Des Kaisers neue Kleider – Teil III – Die herrschaftliche Tunika
Da ich versuche mich an den klareren Abbildungen der Karolingerzeit zu orientieren, aber dabei gleichzeitig bedenken muss, dass auch diese Abbildungen oftmals Kopien älterer Darstellungen oder von diesen beeinflusst sind, war das Erstellen einer entsprechenden Vorlage nicht ganz so leicht.
Als grundlegende Vorlage wählte ich die touronischen Darstellungen, also im Grunde die Herrscherbilder Karls des Kahlen und Lothars. Obwohl hier Darstellungen wie das Widmungsbild der Vivian Bibel klare Kopien antiker Vorlagen sind, weisen zwei Abbildungen jedoch klare fränkische oder frankisierte Züge auf.
Es ist das Thronbild der Bibel von St. Paul vor den Mauern und der Codex Aureus von St. Emmeram..
Auf diesen trägt Karl, ganz so wie auf der Reiterstatuette von Metz, die typischen flachen Halbschuhe und Beinwickel. Im Codex Aureus sind zu dem noch die überkreuzten Bänder an den Beinen zu sehen.
In beiden Fällen trägt Karl eine blaue Tunika. Im Codex Aureus ist diese mit Dreiergruppen von Punkten versehen. Ein gleiches Muster zeigt die Darstellung Salomons in der Bibel von St. Paul, der jedoch im Gegensatz zu den anderen Darstellungen an seinem Mantel das Tablion besitzt und Vollbart trägt. Eine weitere ähnliche weiße Tunika ist im Sakramentar Karls des Kahlen zu sehen. Es handelt sich um Cintamani Seide.
Somit war zumindest die Entscheidung für den Stoff gefallen, jedoch entschied ich mich für Rot, was sich später mit meiner Farbentscheidung für einen Mantel erklären wird. Sowohl das Blau als auch das Rot der Mäntel in den Abbildungen kann als eine Farbe aus dem Purpur-Spektrum gedeutet werden.
Nun galt es aber, ein Schnittmuster für die Tuniken zu finden. Schon bei der Reiterstatuette war mir aufgefallen das die beim reitenden Herrscher knapp über dem Knie endende Tunika, wenn er denn nun Stünde wohl mindestens bis auf das Knie reichen würde. Bei den Darstellungen aus dem Codex Aureus und der Bibel von St. Paul, reicht die Tunika selbst dem sitzenden Herrscher über das Knie, jedoch nicht beim Sakramentar.
Gleichzeitig zeigt die Reiterstatuette und das Sakramentar eine Schlitzung an der Seite. Somit war eine Schlitzung vorgesehen. Doch eine Schlitzung macht noch kein Schnittmuster!
Aufgrund des Musters der Seide stand für mich fest, dass es ein recht einfaches Schnittmuster sein sollte. Kein große Stückelung, um kein Chaos im Muster zu erzeugen. Zudem hatte ich nur 3m Seide, bei einer Breite 105cm, bestellt. Hintergrund war keine Sparbrötchenmentalität, sondern die Annahme dass der Stoff höchst kostbar war. Solche Stoffe waren nicht käuflich erwerbbar, es waren Geschenke byzantinischer Gesandtschaften. Ich wollte daher auch so wenig Verschnitt haben als möglich. Denn auch so wurde auch im Frühmittelalter mit diesen Stoffen vorgegangen. Die vorhanden Reste wurden Klöster gestiftet und dienten dort oftmals als “Verpackung” von Reliquien1
Um mir klar zu werden nach welchem Schnittmuster ich denn letztendlich suche, sah ich mir die Herrscherbeschreibungen Karls des Großen durch Einhard, Ludwigs des Frommen durch Thegan und zusätzlich noch einmal Notker an. Einhard vermerkt das Karl keine ausländische, lange Kleidung trug, außer auf Wunsch in Rom. Thegan erwähnt nur sehr viel Gold an der Kleidung. Auffällig ist aber bei Einhard und auch Notker, dass sie immer wieder versteckt oder wie Notker explizit, Kritik an fremdländischer Kleidung üben, bzw. fränkische Kleidung als die passende Kleidung des Herrschers sehen. Zu ihrer Zeit wurde also im karolingischen Herrscherhaus durchaus “ausländische”, sprich byzantinische Kleidung getragen, was mitunter mit Argwohn betrachtet wurde. Ich suchte also etwas Byzantinisches. Aber auch das brachte mich zunächst nicht weiter.
Mehr durch Zufall fand ich bei einer Bildersuche eine Tunika, die genauso fiel wie ich mir das vorstellte. Durch noch mehr Zufall fand ich dann auch ein Bild dieser Tunika in flach ausgelegten Zustand. Alles war perfekt, aber wir sind hier nicht bei “Wünsch Dir Was”! Hatte das Schnittmuster ein historisches Vorbild und wenn ja für welche Zeit, welchen Ort? 1735 in Timbuktu-Süd wäre ja nicht zielführend. Also blätterte ich alle PDFs auf meinem Server durch, die sich mit byzantinischer Kleidung befassen.
Und da tauchten sie auf. Zunächst ein ganzer Berg Kindertuniken, allen voran die zeitlich passenden Whitworth Tuniken T.8549 und T.98852, danach zeitlich etwas frühere Tuniken, wie die Tunika aus Metropolitan Museum3 und die Tunika aus den Manazan Hölen.
Diese Tuniken waren exakt die Tunika die ich gesehen hatte, jedoch mit längerem Ärmel. Die spätantiken oder byzantinischen Vorlagen mit weiten Ärmeln dagegen finden sich als kirchliche Dalmatik wieder ( Hier als Beispiel https://en.limousin-medieval.com/ambazac-dalmatic wegen der Musterung die Ambazac Dalmatic )
Und tatsächlich würde die Form einer Dalmatik, wie sie im religiösen Kontext auftaucht, durchaus Sinn ergeben. Wurde doch dem Königtum ein gewisses sakrales Element zugeschrieben (Stichworte: Königsheil/ Sakralkönigtum) Auch die in den Reichskleinodien befindlichen Kleidungsstücke haben eher sakralen als zivilen Charakter.
Zu dem Zeitpunkt an dem ich dies notiere, sind alle Teile der Tunika zusammengefügt, aber noch nicht versäubert. Der Seidenbeschlag am (engen) Halsausschnitt ist ebenfalls aufgebracht. Die Endgültige Länge der Tunika werde ich entscheiden wenn sie angezogen werden kann. Zur Zeit reicht sie über das Knie und wahrscheinlich werde ich diese Länge beibehalten, da ich somit auch eine schöne Raffung erzeugen kann die den Gürtel bedeckt, so wie in der Darstellung im Sakramentar Karls des Kahlen.
Was mir derzeit noch Kopfzerbrechen bereitet, ist die Gestaltung der Ärmelenden. Auf den Throndarstellungen des Codex Aureus und der Bibel von St. Paul besitzt Karls Tunika keine Besätze am sichtbaren Ende des Ärmels. Vielmehr trägt er einen massiven goldenen Armring4 Nur im Sakramentar scheint ein schmaler weißer Streifen angedeutet. Ich denke aber dennoch einen vollen Belag (ca. 4cm breit ) anzubringen, wenn das die Raffung der überlangen Ärmel nicht stört.
Einen Tipp habe ich noch zum Abschluss: Ich habe mich immer über ausfransende Seide geärgert und als ich das erste mal damit arbeitete die feinen Fäden tatsächlich in der ganzen Wohnung verteilt. Ich hatte mal das Internet nach einer Lösung gefunden und diese getestet und sie funktioniert! Man nehme Weißleim / Kinderkleber, in meinem Fall Pritt Alleskleber für Schule und Zuhause (Lösungsmittelfrei), verdünnt diesen Leicht mit Wasser und pinselt das auf die Schnittkanten vor dem Schneiden. Dadurch fasert nichts. Hinterher wäscht man alles in handwarmen (ca 20 Grad) warmen Wasser und der Kleber löst sich wieder restlos und ohne Spuren aus dem Textil.
Siehe hierzu Beispielsweise Seide im früh- und hochmittelalterlichen Damenstift – Besitz Bedeutung Umnutzung ↩
Abbildung hier: https://worldhistorycommons.org/childrens-tunics ↩
https://www.metmuseum.org/art/collection/search/444374?rpp=30&pg=2&ft=Coptic%2BTunic&pos=56&imgno=6&tabname=object-information ↩
vgl. zum Beispiel A. Muhl, Der karolingerzeitliche Armreif aus Biere bei Magdeburg –Ein kleiner Beitrag zur absolut-chronologischen Einordnung eines floralen Ornamenttyps und Die Macht des Silbers – Armreifen S51, oder der Armreif von Truchtlaching https://www.bavarikon.de/object/bav:ASM-OBJ-00000000D2017492?lang=de ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…