Kleiner Wikipedia-Westwerks-Rant
Ich hab mich schon länger nicht mehr hier aufgeregt. Mag an meinem Alter liegen, keine Ahnung, aber im Moment platzt mir ein wenig die Hutschnur.
Im Moment suche ich viele Informationen über Kirchen und Westbauten. Da ich nicht jedes Buch über irgendeinen Kirchenbau kaufen kann ist man dann doch hin und wieder auf das Netz angewiesen. Erste Anlaufstelle ist immer wieder Wikipedia. Und genau bei der rollen sich mir dabei immer wieder die Fußnägel hoch!
Fangen wir beim Hildesheimer Dom an. Liest man den Artikel hat man das Gefühl der Dom sei recht einheitlich entstanden, aber hat halt hin und wieder mal ein paar Umbauten erfahren. Nun war ich kürzlich in Hildesheim und hab mich mit Literatur eingedeckt.
Der Bau ist alles andere als Einheitlich! Karl Bernhard Kruse kam 2017 auf 14(!) Bauphasen. Das geht soweit das nach dem Brand von 1041 Bischof Azelin die komplette Ausrichtung des Doms änderte! Er nahm den Westbau, lies die Ruinen im Osten da wo sie sind und baute seinen Dom gewestet, also in die entgegengesetzte Richtung, auf. Noch heute orientiert sich der freie Platz vor dem Dom an diesem Bau! Dieser Dom wurde zwar in großen Teilen bereits durch seinen Nahfolger Hezilo beseitigt, sollte aber mal zumindest erwähnt werden.
Dann steht da “zentral im Raum (der Krypta) ist das bei den Ausgrabungen aufgefundene Grab des Hildwin aufgestellt.”
Nein! Einfach Nein!
Ja da steht ein Grab das bei Ausgrabungen gefunden wurde. Aber Hildwins ist es nicht. Hildwin war nicht mal in der wissenschaftlichen Diskussion.
Das Grab wurde anthropologisch und mit Isotopenanalyse untersucht. Diskutiert wurden der Erbauer des ersten Doms Altfried und Ebo von Reims dritter Bischof in Hildesheim. Aber es kann keiner der beiden sein. Der Tote kam wohl irgendwo aus Mitteldeutschland und kam erst im Erwachsenenalter nach Hildesheim. Und das wars. Mehr weiß man nicht! Daran ändert auch nix das es auf diversen Seiten falsch steht und jeder von jedem abschreibt. Ein typischer Zirkelschluss.
Die Wiki hat auch keine Quelle für die Angabe!
Übrigens ist damit Hilduin von St.Denis gemeint der mal als Gründer des Ortes Hildesheim in die Diskussion gebracht wurde. Der möglicherweise identisch sein könnte mit Bischof Hilduin von Köln. Unwahrscheinlich das der sich in einer kleinen Kapelle (mehr war Hildesheim zu diesem Zeitpunkt nicht, bestatten ließ.
Und dann diese verkackte Vermischung von Begriffen. Ich meine ich bin schon froh das nicht der Begriff Westwerk auftaucht, aber die Westfront des Doms ist kein “sächsischer Westriegel”! Das ist zwar ein “Westriegel” aber kein “sächsischer Westriegel”. Und bevor mir jemand mit Westwerk kommt: NEIN!!!! Verdammt nochmal NEIN!
Der “sächsische Westriegel” ist ein monolitischer Block, der bis zur Höhe des Langhauses reicht und auf dem dann 2 Türme, die Älteren octagonal, aufsitzen, So wie etwa St.Cosmas und Damian in Goslar, der Braunschweiger Dom oder aber auch der Stift in Gandersheim. Und was haben die Dinger gemein? Die tauchen erst um 1100-1150 auf!1
Auch der Artikel zur Stiftskirche Gandersheim ist Mist. „(…)erst 1007 geweiht. (…)Es wird vermutet, dass in dieser Zeit auch die vortretenden Arme des Westwerks gebaut wurden (..)Nach Schädigungen durch einen zweiten Brand wurde der Umbau des westlichen Querhauses erforderlich(…)
Die „hervortretenden Arme des Westwerks“ sind das „westliche Querhaus“ von dem später die Rede ist. Und es wurde in der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts erbaut. Das vermeintliche Westwerk, also der sächsische Querriegel, entstand erst um/nach 1100 als man ein Paar zwei oder dreistöckige Rundtürme ummantelte die auf die Emporen des Westquerschiffs führten und wohl als Glockentürme dienten. Einen Eingang im Westen scheint es nicht gegeben zu haben. Woher ich das weiß? Ich hab hier die Baualterskatierung aus dem September 1999 vor mir liegen.
Und wo wir dabei sind: Der Artikel zu “sächsischer Westriegel” ist Stuss! Aber mal so komplett! Da wird Breitturm, Westriegel, Sächsischer Westriegel und Westwerk bunt gemischt. Dann ist da als Beispiel die Liebfrauenbasilika in Maastricht angegeben. Das Ding ist eine ottonische Dreiturmgruppe und fällt in eine Schiene mit Gernrode (In dem Artikel taucht 13x Westwerk auf, furchtbar) und dem Stift Kaufungen (der natürlich da nicht auftaucht)2 Und warum der Text unter dem Bild von Maastricht “nicht östlich von Issel und IJssel, sondern westlich der Maas: Liebfrauenbasilika (Maastricht), Westwerk ab 1000” lautet, erinnert mich an ein Kreuzworträtsel, ist mir schleierhaft. Aber dann wieder Westwerk dazu schreiben im Artikel vom sächsischen Westriegel…. arghhhhhh
In dem Artikel kommen darunter noch die Breittürme, die zwar mit dem Westriegel verwandt sind aber mit dem sächsischen Westriegel auch nichts zu tun haben!
Der ganze Artikel hat 3 allgemeine Literaturverweise (keine Fachbücher!) und sage und schreibe eine Quellenangabe, die sich aber auch nur auf die Krypta in Hildesheim bezieht. Gut, da steht der Vermerk das Quellen fehlen, aber die Diskussion im Artikel ist auch für die Füße (Da fragte 2011 jemand nach Häufigkeit von Süd und Nordtüren ohne das etwas zurück kommt )
Ist mir klar das ich früher selbst mit Quellen geschludert habe. Ich bereue das inzwischen zutiefst weil ich selbst den ganzen scheiß wieder raussuchen muss wenn ich was nachschauen will. Aber zurück zum Thema.
Über den Westwerksbegriff hatte ich mal hier (https://www.tribur.de/blog/2012/05/07/zur-westwerks-problematik/) geschrieben, aber ums kurz zusammenzufassen: Der Begriff entstand eigentlich aus einem Streit zwischen Wilhelm Effmann und Georg Dehio. Dehio vertrat die Auffassung es gibt kein Westwerk, nur Doppelturmfronten und alles geht auf eine einzige Urform zurück, Effmann sagte es gibt ein Westwerk in Corvey das durch Form und Funktion bestimmt ist und versuchte das an anderen Orten zu finden (viel Stuss dabei) und wollte daraus die Doppelturmfassade ableiten. Problem: nach Effmanns und auch späteren Definitionen ist nur Corvey ein Westwerk.
Und deswegen gibt es den Oberbegriff “Westbau” der sich dann ausdifferenziert in Westquerhaus, Westriegel, sächsischer Westriegel, Breitturm, Dreiturmgruppe, Doppelturmfassade, Westwerk usw. und alles noch in Kombination wie Westchor a.ö. oder aber wenn Westwerk synonym mit Westbau verwendet muss das dann aber auch Konstant durchhalten und nicht hin und herspringen, so wie es die Wiki ständig macht und sich dann auch widerspricht. Der Artikel zu Westwerk folgt dann auch der Meinung Uwe Lobbedeys, der meint man müsse den Begriff weiter fassen oder Synonym für Westbau nutzen. Aber zumindest schreiben sie es dazu. ( Nach einer ellenlangen Diskussion in der jemand die selbe Meinung wie ich vertritt) Mir ist klar das verschiedene Leute das geschrieben haben, aber bei anderen Themen gibts auch Vorgaben! Man könnte doch einfach ´ne Fußnote reinpacken “*orientiert sich am Westwerksbegriff nach Lobbedey/ kein Westwerk nach Schönfeld de Reyes” oder so und dann auf das Lemma verlinken.
Allgemein ist das Problem die Quellen bei Kirchenbauten. Es ist schön das die Wikipedia so viel abdeckt. Aber wenn man sich die Quellen für die Kirchenbauten ansieht stellt man oftmals fest, dass da der klassische Schnell+Steiner Kunstführer verwendet wird, oder der lokale Druck der in der Kirche für 5€ zu kaufen ist. Ist ja nicht schlimm, hole ich mir auch immer. Aber was doof daran ist, schaut man mal in den Umschlag ist das dann meist die 57. Auflage des Originals von 1962… Man mags kaum glauben aber die Welt und die Erkentnisse ändern sich. Längst hat eine umdatierung eines Bauteils stattgefunden oder ähnliches. Und schwups hat irgendein Chronologieschwurbler den alten Kunstführer in der Hand erkennt dass das Kapitell doch nicht von 850 sonder 1050 ist und schon ist die Karolingerzeit erfunden…
Das Ganze fällt unter die Rubrik “Einfache Lösungen für komplizierte Probleme!”, das was ich seit Jahren Sendungen wie Terra-X vorwerfe und was sich die Querschwurbler, Esoteriker und Pseudoheilsbringer zu eigen gemacht haben.
Natürlich kann man mir jetzt vorwerfen, warum ich denn nicht die Wikipedia Artikel ändere, wenn sie mir auf den Wecker gehen. Aber ich Arbeit bis zu 60 Stunden die Woche, ich mache den Kram hier und ich hab in den letzten anderthalb Monaten 9 Bücher gekauft, die sich nicht von alleine lesen. Und most of all: Ich hab keinen Bock auf die Edit-Wars die sowas nach sich ziehen würden, weil dann brauch man nichts anderes mehr tun.
Wens interessiert: Heiko Seidel : Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte sakraler Westbaulösungen S.106 / und warum zum Henker hat der seine Diss unter Cord Meckseper auf A4 Quer geschrieben???? ↩
Artikel von 1955! dazu hier: https://www.rdklabor.de/wiki/Dreiturmgruppe ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…