Die Schule von Tours – oder wie eine falsche Vorstellung der karolingischen Rüstung entstand
Dies ist Teil V der Reihe zu den karolingischen illuminierten Handschriften.
Einleitung
In der Mitte des 9. Jahrhunderts entstand in Westfranken eine künstlerische Schule, deren Einfluss so groß ist, dass sie noch heute als die Krone des künstlerischen Schaffens der Karolinger schlechthin darstellt und wie keine Andere für die karolingische Renaissance steht.
Dabei hatte sie mit eine Höhepunkt der Schaffenszeit von nur etwa 13 Jahren einen immensen Output, wenn man die Qualität der Bilder bedenkt. Eine Leistung, die nur mit Tricks zu erreichen war.

Zudem beeinflusste sie nachhaltig den Eindruck, wie Karolinger in Rüstung gesehen wurden. Wie etwa in der 1880 entstandenen Gimbelschen Sammlung auf der Marksburg, 1976 in Ian Heaths “Armies of the Dark Ages 600-1066”, in der Osprey Serie “Carolingian Cavalryman AD 768 -987” und auch in Filmen wie “Die Päpstin”/”Pope Joan”.
Dabei war der Hintergrund der Darstellungen, die eben nicht karolingisch waren, spätestens seit der Veröffentlichung des ersten Bandes “Die karolingischen Miniaturen”, von 1930/33 durch Wilhelm Koehler , eine monumentale Reihe, die 8 Bände erhalten sollte und erst 1988 beendet wurde, bekannt.
Illuminierte Handschriften funktionieren tatsächlich wie Comics, können aber nur vollständig mit dem Wissenshintergrund und dem Kontext ihrer Zeit verstanden werden. Wenn man heute nur eine Seite eines Comics sieht und dieser zeigt eine dunkle Höhle, im Hintergrund eine schemenhaft erleuchtete Person im Gegenlicht, die Tropfsteinen der Höhlen werden von zahllosen Fledermäusen umflattert, weiß fast jeder, wer gemeint ist. Es sollte sich zu 99% Wahrscheinlichkeit um die Batcave mit Batman handeln. Das ist aber nur für uns mit entsprechendem Grundwissen zu erkennen. Schon meine Großmutter, die im Jahr 1900 geboren wurde, hätte dies wohl nicht erkannt.
Um also diese Darstellungen zu verstehen, ist ein immenses Hintergrundwissen notwendig. Dieses Wissen und deren Verwendung nennt man in der Wissenschaft Hermeneutik bzw. Bildhermeneutik und ist ein Fachgebiet der Kunstgeschichte.
Die Vorgeschichte
Im dritten Jahrhundert entstand im römischen Tours ein erstes Bistum. Sein dritter Bischof war der hl. Martin von Tours, der auch Namensgeber für das dort entstehende, dem an die Bischofskirche angeschlossenen Kloster, den Namen gab.
Alkuin, Diakon, aus York stammender geistlicher Kopf und Berater Karls des Großen, kam 781 an den Aachener Hof, wo er immensen Einfluss ausübte. Nicht immer scheint er mit Karl auf einer Linie gewesen zu sein. Er übte offen Kritik an den Sachsenkriegen im Allgemeinen und an Gewaltanwendung im Speziellen. Auch sprach er sich gegen die Nutzung von Reliquien als als Talisman aus:” (Es ist ) …besser, die Vorbilder der Heiligen mit dem Herzen nachzuahmen als ihre Knochen in Säckchen herumzutragen“. Dies steht etwa Funden , wie dem sogenannten “Talisman Karls des Großen” entgegen, der tatsächlich aus der späten Zeit Karls des Großen stammt, ohne wirklich sagen zu können, ob er sich wirklich im Besitz Karls befand.
796 verließ Alkuin den Hof, bzw. wurde von diesem entfernt. Er wird Abt des Kloster St. Martin Tours und richtet dort ein bedeutendes Skriptorium ein. Es entstehen großformatige “Alkuin Bibeln“, die einen von Alkuin revidierten Bibeltext enthalten. 805 starb Alkuin, doch das Skriptorium arbeitete weiter. Die Handschriften zeichnen sich durch eine nahezu perfekte karolingische Minuskel aus, die es schwer macht, die Schreiber zu unterscheiden. Die Buchseiten weisen ausgeklügelte Proportionen aus. Doch Illuminationen weisen diese bis auf Insulare Initialen kaum auf.
Eine der wenigen Abbildungen in einer der verschiedenen Alkuin Bibeln stellt die Schöpfung des Menschen und die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies dar.12. Diese Zeichnung basierte auf einer antiken Vorlage und wird in Zukunft vielfach kopiert werden, so dass noch im 11. Jahrhundert, bei der Entstehung der Bernwardstüren in Hildesheim, auf diese Vorlage oder Ihre Kopien zurückgegriffen wird.
Zwei entscheidende Faktoren für die weitere Entwicklung des Skriptoriums von Tours sind die Reichsteilung von 843 im Vertrag von Verdun, sowie die Entfernung Ebo von Reims aus dessen Bistum in den mittleren 830er Jahren.
Ohne Ebo verloren die Skriptorien von Reims ihre Führung. Die Mönche suchten sich neue Aufgabenfelder und kamen unter anderem auch nach Tours.
Die Reichsteilung von 843 hatte aber wesentlich größere Auswirkungen. Das Ostreich hatte durch den Vertrag keinen Zugriff mehr auf die bedeutenden gallo-romanischen Zentren des Westens.
Und während das Westreich bis etwa 850 nur vereinzelte Überfälle der Wikinger an den Küsten verzeichnet, hat das Ostreich Probleme mit seinen Ostgrenzen und muss ohne Aachen, ausgehend von Regensburg, eine Konsolidierung des Reiches vornehmen.
Anders gesagt, das fränkische Westreich hatte zunächst genug Zeit und Raum, um sich zu entwickeln und seine Form der karolingischen Renaissance voranzutreiben, wobei sie ihr vorhandenes gallo-romanisches Erbe zu nutzen verstanden.
Hinzu kam, dass ab 843 der byzantinische Ikonoklasmus endete. Waren zuvor noch byzantinische Mönche und Ikonenmaler ins fränkische Reich geflohen und hatten wie in Aachen, Metz und Reims die Kunst beeinflusst, gab es nun für sie keinen Grund mehr in die Frankia zu fliehen.
Die Schule von Tours
Die Scriptorien von Tours, bestehend aus dem Kloster Marmoutier und Saint-Martin, sind die ersten, bei denen sich das Anlegen von Musterbüchern nachweisen lässt. Als Musterbücher werden gesammelte, abgepauste Vorlagen bezeichnet, die immer wieder als Vorlage für neue Bilder dienen können. Im Grunde also einfache Skizzen als Vorlagen.
Eine der am häufigsten nachzuweisende Vorlagen ist dabei eine Vergil Handschrift. Der um 400 n.Chr. entstanden „Vergilius Vaticanus” ( Codex Vaticanus Latinus 3225)3 , der sich zunächst in Tour befand , im 15. Jahrhundert nach Italien gelangte, wo er etwa Raffael als Vorlage diente und schließlich im Vatikan gelangte. Leider verlor er über die Jahrhunderte einige Blätter, so dass wir nicht alle Abbildungen kennen.
Dabei hatte der Vergil für die Karolinger eine besondere Bedeutung. Er war Pflichtlektüre beim Studium der Grammatik und der Verskomposition. Und das obwohl der Heide Vergil über heidnische Götter schrieb. So berichtet die Vita Alcuini, dass Alkuin in seiner Jugend die heidnischen Lügen des Vergil den Vorrang vor den Psalmen gab. Später soll er dann seine Schüler für das heimliche Lesen des heidnischen Vergil bestraft haben.4
Alcuin selbst zitierte aber auch Ovids Ars amatoria (Die Kunst der Liebe) in einem Brief an Abt von Saint Riquier Angilbert.5
Im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts schrieb Bischof Moduin (Mouadvinus) von Autun, der im Kreise der Vertrauten um Karl den Großen “Naso” nach einem Beinamen Ovids genannt wurde, “Neu in die alten Sitten, doch in veränderten Zeiten wird das goldenen Rom dem Erdkreis wiedergeboren”, wobei das Wort für “Sitte” auch mit “Stil” übersetzt werden kann6. Dies fasst sehr gut den Anspruch der Schule von Tours, aber auch der gesamten karolingischen Renaissance zusammen.
Bamberger Bibel, Alkuin Bibel Staatsbibliothek Bamberg Msc.Bibl.1, Digitalisat: http://digital.bib-bvb.de/webclient/DeliveryManager?&custom_att_2=simple_viewer&pid=14322344
Tours 834 – 843
Zwischen 834 und 843 entstand in Marmoutier eine Bibel, die nach dem heutigen Verwahrort Bamberger Bibel genannt wird. Sie zeigt nur wenige Illuminationen, besticht aber durch die gleichmäßige Ausführung des Textes, die den Alkuin Bibeln gemein ist.
Dennoch besitzt die Bibel jene ganzseitige Darstellung der von Adam und Eva im Paradies und deren Vertreibung, die Eingangs bereits erwähnt wurde. Diese aus unbekannter Vorlage stammende Illumination wird noch weite Kreise ziehen. Sie findet sich etwa in den Darstellungen auf den Bernwardstüren in Hildesheim7 und anders arrangiert in vielen weiteren Handschriften.
Bemerkenswert ist noch die majestas domini, die mit ihrer Rautenform Vorbild für die Moutier-Grandval Bibel wird, aus der sich die majestas der Vivian Bibel und des Codex Aureus entwickeln werden. Sie weist aber auch Gemeinsamkeiten mit den anderen majestas domini auf, die die Raute nicht weiter verwenden, sondern Christus rein im Mandylion zeigen

Bibel von Moutier-Grandval, Add MS 10546, https://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=add_ms_10546_f001r
Tours um 840
Um 840 entsteht in Tours die Bibel von Moutier-Grandval. Mit dem revidierten Text der Alkuin-Bibel ausgestattet, besitzt die großformatige Bibel neben insularen Initialen auch großformatige Bilder. Darunter wieder eine Bearbeitung der Adam und Eva Darstellung, und drei weitere, ganzseitige Abbildungen. Doch diese entstehen nicht aus einem Vakuum.
Hier lässt sich erstmals direkt die Verwendung der erwähnten Skizzenbücher direkt nachweisen.
Als Beispiel sei hier f25v der Bibel von Moutier-Grandval genannt, denn diese wird uns in Zukunft immer wieder begegnen. In dieser Abbildung erhält Moses die 10 Gebote und präsentiert diese im unteren Bild dem Volk. Direkt neben Moses befinden sich zwei Personen, eine mit Bart, einen roten Mantel tragend und einen Lilienszepter haltend. Eine der Personen ist als Aaron gekennzeichnet.
Dieses beiden Personen sind aus dem “Vergilius Vaticanus” ( Codex Vaticanus Latinus 3225 ) fol45v. kopiert. Dort stellen sie Aeneis und seinen Freund Achates dar. Auf dem „Vergilius Vaticanus” finden sich sogar Spuren des Abzeichnens.8 Man hatte wahrscheinlich ein sehr dünnes, durchscheinendes Pergament aufgelegt und die Vorlage dann abgezeichnet.
Wilhelm Köhler war der Meinung, dass die Grandval Bibel das Grundprogramm für die darauf folgenden Werke der Schule von Tours lieferte. Dabei vermutete er ihren Ursprung, bzw. ihre erstes Vorbild in einer verlorenen Bibel, die für Papst Leo den Großen ( 440-61) erstellt wurde.9
In seinem Standardwerk über die karolingische Buchmalerei, bzw. die Schule von Tours weist Koehler10 ebenso auf die verschiedenen Ebenen hin, die in den Darstellungen der Bibel von Moutier-Grandval erstmals zu erkennen sind. Das bedeutet, dass nicht mehr nur ein einfarbiger Hintergrund, etwa Himmel zu sehen ist, sondern nun beispielsweise Räume dargestellt werden. So findet die Präsentation der 10 Gebote vor einem perspektivischen Raum, einem Saal mit Kassettendecke und Bogenstellung, statt. Dabei sind die Arkaden mit Girlanden haltenden Figuren auf rotem Grund geschmückt. Eine Darstellung, die aus der klassischen Antike bekannt ist und in Pompeji auftaucht, oder auf Girlandensarkophagen.11
Doch die Personen agieren nicht innerhalb des Raumes. Sie sind zweidimensional auf einer Ebene vor dem Hintergrund dargestellt. Köhler nennt dies “Bühnenraum”.
Zudem sind Köpfe und Hände leicht vergrößert dargestellt, um die Bedeutungen ihrer Handlung zu betonen.12

Bamberger Boëthius, Msc.Class.5 Boethius: De institutione arithmetica Boethius: De institutione arithmetica, http://digital.bib-bvb.de/view/bvb_mets/viewer.0.6.5.jsp?folder_id=0&dvs=1704433305315~76&pid=7373142&locale=de&usePid1=true&usePid2=true und https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00140841?page=,1
Tours, um 845
Der Bamberger Boethius stellt die Kopie einer antiken Vorlage eines Lehrbuchs zur Arithmetik des Boethius dar. Boethius, eigentlich Anicius Manlius Severinus Boethius, beendete sein Werk vor 507. In dieser Arbeit verwendete Boethius erstmals das Wort Quadrivium, um die vier Fächer der Mathematik innerhalb der Sieben Künste,nämlich Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie, zusammenzufassen.Dieses Quadrivium wird in einer der zwei Miniaturen durch vier Frauen mit entsprechenden Gegenständen dargestellt.
Eine zweite Darstellung zeigt Boethius und seinen Schwiegervater Symmachus, dem Boethius sein Werk widmete.
Beide werden darauf auf einem Thron sitzend dargestellt. Boethius überreicht Symmachus dabei seine Handschrift. Obwohl davon auszugehen ist, dass Symmachus der ältere der Beiden ist, ist es Boethius, der den weißen Bart trägt. Ein Stilmittel, um die Weisheit des Boethius aufzuzeigen.
Beide sind im Muskelpanzer dargestellt, der von einem Mantel bedeckt ist, halten ein Langszepter in Händen und tragen Helme mit Mittelgrat und Federbusch. Es sind die Helme die später auch in der Vivian Bibel auftauchen, jedoch in Frontalansicht.
Möglicherweise wurde eine Darstellung mit Rüstung gewählt, um Boethius als Freiheitskämpfer gegen Theoderich darzustellen, der diesen hinrichten ließ.13
Als Vorlage könnte hier eine antike Herrschaftsübergabe gedient haben, etwa Kaiser Konstantin mit einem seiner Söhne, denn beide Personen nehmen die Haltung antiker Herrscherbilder ein, tragen Szepter und sind wie Feldherren gekleidet.
Dabei ähnelt das Bild in Stellung der Personen zueinander und deren Ausstattungen mit Stäben starkt an die Abbildung Karls des Großen und Pippins im liber legum.14 Man griff also wahrscheinlich auch hier schon auf ältere Vorlagen bei der Erstellung des ursprünglichen Bildes zurück.
Es ist das erste Mal, dass in einer erhaltenen Handschrift der Schule von Tour Personen in antiken Rüstungen erscheinen.

Vivian Bibel, Erste Bibel Karls des Kahlen, Digitalisat: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8455903b.langDE
Tours, 845/846
Neben anderen Abbildungen, taucht die Moses Szene aus der Grandval Bibel wieder auf.15
Dieses Mal fehlen jedoch die beiden markanten Personen aus dem Vergilius Vaticanus. Diese tauchen dafür auf folio 386v wieder auf, nun als Zuhörer des Paulus. Dabei zeigt folio 386v auch in anderen Bereichen das Verwenden von Schablonen. So liegt im oberen Feld der dreigeteilten Seite ein gestürzter, geblendeter Saulus/Paulus als Kämpfer. Eine Darstellung des Damskuserlebnisses16 . Schaut man sich die Darstellung an, stellt man sehr schnell fest das hier eine stehende Person in Rüstung lediglich um 90 Grad nach rechts gedrecht wurde um sie als liegend darzustellen, anstatt tatsächlich eine liegende Person zu zeichnen. Solche Vorgänge beschleunigen die Arbeitsweisen der Künstler ungemein.
Bei der Darstellung des Hieronymus fol. 3v ging Koehler von einer Vorlage aus dem 6. Jahrhundert aus, die aber verloren sei, möglicherweise ein Autorenbild von Virgil selbst, während Herbert Kessler die Vorlage im 5.Jahrhundert sah. Ganz schlägt dagegen vor, dass Meister C mit einer Eigenschöpfung Abstand zum Heiden Virgil, oder vielleicht eine Inspiration durch Darstellungen des Hieronymus wie sie etwa auf dem Elfenbein Einband des Dagulf Psalters zu finden sind. 17 Es ist die einzige Darstellung der Vivian Bibel, die nicht nachweisbar auf einer antiken Vorlage beruht!
Auch die Darstellung des Widmungsbildes greift direkt auf den “Vergilius Vaticanus” zurück. Die Übergabe selbst findet im Stile einer antiken Gelehrten Versammlung statt18 Die Figuren selbst sind wieder Kopien aus dem Vergilius Vaticanus. Dabei ist die Anordnung der von König und Wachen, genauso wie die Rüstung der Wachen eine direkte Kopie des Trojanischen Rates (Trojan Council) von Fol. 73v1920
Doch schon im „Vergilius Vaticanus” sind die Abbildungen der Wachen kein zeitgenössischen Abbildungen des 5. Jahrhunderts. Es sind symbolische Darstellungen von Kämpfern mit Muskelpanzer und böotischen oder pseudo-attischen Helmen aus der Zeit vor der Zeitenwende, wie sie bei Imperatoren Darstellungen oder auch für die Personifikation der Stadt Rom, der Göttin Roma, verwenden und damit Bezug auf die Sage der Gründung der Stadt Rom , die Origo gentis Romanae und die Abstammung von Romulus und Remus von Aeneas und die Trojaner.
Eine Vorstellung die in der “Historia Francorum epitomata” für die Franken allgemein übernommen wird21 und in den Abbildungen der Schule von Tours ihren Widerhall findet.
Der König selbst trägt auf der Abbildung einen weiten Mantel, in der er fast vollständig eingehüllt ist. Der Meister der Vivian Bibel greift dabei auf noch ältere Vorlagen als den Vergilius Vaticaus zurück.
Dabei handelt es sich um eine Abbildung Kaiser Conantius II aus dem Chronograph von 354.22 Es ist nachgewiesen, dass der Chronograph von 354 im karolingischen Hof bekannt war, im Leidener Aratea genutzt wurde und zumindest eine Kopie in der Mitte des 9.Jahrhunderts auf der Reichenau vorhanden war.23
Die Kaiserdarstellungen der Römerzeit entsprechen dabei der Personifizierung des Jupiter und auch die Griechen nutzten bereits eine solche Darstellung bei Zeus
Und dennoch ist es wahrscheinlich, dass die fränkischen Könige und Kaiser sich in dieser Art und Weise zeigten. Der Reitermantel Heinrichs II in Bamberg besitzt mit seiner rekonstruierten Größe24 die Möglichkeit, sich auf diese Weise darzustellen.
Die Franken grenzen sich hier in ihrer Darstellung (noch) von Byzanz ab, wo sich der Kaiser im Zeremoniell seit Justinian I. im loros zeigte.
Wahrscheinlich wollte man hiermit auch explizit den Anspruch auf das Westreich verdeutlichen.
Die Tunika Graf Vivians, der auch Laienabt des Klosters Tours war, ist mit zwei clavi verziert. Dies entspricht nicht der fränkischen Tradition, sondern spätantiker und byzantinischer Mode. Entweder griff Meister C ebenfalls auf spätantike oder byzantinische Vorlagen bei der Gestaltung zurück, oder wollte mit der doppelten clavi auf die Eigenschaft Vivians als Laienabt hinweisen, denn die Doppelclavi finden sich normalerweise auf der Dalmatica des Klerus.
Antike Rüstungen werden aber auch auf der Darstellung des David verwendete (fol 215v) 25 wo sie als Krethi und Plethi bezeichnet die Leibwache Davids bilden.
Die Vivian Bibel, als die wohl best erforschte Handschrift der Karolingerzeit, eignet sich gut, um den Aufbau und die Entstehung ihrer Bilder nachzuvollziehen. Dies soll hier anhand des Widmungsbildes geschehen. Doch bevor man sich dem Widmungsbild widmet, ist es wichtig das Augenmerk zunächst auf das Bild Davids zu lenken. In dieser Darstellung wird David mit dem gleichen Gesicht wie Karl der Kahle dargestellt.
Somit ist Karl der Kahle als neuer biblischer David zu verstehen. Aber mehr noch. David war auch der Name Karls des Großen innerhalb seines elitären Kreises des Hofes. Dabei ist auch diese Namensvergabe innerhalb des Kreises wieder eine Anlehnung an Vergil.26 Karl der der Kahle wird also auf dieselbe Stufe wie sein Großvater Karl der Große.
Im Widmungsbild wird nun die Grundkonstellation von David/Karl dem Kahlen übernommen, ebenso die der beiden Wachen. Stellten diese bei der Davids Darstellung noch Kreti und Plethi, die Leibwache Davids dar, werden sie nun zur Verkörperung der militärischen Gewalt (Lanze und Schild) und Recht (Schwert), aber auch des himmlischen Schutz durch die Waffen Gottes, wie es aus dem Codex Aureus von St. Emmeram klar wird. Die Positionierung der Wachen und ihr Aussehen, und die Blickrichtungen, als auch die Position Karls des Kahlen sind direkt aus dem Vergilius Vaticanus, wo sie auf fol. 73v27 Teil des Trojanischen Rates sind, übernommen.
Die Darstellung Karls des Kahlen, der mit seiner Geste den Empfang der Bibel andeutet, ist übernommen aus dem Chronograph von 354. Dieses nur in Kopien erhaltene Dokument zeigt Kaiser Constantinian II., der mit dieser Geste der Freigebigkeit Münzen verteilt.
Die Kleriker im unteren Teil sind wiederum einer antiken Gelehrtenversammlung nachgebildet, ohne dass ich hierfür die direkte Vorlage nennen könnte.

Somit ist die gesamte Darstellung ein remix oder mashup aus antiken Abbildungen. Dennoch enthalten die Darstellungen Elemente die als originär karolingisch zu identifizieren sind. So etwa das Schwert mit den Beschlägen, die sich archäologisch nachweisen lassen. Nur sind diese spiegelbildlich dargestellt, als wäre das Wehrgehänge an der rechten und nicht der linken Körperseite getragen worden. Dies weist darauf hin dass auch hier eine andere Vorlage verwendet wurde.


Lothar-Evangeliar, MS lat. 266, Digitalisat https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8451637v
zwischen 849 und 851, Tours
Dem Widmungsvers des Evangeliars nach, wurde die Handschrift in Tours noch zu Zeiten des Grafen Vivian auf Bestellung Kaiser Lothars I. gefertigt. Lothars Reich war mit dem Kloster in Tours in einer Gebetsverbrüderung verbunden, was diesen Auftrag ermöglichte.28
Auch hier arbeitete Meister C, der bereits an der Vivian Bibel arbeitete, an den Illuminationen des Evangeliars.
Die Darstellung Lothars unterscheidet sich trotz Gemeinsamkeiten von der Herrscherdarstellung des Dedikationsbildes der Vivian Bibel.
Ist bei der Vivian Bibel ein komplexes Beziehungsgeflecht dargestellt, ist die Darstellung im Evangeliar rein auf Lothar fixiert29
Lothar wird von 2 antikisierenden Wachen flankiert, die halb durch den Thron verborgen sind, der selbst leicht aus der Mitte des Bildes gerückt ist. Lothar weist mit seiner Hand auf die nebenstehende Seite, auf der er seiner Herrschaft gerühmt wird und Stifter des Werkes genannt wird30
Der Meister der Vivian Bibel (Meister C) nutzte erneut ein antikes Herrscherbild unbekannter Herkunft . Lothar sitzt dabei mit den mit gespreizten Knien, entsprechend der der spätantiken Herrscherbilder auf dem Thron, eingehüllt von einem prächtigen Mantel.31
Wieder flankieren ihn antike, römische Soldaten mit pseudo attischen oder böotischen Helmen, wie sie auch, obwohl seit langem nicht mehr in Gebrauch, als wichtiges Element der Herrschaftsdarstellung, auch in römischer Zeit erschienen. Dem Meister C war es wichtig Lothars Herrschaftsanspruch als Weströmischer Kaiser zu verdeutlichen und setzte dies entsprechend alter Vorlagen um.
Die Abbildungen der Evangelisten, aber auch der Mantel Lothars, zeigen dagegen die Beziehung des Meister C zur Schule von Reims in dem er die selben fließenden Formen nutzt wie sie durch Byzanz in den Westen kamen, die auch im Utrechter Psalter und dem Ebo Evangeliar zu finden sind.


Evangeliar aus Prüm, Staatsbibliothek Berlin Ms. theol. lat. fol. 733
Kein vollständiges Digitalisat vorhanden. Abbildungen: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/AOVBCBPC565H3PHBROHKIXTQJEL2ALK3#item-detail
um 850, Tours
Kaiser Lothar schenkte das Evangeliar 852 der Abtei Prüm. Es zeigt keinerlei Herrscherbilder, jedoch eine Majestas Domini und vier Evangelisten Bilder..
Möglicherweise entstanden die Zeichnungen unabhängig vom Text, da die Seiten etwas schmaler sind.
Das Evangeliar zeigt denselben Aufbau mit Köhlers “Bühnenraums”, so stehen die Evangelisten zweidimensional vor dem dreidimensionalen Hintergrund, dabei übernimmt er die Gestaltung und Figuren des Lothar Evangeliars. Die Darstellungen werden aber erweitert. War beim Lothar Evangeliar der Textbalken mit der Beschreibung der Evangelisten noch unterhalb des oberen Rahmens, teilt er nun das obere Drittel des Bildes ab. Die Evangelisten werden nun vor einer Dekoration aus räumlicher Architektur gesetzt.
Diese Architektur findet sich in ähnlicher Form auch in der Reimser Schule, etwa im Utrecht Psalter.
Die majestas domini steht ebenfalls in der Tradition des Lothar Evangeliars.

Das Zwischenspiel – Zerstörung von St. Martin und Marmoutier und Neuanfang
853 werden die Klöster von St. Martin und Marmoutier unter der Führung des Dänen Hastein (Hastings) geplündert und niedergebrannt. Wie weitreichend die Verluste des Skriptoriums waren, ist unbekannt. Jedoch können Mönche fliehen und dabei Vorlagen wie den “Vergilius Vaticanus” und Musterbücher mit sich nehmen.
Es entsteht eine neue Hofschule, deren Ort nicht lokalisiert werden kann. Als möglicher Standort wird St. Denis in Betracht gezogen, genauso wie Soisson, Metz, Reims und weitere Orte. Die neue Hofschule erzielt jedoch nicht die Produktivität von Tours.
Der Einfluss der Schule von Tours streut aber durch ihre Zerstörung noch weiter aus. Etwa auf die Klosterinsel Reichenau und St. Gallen.
Die neue Hofschule Karls des Kahlen
Bibel von Sankt Paul vor den Mauern, (Leider kein öffentlich verfügbares Digitalisat )
um 870, Reims(?)
Nach der Zerstörung von St. Martin und Marmoutier wurde eine neue Hofschule von Karl dem Kahlen eingerichtet. Wo diese zu lokalisieren ist, ist nicht bekannt. Unter anderem sind St. Denis in der Diskussion und in letzter Zeit wieder verstärkt Reims. Letzteres wird als Entstehungsort der Bibel von St. Paul gesehen, womit als Leiter der Schule Hinkmar von Reims zu identifizieren wäre.
So entsteht um 870 eine Bibel, die nach ihrem heutigen Verwahrort Bibel von Sankt Paul vor den Mauern genannt wird. Von ehemals 25 Miniaturen sind 24 erhalten.
Während sich der Schreiber des Textes im Prolog als Ingobertus identifiziert, sind die drei Illustratoren unbekannt, lassen sich aber durch ihren jeweiligen eigenen Stil unterscheiden.32
Der erste der Illustratoren war für die Darstellungen der Evangelisten zuständig und erhielt daher den Namen “Meister der Evangelisten” “Evangelist Master”. In seiner Darstellung schafft er es, seinen Bildern eine gewisse Dreidimensionalität und Eleganz zu verleihen. Der “Meister von St. Paul”/“St. Paul Master” war für die Frontispize von Leviticus bis Joshua zuständig.
Der “Meister der Thron Bilder” / “Master of Throne Images“ fertigte die restlichen Bilder, darunter die Thron-Abbildungen, was ihm diesen Namen gab. Er verwendete, etwa bei Mänteln, Techniken, die aus der Reimser Schule abgeleitet sind, um eine gewisse Plastizität zu erzeugen.
Die Bibel von Sankt Paul nutzt für ihre Abbildung des Kirchenlehrers Hieronymus entweder die Vivian Bibel selbst, oder aber die identische Vorlage, stellt aber die Personen und ihre Anordnung um.
Eine Abbildung zeigt König David vor einem Schildwall. Nach Gaehde besitzt die Darstellung des Davids Ähnlichkeiten mit dem Madrider Missorum (englisch: missorium in Madrid)33 Das Motiv einer Figur vor einem Schildwall existiert dagegen bereits früher. So findet es sich Beispielsweise auf einer Silberplatte aus Genf, die entweder Valentinian I oder Valentinian II zeigt.
Davids Wachen tragen einen Haarschnitt der typisch ist für die Imperialen Wachen des Theodosius, wie sie etwa an der Basis des Theodosius Obelisken in Konstantinopel zu sehen waren, aber auch den Silbertellern aus Zypern, die die Geschichte Davids und Goliaths zeigen34 die in das frühe 7. Jahrhundert datieren.
Es ist wahrscheinlich, dass die Karolinger auf zeichnerische Quellen zurückgegriffen haben, die aus ähnlichen Zeiten stammen wie die genannten Silberplatten.
In der Herrschaftsdarstellung trägt der Thronende Karl der Kahle den typischen weiten Mantel der karolingischen Thron Darstellungen, nun jedoch ist dieser mit goldenen, quadratischen Besätzen versehen, dem byzantinischen tablion.35
Und tatsächlich galt der Hof Karls des Kahlen als Zentrum einer Byzantinisierung. Es wird berichtet das Karl sich 869 als novus constantinus ausriefen lies und in Ponthion graecisco more paratus et coronatus nach griechischer Art gekleidet und gekrönt auftrat.36
Die Architektur des Hintergrunds bringt Gaehde in Verbindung mit Darstellungen spätantiker spätantiker Palastarchitektur, wie etwa dem Palast des Theoderichs in S. Appolinare Nuovo in Ravenna.37
Gaehde sieht den Trohnbaldachin mit seiner Kuppelform, gemeinsam mit dem im Codex Aureus von St. Emmeram, als die ersten ihrer Art in karolingischen Handschriften. Zuvor tauchten diese nur in byzantinischen Handschriften auf und decken sich mit Beschreibungen des byzantinischen Hofzeremoniell.
Im Gegensatz zur Vivian Bibel, wo Karl der Kahle mit David gleichgesetzt ist, ist dieses Mal die Darstellung Salomos auf fol. 188v der Bibel von St. Paul, die aufgegriffen wird. In seiner Hand hält der Könige eine Scheibe mit einem Monogramm. Nach Schade wäre dieses Monogramm entsprechend als HIC NOVAE ROMAE SALOMON also “Hier ist Salomon, König des neuen Rom” zu deuten38
Zudem enthält die Bibel von St. Paul die älteste Darstellung eines Makkabäer Zykluses, noch vor dem Leidener Makkabäer, der in St. Gallen gefertigt wurde.
Gaehde sieht hier parallelen mit den militärischen Darstellung auf dem Galeriusbogen (arch of Galerius) in Thessaloniki aus der Zeit zwischen 297 und 305, die bis hin zu exakten übereinstimmenden Personen und einzelner Szenen reichen.39
Demnach wären die Helme der Soldaten, die wir sehen, die mit massiven Wangenklappen ausgestattet sind, frühe Helme des Typs Intercisa, jedoch deuten die mehrfach geschwungen Wangenklappen darauf hin das es sich noch um ältere Helme, etwa Typ Weisenau/ Niederbieber handeln könnte. Es sind wohl letztendlich wieder symbolische Helmdarstellungen der Römerzeit.
Sicherlich ist dies zudem dem Problem geschuldet, dass der tätige Meister weder den Galeriusbogen, noch einen Helm Typ Intercisa oder Weisenau jemals persönlich gesehen hatte. Er arbeitet mit byzantinischen Vorlagen und Abzeichnungen, die er nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen versuchte.


Codex aureus von St. Emmeram, BSB Clm 14000, Digitalisat: https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0009/bsb00096095/images/
St. Denis, Soisson (?) 870
Auch dieses Evangeliar wurde für Karl den Kahlen hergestellt und soll 893 von Arnulf von Kärnten dem Kloster St. Emmeram in Regensburg geschenkt worden sein.
Als Schreiber des Werks werden die Mönche Liuthard und Beringer genannt, die ihr Werk an Weihnachten 870 beendeten, wie sie in der Widmungsinschrift notieren.40
Als Ort der Fabrikations wird auch Saint-Médard in Soissons angegeben41 , doch wie die gesamten Versuche zur lokalisierung der Palastschule Karls des Kahlen, lässt sich dies nicht sicher beweisen.
Die Handschrift enthält 7 ganzseitige Illuminationen. Die vier Evangelisten, die Anbetung des Lamms, eine Maiestas Domini und ein Thronbild Karls des Kahlen.
Auch hier greifen die Schöpfer auf den Faltenwurf der Kleidung, wie in den Werken der Reimser Schule zurück. Auch scheint den Künstlern das Soisson Evangeliar bekannt, stellen sie doch ihren Matthäus ähnlich dar. Aber auch Rückgriffe auf die Vivian Bibel sind in der Architektur hinter Matthäus erkennbar42
Die Darstellungen der Evangelisten sind aber auch Weiterentwicklungen des Lothar Evangeliar und des Evangeliar aus Prüm. Dabei kann der Architekturhintergrund, vor allem bei Markus, seine römische Vergangenheit nicht leugnen, zeigt er doch eine dreistöckige Exedra.
Die majestas domini orientiert sich direkt an der Vorlage aus Vivian Bibel mit Christus in der Mandorla, die wieder in einer Raute platziert ist, an deren Ecken Kreise angebracht sind, in denen die Evangelisten dargestellt sind.
Wie bereits im Herrscherbild der Bibel von St. Paul, befindet sich auch hier Karl der Kahle unter einem byzantinisch inspirierten Thronbaldachin. sein Mantel zeigt aber keine tablion mehr. Der perspektivisch erscheinende Baldachin gibt dem Bild tiefe, dennoch sind die Figuren wieder zweidimensional auf das Bild gelegt. Wie schon bei der Bibel von Grandval entsteht hier der “Bühnenraum” Koehlers.
Beiderseits des Thrones befinden sich zwei Frauen mit Füllhörnern, die auch hier, wie in der Antike, Städte oder Provinzen repräsentieren. In diesem Fall stellen die Beiden Frauen Francia und Gotia dar, wie der Text des Bildes erläutert.
Das Thronbild zeigt erstmals eine Kombination aller zuvor gezeigten Elemente. So erfährt der König durch Wachen den weltlichen Schutz, den göttlichen Schutz über Engel und direkten Schutz von Gott in Form der segnenden Hand. Über den Waffenträgern findet sich zudem die Textzeilen: „Mögen die Waffen Christi, fest ein Leben lang, dich begünstigen für die Ewigkeit / Und möge sein Schild, verteidige dich immer vor dem Feind”, wonach es sich um die Waffen Christi handelt.43 Somit sind es die Waffen Christi die den Kaiser schützen sollen.
Bei der Anbetung des Lamms durch die 24 Weisen, könnte es sich um eine Kopie der Darstellung handeln, die es zu jener Zeit in der Aachener Pfalzkapelle /Aachener Dom gab und heute nur noch als Kopie existiert.44 45


Psalter Karls des Kahlen, Digitalisat: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b55001423q
St. Denis (?) 842-69/70
Auch hier zeigt sich Luithard als Schreiber.
Im Dedikationsbild findet sich über Karl dem Kahlen der Text: Cum sedeat Karolus magno coronatus honore, Est Josiae similis parque Theodosio in dem der gekrönte Karl mit dem biblischen Josia vergleicht und ihm eine religöse Bedeutung verleiht , während die Nennung von Theodosius stellvertretend für die römischen Herrscher steht46
Die Darstellung Davids und seiner Begleiter greift dagegen wieder auf die Vorlagen der Vivian Bibel zurück, zeigt jedoch keine Wachen.

Sakramentar Karls des Kahlen (Fragment), MS lat. 1141, Digitalisat: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b53019391x
St. Denis(?) Metz (?) 869-870
Die Rahmen der Darstellungen sind durch die Vorbilder der Palastschule Karls des Kahlen inspiriert, während die Darstellung der Personen durch die Schule von Reims inspiriert ist.47
Die Gregor Darstellung zieht ihre Inspiration aus der Darstellung des Hieronymus in der Vivian Bibel, ebenso wie wie die majestas domini von der Vivian Bibel inspiriert ist48
Auf Folio 22v ist Karl der Kahle zwischen den Päpsten Gregor IV und Johannes VIII. dargestellt. Karl wird bartlos als junger Mann gezeigt. Seine Darstellung gleicht somit der Darstellung der Salbung des Salomon in der Bibel von St. Paul. 49 Was durchaus beabsichtigt ist, verglich doch Johannes VIII. die Art Karls Recht zu sprechen mit der Salomons.

Nachwirkungen
Goldener Psalter von St. Gallen, Cod. Sang. 22, Digitalisat: https://www.e-codices.unifr.ch/de/csg/0022
St. Gallen 870-900
Mit dem goldenen Psalter entsteht zwischen 870 und 900 die erste Bilderhandschrift im Kloster St. Gallen. Die Mönche sind in dieser Arbeit noch nicht bewandert und machen in den Techniken durchaus Fehler, doch scheinen sie schnell gelernt zu haben. Sie greifen bei ihrer Arbeit auf Vorlagen zurück, die wohl aus dem Bereich der Schule von Tours oder deren Nachfolgern stammen, kopieren diese jedoch nicht 1 zu 1, sondern lassen Eigenschöpfungen entstehen. Nicht zwingend müssen die Vorlagen in St. Gallen vorgelegen haben. Auch das knapp 50km entfernte Kloster auf der Insel Reichenau ist denkbar, denn mit diesem stand St. Gallen in enger Beziehung.
Der Goldene Psalter von St. Gallen setzt auf P2 mit einer Darstellung Davids, mit vier Musikern, als Repräsentationsbild ein. Es ist das erste Mal, dass in St. Gallen ein solches Bild entsteht, dementsprechend weiß man noch nicht, wie man vorgeht, denn das Papier wurde vorher liniert, was inzwischen dazu führt, dass die Farbe an einigen Stellen abblättert. Diese Unerfahrenheit mit der Materie zeigt sich auch im fleckigen Auftrag des Purpurgrundes.
Das aber bedeutet, die Künstler kannten zwar die antiken Vorlagen, bzw. die Vorlagen aus den Palastschulen Karls des Kahlen, nicht aber die Technik. Kamen also selbst nicht aus Tour, Reims oder St. Denis.50
Vorbild für die Rahmung des Bildes ist folio 423r der Vivians Bibel, also deren Herrscherbild. Die Darstellung der Figuren zieht ihre Inspiration ebenfalls aus der Vivian Bibel, aber auch aus anderen Werken der Hofschule Karls des Kahlen, ( Psalter Karls des Kahlen und Bibel von St. Paul) aber auch früheren Werken wie dem Vespasian Psalter51
Auch bei der Darstellung des Hieronymus auf p14 geht der Zeichner eigene Wege, lässt sich aber dennoch inspirieren. So zeigt er den Kirchenvater in liturgischem Ornat, doch lässt er die Dalmatik mit ihren weiten Ärmeln und den Clavi, ebenso wie das Cingulum, den Gürtel, weg. Dementsprechend steht Hieronymus in Alba, der Unterkleidung, und Kasel da, trägt aber die Stola über der Kasel (eigentlich sollte sie darunter getragen werden). Eggenberg vermutet, unter anderem aus den Faltenwurf der Kassel, in den die Stola wie in einen Schoß fällt, dass der Maler des St. Galler Psalter sein ursprüngliches Vorbild aus der Vivian Bibel und der Bibel von St Paul nahm und die Sitzfigur des Hieronymus zu einer Standfigur umgestaltet.52
Auch die Ansicht Davids bei der Befehlsausgabe auf p139 lässt sich mit den Werken der Schule von Tours in Verbindung bringen. Der Gestus Davids entspricht dabei dem Gestus des Moses in der Bibel von Grandval Bibel bei der Verkündigung der 10 Gebote , entsprechend auch aus der Vivian Bibel und der Bibel von St. Paul.53
Die auf p132, p140 und p141 Reiter bzw. bekannten Reiter und Reitergruppen speisen sich dagegen aus dem Berner Prudentius der sich um 900 im Kloster Reichenau befand54 . Von dort kopiert er etwa p82 ( https://www.e-codices.unifr.ch/de/bbb/0264/82) und p6155 Er behält dabei die Form der Helme bei, kann aber mit den im Prudentius gezeigten römischen Pteryges nichts mehr anfangen. Er ignoriert daher die Darstellung der Rüstung weitestgehend und ersetzt sie durch eine Brünne.
Eggenberger erkennt aber auch Parallelen in der Trajanssäule, die er als so frappant sieht, als dass es sich um Zufall handeln könnte.56
So gibt er zu bedenken, dass wenn tatsächlich versucht worden sei Schuppenpanzer darzustellen, diese von der Trajanssäule übernommen worden sein müssen.-
Die Darstellungen basieren insgesamt auf älteren Vorlagen, werden jedoch in Teilen in die Jetztzeit des späten 9. Jahrhunderts transportiert, bzw. unbekanntes wird angepasst. Während die Helme noch die Vorbilder nutzen, wie sie in der Vivian Bibel, dem Lothar Evangeliar, Bibel von St. Paul oder dem römischen Prudentius genutzt werden, ist die Rüstung zeitlich angepasst. Sie werden als Kettenhemden interpretiert57585960 und nicht als Schuppenpanzer, wie gerne behauptet. t Eggenberger gibt zu bedenken, dass wenn versucht worden sein sollte Schuppenpanzer zu zeichnen, diese auch nur als Vorlage von den sarmatischen Kriegern der Trajanssäule stammen können.
Eggenberger umgeht mit dieser Aussage einen Kritikpunkt, den Coupland61 anbringt. Dieser stellte die Frage warum die Helme klar antikisierend sind, die Rüstungen jedoch nicht.

Fazit:
Kaum eine Darstellung, die sich in den Schulen unter Karl dem Kahlen findet, ist originär karolingisch.
Der westfränkische karolingische König und spätere Kaiser sieht sich selbst und wird auch von anderen als legitimer Nachfolger Weströmischer Kaiser gesehen und dies bringen die Abbildungen zum Ausdruck. Nicht die Darstellung von Realismus ist ihr Ziel.
Doch nicht nur im Reich der Karolinger gab es dieses Bestreben. Auch in Byzanz, das nun wieder aus der dunklen Phase des Ikonoklasmus hervortrat, gab es Bestrebungen, an den Glanz der früheren Epochen anzuknüpfen. Hier wird sie als Makedonische Renaissance bezeichnet und zeigt sich in Handschriften wie den “Homilien des Gregor von Nazianz”. Auch hier wird auf die älteren Darstellungen der Antike und Spätantike zurückgegriffen.
Wichtig war den Illustratoren die Gesamterscheinung. Die Antike, bzw. das (West-)Römische Kaiserreich, wird in der Gegenwart der Karolinger, bzw. deren König wieder lebendig, dabei zeigt sie in Details wie Lanzen, Schildern und Schwertern ihr eigenes Sein, während sie der Gesamtheit der Darstellungen einen römisch imperialen Habitus annehmen.
Die Verwendung byzantinischer Symbolik, wie dem gekuppelten Thron Baldachin, lassen eine Anekdote der Gesta Karoli Magni des Notker Balbulus in neuem Licht erscheinen. Notker schrieb im Auftrag Karls III. ab 883 eine Geschichtenerzählung über Karl den Großen, die er als Biographie tarnte, weshalb er auch als “erster deutscher Geschichtenerzähler” bekannt ist. Darin versteckte er aber Kritik an den gegenwärtigen Zuständen. So lässt er Karl Höflinge kritisieren, die byzantinische Tracht der fränkischen Vorziehen.62
Auch befand sich auf dem Lateran in Rom ein Reiterstandbild, das als Kaiser Konstantin der Große angesehen wurde. Es handelt sich jedoch um Marc Aurel. Als man dies in der Renaissance feststellte, wurde der heidnische Kaiser vom Lateran entfernt und auf dem Kapitolsplatz aufgestellt. .
Auch gilt es zu bedenken, dass die illuminierten Handschriften nie für ein großes Publikum gedacht waren. Primär wurden sie für den König/ Kaiser hergestellt. Ihr Zugriff war somit beschränkt auf hohe Adelige und den hohen Klerus. Dabei handelte es sich um Personen, die eine Ausbildung in den Sieben freien Künsten erhalten hatten. Dieser Personenkreis war also mit den Antiken Vorlagen durchaus vertraut und konnte diese Einordnen und verstehen.
Letztendlich bleibt zusammenfassend nur zu sagen dass esdie bekannten Helme und Muskelpanzer aus der Vivian Bibel in der Zeit der Karolinger nicht gab, und auch Schuppenpanzer sind aus der Perspektive der Kunstgeschichte kritisch zu betrachten.
Bamberger Alkuin Bibel fol7v ↩
Vasiliki Mavroska „Adam and Eve in the Western and Byzantine art of the Middle Ages“ S.59ff und Reallexikon der Germanischen Altertumskunde“ Band 16 S.305 ↩
Ein Digitalisat kann hier eingesehen werden: https://digi.vatlib.it/view/MSS_Vat.lat.3225 ↩
D. Ganz, The Vatican Vergil and the Jerome Page in the First Bible of Charles the Bald S46 ↩
C.R. Dodwell, The Pictorial Arts Of The West 800-1200, S47 ↩
E.G. Grimme, Die Geschichte der abendländischen Buchmalerei S34 ↩
Vasiliki Mavroska „Adam and Eve in the Western and Byzantine art of the Middle Ages“ S.59ff und Reallexikon der Germanischen Altertumskunde“ Band 16 S.305 ↩
vgl. D.H.Wright, When the Vatican Vergil was in Tours, in Studien zur mittlelalterlichen Kunst, 800–1250: Festschrift für Florentine Mütherich zum 70. Geburtstag S 3-66 ↩
C.R. Dodwell, The Pictorial Arts Of The West 800-1200, S71 ↩
W. Köhler, Die karolingischen Miniaturen Band 1 / 2 ↩
Siehe zu Girlandensarkophag etwa hier: https://arachne.dainst.org/entity/1098204 ), Girlandenschmuck in Pompeji : https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Fichier:House_of_the_Silver_Wedding_in_Pompeii_watercolor_by_Luigi_Bazzani.jpg ↩
vgl. Charles Niver, Review to Wilhelm Köhler, Die Schule von Tours: Die Bilder in Speculum, Vol. 10, No. 2 (Apr., 1935) ↩
Peter Dronke, Vita Boethii. From the Early Testimonies to Boecis in Scripturus vitam S. 287–294 ↩
Link:https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/75/Karl_der_Grosse_-_Pippin_von_Italien.jpg ↩
D. Ganz, The Vatican Vergil and the Jerome Page in the First Bible of Charles the Bald S.45 ↩
D.Ganz The Vatican Vergil and the Jerome Page in the First Bible of Charles the Bald p49 ↩
Christoph Winterer „Stasis und Bewegung im Herrscherbild Karls des Kahlen“ in „Habitus – Norm und Transgression in Bild und Text“ S. 19 ↩
Angela Geyer „Die Genese narrativer Buchillustration – Der Miniaturenzyklus zur Aeneis im Vergilius Vaticanus“ ↩
Vgl. David H. Wright, Der Vergilius Vaticanus. Ein Meisterwerk spätantiker Kunst. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz, 1993, S. 106–109 ↩
vgl. z.B. Eugen Ewig, Troja und die Franken ↩
Abbildung : https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:07_constantius2Chrono354.png
C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli S 34 ↩
Größe ca: ca. 303cm x 182cm vgl. N.Jung, H.Kempens, Die bamberger Kaisergewänder unter der Lupe – Methoden und Ergebnisse der aktuellen Forschung S36ff ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S79 ↩
J. Strothmann, Das Augustusnomen Karls des Großen, S276 ↩
E.Boshof Kaiser Lothar I.: Das Ringen um die Einheit des Frankenreichs in Lothar I. Kaiser und Mönch in Prüm S49 ↩
M. Roland, Zierschriften und Miniaturen als Mittel der “Selbstdarstellung” von Stiftern in : Régionalism et Internationalism. Problèmes de Paléographie et de Codicologie du Moyen Âge : actes du XVe Colloque du Comité International de Paléographie Latine S 209 ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S85 ↩
E.G. Grimme, Die Geschichte der abendländischen Buchmalerei S.51 ↩
J. E. Gaehde, The Pictorial Sources of the Illustrations to the Books of Kings, Proverbs, Judith and Maccabees in the Carolingian Bible of San Paolo Fuori Le Mura in Rome S359 ↩
Link https://de.wikipedia.org/wiki/Theodosius-Missorium#:~:text=Das%20Missorium%20befindet%20sich%20heute,%3D%20Sendung%20oder%20mensa%20lat. ↩
Abbildung https://www.metmuseum.org/art/collection/search/464378 ↩
vgl. J. E. Gaehde, The Pictorial Sources of the Illustrations to the Books of Kings, Proverbs, Judith and Maccabees in the Carolingian Bible of San Paolo Fuori Le Mura in Rome S.374 ↩
Ute Schwab , Die vielen Kleider der Passion in Theodisca S.232 ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S119 ↩
H. Schade Studien zur karolingischen Bilderbibel aus St. Paul vor den mauern in Rom (Teil2) S15 ↩
J. E. Gaehde, The Pictorial Sources of the Illustrations to the Books of Kings, Proverbs, Judith and Maccabees in the Carolingian Bible of San Paolo Fuori Le Mura in Rome S386 ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S.25 ↩
R. Pizzinato, Vision and Christomimesis in the Ruler Portrait of the Codex Aureus of St. Emmeram S146 ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S.102 ↩
R. Pizzinato, Vision and Christomimesis in the Ruler Portrait of the Codex Aureus of St. Emmeram S.153 ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S109 ↩
R. Pizzinato, Vision and Christomimesis in the Ruler Portrait of the Codex Aureus of St. Emmeram S.158-159 ↩
H. Schade Studien zur karolingischen Bilderbibel aus St. Paul vor den Mauern in Rom (Teil2) S15 ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S.96 ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S.96-98 ↩
H. Schade Studien zur karolingischen Bilderbibel aus St. Paul vor den Mauern in Rom (Teil2) S.17 ↩
C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli S 39 ↩
C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli S 51 ↩
C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli S 60 ↩
. C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli S139 ↩
vgl. C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli S138 ↩
vgl. C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli S126 ff ↩
C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli S138 ↩
F.Mütherich, J.E.Gaehde, Carolingian Painting S124 ↩
vgl. C. Eggenberger Psalterium Aureum Sancti Galli ↩
vgl. B.S. Bachrach Charlemagnes Cavalry: Myth and Reality ↩
F.L. Ganshof Frankish Institutions Under Charlemagne S65ff ↩
S. Coupland Carolingian Arms and Armor S.31 ↩
Notker, Gesta Karoli, II, 17 ↩
Sorry, hat etwas gedauert... Ist aus einem Plan der sich bei Rudolf Kautsch, Der Dom zu Worms (1938), aber auch…
Hi, zur Baugeschichte des Doms: "Das Langhaus besitzt die Abmessungen des heutigen Domes und endet an einem Spannfundament am zweiten…
Man könnte hier auch noch den Bericht der Annales Nazariani zum Tassilo-Prozess in Ingelheim 788 anführen: "Und als das so…
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl