Tuniken und asymmetrische Schlitzungen
Ich bin ja dabei, nach einer unrühmlichen Begegnung mit Motten, mir eine neue Tunika zu nähen. Um meine Finger wieder an Nadel und Faden zu gewöhnen, habe ich zuvor eine neue Untertunika genäht. Die Alte ist zwar noch in Ordnung, aber aus einer Zeit als ich 60kg mehr wog und daher entsprechend zeltartig.
Da ich mich schon des öfteren über den Halsauschnitt Gedanken machte, habe ich der Untertunika einen asymmetrischen Ausschnitt verpasst. Dies geschah nicht einfach nur aus Lust an der Laune, sondern basierte auf Funden, weshalb ich mir einmal ein paar Beispiele ansehen möchte. Dabei gehe ich Zeitlich rückwärts.
Im 12. Jahrhundert begegnen uns gleich zwei Kleidungstücke mit assymetrischer Schlitzung. Beide gehören zu den Reichskleiodien und stammen ursprünglich vom Sizialinischen Königshof. Es sind die blaue Tunicella (Dalmatika) und die Albe. Die Tunicella wurde ursprünglich Mitte des 12. Jahrhunderts für Roger II von Sizilien gefertig, die Albe 1181 für Wilhelm II von Sizilien. Über die Ehe von Konstanze von Sizilien, Tochter von Roger II., mit Kaiser Heinrich VI. kamen die Kleidungsstücke zu den Reichskleinodien und gehören seit Friedrich II. zum Krönungsornat.
Die blaue Tunicella besitzt einen ungewöhnlich langen Einschnitt auf der linken Seite, der in der oberen Hälfte mit einer Webborte verziert ist. Vom Schulterteil ist durch den Brustteil eine Band geführt das mittel eines Knotens die Kragen schließt.
Die Albe wird identisch geschlossen. Sie ist jedoch wesentlich reicher verziert und nicht ganz so tief geschlitzt. Der Trägerstoff ist erneuert. Ursprünglich war er nicht weiß sondern rot.
Was die Art des Kragenverschlusses und auch der allgemeinen Ausführung der Textilien angeht, wird davon ausgegangen das Sarazenische Handwerker diese angefertigten, was auch auf Grund der kufischen Schriftzeichen nachweisbar ist. Ihre Form, vorallem die Halsausschnitte werden auf die Beziehungen mit Byzanz zurückgeführt und der Imitation von byzantinischer Kleidung. Inwieweit dies Korrekt ist, lasse ich mal unbesprochen. denn es gibt auch ältere Kleidungsstücke.
Ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert stammt wohl die sogenannte Albe von St. Bernulphus, bei der es sich aber eher um ein Kleidungsstück Friedrichs I Barbarossa handelt, das dieser der Kirche in Utrecht stiftete12 . Die Albe wird Ebenfalls auf der linken Seite geschlossen. Bei den vorhergehenden Kleidungsstücken reichte der Vorderteil etwa bis aufs Schlüsselbein, hier nun, wieder als zusätzlicher Latz ausgeführt, reicht er bis zur Schulter wo er wieder mit einem Band geschlossen wird.
Die Viborg Tunika wird in das 11. Jahrhundert datiert. Sie besitzt insgesamt einen eher ungewöhnlichen Schnitt, der möglicherweise persische Vorlagen aufnimmt. Sie hat einen quadratischen Halsausschnitt mit einer Schlitzung auf der rechten Seite. Es ist die einzige Tunika bei der ich eine Schlitzung auf der rechten Schulter des Trägers fand.
Aus dem frühen 11. Jahrhundert stammt wiederum ein Kleidungsstück das wahrscheinlich Heinrich II. zuzuordnen ist. Es handelt sich um die sogenannte Bamberger Tunika. Heute befinden sich die Saumbesätze aus besticktem Samit auf einem weißen Baumwollsatin, auf dem sie 1955 aufgebracht wurden.Vorher befanden sie sich auf dem sogenannten “Kunigundenrock”, der vielfach geflickt, ausgebessert und verändert wurde. Die ältesten Stoffteile dieser Tunika (Seidengewebe mit Greifen und Panthern) stammen wiederum aus dem 11 . Jahrhundert. Es ist unklar ob dies der Originalstoff ist oder aber eine spätere Ausbesserung mit einem alten Stoff.
Der Kragen der Tunika ist wieder etwas besonderes. Zunächst besitzt er einen V-Auschnitt, dieser hat aber, vom Träger aus gesehen links, eine Schlitzung. Die aktuellste Veröffentlichung zu diesem Kleidungsstück nennt als mögliche Vorlage den Loros der byzantinischen Kaiser , der hier reduziert aufgenommen wurde.3
Die Skjoldehamn Tunika wird ins frühe 11. Jahrhundert datiert. Um genau zu sein besteht der Fund aus zwei Tuniken. Einer Obertunika mit V-Auschnitt und einer Untertunika mit Stehkragen. Die Untertunika besitzt in ihrer Grundform einen Schlüssellochauschnitt mit zentraler Schlitzung. Diese wird jedoch durch einen “Latz” verdeckt der auf der linken Seite mit einem Knopf verschlossen wird.
Ihr Fund in Nord-Norwegen als auch die Verzierungen könnte auch auf Samische Verbindungen hinweisen.
Eine ganz ähnlich gestaltete Tunika kann man im goldenenen Psalter von St. Gallen sehen, und zwar in der Darstellung des König David.4 Der Goldene Psalter wird in das späte 9. Jahrhundert datiert. Ob er in St. Gallen oder vielleicht in Soisson entstand ist unklar, ebenso sein Auftraggeber. Man geht davon aus das er von Mönchen gefertigt wurden, die aus der durch Nordmänner zerstörten westfränkischen Hofschule geflohen waren.
Und nun zum ältesten Stück. Der Tunika des Mannes von Bernuthsfeld. Jene Tunika aus unzähligen Flicken, die ins späte 7. oder frühe 8. Jahrhundert datiert wird. Wie auch die Untertunika aus Skjoldehamn besitzt diese Tunika einen Stehkragen und wieder wird dieser auf der linken Seite mit einem Band geschlossen. Nun stammt der Mann aus Friesland, also nicht aus dem Fränkischen Reich direkt. Die Ausführung der Tunika lässt nicht vermuten das ihr Träger großartig Kontakt mit Byzanz gehabt hätte.
Wenn also Herrschergewänder die assymetrische Schlitzung nutzen, besteht zwar durchaus die Möglichkeit der Inspiration aus byzantinischen Kaisergeändern. Wohl am ehsten trifft dies auf die Varianten mit V-Auschnitt zu. Es scheint aber dennoch auch sonst schon in Europa bzw. Zentraleuropa entsprechende Variante einer assymetrischen Ktagenschlitzung gegeben zu haben.
H. L. M. Dofoer, De zogenaamde albe van Bernulphus: een onderdeel van een keizerlijk ornaat 2004 ↩
Mechthild Flury-Lemberg sieht die Albe im 11. Jahrhundert, siehe E. Coatsworth, G.R. Owen-Crocker, Clothing the Past, S.183 ↩
N.Jung, H. Kempkens (Hrsg) Die Bamberger Kaisergewänder unter der Lupe S.60 ↩
St. Gallen, Stiftsbibliothek / Cod. Sang. 22 p2 ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…