Ruodperts Weg – Etappe 2 – Über den Fluss
Am Morgen bereute er es ein wenig, kein Feuer gemacht zu haben. Nebel war vom Königsbach hinauf zum Steinfeld und in seine Knochen gezogen. Schon lange war er nicht mehr eine so weite Strecke mit Gepäck gelaufen. Seine Schultern schmerzen ein wenig, als er Tasche und Deckenrolle schulterte und auch seine Waden waren bei weitem nicht so frisch wie gestern noch, geschweige denn in der Blüte seiner Tage. Er zog die Wadenbinden fest um seine Unterschenkel. Sie würden ihn unterstützen.
Er überlegte sogar einen Moment, ob es nicht besser gewesen wäre, weiter nach Osten, nach Ober Mühlenheim, zu gehen, wo man ihm im Kloster bestimmt ein gutes Nachtlager bereiten würde. Aber der Gedanke kam ihm vor wie die Versuchung Jesu in der Wüste. Und dem Teufel wollte er keine Handbreit nachgeben. Er hatte sich bereits zu viel von seinem Leben geholt. Er wusch sich am Königsbach , was seine Geister wieder weckte und das Weitergehen erleichterte.
Es konnte nicht allzu weit zur Fährstelle sein, dachte er, als sich der Wald sich lichtete und einige vereinzelte brachliegende Äcker wieder von menschlicher Besiedlung zeugten. Bald schon wandelte sich der Weg in einen morastigen Pfad, der wiederum einem befestigten Bohlenweg wich. Weit konnte der Fluß nun wahrlich nicht mehr sein. Der sumpfige Boden und die Erlen und immer wieder wasserführende Rinnen zeugten davon.
Bald schon sah er einige kleine Hütten am Ufer. Alles wirkte verlassen. Wahrscheinlich waren die Fischer bereits auf den Fluss gefahren, um ihre Netze auszuwerfen oder die Reusen zu kontrollieren, dachte sich Ruodpert.
Er mochte Boote und vor allem die kleinen Fähren nicht sonderlich, dabei wusste er gar nicht genau wieso. Irgendetwas an ihnen war nicht gut, irgendetwas war sehr dunkel, als er an sie dachte.
Schon aus einiger Distanz zur Fähre rief ihm der Fährmann entgegen: “Du siehst nicht aus wie ein Händler. Lass mich raten: Du bist Pilger!”
Ruodpert entgegnete:“ Das stimmt, ich bin auf dem Weg das Weihnachtsfest am Grab des…”, wurde jedoch abrupt unterbrochen:
“Ja, ja. Es ist mir egal, welchen Heiligen, wann und wo du verehren willst. Du bringst mir kein Geld. “
Das war nicht die Antwort, die Ruodpert von einem guten Christenmenschen erwartet hatte. Er sprach, fast ein wenig zu hochtrabend, als antwortete:” Unser aller, von Gottes Gnaden Herr hat , wie auch schon sein Vater…”
Wieder wurde er unterbrochen: “Ja, kenn ich alles. Pilger sind Zollfrei überzusetzten. Weiß ich. Aber Ludwig ist weit, wahrscheinlich zankt er sich mit irgendeinem seiner Bälger. Siehst du die Strömung? Wie das Wasser am Ley brodelt? Nur für einen Pilger setze ich nicht über. Warte bis ein Händler oder sonstwie Zahlender da ist, dann setze ich dich mit über. Willst du früher rüber, musst du schwimmen. Ende der Diskussion.” Der Fährmann drehte sich um und knüpfte an seinem Netz weiter.
Ruodpert gefiel dieses gottlose Verhalten des Fährmann nicht. Zu Hause wäre er anders mit ihm umgesprungen. Aber hier und jetzt nicht.
Er setzte sich auf einen Stein und blickte ins gurgelnde Wasser. Die zusammengebundenen Einbäume mit den aufgelegten Holzplanken, die die Fähre bildeten, schwappten schmatzend ans Ufer. Holz und Stricke knarrten unrhythmisch im Wellengang. Ruodperts Bein schmerzte ein wenig, so dass er sich hielt und stumm ins Wasser blickte.
Der Reno war ungewöhnlich unruhig in dieser Jahreszeit. Der langobardische Späher Ursus konnte gut mit der Fähre umgehen, doch das Wasser schwappte immer wieder auf die alten, schmierigen Bohlen. Ursus kam ins Rutschen und stürzte von den Planken ins Wasser. Eine Hand versuchte sich noch an den Planken zu halten. Sasprand und er hatten noch versucht, nach ihm zu greifen, ihn zu halten, doch der Lamellenpanzer den Ursus trug, zog ihn nach unten. “Ursus!”, schrie Ruodpert.
“Hier gibts keinen Ursus”, blaffte der Fährmann, “und was soll das überhaupt für ein Name sein?”
“Jemand den ich einmal kannte, ein..“ , Ruodpert kam nicht weiter, denn der Fährmann interessierte die Antwort nicht und unterbrach ihn. “Willst du jetzt mit?”
Auf der Fähre stand ein kleiner, zweirädriger Karren, beladen mit Feuerholz und einem jungen Mann. Ruodpert betrat die Fähre tastend mit einem Fuß. Sie war verhältnismäßig trocken und hatte kaum Tiefgang, dennoch hielt er sich mit einer Hand immer an dem Karren fest, als sie übersetzten.
Er war froh, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.Schon bald hatte er die Reffen erreicht, jene alte Pilger- und Handelsroute, die ihn direkt zu seinem Ziel führen würde.
Zwar war er nun gut vorangekommen, doch der Fährübergang hatte Zeit gekostet und die Sonne stand bereits tief hinter dem dick verhangenen Himmel. Etwas nördlich seines Weges, der über die flachen Kuppen der Region führte, sah er eine kleine Hofgruppe mit einer Kapelle. Dort würde er sicherlich eine Unterkunft für die Nacht bekommen.
Der Weg hinunter zur Hofgruppe dauerte länger, als er vermutet hatte. Wahrscheinlich war es richtig gewesen, jetzt schon eine Unterkunft zu suchen und nicht erst bei Dämmerung.
Die kleine Holzkapelle war in einem erbärmlichen Zustand. Irgendwann einmal waren die Holzwände gekalkt und bemalt gewesen, nun aber war davon kaum etwas zu erkennen. Dort wo die Bohlen auf den Boden trafen, waren sie faulig und morsch. Er drückte die Tür auf, die mit einem Ächzen nachgab. Auch innen machte sie einen heruntergekommenen Eindruck. Auch einen Priester, den er zum Abendgebet erwartet hatte, sah er nicht.
Er nutzte den Moment für ein stilles Gebet und bekreuzigte sich.
“Dominus vobiscus” erklang plötzlich eine Stimme hinter ihm. “Et cum spiritu tuo”, antwortete Ruodpert reflexhaft und drehte sich um. Dort stand ein korpulenter, kleinerer, alter Mann und lächelte. Sein speckiger und abgetragener dunkelbrauner Skapulier wies ihn als Benediktiner aus.
Hatte er eben “Der Herr sei von dir.” gesagt? Und wie kam er durch die Tür, ohne das er ihn gehört hatte, fragte sich Routpert.
„Willkommen in der bescheidenen ecclesia Sancti Kilianus, Bruder in spiritus. Wie kann ich Dir helfen?”
“Ich bin Pilger und suche eine Bleibe für die Nacht”.
“Tu nuper est, viator, doch Gäste sind mir immer willkommen, komm mit in mein bescheidenes Heim”, sagte der Priester und öffnete die Kirchentür. Dabei setzte er seinen Fuß unter die Kirchentür und hob sie leicht an, wodurch sie sich leise und ohne das kleinste Geräusch öffnete.
Gleich neben der Kirche hatte der Priester seine bescheidene Behausung, die durchaus in ihrem Zustand dem Kirchlein ähnelte, mit der Ausnahme, dass er sie mit einer Ziege teilte. Auf einer Feuerstelle brannte ein kleines Feuer, daneben hing ein eiserner Kessel. Im Rauch des Feuers hingen zahlreiche Würste und ein großer Schinken. Gaben seiner Gemeinde.
Der Priester wies ihm einen Platz an seinem Tisch an und setzte ihm einen Teller mit einer dicken Suppe aus Getreide und Fleisch vor, den er aus dem Kessel holte. “Iss”, sagte er, “peregrinatio macht hungrig”.
Der Priester schien deutlich erfreut Besuch und Unterhaltung zu haben, auch wenn er es vorzog, Geschichten aus seinem Leben zu erzählen und Ruodpert kaum zum Antworten kam .
“Weißt, du, ich habe noch den großen Sturmi kennenlernen dürfen. Auch den großen Karl habe ich gesehen, den Vater von filius Ludovicus, unserem rex. Und damals in den Sachsenkriegen…“ Sein Gastgeber gab sich alle Mühe in seinem Latein, doch es war holprig und wohl seit Jahrzehnten nicht geschult worden, dennoch baute er es immer wieder demonstrativ in seine Sätze ein.
Das starke Bier und der Wein aus einem scheinbar endlosen Schlauch, den er servierte, taten ihr übriges.
Ruodpert hätte ihm noch ganz andere Geschichten erzählen können über einige von den Personen, die der Priester erwähnt hatte, aber er zog es vor, zu schweigen. Er wäre ohnehin nicht zu Wort gekommen…
Es war ein langer Abend geworden, als Ruodpert sich endlich neben der Feuerstelle zusammenrollen und zur Nachtruhe begeben konnte und sofort einschlief.
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…