Des Kaisers neue Kleider I – Strümpfe
Ich habe immer mal wieder überlegt was ich an meiner Karolinger Klamotte ändern könnte. Aber irgendwie hatte mir der Antrieb oder die Inspiration gefehlt. In Tilleda kam es jedoch zu einem Ereignis.
Mir fiel eine Zunge von meinen Knieriemen ab…
Diese waren mein erster Versuch von durchflochtenem Leder, sehen zwar von Außen gut aus, aber die Ausführung war mist. Also war das der Punkt in dem ich die nochmal neu machen wollte. Nach der Taufe Widukinds räumte ich die “Taufgeschenke” wieder weg. Darunter war ein Psaudoballen Oseberg-Hunters Seide. Der Ballen war nur Fake. Außen Seide, innen Wollreste. Aber das war noch ein guter Meter Seide.
Also kam der Entschluß daraus Strümpfe/Beinlinge zu nähen. Doch dort wwill ich nicht aufhören und eine neue Tunika aus Seide nähen.Zum Mantel habe ich auch bereits Gedanken, die ich aber separat behandeln werde. Im Grunde habe ich dann die Darstellung, die ich bereits für den arte Dreh eingenommen habe, bloß ausgearbeiteter. Sprich ich gebe mich dem Wahnsinn einer königlichen Darstellung hin.
An dieser Stelle möchte ich erst einmal auf die Strümpfe eingehen, denn hier habe ich einige Anmerkungen und Gedanken, die ich loswerden möchte, da ich glaube, dass es einige falsche Vorstellungen gibt.
Bei der Konstruktion der Strümpfe bin ich dabei einen Kompromiss eingegangen. Ich habe die Fußteile aus Wolle geschneidert, den Schaft aber aus Seidenbrokat und diesen zum Schonen des Stoffes mit feinem Leinen gefüttert.
Der Schnitt des Fußteils entspricht dabei dem Schnitt der Beinlinge Heinrichs III. aus dessen Grab in Speyer. Das es bei diesen Beinlingen einige Auffälligkeiten gibt beschrieb ich einmal hier: https://www.tribur.de/blog/2021/06/29/des-kaisers-alte-kleider-die-beinlinge-heinrichs-iii/
Der Grund die Fußteil aus Wolle auszuführen, war, da ich zum Einen nicht wusste, ob die Seide reicht, zum Anderen wollte ich nicht nur repräsentativ rumsitzen, sondern auch darin laufen und die Seide nicht gleich durchscheuern. Daher erschien mir Wolle als Kompromiss geeignet. Einen ähnlichen Strumpf, mit einem angesetzten Fuß aus Leinen, gibt aus dem nomadischen Umfeld.
Ich musste danach aber feststellen, dass die Füßlinge zwar wunderbar anlagen, aber im Grunde im Einstieg zu eng waren. Zumindest dann wenn ich tatsächlich diese Weite für den Brokat genutzt hätte, denn dieser gibt kein bisschen nach. Ich setzte daher in der Ferse eine Gere ein, um den Einstieg zu weiten.
Schaut man sich nun Pontifikalstrümpfe aus Seide und Brokat an, etwa die Strümpfe Clemens II. aus Bamberg oder aber die Strümpfe des unbekannten Bischofs aus Speyer ( Links: https://rlp.museum-digital.de/object/100336 ) stellt man fest, dass diese unförmig und groß wirken. Sie entsprechen in diesem Schnitt noch heute erhältlichen Pontifikalstrümpfen aus dem Klerikerbedarf (Link https://www.gammarelli.com/en/product/pontifical-shoes/ ). Der Grund ist, dass sie einfach nicht nachgeben, wie die Wollstrümpfe des Hoch- und Spätmittelalters.
Nun besitzen die Strümpfe Clemens II und moderne Pontifikalstrümpfe im oberen Teil eine Seidenband, mit dem die Strümpfe unter dem Knie zusammengebunden werden, damit sie am Bein halten. Meine jedoch nicht, dafür werde ich die Knieriemen/ Wadengarnituren nutzen. Und somit sind wir bei den wirklich interessanten Teilen angekommen.
Aufgrund der Beschreibung Einhards Karls des Großen, werden Wadenwickel als das Kleidungsstück der Waden angenommen (Dazu am Ende mehr). In Kombination mit der Abbildung von Beinkleidern aus dem Stuttgarter Psalter wird daraus die Annahmen das Karolinger weite Hosen trugen, die an den Waden mit Hilfe der Wadenwickeln und Bändern zu eng anliegenden Hosen gemacht wurden.
Doch diese Vermutung hat ein paar riesige gedankliche Probleme. Das Problem ist das hier mal wieder Kunsthistoriker, Kostümkundler, Archäologen und wer auch immer, nicht miteinander gesprochen haben.
So zeigt die Abbildung aus dem Stuttgarter Psalter Folio 5v Personen, mit weiten Hosen und Langsax, keine Franken. Dies beschrieb schon Josefine Mütherich 1969 in ihrer Arbeit über den Stuttgarter Psalter. Im Gespräch sind hier Sachsen, aber auch Aquitanier/Basken.1
Auf Folio 74r werden dann auch enganliegende Hosen gezeigt. (übrigens auch ein Feind der Franken) Hier gelten die Heiligen Drei Könige in Ravenna als Vorbild. Mütherich sieht hier auch den Ursprung der Vorlage für den Stuttgarter Psalter. Somit wäre der Psalter als Hinweis auf weite Hosen zunächst einmal ausgeschieden.
Die Archäologie kennt leider keine Funde von Hosen der Karolinger. Wir haben die Hosen von Thorsberg und Damendorf. Die Funde datieren auf das 3.-4. bzw. 2.-4. Jahrhundert, sind zwar zeitlich zu früh, dafür aber eng anliegend. Später, auf die Zeit um 1050 nach aktuellen Angaben, datiert die Hose aus dem Skjoldeham Fund. Auch sie ist eng anliegend, so dass sie an der Fußöffnung einen kleinen Schlitz aufweist. Es gibt also keinen Hinweis auf eine weit flatternde Hose.
Wenn es aber keine weit flatternden Hosenbeine an der Wade gab, wozu dann Wadenriemengarnituren und Wadenwickel?
Hier muss unterschieden werden. Die Wadenwickel könnten zunächst profaner Schutz vor Schmutz und Dornen sein, das funktioniert aus Erfahrung sehr gut! Sie haben aber noch einen weiteren Vorteil, der meiner Meinung nach viel zu oft außer Acht gelassen wird.
Wadenwickel sind in ihrer Funktion identisch mit modernen, medizinischen Stützstrümpfen/ Kompressionsstrümpfen, wenn sie denn richtig gewickelt sind (fest und von unten nach oben!) In einer Welt, in der ich viel laufen muss, sei es als Bauer oder als Krieger auf einer Expedition, will ich nicht, dass die Beine schmerzen und schnell ermüden, und genau dem beugen die Wadenwickel vor!
Nun könnte ich, wie ich es häufig mache, die Wadenwickel mit der Wadenriemengarnitur befestigen/ am Bein halten. Aber dies ist nicht nötig, denn entweder habe ich als Franke die X-Wicklung mit Bändern darüber, oder aber ich stecke das Ende in die Wicklung. Das hält ganz gut, wenn der Stoff entsprechend fest gewickelt ist und Struktur hat.
Wofür dann die Wadenriemengarnituren?
Sie finden sich hauptsächlich in Gräbern des Mährerreichs, wo die Toten noch mit Beigaben bestattet wurden. Sie sind aber fränkischen Ursprungs und finden sich dort in den Gräbern hochgestellter Persönlichkeiten, bzw. den Eliten innerhalb der dortigen Burgwälle2
Der Stuttgarter Psalter zeigt unter Folio 46v einen adeligen Gläubigen der auf seinen Waden Streifen und Kreise trägt. (Daneben die Gottlosen davon einer mit weiten Hosen) Diese Kreise werden in aller Regel dann verwendet, wenn Brokatgewebe mit kreisförmigen Medaillons dargestellt worden sein sollte. Dies notiert auch Umgerman3 wenn er sie als Gamaschen der prachtvolleren Zivilkleidung beschreibt und führt weiterhin die klerikalen Pontifikalstrümpfe ( pedules, udones, caligae ) an, die sich auch später in Herrschergräber zu finden sind.
Weiterhin differenziert Ungerman zwischen Wadenriemengarnituren als Teil der x-förmigen Wicklung und Knieriemen, jedoch sieht Ungermann die Knieriemen eher als einfache, verknotete Bänder, aber notiert dazu: “(..) theoretisch ist vorstellbar, dass jemand – mehr vom Streben, seine Umgebung zu beeindrucken geleitet als aus praktischen Gründen – auch seine Knieriemen mit Beschlägen versehen konnte.”4
Doch haben all diese Überlegungen ein gewisses Problem. Weder die Hose noch die Wadenwickel sollten weit sein , bzw lose am Bein liegen, so dass es tatsächlich nötig gewesen wäre, sie mit Bändern zu befestigen.
Die x-förmige Wicklung am Bein war wahrscheinlich in ihrer Entwicklung bereits obsolet und lediglich eine modische Erinnerung an die Zeit der Merowinger, als hier elaborierte Wadenriemengarnituren zum Einsatz kamen und verschwanden daher schon bald.
Wirklich nötig, oder zumindest sinnvoll, sind sie bei Strümpfen, die wenig oder keine Flexibilität im Gewebe aufweisen. So wie bei Pontifikalstrümpfen aus Seide oder Brokat.
Erhaltene historische Pontifikalstrümpfe sind zum Teil mit Bändern an jener Stelle ausgestattet bei dem bei mir die Knieriemen zum Einsatz kommen. Auch in den salischen Königsgräbern ins Speyer zeigen sich ähnliche Strümpfe und in den Reichskleinodien finden sich genauso ein paar Strümpfe, die ursprünglich für Wilhelm II. von Sizilien mitt des 12. Jahrhunderts gefertigt wurden.
Die Mode der Strümpfe / Beinlinge wurde wahrscheinlich dem byzantinischen Hofmode entlehnt.
Einhard bezeichnet die Beintracht Karls des Großen als tibialia und fasciolis cura. In meiner Version übersetzt als Schenkelbänder und umschnürt mit Bänder. Wie so oft haben wir hier wieder ein Dilemma, was die Übersetzung angeht oder der Frage, was Einhard eigentlich meint.
Würde man die klassischen lateinischen Begriffe der spätantike verwenden, haben wir hier tibialia und fasciae crurales. Die tibialia sind dabei keine Wadenwickel, sondern ein Tuch das um die komplette Wade gelegt wird, so wie es auch einige Rekonstruktionen in der merowingischen Beintracht darstellen.5 oder aber gefilzte Socken römischer Soldaten in kälteren Gegenden (Im Gegensatz zu den udones, die Socken aus gewebtem Tuch darstellen) die zum Teil mit angenähten Bändern, exakt wie später die Pontifikalstrümpfe, unter dem Knie festgebbunden wurden. Die Fasciae crurales sind dagegen die klassischen Wadenwickel.6
Es macht aber keinen Sinn, ein Tuch über die Hose zu legen, um dann nochmal Wadenwickel darüber zu wickeln. Nun hat man also bei der Interpretation Abbildungen zur Hand genommen und aus den tibialia die Wadenwickel gemacht und aus den lateinischen Wadenwickeln die kreuzförmigen Bänder die die Waden bedeckten. Ein logischer Schluss.
Allerdings könnte man genauso sagen, Karl trug lange Socken, die mit einem Band unter dem Knie befestigt waren. Und genau diesen Weg gehe ich, zumal meine Vorgängerversion aus roter Wolle, deren oberen Rand ich umrolle, optisch starke Ähnlichkeiten mit einigen Abbildungen hat.
T. Weski , Der Stuttgarter Psalter – (k)eine Quelle für die Archäologie des Frühmittelalters in Jahrbuch des Römisch-Germanischen-Zentralmuseums 62, S.444 ↩
S. Ungerman, Die Wadenriemengarnituren im frühmittelalterlichen Mähren in Bewaffnung und Reiterausrüstung des 8. bis 10. Jahrhunderts in Mitteleuropa, Internationale Tagungen in Mikulcice IX S.315 ↩
S. Ungerman, Die Wadenriemengarnituren im frühmittelalterlichen Mähren in Bewaffnung und Reiterausrüstung des 8. bis 10. Jahrhunderts in Mitteleuropa, Internationale Tagungen in Mikulcice IX S.314 ↩
S. Ungerman, Die Wadenriemengarnituren im frühmittelalterlichen Mähren in Bewaffnung und Reiterausrüstung des 8. bis 10. Jahrhunderts in Mitteleuropa, Internationale Tagungen in Mikulcice IX S.318 ↩
Abbildung mit Erklärung https://bildlexikon-kleidung.uni-bonn.de/items/image_073.html ↩
Abbildung mit Erklärung https://bildlexikon-kleidung.uni-bonn.de/items/image_046.html ↩
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…
Großartig! Und deprimierend. Ich habe den Artikel von Google News vorgesetzt bekommen, und er war völlig in style. Vom letzten…
Cooler Gag. Aber ich lese immer bis zum Schluss un fang dann an zu recherchieren