Warum es keine karolingische Pillbox gibt, ich aber trotzdem eine nähen werde
Als Karolinger hat man ein Problem. Die Frage was man sich denn auf den Kopf setzt. Das verkehrshütchenartige Dings (das wohl eine Krone sein soll) aus liber legum kanns ja mal nicht sein.
Da wird der ein oder andere sagen: “ Ach was! Schlumpfmütze geht immer!“. Mit Schlumpfmütze ist die Phrygische Kappe gemeint. Wenn man nach einer Quelle fragt, wird in der Regel mit dem Stuttgarter Psalter geantwortet. Wer es etwas Handfester mag, kann hier Kurt Tackenberg zitieren aus „Über die Schutzwaffen der Karolingerzeit und ihre Wiedergabe in Handschriften und auf Elfenbeinschnitzereien“ (Frühmittelalterliche Studien Band 2 1969) zitieren möchte:
Wenn auf den Haaren eine Bedeckung sitzt, die in eine nach vorn gezogene Spitze ausgeht, also die Form einer phrygischen Mütze hat, kommt am ehesten für die Herstellung Wollstoff in Betracht; wenn die Kappe rundlich-gewölbt gehalten ist
Tackenberg Über die Schutzwaffen der Karolingerzeit und ihre Wiedergabe in Handschriften und auf Elfenbeinschnitzereien S278
— evtl. mit einem abgesetzten Rand oder mit einem Knopf als Abschluß —, kann sie aus Eisen oder Leder gewesen sein
Nur hat die Darstellung im Psalter mal so richtig ein Problem und somit auch die Betrachtung Tackenbergs, der lediglich beurteilt was er sah aber seine Quellen nur sehr eingeschränkt hinterfragt. Auf Grund ihrer Offensichtlichkeit hatte ich sie nicht mal in meiner Beschäftigung mit dem Psalter das Problem nicht einmal erwähnt. Für Florentine Mütherich, die denn Psalter bearbeitete, war diese Darstellung im Psalter ein Hinweis das die Vorlage aus dem Raum Ravenna stammen könnte.
Es handelt sich um die Darstellung der Weisen aus dem Morgenland/ Der heiligen drei Könige auf Folio 84r. Die Darstellung der Weisen erfolgt auf gleiche Weise wie die Abbildung der Drei in Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna: Phrygische Kappen, einer ohne Bart, einer mit grauem Bart und glatten Haaren , einer mit dunklen Haaren und Locken. Sogar die Beinhaltung ist ähnlich. Mütherich geht daher davon aus das es sich bei dieser Abbildung um eine direkt kopierte Vorlage handelt. In der Antike, auch in Byzanz, hatte man natürlich Kontakt mit Persien und den Sassaniden. Dort trug man durchaus diese Mützen. Und sie kamen aus einer Region die im Osten von Bethlehem lag. Wenn also Weise oder Magier aus dem Osten , in der Bibel sind in der griechischen Urform die Rede von Magoi – allgemein iranische Priester, dargestellt sind, dann kann man sie auch so malen wie man diese Personen aus dem wahren Leben jener Zeit kennt: Mit der für ihre Tracht typische Kopfbedeckung.
Zwar gibt es Funde aus York, aber eben York. Da ist mal so ein Ärmelkanal und halb England dazwischen. Für die Mützenfrage bedeutet das , das die Schlumpfmütze relativ raus sein sollte, zumindest wenn man es genau nimmt!
Die nächste Stimme sagt dann: „Pillbox, Pillbox geht immer! Steht doch in der Wikipedia das der Pileus bis ins Frühmittelalter getragen wurde“. Ja und ? Das das da steht heißt nicht das das auch stimmt und das Frühmittelalter ist auch recht lang! Und wenn der im Frühmittelalter in in Tumbuktu-Süd oder Kuweit-im-Winkel getragen wurde heißt das auch nicht das der Karolinger den auf der Zwölf hatte. Siehe York und die Phrygische Kappe.
Spaß bei Seite! Im feuchten Milieu der niederländischen Erde, speziell in Friesland haben sich einige Textilien erhalten die Kopfbedeckungen sind. Zum Beispiel die Kopfbedeckung von Dokkum Berg Sion. Auf einer Warft fand sich ein Textil das von Chrystel Brandenburgh als eine Kopfbedeckung gedeutet wird. Diese könnte ähnlich wie ein Kopftuch getragen worden sein1 und Brandenburgh sieht darin die Haube einer Frau, oder aber zumindest eines Trägers mit langen Haaren. Das Problem dieses Textils ist die Datierung: 568-651 mittels C14. 2. Zeitlich ist diese Kopfbedeckung damit raus.
Eine weitere Kopfbedeckung fand sich in Oostrum. Diese Kopfbedeckung bestand aus weißer Wolle die in einem hellen rot gefärbt worden war. Die Grundform ist die einer Pillbox, doch die Umrandung, die aus einem Stück besteht, reicht spitz zulaufend bis in den Nacken.3 Hier ist die Datierung ein klein bisschen gnädiger: 700-900.
Die Kopfbedeckung aus Aalsum ähnelt ebenfalls einer Pillbox und ist im Grunde eine Mütze die der aus Oostrum gleicht. Die „Wand“ der Pillbox besteht dabei aus zwei Teilen, wobei die potentielle Nackenpartie auch wieder länger ist, so dass sie bis in den Nacken reicht. Oder ist es die Vorderseite die nach oben geschlagen wurde? Die Datierung ist identisch mit Oostrum: 700-900.
Auch in Rasquert wurde eine Mütze gefunden. Wieder ist die Pillbox die Grundform, wobei diese leicht konisch ist. daran setzt eine Art Schild oder Verlängerung an. Wenn die Mütze mit diesem Schild nach vorne getragen wird sieht die Mütze aus wie eine Baseballcap, die Mützen eines Soldaten des Sezessionskrieges, oder aber wie die Mütze eines Imperialen Offiziers bei Star Wars! Nach den vorangegangen Mützen tendiere ich aber eher dazu diesen Schirm im Nacken zu sehen. Eben wie bei den anderen Mützen auch! Hier ist die Datierung ein bisschen genauer: 800-900.
Aus Leens dagegen stammt eine vollwertige Pillbox. Wobei auch diese im Nacken vielleicht 1cm länger ist als in der Front. Die Datierung ist mit 600-900 sehr weit gefasst.
Nach dieser Liste an Mützen mag man jetzt sagen das das doch alles passt, aber da sind immer noch zwei Hauptprobleme! Zum einen die Datierungen. Eine Datierung vom Jahr 600 bis 900 ist super weit gefasst. Das Problem ist das viele der Funde lange Zeit in Museumsarchiven vor sich hin schlummerten bis Chrystel Brandenburgh an der Universität Leiden mit ihrer Doktorarbeit „Clothes make the man, Early medieval textiles from the Netherlands “4 begann und diese Funde nach fast 100 Jahren sichtete. Die Datierungen stammen dabei in der Regel aus dem Kontext der Gesamtfunde eines Fundortes. Eine C14 der Textilien erfolgte daher bisher nicht. Soweit das Datierungsproblem. Viel schwerwiegender ist jedoch ein anderes Problem.
Auch wenn das nahe Dorestad ein extrem wichtiger karolingischer Handelsposten mit eigener Münze war, liegt er doch in friesischem Gebiet. Die Textilien werden als friesisch angesprochen. Es ist richtig das friesische Mäntel ein wichtiges Exportgut nach Franken waren und Karl der Große sogar einen solchen an Hārūn ar-Raschīd als Geschenk gesandt haben soll. Gleichzeitig soll dieser aber gemault haben das die Mäntel zu kurz seien und sie nicht als Bettdecke zu gebrauchen sind. Der letzte Abschnitt stammt vom „Geschichtenerzähler“ Notger aus der Gesta Caroli, der aber erst fast 30 Jahre nach Karls Tod geboren wurde. Dürfte also maximal Hörensagen bzw. anekdotisch sein. Dennoch scheint die friesische Kleidung den Franken auch in Notgers Zeit zumindest noch fremdartig erschienen zu sein.
Letztendlich ist es ein bissschen wie mit der Hose: Wir haben aus karolingischer Zeit keine gefundene Hose. Wir orientieren uns an völkerwanderungszeitlichen Funden wie Thorsberg und Damendorf, weil es eben nichts besseres gibt. Aber zumindest wissen wir das Hosen getragen wurden, sie sind oft genug abgebildet und in Texten erwähnt. Nun ist eine Mütze nicht ganz so notwendig wie eine Hose, zumal man sich ja auch noch den Mantel über den Kopf ziehen kann und von Abbildungen kennen wir sie so nicht. Aber schön wärs doch wenn man für den Notfall was auf der Zwölf hat.
Meine Entscheidung fiel daher auf die Pillbox. Ich denke es ist wahrscheinlich zeitlich und lokal doch das Nächste, das wir zur Zeit finden können. (Abgesehen von Birka Naalbinding-Mützchen) Falls sich jemand die Funde, und ihre wirklich faszinierenden Ziernähte einmal anschauen möchte , dem sei die oben erwähnte Publikation von Christel Brandeburgh ans Herz gelegt. (Link in den Fußnoten)
Chrystel Brandenburgh, Early medieval textile remains from settlements in the Netherlands. An evaluation of textile production, Journal of Archaeology in the Low Countries, Vol 2.1. S70 ↩
C. Brandenburg, Early medieval textile remains from settlements in the Netherlands. An evaluation of textile production, Journal of Archaeology in the Low Countries, Vol 2.1. S44 und E. Coatsworth u. G. R. Owen-Crocker, Clothing the Past S44 ↩
Die Zeitsprung Handweberei hat sie nachgebaut: https://www.zeitensprung-handweberei.de/2018/07/24/m%C3%BCtze-aus-oostrum/ ↩
Muss man nicht bei Amazon für 70€ Kaufen, die Uni bietet es als download an: https://scholarlypublications.universiteitleiden.nl/handle/1887/39627 ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…