Eine spätantike Leinenhose
Die gängigsten Hosentypen, die man für eine Darstellung im Frühmittelalter verwendet, sind in aller Regel die Thorsberger oder Damendorfer Hose, vielleicht noch die Dätgen Hose oder die Skjoldehamn Hose.
Möchte man nun eine solche für die Karolingerzeit verwenden, ergeben sich einige Probleme. Skjoldehamn ist zu spät (11. Jhd) und vielleicht zu nordisch, Thorsberg (4. Jhd.), Damendorf ( 135-335 ) und Dätgen ( 4.-6- Jhd. ) eigentlich zu früh.1 Es gibt aber noch ein kleines Problem, welches mir immer wieder Bauchschmerzen bereitet.
Einhard schreibt bei der Beschreibung der Kleidung Karls des Großen von Leinenhosen. Wer nun mal versucht hat den Schnitt der Thorsberger Hose 1 zu 1 auf Leinen zu übertragen wird ein Problem bekommen.
So schön die Thorsberghose ist, so problematisch kann sie sein. Sie ist wirklich hauteng geschnitten. So eng, dass man um in die Fußteile zu schlüpfen an der Wade Schlitze angebracht hat um spiel zu haben für den Fuß. Die Schlitze sind mit kleinen Bändern nach dem hindurchschlüpfen zu schließen. Dabei ist die Hose aus Diamantköperwolle genäht. Diese Webart gibt der Hose ein wenig die Fähigkeit sich zu dehnen und dem Körper anzupassen. Oder ums ganz einfach auszudrücken: Obwohl sie flexibel ist, ist sie verdammt eng. Gleiches gilt auch für die Damendorfer Hose.
Übertrage ich diese Schnitt nun genauso auf Leinen habe ich das Problem das der Stoff nun garnicht mehr nachgibt. Möglicherweise bekomme ich nicht mal die Knie an die entsprechende Stelle. Ich muss also die Hose weiter schneidern, womit aber die Hose ihren engen Schnitt verliert. Es ist also ein Dilemma.
Aus Faulheit und um zu sehen was sich so in der Welt tut hatte ich bei oldcraftworkshop.com rein geschaut und stieß dort auf eine Leinenhose mit der Anmerkung “… linen breeches from the Louvre Museum are dated from 545 to 645 CE …”, was mein Interesse weckte und ich nach diesen Hosen recherchierte.
Tatsächlich handelt es sich bei den Hosen um Leinenhosen die unter der Inventarnummer AF 6096 geführt werden und mittels C14 auf 545 bis 640, bei 95,4% Wahrscheinlichkeit, datiert werden. Dazu gibt es noch drei weitere ganz ähnliche Hosen: KTN 1733 aus Antwerpen ( 570-665 ), Inv 12754 MKP Düsseldorf (ohne Datierung, möglicherweise aus Akhmim-Panopolis, Ägypten ) und die Halabyie Hosen aus Damaskus (ebenfalls ohne Datierung). Letztere deutet aber bereits an woher die Hosen kommen. Sie stammen alle aus dem koptischen Bereich, also Ägypten und Syrien.
Ich hätte diesen Hosen kaum weitere Beachtung geschenkt wenn ich nicht Anne Kwaspen in ihrem Paper “The pattern-cutting of linen trousers in Late Antiquity” gewisse Ähnlichkeiten zur Thorsberg und Damendorf Hose und mehr noch zur Dätgen Hose herausgearbeitet hätte. Denn scheinbar sind die Hosen miteinander verwandt, oder Teile des Schnittes scheinen zumindest 1. Jahrtausend zu einem gewissen Grad universell gewesen zu sein.
Wer sich also den Schnitt der Thorsberg Hose angeschaut hat, kennt vielleicht das auffällige, quadratische Hinterteil und die Dreiecke die für die Weitung der Hosenbein am Oberschenkel verantwortlich sind. Genau die finden sich auch sehr ähnlich an den erwähnten Leinenhosen wieder. Auch der Schlitz der bei der Thorsberghose erst den Einstieg in den Fußteil ermöglicht, findet sich an den Leinenhosen wieder, wenn auch in etwas anderer Form.
Mehr noch gleicht die Leinenhose dabei der Dätgen Hose, die wie die Leinenhose neben dem rechteckigen Gesäßteil zwei Einsätze besitzt, die nicht nur am Oberschenkel sitzten, wie bei Thorsberg, sondern ebenso ab der Hüfte abwärts reichen. Auch sind hier Hosenbeine unterhalb der Einsätze offen, genau wie bei den Leinenhosen aus Syrien und Ägypten.
Die geraden Hosenbeine bei der Leinenhose wären einfach zu eng, wenn man sie vernähen würde. Sie sind daher der eingefügten Dreiecke offen. D.h. etwa ab der Kniekehle liegt die Wade frei. Damit aber die Hose, bzw. die Hosenbein am Fußgelenk nicht lose hererumflattern, sind dort Bändchen angebracht mit denen man die losen Teile zusammenbinden kann.
Bei der Untersuchung eines Toten aus einem Friedhof des 6. bis 7. Jahrhunderts nahe des Klosters Naqlum in der Ägyptischen Fayum Region wurde an der Leiche wohl eine ähnliche Hose gefunden. Hier waren die Bänder der Hosenbeine über Kreuz nach vorne geschlagen, wieder zurück geführt und dann verknotet, so dass der Eindruck eines geschlossenen Hosenbeins entsteht.2
Möglicherweise ist es nur ein Zufall, aber unvverknotet weisen die unteren Bereiche dieser Hose Parallelen mit den weiten Hosenbeinen im Stuttgarter Psalter auf.
Nun aber liegt Dätgen in Schleswig Holstein und nicht in Syrien oder Ägypten. Es ist aber anzunehmen das die Hosen einen gemeinsamen “Vorfahren” haben. Vielleicht die Bracae, die erst von den Römern als barbarisch angesehen, sich dann doch im Reich verbreiteten. Der lokale Unterschied zeigt sich dann wahrscheinlich im Unterschied des Materials – Wolle gegen Leinen.
Zur Zeit nähe ich die in Antwerpen verwahrte Leinenhose ( Inv KTN 1733) die ich auch als Zeichnung und Foto abgebildet habe. Da ich aber ein bisschen an der Größe geschraubt habe, weiß ich nicht ob sie richtig passen wird, zumal ich ich bisher nur das Rechteck mit Gürteldurchzug und Dreiecken genäht habe. Anne Kwaspen vermerkt zu diesem Problem , das die Menschen die die die Hosen von Thorsberg bis Ägypten nähten, keine Vorlagen nutzten, sondern die Hosen nach Erfahrung aus dem Kopf nähten. Von daher kann ich daraus ja nur lernen.
Zu Thorsberg hatte ich hier mal geschrieben https://www.tribur.de/blog/2018/09/16/zur-herkunftsfrage-von-thorsberg-hose-und-tunika/ ↩
A.Kwaspen, A. DeMoor , The pattern-cutting of linen trousers in Late Antiquity S261 ↩
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…
Großartig! Und deprimierend. Ich habe den Artikel von Google News vorgesetzt bekommen, und er war völlig in style. Vom letzten…