun durch die Schließe geführt werden kann und die Tasche verschließt. Auf diesem Riemen ist zusätzlich ein weiter Riemen aufgenietet, der auf der Schauseite den Eindruck erweckt, locker nach unten zu hängen. Er läuft in einer Riemenzunge aus. (Beispiel Panovo Grab 2 )
Häufig sieht man bei Tarsoly Taschen, die man fertig kaufen kann, zwei Gürtelschlaufen. Dies ist falsch. Bei den erhaltenen Gürtelschlaufen ist immer nur eine , recht schmale Schlaufe mittig vorhanden, etwa bei Panovo, oder Martan-Chu.
Dies haben die Tarsoly mit den scheinbar mit einigen Damentaschen und wahrscheinlich auch mit einigen Gürteltaschen der Herren der Merowingerzeit gemein.
Eine im tschetschenischen Dorf Martan-Chu gefundene Tarsoly ist fast vollständig erhalten. Sie scheint im Aufbau den oben genannten Taschen ähnlich.
Eine byzantinische Arzttasche
Durch Zufall stieß ich auf einen Blogeintrag bei https://nautahistoriae.com/2021/08/19/romer-und-taschen/ . Dort wurde auf Abbildungen der Heiligen Cosmas und Damian hingewiesen. Die zwei Heiligen sind in Byzanz sehr beliebt. Sie werden gerne mit einer “Arzttasche” abgebildet. Kurzgesagt eine trapezförmige Tasche mit dreieckigem Deckel. Dies soll in diesem Zusammenhang kurz erwähnt sein.
S186 ↩
Marquita Volken, Quita Mould und Esther Camaron, A Reassessment of Leatherwork from Sutton Hoo Ship Burial ↩
Beschreibung nach Marquita Volken, Quita Mould und Esther Camaron, A Reassessment of Leatherwork from Sutton Hoo Ship Burial ↩
Beschreibung nach: M.Martin Tasche oder Täschchen? Zu einem Accessoire der merowingischen Frauentracht ↩
(B. Päffgen Ausgrabungen, Funde und Befunde 1993 in Bd. 195.1995(1996): Bonner Jahrbücher S542 ↩
nach J.Werner Die Ausgrabungen von St. Ulrich und Afra ↩
M. Studer-Karlen, Zur spätantiken Elfenbeinbyxis ins Sion in Boreas – Münstersche Beiträge zur Archäologie Band 33 2010 S50 ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…