Karges Laurentiuskirchendarstellung – Lösung!
Bereist mehrfach schrieb ich über eine Abbildung Karges die mit 1735 datiert und die Laurentiuskirche vor ihrem Umbau zeigen soll. Verwirrend waren dabei ruinenartige Gebäude links der eigentlichen Kirche. Das Problem scheint sich gerade zu lösen. Dach von Anfang an:
Über Johann Friedrich Karge ist nur wenig bekannt. Karge wird 1726 in Groß Bieberau erstmals erwähnt und verschwindet nach 1749 aus den Unterlagen. Karge war „Kapitän-Ingenieur“, war also Ingenieur im Offiziersrang im Dienste des Landgrafen von Hessen. Er betätigte sich als Baumeister, etwa an der Kirche Groß-Bieberau, als Ingenieur in dem er einen Mega-Landgraben plante, der Darmstadt einen Zugang zum Rhein bieten sollte (dazu hatte ich hier geschrieben) und als Karten-Zeichner.
In letzter Eigenschaft zeichnete er eine Karte, es ist eigentlich ein Panorama, mit dem Titel “vue depuis worms juisqu a mayance 1735” – „Blick von Worms bis nach Mainz 1735“ (Hier beim Hessischen Staatsarchiv). Ein auf den ersten Blick romantisches Panorama des hessischen Rieds bei dem der Blick von den Hügeln über Darmstadt-Eberstadt von Worms bis nach Mainz reicht. Zwischen Wäldern erheben sich Kirchtürme und die Weinberge des Rheingaus zeichnen sich im Hintergrund ab. Jedoch sieht man am Rhein Truppenverbände eingezeichnet. Karge stellt die militärische Situation des Jahres 1735, während des Endes des Polnischen Erbfolgekrieges dar, bei dem sich hier Frankreich und Preußen belauerte.
Karge hatte sich diesem Thema bereits einmal in einer anderen, echten Karte gewidmet (Hier). Karges Blick von Worms nach Mainz nimmt sich dagegen wie eine Postkartenansicht aus, auch wenn er die militärisch, strategische Eigenart übernimmt von den Orten nur die Kirchen zu zeichnen. Der Hintergrund dieser Eigenart ist es das man diese weithin sichtbaren Landmarken zum Ausrichten der Kanonen verwendete.
Entgegen meiner früheren Annahmen ist es nicht wahrscheinlich das Karge das Panorama als militärischen Situationsbericht für den Landgrafen oder andere Offiziere verwendete. Sie zeigt zuviel Schnickschnak, zu viel Ausschmückung und wäre durch die Perspektive im Feld nicht zu gebrauchen. Karge zeichnet vielmehr seine Erinnerungen, in etwa wie Merian das mit dem Kornsand und der Belagerung Oppenheims tat.
Ein witerer Hinweis auf das spätere Entstehen des Panoramas findet sich in der Beschriftung des „Griesheimer Hauses“, eines Jagschlösschens das von Ernst Ludwig von Hessen Darmstadt (+1739) für die Pavorcejagd 1714 errichtet wurde. Die Jagd musste er aber bereits 1718 auf Grund der hohen Kosten aufgeben.
Erst unter seinem Sohn, Ludwig VIII. erhielt das Jagdhaus den Namen Louisburg,Louisbourg oder Ludwigsburg, da Ludwig VIII. seine Regierungsgeschäfte von seinen Jagdschlössern, allen voran Kranichstein, aus zu führen pflegte. Mehr noch. Der Name soll erstmals um 1750 Verwendung finden. Und genau unter dem Namen „Ludwigsburg“ ist das Griesheimer Haus auf dem Panorama verzeichnet.
Karge zeichnete sein Panorama also mit zeitlichem Abstand zum tatsächlichen Geschehen. Wie weit dieser Abstand war, lässt sich nicht sagen. Möglicher Weise geschah dieses sogar erst um oder nach 1749, als der Umbau der Laurentiuskirche begann.
Aus diesem Blickwinkel heraus erscheint die Darstellung nun in einem völlig anderen Licht und es ergeben sich verschiedene Interpretationsansätze.
Wenn Karge nun „nach der Natur“, also lebensecht gemalt hat, und dies um 1749 herum erklärt sich die Abbildung und das scheinbar ruinöse Gebäude links des Kirchenbaus.
Es ist kein separates Gebäude! Es handelt sich um den Westbau und das Langhaus der Laurentiuskirche! 1749 hatte Baumeister Lichtenberg beides Abdecken lassen und wollte das Langhaus nieder reißen, hielt dann jedoch inne. Er hatte zunächst die Befürchtung der Turm könne ihm einstürzen da Risse im Mauerwerk zu sehen waren. Riss es ab dann dennoch ab. Karge scheinen allerdings grobe Schnitzer unterlaufen zu sein, was auf Grund der wenige Milimeter großen Zeichnung allerdings zu verzeien ist. Wahrscheinlich verwirrt vom Anblick der „halben Kirche“ in 30km Entfernung, verstärkt durch ein möglicherweise minderwertiges Linsensystem seines Fernrohres , Dunst in der Luft und ähnlichem, zeichnet er den 1711 errrichteten Kirchtum nicht auf dem abgedeckten Westbau, sondern auf der Vierung und scheint die Baustele als Ruine zu dramatisieren. Wir sehen also nicht nur den Chor von Süden und den südlichen Querhausarm, sondern auch Langhaus und Westbau während des Umbaus bzw. Abrisses! Ein Zeitpunkt der Zäsur der Laurentiuskirche.
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…