Vivian Bibel in realistischerem Bild
Kürzlich machte ich mir ein neues Profilbild für meinen privaten Facebook Account, was zu einigen Witzeleien führte und ich am Ende sagte, ich würde das nächste Mal gleich das Widmungsbild der Vivian Bibel nachstellen.
Der Gedanke ließ mich nicht mehr los, zumal mir neulich einige Fragen zur Vivian Bibel gestellt wurden. Gesagt getan, weshalb ich mich jetzt dem Widmungsbild und seiner Realumsetzung widme.(Das „Real-Life-Bild findet sich am Ende des Artikels) Wobei es keine direkte Umsetzung werden wird, was ebenfalls einen speziellen Grund hat.
Das bekannte Widmungsbild ist nicht die Umsetzung eines realen Geschehnisses. Sie ist die Wunschvorstellung des Grafen Vivian, wie sich die Übergabe der Bibel abspielen sollte, gespickt mit viel Lobhudelei gegenüber König Karl II. dem Kahlen und ebenso viel Symbolik. Vivian hätte vielleicht nach der Übergabe der Bibel als „kleines Leckerli“ zur Rechten des Königs stehen dürfen, aber wohl nicht in freundschaftlicher Nähe davor.
844 war Graf Vivian von Karl dem Kahlen zum Laienabt eines der bedeutendsten Klöster des Westfränkischen Reiches ernannt . Er wurde Laienabt von St. Martin in Tours und somit Herr über eine riesige Klosterbibliothek, die voll mit antiken und spätantiken Schriften war. 845 überreicht er die Bibel an Karl und wird auch Laienabt von Marmoutier. 849 nimmt Vivian Karl von Aquitanien fest und liefert ihn an Karl den Kahlen aus. 851 stirbt Vivian bei der Schlacht von Jengland, bei der Karl der Kahle, unterstützt von sächsischen Truppen die ihm sein Bruder Ludwig der Deutsche zur Verfügung gestellt hatte, von den Bretonen empfindlich geschlagen wird.
Nachdem Vivian 844 Laienabt geworden war, lässt er innerhalb eines Jahres für seinen Herrn und Gönner eine Bibel schaffen. Eine Arbeit die aus dem Stehgreif nicht zu bewerkstelligen war. Möglicherweise griff auch schon auf eine in Arbeit befindliche Bibel zurück und lies sie mit entsprechenden Illuminationen versehen.
Man kopiert ganze Seiten aus anderen Werken. So ist folio 27v der Vivian Bibel eine eins zu eins Kopie von folio 25v der Bibel von Moutier-Grandval. Und die Wiederum nutzt bei dieser Zeichnung die abgepauste Kopie aus dem Virgilus Vaticanus. ( mehr dazu hatte ich einmal hier mit sehr vielen Quellen geschrieben : https://www.tribur.de/blog/2013/01/28/kritische-betrachtung-karolingischer-helme-anhand-illuminierter-handschriften/ )
Auch das eigentliche Widmungsbild kopiert antike Vorlagen und versammelt die Mönche vor dem König nach dem Vorbild antiker Gelehrtenversammlungen.
Und als wäre das nicht schon genug Antikenrezeption, funktioniert die Darstellung Karl des Kahlen nur mit der Darstellung König Davids in der Mitte der Bibel. David sieht aus wie Karl der Kahle. Dabei ist das nicht nur Antikenrezeption, sondern auch noch eine Bezugnahme auf Karls gleichnamigen Großvater Karl den Großen, der im engsten Kreise seiner Vertrauten als König David bezeichnet wurde. Aber fangen wir mit den einzelnen Elementen an.
Die Vorhänge und umliegende Architektur
Bei der Vivian Bibel ist das Bild von einer Scheinarchitekur mit Bogen gerahmt, in dem im oberen Bereich Vorhänge drapiert sind. Es handelt sich um weiße Vorhänge mit goldenen Punkten in dreier Gruppe. Sie entspricht der erhältlichen Cintamani Seide. Diese Art der (Seiden-) Vorhänge finden sich immer wieder bei Throndarstellungen, aber auch als Malereien in Kirchen. So etwa in St. Johann Müstair wo sie den unteren Teil der Apsis zieren, jedoch mit anderem Muster..
In diesem Fall sind die Vorhänge Teil der Thronarchitektur. Sie sind nichts anderes als die historische Form des Thronbaldachins, ein Ziborium. Ein Aufbau der auch über Altären und Heiligengräbern errichtet wurde. Das ganze nimmt Bezug auf das Zeltheiligtum der Israeliten, aber auch auf römische und byzantinische Herrschaftspraktiken. Seinen Ursprung hat der Thronbaldachin bereits in Ägypten und Mesopotamien, wo der Herrscher damit vor der Sonne geschützt wurde.
Noch einfacher gesagt ist es in unserem Fall aber die Bühnendekoration für einen prunkvollen Auftritt. Diese kann mit ein paar Stangen aufgebaut werden, etwas elaborierter aus Holz fest errichtet sein wie in meinem Bild, oder aber ganz aus Stein mit Marmorsäulen und Ähnlichem. Die Seidenvorhänge geben dabei der schäbigsten Konstruktion ein entsprechendes Ambiente, verdecken den vielleicht unschönen Hintergrund und geben die Möglichkeit für einen spektakulären Auf- und Abtritt.
Zu dem ist diese Konstruktion auch ein Verweis auf das Gottesgnadentum und hebt den König/Kaiser selbst auf eine religiöse Stufe.
Das hier verwendete Ziborium/ Thronbaldachin orientiert sich an dem im Psalter Karl des Kahlen dargestellten,1 in Kombination mit dem ähnlich aufgebauten Reisealtar Arnulfs von Kärnten, dem Arnulfs Ziborium2
In dem dem dargestellten Ziborium hängen zwei Leuchter/Rauchfässer. Diese sind auch im Ziborium im Codex Aureus von St. Emmeram in den Seiten zu sehen3 . Sie gleichen optisch Votivkronen, bei denen oftmals in der Mitte ein Kreuz hängt. In der Abbildung scheinen es jedoch kleine Kelche zu sein. Dabei könnte es sich um Öllampen, oder Weihrauchfässer handeln, was nocheinmal den sakralen Charakter unterstreichen würde.
Der eigentliche Thron ist der sogenannten Cathedra Petri nachgestellt.4 Dieser Thron war tatsächlich im Besitz Karls des Kahlen, möglicherweise für seine Kaiserkrönung 875 gefertig, wurde er dem Papst übergeben. Seine Herkunft geriet über die Jahrhunderte in Vergessenheit und 1657-1666 schuf Gian Lorenzo Bernini Für den Thron ein riesiges Reliquiar im Petersdom. 1968 bis 1975 wurde der Thron untersucht und 1976 erhielt das RGZM Mainz vom Papst die Erlaubnis zur Erstellung einer Replik. Die Vorderfront mit Elfenbeinplatten mit Herkulesmotiv kam erst bei einem Umbau an den Thron. Ob dies noch durch Kalr den Kahlen, oder den Papst geschah ist unbekannt. Das Elfenbein stammt aus dem 7. Jahrhundert.
Die Wachen
Die zwei Wachen nehmen Bezug auf die Leibgarde König Davids, Kreti und Pleti. Auf dem Davidsbild der Vivian Bilbel sind sie auch als solche bezeichnet und genauso tauchen sie auch beim Stifterbild auf. Auch sie sind aus dem Virgilius Vaticanus übernommen. Es ist also keine karolingische Rüstung, geschweige denn karolingische Helme!!!
Daher habe ich sie nun durch meine (noch nicht ganz fertige) Interpretation des karolingischen Panzerreiters ersetzt. Diese tragen einen Helm vom Typ Stromovka-Gezdovo. Diese Helme wurden inzwischen tatsächlich als karolingische Helme identifiziert.56 Dabei ist Helmen diesen Typs neben der spitzkonischen Form und dem Band, ähnlich eines Kammhelms, das Nasal gemein, an dem sich ein Häkchen zum Einhängen der Helmbrünne befand. Demnach waren nur die Augenpartie sichtbar. Allein dieser Look machte die karolingischen Kämpfer dem Gegner bedrohlich, wenn ihnen eine gesichtslose Armee entgegentritt.
Optisch und konstruktionstechnisch schließen diese Helme die Lücke zwischen dem Spangenhelm und dem konischen Nasalhelm, der aus einem Stück getrieben ist. (z.B. Wenzelslshelm)
Sie tragen ein Kettenhemd mit halben Ärmeln, das bis auf die Oberschenkel reicht. Bei dem Schwertträger sind zusätzlich Beinschienen zu sehen. Diese entstanden als Experiment und bestehen aus aufeinander geleimten Leinen, ähnlich einem Linothorax. Ich tendiere allerdings mittlerweile eher zu Ketten Beinlingen die auch auf einer Darstellung aus der Zeit um 825 erkennbar sind, ( ebenso wie der Helm) aber eben gerade nicht zur Verfügung standen.
In meiner Darstellung fungiert der Lanzenträger auch als Bannerherr, der für den König das Banner als militärischer Oberbefehlshaber führt. Der Schwertträger (armiger) trägt nicht sein eigenes Schwert. Es ist das Schwert des Königs in seiner Funktion als Richtschwert. Er symbolisiert die rechtliche Gewalt des Königs. Wahrscheinlicher wäre jedoch das diese Funktion ein weiter Hofbeamter übernimmt. Ich habe jedoch der Wache dies Aufgabe übertragen um so der Handschrift ähnlicher zu sein.
Die beiden sind auch die einzigen Personen mit Waffen. Das Tragen von Waffen wäre ein Affront gegen den König gewesen. Ansonsten hat wahrscheinlich jeder sein Gebrauchsmesser dabei ( frei nach dem schönen Zitat aus Der Löwe im Winter: Prinz John: „Ein Messer! Er hat ein Messer!“ Eleanor: „Natürlich hat er ein Messer. Er hat immer ein Messer. Wir alle haben Messer. Es ist 1183 und wir sind Barbaren.“)
Die Personen um den König.
In der Vivian Bibel ist Graf Vivian selbst zur Rechten des Königs zu sehen, wie er dem König auf die Bibel aufmerksam macht, die die Mönche dem König in diesem Moment präsentieren.
Im Normalfall hätte Vivian nicht ohne weiteres zur Rechten des Königs gestanden. Der König hätte Vivian erst an seine Seite beten müssen. Diese Position wird zwar als Dank vergeben, im Normalfall, den ich versuche darzustellen würde hier hohe Hofbeamte stehen.
Die Position des Vivians wird bei mir durch einen jungen Höfling übernommen, der ein Untergebener des butticullarius , des Mundschenks, ist und diesen Vertritt. Für ihn ein Rangausftieg. Seine einzige Aufgabe ist des dem König ein Glas Wein, in diesem Fall in einem Sturzbecher, zu reichen, falls dieser Lust darauf hat.
Daneben, aber zurückgesetzt im Hintergrund steht die Königin. Sie rrsetzt mit in ihrer Eigenschaft als oberste Herrin über Finanzen, Geschenke und Hofhaltung den Kämmerer (camerarius)
Die rechte Person ist ein älterer Berater, vielleicht vergleichbar mit einem späten Einhard. Er könnte ebenfalls aus dem Kreis der Hofbeamten stammen, genauso aber auch Teil der Kanzlei sein. Sicher ist das er einen hohen Status hat. Dies ist nicht nur an der Nähe zum König abzulesen, denn in der Hand hält er ein byzantinisches Diptychon aus Elfenbein, also eine doppelseitige Tabula, eine Wachstafel für Notizen. Vielleicht ist es der magister ostiariorum, der Obertürwart, der den nächsten Gast hereinbittet und ankündigt, denn links tritt Vivian vor um die Bibel überbringen zu lassen
Anmerkung zu dem Bild: Das Bild entstand komplett durch mich. Hintergrund ist die Vorhalle der Principa der Saalburg bei Bad Homburg im Frühjahr 2023 fotografiert. Das Ziborium ist komplett aus Blender gefallen. Alle Personen werden durch mich dargestellt (eine Ausnahme…) (Selbstauslöser im Hausflur) mit meiner Ausrüstung, wobei ich die Gesichter mit Gesichtern getauscht habe, die Stable Diffusion mir ausgespuckt hat, damit mir niemand Größenwahnsinn vorwerfen kann. Das Originalbild hat eine Auflösung von 8000×6000 Pixel)
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Charles_the_Bald_in_miniatures?uselang=de#/media/File:Psautier_Charles_le_Chauve_3v.jpg ↩
Bild: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/6VE2WSASTOF5UGS3ALJYHMBVAQYHBDVE ↩
Bild: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/51/Karl_II_der_Kahle.jpg ↩
Zeichnung des Urzustandes ohne Elfenbeinplättchen in der Front : https://en.m.wikipedia.org/wiki/File:Cathedra_Petri_-_carolingian_throne.jpg ↩
Tomáš Vlasatý, Petr Dresler, Vojtěch Nosek & Jiří Macháček, A Carolingian Helmet from Pohansko near Břeclav (Czech Republic): Its Archaeological Context and
Social Interpretation in Medieval Archaeology https://doi.org/10.1080/00766097.2023.2262879 ↩
siehe auch hier schon 2013 bei mir: https://www.tribur.de/blog/2013/02/11/uber-die-ukraine-zum-karolingerhelm/ ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…