Der Stand der Curtis Forschung und ihre Bedeutung für Trebur
Anmerkung: Ich will mich in nächster Zeit noch mal mit der Ortsentwicklung Treburs befassen. Diese wird in Teilen stark geprägt von einer Ortsbegehung, die Dr. Willi Görich, Dr. Michael Gockel und Eugen Schenkel in Trebur durchführten und bei der Görich eine „Doppel-Rechteck-Curtis“ identifizierte (oder identifiziert haben wollte). Zu dieser Anlage und deren Beziehung zum Begriff Curtis gibt es erst mal einiges klar zu stellen….
Die ursprüngliche Identifikation von Curtes als wehrhafte Anlage stammte von C. Schuchardt und K.Rübel. Der Gedanke war, es handele sich um eine Befestigung die im Zuge der Sachsenkriege durch Karl den Großen angelegt wurde und und u.a. der Versorgung der Truppen diente, wobei versucht wurde Form und Funktion aus dem Capitulare de villies vel curtis imperii abzuleiten1
Die rechteckige Form die der Curtis sowohl von Schuchardt als auch später Görich der Curtis zugewiesen wird, ist textlich jedoch nicht nachweisbar. Vielmehr wurde dieser aus der karolingischen Renaissance begründet. In Anlehnung an die Römer habe man, ähnlich den römischen Kastellen, auf rechteckige Grundrisse zurückgegriffen. So wies bereits Hermann Hinz darauf hin, das es im römischen Festungsbau keine Zweiteiligkeit der Anlage, wie bei curtis und curticula gibt. Zudem nennt das Brevium Exempla die curticula lediglich bei 3 von 5 Orten.2 und kommt auch zu dem Schluss, dass sich aus den Textquellen keineswegs eine Befestigung der Anlage im Sinne eines Wehrbaus erschließen lässt.
Aufbauend auf Schuchardt versuchte nun Willi Görich, ein Etappensystem in Hessen nachzuweisen, welches er in Verbindung mit Karl dem Großen und den Sachsenkriegen brachte. Demnach seien bereits unter Karl Martell befestigte Curtes angelegt worden. Ihre Form benannte er nach Normannenschilden als „schildförmig“. Exemplarisch führte er unter anderem immer wieder das Alte Gronauer Schloss an. Für nach 774 geht er von Rechteck- oder Doppelrechteck-Curtis aus, wobei er diese als seltenere Form ansieht und diese möglicherweise auf älteren Anlagen aufbauen sollten. Auch er beruft sich in der Form auf die karolingische Renaissance. Seine Theorie veröffentlichte er zusammenfassend 1952 in „Rast-Orte an alter Straße? Ein Beitrag zur hessischen Straßen- und Siedlungsgeschichte“3 , einer Festschrift für seinen Lehrer Edmund E. Stengel.
1958 meldete bereits Hildegard Dolling zweifel an den Theorien an. In „Haus und Hof in den Westgermanischen Volksrechten“ schreibt sie, das der Begriff Curtis nicht verbunden ist mit einer Befestigung. Aber davon ging Görich aus. Befestigte Wegstationen nach Sachsen zum Schutz und der Versorgung der Truppen im Sachsenkrieg. Es kristallisierte sich heraus das das gemeinsame Element aller Curtis ihre Tätigkeit als Wirtschaftshof ist. Und diese konnte nicht für alle Anlagen des Typs von Görich identifizierten Typs nachgewiesen werden.
Wie auch H. Hinz 1967 und H. Dolling 1958 schon Einwände an den Curtis Theorien Schuchardts, Rübels und Görichs anbrachten, so tat dies 1984 auch Rolf Gensen, als er in „Hessen im Frühmittelalter“ schrieb, das bei den mittelgroßen Burgen des Frühmittelalters kein einheitlicher Typ erkennbar sei, auch wenn Görich diese als Etappenstationen bezeichne.4
Für ein, noch von Schuchardt ergrabenes Objekt, Alt-Schieder, gelang der Nachweis der Curtis aus Textquellen, als auch durch archäologische Funde. Jedoch entstand hierbei ein Problem welches das erdachte System von Curtis und Curticula ( Hof und Vorhof) zum einstürzen brachte. Schuchardt sah in Alt-Schieder eine Rechteck-Curtis mit im Westen vorgelagerter Curticula. Was er nicht wusste war das die vermeintliche Curticula tatsächlich die Curtis des 9., möglicherweise auch 8. Jahrhunderts darstellte. Die als Curtis gedeutete rechteckige Wallanlage dagegen stammte aus dem 10. Jahrhundert und hatte die die ältere Anlage nur als Vorburg zweckentfremdet. Dieses Missinterpretation entstand durch die damaligen Ungenauigkeit bei der Datierung von Keramik.5
Auch für das bereits erwähnte Alte Gronauer Schloss änderten sich durch Neuinterpretation der Keramikfunde die Datierungen. Waren die Funde Görichs noch auf die zweite Hälfte des 8. und das frühe 9. Jahrhundert datiert worden, so zeigt sich nun eine Datierung in die späte Karolinger- bis Ottonenzeit, was mit den C14 Datierungen von Ausgrabungen 2016 korreliert. Möglicherweise war das Alte Gronauer Schloss mit den Höfen bei Ebsdorfergrund-Dreihausen, dem Christenberg und der „Huhnburg“ Teil eines Landesausbaus der Konradiner im 10. Jahrhundert6
Es bleibt also festzuhalten, dass es keinerlei Zusammenhang der „schildförmigen“ oder „(doppel)rechtigen“ Anlagen und einer echten Curtis gibt. Die Curtis besaß allem Anschein nach keinerlei vorgegebene Form und lässt sich im Befund lediglich anhand von archäologischen Funden von Handwerkstätigkeit nachweisen.
Was bedeutet das für Trebur?
Das Trebur eine Curtis, in welcher Form auch immer, besaß, erschließt sich aus den Textquellen. Wo sich diese befand erschließt sich daraus aber nicht. Dabei gilt es zu beachten, das der Begriff Curtis, palatium oder andere für Pfalzen verwendete Begriffe synonym und pars pro toto verwendet wurden.
Das von Dr. Willi Görich entworfene „Etappensystem“ muss als verworfen betrachtet werden und die Funktion der Schildförmigen rechteckigen Anlagen kann lediglich auf eine mögliche Wehrhaftigkeit beurteilt werden, wobei eine Datierung auf Begleitfunden basiert. Es kann weder mit einer Curtis gleichgesetzt, noch von einer Form zwingend auf eine Datierung geschlossen werden.
Für Trebur hatte Görich zunächst einer Karte von 1953 folgend, benannt „Vermutete Königsstrassen des 8./9. Jahrhunderts“, nach als „Curtes Sporn= oder Ecklage, klarer Schildform oder sicherer Überlieferung“ bezeichnet. Bei der in den 1970er Jahren erfolgten, aber nicht publizierten, Ortsbegehung in Begleitung von Dr. Michael Gockel und dem ehrenamtlichen Denkmalpfleger Eugen Schenkel wurde die Curtis später von Dr. Dieter Wolf in der Karte als „Doppelrechteck Curtis“ eingetragen.7
Jedoch trägt diese Karte den Vermerk „Vorschläge zur Güte“. Dieser Ausspruch war ein Markenzeichen Görichs, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten in der Sache bei den Beteiligten kam.8 Um dennoch zu einem Ergebnis zu kommen, machte Görich dann einen entsprechenden Vorschlag um alle Seiten zufrieden zu stellen. Worin nun diese Meinungsverschiedenheit bestand konnte ich leider nicht herausfinden.
Geht man davon aus, dass die dreieckige, höhergelegene topographische Struktur im Bereich Laurentiuskirche/ Obere Pforte bereits bestand und zeichnet diese innerhalb der Zeichnung Görichs „Curtis“ ein und vergleicht sie mit dem Lageplan des Alten Gronauer Schlosses, so zeigt seich eine extreme Ähnlichkeit in Form und Größe.
Möglicherweise könnte somit Görichs Einordnung als „schildförmig“, als auch die angesprochenen Meinungsverschiedenheit erklärt werden.
Jedoch tauchen auch weitere Probleme auf. Viele von Görichs vermeindlich entdeckten „Curten“ beruhen auf Begutachtungen von Kartenmaterial sowie dessen „Curtis-Fahrten“, die er gemeinsam mit seinen Studenten unternahm.
Wie mir einmal mitgeteilt wurde, war es Görich dabei durchaus möglich überall „seine Curtis“ zu finden, wenn er denn nur wollte.
Dies zeigt sich wenn man den von Görich „identifizierten“ Curten nachrecherchiert. So ist zu Fritzlar im Repetorium der Deutschen Königspfalzen vermerkt: „Das Vorhandensein einer Doppel-Rechteck-Curtis wird von Stoob, Fritzlar /Deutscher Städteatlas Lfg.2.Nr.4) Begleittext wohl zu Recht in Abrede gestellt“.9
Auch im hessischen Friedberg zeigt sich eine ähnliche Problematik. Hier verortete Willi Görich die Curtis in den den Bereich östlich der Kaiserstraße, um die Stadtkirche herum.10 Die Denkmalpflege Hessen verortet sie mittlerweile in die Burg Friedberg selbst11
Es ist also fraglich in wie fern eine schildförmige oder rechteckige Anlage in Trebur vorhanden ist. Was nun die Identifikation einer wie auch immer gearteten Anlage als Curtis angeht, ist nicht davon auszugehen das es sich bei der Anlage nördlich des Schwarzbaches, also im Bereich Obere Pforte und nach Westen über die Groß-Gerauer-Straße hinaus um eine Curtis handelt. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine Handwerker Siedlung. Vielmehr wäre diese, und somit auch die Curtis als solche, südlich des Schwarzbaches im Bereich der Gemarkung Vogtei/Hostertgasse mit Zentrum der abgegangenen St. Albanskirche anzusiedeln. Für diesen Bereich ist durch zahlreiche Lesefunde eine Handwerkssiedlung mit Geweih-, Textil- als auch Metallverarbeitung nachgewiesen.
Band 5 des Reallexikons der germanischen Altertumskunde hatte sich dieses Problems unter dem Lemma curtis ebenfalls bereits angenommen. Nach deren Definition wäre der Bereich nördlich des Schwarzbaches als caput fisci oder villa capitanea anzusprechen, also als Haupthof des Fiskalbezirkus oder Hauptort. Es wäre die Sammelstelle aller im Fiskalbezirk produzierten Gütern.
Dennoch möchte ich die Beobachtungen der Ortsbegehung und der dabei entstandenen Entwicklungsphasen nicht in Gänze verwerfen. Lediglich das seiner Zeit als Curtis angesprochene Gebiet sollte nicht als solches betrachtet werden. Meiner derzeitigen Auffassung könnte es Burg und Vorburg angesprochen werden, wobei letztere Lagerstätten und einen Hafen/Anlegestelle geboten haben könnte.
H.Hinz Die Stellung der Curtes innerhalb des karolingischen Wehrbaus 1967 S130 ↩
H.Hinz Die Stellung der Curtes innerhalb des karolingischen Wehrbaus 1967 S130-131 ↩
online hier http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/z/zsn2a039352.pdf ↩
Rolf Gensen, Hof Dorf und Burg im frühen Mittelalter besonders Nordhessens in Hessen im Frühmittelalter 1984, S.62/63 ↩
Zu Schuchardts Zeit wurde Pingsdorfer Ware noch in spätrömische Zeit datiert ↩
M.Gottwald, V.Hess, C.Röder Das „Alte Gronauer Schloss“- eine pfalzartige Befestigung im Salzbödetal in Hessenarchäologie 2016 S134 ↩
Karte vorliegend ↩
vgl. H.-P- Lachmann Nachruf auf Willi Görich zu dessen 100. Geburtstag, online abrufbar: http://www.vhghessen.de/inhalt/zhg/ZHG_112/15_Lachmann_Bibliographie%20Willi%20Goerich.pdf ↩
M.Gockel, F. Staab, F. Schwind Fritzlar (Schluß) V1.1 in Die Deutschen Königspfalzen Band1 Hessen Fünfte Lieferung 2001 S501 ↩
W.Görich, Rast-Orte an alter Straße? in Festschrift Edemund E. Stengel 1952 S487 ↩
https://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/5555/ ↩
Hallo,
als bislang stiller Mitleser wollte ich mich mal ganz herzlich für diesen Blog bedanken. Es macht Spaß, den Gedanken zu folgen und auch die ein oder andere Rekonstruktion zu sehen. Früher hatte ich Trebur nicht so sehr auf dem Schirm, auch wenn ich irgendwann mal mit großem Interesse ganz alleine durch die Kirche schleichen konnte. Das hat sich durch den Blog geändert. Schön, dass es nach der Zwischenpause wieder so regelmäßig weiter geht.
Ich beschäftige mich immer auch wieder mit der Siedlungsentwicklung in Südhessen und darüber hinaus. Rein egoistisch gefragt: Wird es eines Tage auch Infos zu dem westlichen Teil des alten Treburer Ortskernes geben, also dieser Erweiterung mit dem breiten Straßenmarkt und den abgehenden Gassen?
Viele Grüße
Daniel Jünger
Den westlichen (staufischen) Teil hab ich immer mal wieder angeschnitten, aber in den nächsten Teilen wird er auf jeden Fall wieder auftauchen!
Ach und übrigens Lob zurück an StadtLandSand.de, wo ich auch immer mal reinschaue!
An de Weinstrasse ( Rhein-Main Gegend in Richtug Paderborn ) liegt bei der Ederüberquerung der Ort Röddenau. Hier kennen wir etlicheFurten.
Das Gebiet zwischen Frankenberg und Battenberg kennen wir als die Mark Rutene. Hier steht eine Kirche in mitten einer ca 2 ha großen Anlage.
Die Grundform entspricht den Anlagen, die zu Beginn des 8. Jahrhunderts von den Franken zum Schutz der Wegstrecke angelegt wurden.
Mitte des 8. Jahrhuderts wurde das Kloster in Fulda gegründet ( Karlmannschenkung ). Zur Unterstützung dieses Klosters erfolgte durch Bonifatius
der Aufruf an die im Gebiet von Althessen ansässigen Landbesitzer mit Ländereien Hilfe für das Kloster und seine vielen Mönchen zu leisten.
Über die Hilfe sehen wir große Bereitschaft ( Siehe hier die Traditionen bei Eberhards Codex`). Eine dieser Schenkung war imOrt Batheresdorf dem
Hauptort der Rutene Marka durch den Landbesitzer Albuin. Albuin war wohl ein adliger Landbesitzer im Gebiet Frankfurt/ Mainz und hat an einem
Beutezug gegen die Sachsen teilgenommen und dafür Ländereien an der Eder erhalten. Die Fuldaer Mönche bauten diese Landschenkung an der
Eder aus ( Ein Curtis entstand ). Die jetzige Kirchen in Röddenau steht wohl mitten auf diesem Gebiet. Die Mönche erbauten hier ein dem Sankt
Bernhard geweihten Stutzpunkt aus. etliche Kirchen entstanden als Nachfolge auf den Grundmauern der alten Gemäuer.
Wer kennt mehr zum Thema?
Viel herzliche Grüße. Frank Panienka 04952/3926
Ich bitte um weitere Infos. Wer kann mir helfen.