Der „Mantel“ des hl. Martin als Reliquie
Wenn ich mal irgendwie noch mal gezwungen wäre mir irgend eine andere zeitliche Darstellung auszusuchen würden mich zwei Sachen reizen: Ein polnischer Flügelhusar vor Wien, wegen der Flügel und die andere wäre ein berittener römischer Soldat, der als Scolares alae zur Scolares palatinae, der kaiserlichen Leibgarde gehört1 Und das nur, um zu sagen, dass St. Martin so ausgesehen haben könnte und ich am 11.11. klugscheißend den Plastikrömern mit ihren roten Mänteln entgegen treten könnte.
Was hat Martin dem Bettler am Stadttor von Amiens gegeben?
Martins Mantel in der Militärzeit entspricht zunächst nicht der Vorstellung des klassischen roten Mantels. Es war eine weiße chlamys. Dies war die Uniform der candidati ( wörtlich: die in weiß Gekleideten ) 2 Sulpicius Severus setzt die Erwähnung der weißen Chlamys der candidati in seiner Martins Hagiographie aktiv ein und spielt mit den Begriffen wenn er Martin als baptismi candidatus3 (also der Kandidat für die Taufe) bezeichnet.
Übrigens notiert die Wikipedia “Die Gardisten trugen über dem Panzer die Chlamys, einen weißen Überwurf aus zwei Teilen, der im oberen Bereich mit Schaffell gefüttert war”4
Eine solche Chlamys fand ich nirgends!5 Dagegen fand ich Kleidungsstücke wie Guanaka/kaunaki (Ein schwerer Mantel mit aufgerautem Flor auf der Innenseite), Melote der das gleiche wie der Guanako bedeuten kann, aber auch ein auf den Schultern verknotetes Schaffell sein kann aber, wie gesagt, keinerlei Chlamys die mit Schaffell gefüttert wäre.
Die Chlamys jener Zeit bestand aus einem Oval, genäht aus zwei länglichen Halbkreisen, die zusammengelegt wurden und so wieder einen lang gestreckten Halbkreis bildeten. Dieser wurde dann auf der rechten Schulter mit einer Zwiebelknopffibel geschlossen .
Wollte der Soldat Martinus den Mantel teilen, hätte er rein theoretisch nur die Mittelnaht der zwei Halbkreise auftrennen müssen und hätte zwei gleiche, halbkreisförmige Mäntel. (Hört sich irgendwie gar nicht mehr so aufopferungsvoll und spektakulär an…)
Dieser Mantel, so will es die Sage, wird später unter dem Begriff “cappa” zur fränkischen Staatsreliquie und gibt der Kapelle und den Kaplanen ihren Namen.
Wer schreibt was über den “Mantel”?
Sulpicius Severus, der Martinus noch persönlich kennengelernt hatte und die erste Hagiographie des Martinus schrieb, nennt das Kleidungstück Chlamys, ebenso etwas später Paulinus.
Venatius Fortunatus (+600-610), der mit seiner Vita Martini auf den Vorherigen Autoren aufbaut, nennt zusätzlich noch vestis, also Kleidung, aber nutzt ebenso die Begriffe palla, tegmen abolae, was sehr allgemein etwas “abdeckendes” bezeichnet.
Das nun in den zeitnahen Hagiographien, wie etwa Sulpicius oder Paulinus nur eine chlamys erwähnt wird, nie aber eine capella oder cappa, hat schon länger für Verwirrung gesorgt6
Cappa oder Capella bezeichnet aber, wenn es als Kleidungsstück gesehen wird, ein Kleidungsstück mit integrierter Kapuze. Die aber trugen römische Soldaten der Kaisergarde um 350 nicht. Als Kopfbedeckung wurde der pileus pannonicus verwendet.
Das Wort cappa, bzw. capella findet erstmals nachweislich im Jahr 682 Verwendung. Also weit nach dem Tod Martins und den Aufzeichnungen der Hagiographen. Es ist eine Urkunde des Merowingerkönigs Theuderich III. vom 30. Juni 6807 In dieser ist verzeichnet, das im königlichen Bethaus8 ein Schwur über der “capella” des Martin geleistet wurde ( … in oraturio nostro super capella domni martine ).
Die Marionette des karolingischen Hausmeiers Pippin dem Mittleren, Theuderich III. war aber nicht aus heiterem Himmel in den Besitz jener ominösen cappa/capella gekommen.
Das Grab des Heiligen Martin
Gregor von Tours hatte das Grab des Heiligen Martin beschrieben und nennt eine ein großes Tuch (pallium) das das Grab des Heiligen bedeckt ( …de palla, quae sanctum tegit tumulum ). Er beschreibt das Grab etwa in der Zeit um 590. Zudem war er persönlich mit Venatius Fortunatus (Autor des De virtutibus Martini Turonensis, einem Versepos über Martinus) befreundet. Beide kannten also Grab in diesem Zustand.
Dieses Aussehen hatte es wohl bereits seit etwa 470. Der 461 ins Amt gekommen Bischof Perpetuus von Tours empfand die bisherige memoria des Martinus als nicht mehr ausreichend für die Menge an Pilgern, die zum Grab kamen. Er ließ eine neue, 160 Fuß lange, 60 Fuß breite, mit 120 Säulen ausgestattete Kirche bauen. Mit der Fertigstellung des Gebäudes um 470 ließ er den Sarg des heiligen Martinus erheben, ohne ihn jedoch zu öffnen, und versetzte ihn in die Apsis der neuen Kirche hinter dem Altar. Dort war er wohl wieder in den Boden gesetzt worden, denn Bischof Euphronius von Autun ( mit dem Gregor von Tours verwandt ist) (472-75) stiftete einen Stein, der auf dem Grab platziert wurde. Dabei ist nicht klar ob es nur eine (Marmor-) Platte oder eine Art Tumba war die die bessere Sichtbarkeit des Grabes aus dem Kirchenschiff ermöglichte910
Anfang des 7. Jahrhunderts erfuhr das Grab im Auftrag des Merowingers Dagobert eine Veränderung. Dieser beauftragt den Goldschmied Eligius von Noyon, der später selbst Bischof werden sollte, mit dem Bau eines neuen Grabmals mit Gold und Edelsteinen ( Sed praecipue beati Martini Toronus civitate, Dagoberto rege inpensas praebente, miro opificio ex auro et gemmis contexuit sepulchrum )11
Es wird davon ausgegangen, dass der Totalumbau des Grabes verständlicherweise mit der Öffnung des Grabes einherging. Dabei geriet etwas in königlich merowingische Hände, dass diese cappa werden sollte, über die 680 dann der Eid geleistet wird.
Wie sah ein Bischofsgrab des 4./5. Jahrhunderts aus?
Ein Bischofsgrab jener Zeit ist in Teilen in Trier erhalten. Es ist das Begräbnis des Bischofs Paulinus von Trier. Jedoch hat das Grab ein Problem. Paulinus starb 358 in der Verbannung in Phrygien, nachdem er sich auf die Seite Athanasius des Großen gestellt hatte, der vehement gegen den Arianismus predigte. Damit hatte sich Paulinus den Unmut von Kaiser Constantius II. zugezogen, der ihn aus Trier entfernte und verbannte.
Als Paulinus 358 in Phrygien starb, wurde er dort zunächst beigesetzt. Eine Fliegenpuppe, die im Schädel gefunden wurde, deutet auf diese Region. Wahrscheinlich in der Zeit des Bischof Felix von Trier (386-398) wurde seine Leiche von seinen Anhängern nach Trier überführt und dort erneut beigesetzt. Bereits in Kleinasien war seine Leiche für den Transport präpariert worden. Er war in verschiedenste Leinen und Seidentücher gehüllt worden und so in einem Zedernholz Sarg mit Bronzebeschlägen und (Trage-)Ringen gebettet worden. Dieser wurde dann in Leinen und Seide gewickelt, die möglicherweise mit einer Substanz an den Sarg geklebt wurde, die bei späteren Untersuchungen als “Mehlpapp” bezeichnet wurde. In diesem Zustand wurde er in Trier beigesetzt und erstmals 1402 und dann 1883 wieder geöffnet. 12
Ein weiteres Trierer Grab einer bedeutenden Persönlichkeit findet sich mit Grab 279 aus St. Maximin. Der Tote trug ein violettes Untergewand und eine rötliche Seidentunika aus Blöckchendamast. Beides reichte etwa bis an die Knöchel. Die Tunika besaß zwei eingewebt wollene, purpurfarbene Clavi, die bis zur Taille reichten. Der Tote war dann mit einem feinen Scheiergewebe bedeckt, wahrscheinlich aus Wolle. Über den Körper, aber wohl nur im Brustbereich war dann eine harzartige Flüssigkeit verteilt worden. Vielleicht ein Akt der letzten Ölung, aber vielleicht auch zur Geruchsbekämpfung, denn St. Maximin glich mehr einem überdachten Friedhof als einer Kirche. Tote lagen hier dicht an dicht, zum Teil in drei Lagen übereinander, wobei die Gräber über den Boden ragten.13
Auch wenn das nicht viel ist, so lässt sich doch sagen, das hochgestellte Persönlichkeiten im Tod eine besondere Behandlung erfuhren. Dies sollte auch bei Martinus geschehen sein, zumal er bei seinem Tod in Candes, etwa 50km westlich von Tours so beliebt war, das die Leute aus Tours den Leichnam erst einmal aus Candes stehlen mussten, da die den Toten nicht hergeben wollten. Man verehrte ihn also ins Extrem und sollte diese auch bei seiner Beisetzung gezeigt haben.
Gregor von Tours, Martinus und die Franken
Tours und das Martinsgrab hatten bereits unter Chlodwig eine gewisse Bedeutung. Dieser hatte seinen Westgotenfeldzug (507) hier begonnen und dort auch die Insignien des oströmischen Kaisers, die er gesandt bekommen hatte in der Kirche übernommen. Seine Witwe Chlothild verbrachte hier ihren Lebensabend. 14
Für Gregor von Tour (538-594) handelt es sich bei seinem Amtsvorgänger Martinus um den bedeutendsten Heiligen seiner Zeit.15 und zu dem sein bekanntester Amtsvorgänger in Tours. Zudem war Martinus
für die fränkische Mission von außerordentlicher Bedeutung16 Unter den Gallo-Romanen des Westens genoss er höchstes Ansehen, er wurde gar apostelgleich verehrt17 und in gallischen Städten entstanden mit dem Ende des 6. Jahrhunderts zahlreiche neue Martinskirchen. 18
Den merowingischen Königen bot die Akzeptanz des Heiligen neue Möglichkeiten.
Im Gegensatz zu vielen anderen Märtyrern war die Biographie des Martinus eher Gefällig. Er hatte seine Soldatenzeit , seinen Dienst für den Kaiser, abgeleistet und war erst danach wirklich aktiv in Erscheinung getreten. Den Waffendienst verweigerte er erst unter Kaiser Julian, der wieder dem christlichen Glauben abgeschworen hatte, mit der Begründung, er sei von nun an miles christi.
Dieser Vorgang lässt Interpretationsspielraum. Wäre Martinus unter einem christlichen Heerführer nicht ebenso ein miles christi, der für die christliche Sache kämpft?
Wenn man Gregors von Tours liest, kann man durchaus zu diesem Schluss kommen. Gregor von Tours, der aus eine gallo romanischen Senatorenfamilie stammte und damit zu den Eliten gehörte, erklärte das gewalttätige Verhalten eines Chlodwigs, der seine Verwandten tötete um seine Herrschaft zu sichern, mit einem Handeln im christlichen Sinne, da er dadurch auch das Christentum verbreitet.
Durch die Akzeptanz eines Heiligen wie Martinus konnte man sich der Unterstützung der römisch geprägten Bevölkerung sicher sein, bzw. sich diesen anbiedern. Diese stellte, oft in Form von Bischöfen wie eben Gregor von Tours, die geistigen Eliten der Bevölkerung, akzeptierten aber die fränkischen Herrscher jedoch nur im Sinne einer Statthalter Funktionen. So war für Gregor von Tours noch immer der Oströmische Kaiser der eigentliche Herrscher und einen Herrscher wie Chilperich I., bei dem Venatius Fortunatus zeitweilig Hofdichter war und den Gregor persönlich kannte, und der lateinische Gedichte schrieb, ein Amphitheater errichte und sich auch sonst nach römischem Vorbild gebärdete, bezeichnete er dann schon mal als “Nero und Herodes unserer Zeit” .19. Dennoch drehte man Gregors von Tours nicht den Hahn ab, dazu war er zu wichtig, zu einflussreich.
Die Cappa des Heiligen
Wie bereits erwähnt war es Dagobert I., der das Grab erneuern ließ, verbunden mit einer Öffnung. Bei dieser Öffnung nahm er etwas an sich, das später als capa erwähnt wurde, aber nie der Mantel/ chlamys war, der bei den Geschehnissen im Winter in Amiens erwähnt wurden.
Luce Pietri war es, die in ”La „Capa Martini“: essai d’identification de la relique martinienne”20 allgemein akzeptiert nachweisen konnte, dass es sich bei der ursprünglichen capa Martini nicht um den Mantel, sondern wohl eher um ein Tuch oder Decke handelte die das Grab bedeckt hatte.
Eben jene Bedeckung, die Gregor von Tours als pallium bezeichnet hatte. Martin Heinzelmann notiert daraufhin ergänzend in den Bibliographischen Anzeigen von Francia 30/1 (2003)21 das er darauf hingewiesen wurde das pallium (für Decke/Tuch) und cappa das selbe bedeuten können, wie er mit einem kurzen Satz aus der Vita Vodoali belegt: pallium suum quod vulgo cappa vocatur ( Seine Decke / Manteltuch / abdeckendes Tuch , das gewöhnlich cappa genannt wird. )
Wir wissen weder um den Zustand des toten Heiligen, von einer Unversehrtheit ist nirgends, auch später nicht, die Rede, noch von sonstigen Gegenständen, die dem Grab entnommen worden sein können. Dies machte die Theorie Pietris wahrscheinlich, dass es sich lediglich um das Tuch handelt, das das Grab bedeckte. Denkbar wäre auch das bei der Öffnung des Grabes die Gebeine bei der Umbettung auf dem Tuch zwischengelagert wurden. Somit wäre aus der Reliquie dritter Klasse, eine Reliquie zweiter Klasse geworden. Ein Objekt das nicht nur das Grab, sondern den Toten direkt berührt hatte. Auch ein tatsächlich zerteilter Mantel wäre nur eine Reliquie zweiter Klasse gewesen. Die Bezeichnung als Capa/Cappa wäre auch nicht falsch gewesen, sie bedeutete nur ursprünglich indiesem Fall nicht Mantel sondern “bedeckendes Tuch”. Erst über die Jahrhunderte war die Dualität des Begriffes als bedeckendes Tuch und gleichzeitig Mantel verloren gegangen und die Reliquie als Mantelfragment angesehen worden.
U. Thies, Die volkssprachige Glossierung der Vita Martini des Sulpicius Severus S.65. ↩
D. Praet, The divided cloak as redemptio militiae Biblical stylization and hagiographical intertextuality in Sulpicius Severus’ Vita Martini S.153 ↩
In diesem Fall ist canditatus in der Bedeutung unserers “Kandidat” zu lesen, in etwa “der Weiße” im Sinne von “das unbeschriebene Blatt”. Also jemand, der empfänglich ist für Neues ↩
Durchsucht hatte ich u.a. U. Gehn – Ehrenstatuen in der Spätantik – Die Spätantiken Amtsornat – Das spätantike Chlamyskostüm; R.I. Frank, Scholae Palatinae – The Palace Gurads of the Later Roman Empire; B Kiilerich, Attire and Personal Appearance in Byzantium; F. P. Morgan , Dress and Personal Appearance in Late Antiquity u.a. ↩
vgl. z.B. W.Lüders Capella – Die Hofkapelle der Karolinger bis zur Mitte des neunten Jahrhunderts 1909 S.5 ↩
MGH DD Merov. No. 126 S319 Link: https://www.dmgh.de/mgh_dd_merov_1/index.htm#page/319/mode/1up ↩
Der Text verwendet Oratorium, was mit Kapelle übersetzt werden könnte, da aber dieses Wort zur Zeit noch gar nicht existiert und im Zusammenhang mit der genannten Reliquie steht, entschloss ich mich hier zur Verwendung des Wortes Bethaus. Eine ebenfalls korrekte Übersetzung. orare = Beten ↩
(( W. Jacobson, Saints‘ Tombs in Frankish Church Architecture S.1108 ↩
M.Heinzelmann , Gregors von Tours (538-594) S.25 ↩
W. Jacobson, Saints‘ Tombs in Frankish Church Architecture S.1108 ff ↩
F.Albert u. B. Dreyspring, Bisher unpublizierte Textilfunde aus der Bestattung des hl.Paulinus und dem Bistumsarchiv in Trier in CONTEXTUS Festschrift für Sabine Schrenk ↩
N.Reifrath et al., Das spätantike Grab 279 aus St. Maximin in Trier ↩
Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Band 19 S.367 ↩
M.Heinzelmann , Gregors von Tours (538-594) S.10 ↩
F. Graus, Sozialgeschichtliche Aspekte der Hagiographie der Merowinger- und Karolingerzeit, S136 ↩
M.Heinzelmann , Gregors von Tours (538-594) S.26 ↩
Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Band 19 S.368 ↩
U.Kindermann , König Chilperich als lateinischer Dichter in Sacris Erudiri 41, S.247 ↩
L. Pietri, La „Capa Martini“: essai d’identification de la relique martinienne, in Mélanges Yvette Duval S. 343-357 ↩
M. Heinzelmann , Bibliographische Anzeigen, Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte Band 30/1 (2003) ↩
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…
Großartig! Und deprimierend. Ich habe den Artikel von Google News vorgesetzt bekommen, und er war völlig in style. Vom letzten…