Das Widmungsbild der Vivian Bibel (f.423r)
Seit mehr als 2 Wochen und mehr als 2000 Wörtern schreib ich an einem Zusatzartikel zur karolingischen Kleidung und verzettelte mich derartig, dass ich mal Abstand brauche. Ich mich daher etwas angenommen, das mich schon lange interessiert hat und auch in das momentane Thema passt: Das Widmungsbild der Vivian Bibel.
Da es im folgenden auch um viele Details geht, die auf den Bildern, die etwa Wikipedia zur Verfügung stellt kaum zu erkennen sind, empfehle ich zunächst in einem weiteren Fenster die das zoombare Digitalisat zu öfnnen, welches die gallica bibliotheque nationale zur Verfügung stellt: Hier der direkte Linke auf Folio 423 recto
Ein Grund mich mit Folio 423 recto der Vivian-Bibel zu befassen sind die Dartsellung der Weltlichen, bzw. der 2 Personen direkt links und rechts des Thrones Karls des Kahlen. Diese zwei „Gestalten“ stoßen mir schon eine ganze Weile auf. Sie tragen goldenen Stirnreifen, doppelte Clavi auf ihren Tuniken, wie sie sich etwa auf kirchlichen Dalmatiken und byzantinischen Tuniken jener Zeit findet und dann diese Wadenwickel… ..oder doch etwas anderes?
Die Beiden auf Grund der Stirnreifen als Prinzen bzw. Söhne Karls des Kahlen zu identifizieren funktioniert nicht. Die Vivian Bibel entstandt 845/46, Karls ältester Sohn wurde jedoch erst 846 geboren.
Und dennoch müssen sie in enger Beziehung zum König stehen. Vorallem die Person die sich vom Betrachter aus auf der linken Seite des Königs befindet. Nicht nur das sie zur Rechten des Königs steht, auch der König wendet sich ihr zu. Und noch etwas wichtiges zeigt sich in der Darstellung der Beiden: Das Schuhwerk beider ist rot (mit Gold)! Dies mag auf den ersten Moment profan erscheinen, jedoch gibt es in Byzanz die Regel das nur der Kaiser, bzw. Personen der kaiserlichen Familie rote Schuhe tragen dürfen1
Charles Reginald Dodwell will in diesen Personen den ostuarius, den Obertormeister, sowie den saccelarius, den Säckler, sehen2 Micheal Patella identifiziert die Person zur Karls Rechten jedoch als Graf Vivian von Tours, Laienabt des Klosters St. Martin in Tours und Auftraggeber der Bibel, der diese dem König präsentiert3, wobei dieser das Amt des camerarius (Kämmerer) inne hatte und nicht das das ihm unterstellten sacelarius4 Ob er dieses Amt aber überhaupt noch inne hat als er zwischen September 843 und 5. Januar 845 Laienabt von Tours wurde ist nicht bekannt.
Das Bildprogramm wird nun etwas klarer. Der Auftraggeber der Bibel ist Graf Vivian (Comes Vivianus), einer der engsten Vertrauten Karls des Kahlen während dessen Aufstiegs. Im Amt des camerarius war er zwar nicht an höchster Stelle der Hofämter, aber wohl in der Stellung die dem König und seiner Familie am nächsten stand.5 Er lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes auf Augenhöhe mit dem König zeigen. Fast im familiären Verhältnis.
Interessant zur Darstellung Vivians ist eine Anmerkung von Patrick Henriet6 das Vivian auf Wolken steht und daher als bereits verstorben betrachtet werden müsse , was die Entstehung auf nach 851 schieben würde.
Doch tatsächlich markant ist die Kleidung der „Zivlisten“. Wie bereits erwähnt zeigen ihre Tuniken 2 Clavi, Ihre Hosenbeine sind durch Riemen unterhalb des Knies verziert, während die Wadenbinden nicht wie herkömmliche Wadenbinden wirken und die Füße, bzw. Zehen nicht durch Schuhe bedeckt sind. Oder kurz gesagt, sie wirken byzantinisch, denn tatsächlich war die „zehenfrei“-Konstruktion aus Wickeln und Sandalen zumindest in Byzanz zu jener Zeit sehr beliebt.
Haben also Vivians Mönche byzantinische Vorlagen zur Gestaltung genutzt? Was die Anordnung der Personen, bzw. den Aufbau des Bildes angeht, so hat man sich an den spätantiken Vorlagen orientiert. Schließlich war St. Martin Tours ein Zentrum für spätantike Vorlagen. Die Gestaltung der Tuniken der realexistierenden Personen, also mit ausnahmen der allegorischen Darstellung von Krethi und Plethi, sollte andere Vorbilder haben.
Der Hof Karls des Kahlen galt als Zentrum der Byzantintisierung. Es wird berichtet das Karl sich 869 als novus constantinus ausriefen lies und in Ponthion graecisco more paratus et coronatus nach griechischer Art gekleidet und gekrönt auftrat.7
Als Kämmerer kannte Vivian nicht nur die Familie des Königs, sondern auch seine Kleidungsgewohnheiten, Geschenke die von Gesandtschaften kamen und auch die Geschenke die an andere Herrscher vergeben wurden.
Die beliebtesten Gesandtschaften waren jene aus Byzanz, die Wort wörtlich hofiert wurden bei ihren Anwesenheit. Fränkische Gesandtschaft wurden dagegen bei einem Besuch in Byzanz schon mal 80 Tage warten gelassen, bevor sie zum Basileus vorgelassen wurden.
Die Darstellung arbeitet folglich auf mehreren Ebenen. Auf Vivians persönlicher Ebene die seine Beziehung zum König darstellt, ihn nahe an den König heranrückt, aber auch auf der Ebene des Königs, bzw. einer ihm schmeichelnder Ebene. Diese stellt ihn auf die Ebene mit dem byzantinischen Kaiser, ohne dabei die Referenz an König David durc Kethi und Plethi zu verlieren, die die Franken mit den Israeliten gleichstellt. Und alle befinden zu auch in der Pose einer klassischen philosophischen Verhandlung.
Beschreibung der dargestellten Kleidung:
Die Kleidung der hohen religiösen Würdenträger im unteren Bildbereich entspricht dem was aus archäologischen Befunden aus Gräbern bekannt ist. An Füßen, zum Teil auch an den Händen, zeigt sich die Albe (Alba, von Tunica Alba – weiße Tunika ) Sie besitzt eng anliegende Ärmel und Reicht bis bis auf den Boden. Die Darstellung entspricht dem Schnitt den ich mit dem Nachschneidern der Ulrichsdalmatika erreichen konnte.
Darüber wird die cremefarben dargestellte Dalmatika getragen die bis über die Knie reicht. Sie ist mit roten Clavi verziert, neben denen sich V-förmige weitere Verzierungen befinden, die den Eindruck von kurzen aufgenäht erscheinenden Stoffbändern erwecken. Hierüber wird die Kasel getragen, deren Saum und Zierstreifen immer goldfarben dargestellt sind. Der Stoff der Kassel wird jedoch unterschiedlich dargestellt, sowohl in Farbe als auch Musterung. Die durch Gruppen von Dreierpunkten angedeutete Stoffmusterung verweist auf damaszierte Seidenstoffe. In der linken Hand tragen die Kleriker den Manipel.
In ihrer Darstellung unterscheiden sich drei Kleriker am linken Bildrand von den Übrigen, da sie weitaus weniger verziert erscheinen. Es handelt sich dabei um die drei Mönche aus St. Martin die die Bibel ausführten und sie nun gemeinsam dem König überreichen werden.
Im Gegensatz zur Tunika Karls des Kahlen im 20 Jahre später entstandenen Sakramentar Karls des Kahlen8, bei der ebenfalls dreier Gruppen von Punkten genutzt werden um eine Damaszierung darzustellen, weist die Tunika Vivians keine Punkte auf. Jedoch sind im Faltenwurf der Tunika mit Goldfarbe Lichtrefelexe dargestellt, die auf die Verwendung von Seide als Material hinweisen. Die Tunika ist in byzantinischem Stil mit 2 Clavi verziert, ein verzierter Saum am Handgelenk fehlt. Am unteren hingegen ist mit einem Rankenband verziert und besitzt eine seitliche Schlitzung. Die Saumverziehrung mit Ranken hebt sich von den restlichen Saumverzierungen ab, da diese sich geometrisch darstellen.
Die Hosen Vivians sind unterhalb der Knie mit Riemen, oder besser doppelten, goldfarbigen Bändern gebunden. Diese Bänder legen nahe das Vivian und auch die anderen weltlichen Personen kein Hose sondern Beinlinge, bzw. Strümpfe tragen, die bis auf die Oberschenkel reichen (ganz ähnlich Pontifikalstrümpfen) und kein Fußteil besaßen9
Die Schuhkonstruktion die der Künstler verwendet weist jedoch Fehler auf. Dieser fast kniehohe Hybrid aus Stiefel und Sandale bestand aus Leder und wurde auf der Vorderseite geschnürt. Stattdessen ist aber auf der Abbildung nur eine Wicklung zu erkennen. Es ist daher anzunehmen das der Künstler die Schuhe nicht aus eigener Anschauung kannte und sie von einer Vorlage, möglicherweise ein Konsulardyptichon oder ähnlichem, abzeichnete. Dabei interpretierte er die Schnürung als angedeutete Wicklung, übernahm aber den wulstigen Rand an Zehen und Wade.10
Wie weit die Darstellung der Kleidung nun dem Zeichner bekannt war, oder was tatsächlich so bei Hofe getragen wurde ist schwer zu entscheiden, jedoch scheint es als sei sehr viel Byzantinisches bereits weit vor Theophanu im fränkischen Reich angekommen.
Leider konnte ich aus Zeit und anderen Gründen nicht alles Unterbringen, das mir im Kopf rum schwirrt. Bitte das zu entschuldigen.
vergleiche Mosaiken in San Appolinare Nouvo, Ravenna ↩
Charles Reginald Dodwell The Pictorial Arts of the West, 800-1200 S.74 ↩
Word and Image: The Hermeneutics of the Saint John’s Bible von Michael Patella S. 63 ↩
vgl Regesta Imperii: http://www.regesta-imperii.de/id/0843-02-18_1_0_1_2_1_356_356 ↩
Ironischer Weise starb Vivian auf einem Feldzug gegen die Bretonen 851 als einer der Heerführer, nachdem Karl mit seinen Truppenteilen, darunter „geliehene“ Sachsen, flieht. Die Leiche Vivians bleibt unbeerdigt auf dem Schlachtfeld bei Grand-Fougeray liegen. ↩
Patrick Henriet La mort comme revelateur ideologique in Autour des morts S.70 ↩
Ute Schwab , Die vielen Kleider der Passion in Theodisca S.323 ↩
Ein Model langer, nach byzantinischer Art gefertigter Beinlinge/Strümpfe des 8. Jhd., jedoch mit Fußteil findet sich beim Metropopolitan Museum of Art. ↩
vgl. z.B. den Barberini Dyptichon ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…