Ruodperts Weg -Etappe 3 – Ebbo
Es war eine angenehme warme Nacht mit vollem Bauch gewesen. Zwar hatte der Priester etwas zu laut geschnarcht, aber Ruodpert wollte sich nicht beschweren. Zumal, als er erwachte, der Priester bereits seinem Tagewerk nachgegangen war, seine Ziege gemolken und eine kleine Messe gelesen hatte und bereits einer Bewohnerin der Siedlung eine Salbe bereitet hatte und das noch vor Sonnenaufgang.
Nach der vergangenen Nacht hätte man den Priester durchaus für einen versoffenen Tunichtgut halten können, der mit alten Geschichten, erfunden oder wahr sei dahingestellt, Eindruck schinden wollte, aber offenbar war er trotz allem ein gottesfürchtiger Mann.
Ruodpert bedankte sich für Essen, Unterhaltung und Nachtlager und bereitete sich auf den Aufbruch vor. Da nahm der Priester ihn noch einmal beiseite.
“Las Dir einen Rat geben, amicus. Zieh nicht weiter über die Reffen nach Osten. Da sind in letzter Zeit Räuberbanden unterwegs, die ihr Unwesen treiben und es soll auch schon Tote gegeben haben, wenn nichts zu holen war.”
“Denkst du nicht, ich könnte mich einer familia anschließen?“ Sicherlich sind noch andere Menschen auf dem Weg zum Grab des heiligen Bonifaz?”, fragte Ruodpert.
“Sei milde mit mir, aber du siehst bei Gott nicht aus wie jemand,der sich gegen Räuber zu verteidigen weiß”, er deutet auf das Bein, das sich Ruodpert hielt, obwohl es ihm gar nicht geschmerzt hatte. Die Gewohnheit. “Und dein Stecken hälst du wie eine Harke und nicht wie eine Lanze. Außerdem werden die meisten schon weiter auf dem Weg sein, wenn sie nicht schon dort sind. Du bist recht spät dran. Aber ich kann Dir einen guten Rat geben”
Der Priester kniete sich auf den Boden. Unter seinem Skapulier holte er ein kleines Messer hervor, dessen Klinge nur noch etwas größer als ein Daumennagel war. Es war wohl einstmals eines jener kleinen Messer gewesen, das Mönche zur Rasur von Texten verwendeten und durch häufige Nutzung inzwischen so herunter runtergeschliffen, dass es kaum noch als solches zu erkennen war.
Er begann mit dem Messer einen Stern auf den harten Lehmboden zu malen und zeichnete verschiedene Linien ein, die unter dem Stern und direkt darüber verliefen.
“Bleib auf dem geraden Weg bis du an den Ort kommst den sie Cavilla nennen.” Er fuhr mit dem Messer an einer der Linien entlang und machte eine Markierung. “Aber, bleibe noch auf der Reffen und gehe nach Norden, an den Platz an dem sich der Gloubero sich befindet. Weißt du, da haben sich die scarae, als sie nach Sachsen gezogen sind gesammelt, aber inzwischen sind da nur noch ein paar Bauern, glaube ich. Von da führt ein Weg nördlich an einem Herrenhof vorbei und im nächsten Tal kommst an einen Fluss den man Nida nennt. Wenn du ihm folgst führt er dich bis auf den Gipfel der Berge.” Seine Messer war dabei an der Mitte des Sterns angelangt, der wohl den Berg mit seinen Ausläufern symbolisieren sollte. “ Zudem gibt es vor dem steilen Passweg eine Kirche von skotischen Mönchen. Ideal für eine Rast vor dem Aufstieg, auch wenn das seltsame Gestalten sind. Der Weg ist zwar beschwerlicher, vor allem mit deinem Bein, aber du verlierst weniger Zeit und es ist sicherer.”
Ruodpert bedankte sich und machte sich auf den Weg.
Tatsächlich erwies sich die Wegbeschreibung des Priesters als korrekt. Als er die Ansiedlungen weniger Häuschen, die sich Cavilla nannte und dessen Ostseite von einem alten Wall und Grabensystem geschützt war ,verlassen hatte, fand er den Weg nach Norden, der gut als Handelsweg ausgebaut war.
Noch während er den langen Steg über das Sumpfgebiet überquerte, sah er bereits eine Hügelkette vor sich auftauchen. Auf dem zweiten langgezogenen Hügel erkannte er Mauern, die zum Teil schon eingestürzt waren und mit notdürftigen Palisaden gesichert waren. Der Berg musste einstmals vollkommen frei von Wald und stark befestigt gewesen sein, aber jetzt hatten sich Haselsträucher, kleine Birken und Büsche auf seinen Hängen ausgebreitet. Das musste die alte Festungsanlage sein, von der der alte Priester gesprochen hatte.
Als Ruodpert sich an den Aufstieg zur alten Anlage machte, begann sein Bein wieder zu schmerzen. Es musste an der Steigung des Berges liegen, dachte er. Je höher er kam, desto mehr schmerzte das Bein. Aber auch das Atmen schien ihm schwerer zu fallen. So wie sich der Himmel langsam eingetrübte, trübte sich auch sein Gemüt. Eine unbeschreibliche Schwere überkam ihn, je näher er der alten Festung kam.
Er kannte solche Anlagen zu gut. Wie oft hatte er dort Nächte, Wochen und Monate in ständiger Angst verbracht, bevor es zu Kämpfen kam oder man unverrichteter Dinge abzog und hinterher über nicht Geschehenes lustig machte.
Als er das alte Tor sah, konnte er nicht mehr weitergehen. Das Licht wich aus seinen Augen. Aber nicht, als wenn es Nacht würde. Es war mehr als hätte man die Welt ihrer Farben beraubt.
Ruodpert wandte sich ab. Er ließ seinen Blick nach Norden ins nächste Tal gleiten. Zwar gab es auch hier eine sumpfige Niederung, die jedoch am Nordrand von einer leichten Anhöhe begrenzt war und im Nordosten an einen Ausläufer des Berges stieß. Dort sah er ein größeres Gehöft mit Kapelle. Dies musste der Herrenhof sein, von dem der Priester gesprochen hatte. Nochmals fuhr er mit seinem Blick die gegenüberliegende Anhöhe ab, musterte den Himmel und den Sonnenstand, der sich hinter den Wolken verbarg und entschied, dass er den Weg zu dem Gehöft nehmen würde. Die alte Festung war kein Ort für ihn.
Als er endlich das Gehöft erreicht hatte, begann es leicht zu nieseln. Hinter dem offenen Tor wies ein junger Mann, offensichtlich der Herr des Hofes, seine Unfreien an, noch einige Gerätschaften in die Scheunen und Ställe zu bringen, aber war sich nicht zu fein auch selbst anzupacken.
“Herr,” sprach ihn Ruodpert an, “Ich bin Pilger und suche eine Unterkunft für die Nacht und..”
Der junge Mann drehte sich um und kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen “Du willst sicher nach Fulde, sei mir als mein Gast Willkommen, ich bin Ebbo, der Herr des Hofes, der bereits zum monasterium sancti Bonifatii gehört. Du bist also fast am Ziel”. Er lächelte freundlich. Ebbo drehte sich kurz um und sprach dann wieder: “ Warte einen kurzen Moment, wir müssen noch die Gatter schließen.” Schnellen Schrittes verschwand Ebbo zu seinen Servii um nach einer Weile wieder zu kommen. Ruodpert war erstaunt. Er hatte doch schon niedere Meier getroffen, die den Servii nicht im Traum zur Hand gegangen wären.
Als Ebbo wieder erschien, wies er den Weg zum Herrenhaus, neben der Kapelle. Doch wollte er zuvor noch ein Gebet sprechen und bot Ruodpert an, es ihm gleich zu tun, was dieser nicht ausschlug.
Der junge Mann betete laut und Ruodpert war erstaunt über das saubere und gute Latein des Mannes.
Nach dem Gebet bat ihn Ebbo in den großen Raum seines Hauses, in dem ein wärmendes Feuer brannte. Eine Frau saß am Feuer und nähte im dämmrigen Licht. “Meine Frau Adelberga. Sie war mit meinem ältesten Bruder verheiratet. Als er starb, nahm ich sie zur Frau” erklärte Ebbo, “ Wir erwarten unser erstes Kind. Wenn es ein Sohn wird nenne ich ihn Cunrad, nach meinem Bruder und meinem Vater. Du must wissen, mein Vater Chunrad,” dabei sprach Ebbo den Namen betont altmodisch aus,” hat diesen Hof gegründet und sich in den Dienst des Klosters gestellt. Er war miles des Kaisers auf der Festung gewesen. Dort oben.” Dabei wies er in die Richtung, aus der Ruodpert gekommen war. “Meine älteren Brüder folgten seinem Beispiel, doch starben sie im Kampf für Gott. Ich, als Jüngster, ging wie meine Schwestern ins Kloster nach Fulde und empfing dort die ordines minores. Als mein letzter verbliebener Bruder, der Älteste, Cunrad, starb, verließ ich das Kloster, um meinem Vater beizustehen, den Hof zu führen, und mich um die Witwe meines Bruders zu kümmern.”
Ruodpert verstand nun, wieso Ebbo Arbeit nicht scheute, soviel Wert auf das Gebet legte und gutes Latein sprach. Ebbo war einstmals Benediktiner gewesen. Er fragte sich, ob er Chunrad vielleicht einmal getroffen hätte. Er hatte viele wie ihn gekannt. Die Besatzungen der Grenzbefestigungen waren angehalten, sich in den alten feindlichen Gebieten anzusiedeln und sich dort eine Frau zu suchen, um den angestammten Bewohnern die fränkische Art zu lehren und ein gutes Vorbild zu sein. So endeten sie meist fern ihrer ursprünglichen Heimat.
“Ihr habt sicherlich viel Arbeit auf diesem schönen Hof. Danke, dass Ihr mir für eine Nacht Unterkunft bietet”, sagte Ruodpert.
Ebbo antwortete ohne nachzudenken: “Es ist unsere christliche Pflicht der Nächstenliebe dem einsamen Wanderer, egal ob Pilger oder nicht, Unterkunft zu bieten. Denke an Psalm 22 ( Kurze Erklärung: hier wird die Septingua oder Vulgata genutzt, heute handelt es sich um Psalm 23, falls jemand nachlesen will ) Parasti in conspectu meo mensam adversus eos, qui tribulant me. Sollten wir nicht wie Gott handeln und dem Reisenden einen sicheren Unterschlupf bieten? Es macht mich immer traurig zu hören, dass der Kaiser immer wieder gezwungen ist, auf die Pflicht des servitium hinzuweisen. Wäre es nicht eine einfache und unser aller Christenpflicht?”
Ruodpert stimmte dem zu und erkannte in den Worten die Gedanken Ebbos Lehrmeister aus Fulde, denn die Ausführung kam ihm durchaus bekannt vor.
Es war nur ein kurzer Abend den Ruodpert mit Ebbo und Adelberga verbrachte, und sich in dem kleinen Saal am Feuer zur Ruhe bettete und er war deswegen nicht traurig. Der letzte Abend mit dem Priester war ihm etwas zu lang und trinkseelig ausgefallen.
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…