Gürtelgehänge von Frauen in der Karolingerzeit
Wo fange ich an? Wenn ich nach Objekten oder Rekonstruktionen suche, dann meist aus der männlichen Perspektive, eben weil ich in der Hauptsache nach Sachen für mich suche. Nun aber möchte ich endlich mal einige Sachen für meine Lebensgefährtin fertig machen, in diesem Fall den Gürtel.
Wie das immer so bei Karolingern ist: Wir haben ja nichts! Und wenn, dann meist aus Lesefunden, die ihres Kontextes beraubt wurden oder aber eben aus Funden, die in den Gebieten der Nordmänner gemacht wurden und die ebenso nicht mehr ihren ursprünglichen Kontext besitzen. Oder eben dubiose Abbildungen.
So eine Sache ist das mit Schlüsseln. Dabei rede ich nicht von Schlüsseln für die heimische Haustür oder die Truhe, sondern von Zierschlüsseln. Diese karolingischen Zierschlüssel wurden oftmals als “Petrusschlüssel” angesprochen, die von Pilgerreisen aus Rom mitgebracht worden sein sollen. Aber nicht alle gefundenen Schlüssel sind als Reliquie zu verstehen.1 Und wer über den karolingischen Tellerrand hinaus blickt, kennt solche Zierschlüssel durchaus!
Sie waren Bestandteil der Gürtelgehänge begüterter Frauen, sowohl bei den Alamannen als auch bei den Franken und anderen Gruppen. Der Schlüssel ist dabei sowohl das Symbol der Frau als Hausherrin, als auch als finanzielle Verwalterin.
Diese Funktionen zeigen sich auch noch in der Karolingerzeit ganz deutlich, als Hinkmar von Reims den karolingischen Hofstaat erläutert und dort der Königin den Säckler und der Kämmerer als ihre direkte Untergebenen nennt. Ihr untersteht somit die Verwaltung von Geschenken an und vom Hof, aber auch die Finanzverwaltung der königlichen Güter. Etwas, das auch Königin Fastrada zugeschrieben wird.
Wir haben es also mit Damen zu tun, die noch genauso wie ihre merowingischen Vorfahren, Schlüssel als Symbole ihrer Gewalt mit sich führen. Und wahrscheinlich trugen sie sie genauso wie ihre Vorfahren am Gürtel. Wenn sie diese Gegenstände nun am Gürtel trugen ergibt sich die Frage, ob dort weitere Gegenstände hingen, bzw. ob es ein komplettes Gürtelgehänge gab?

/ aus Grab 30 von Oerlingen. 2 aus Grab 27 von Oerlingen. 3 aus Grab 2 von Oerlingen. Tafel 33 aus „Interpretation und museale Auswertung alamannischer Grabfunde“
Mehr durch Zufall stieß ich auf die Veröffentlichung “Interpretation und museale Auswertungalamannischer Grabfunde” von 19602 In dieser Veröffentlichung beschäftigt sich Vogt mit alamannischen Gürteln von Männern und Frauen. Oder ums anders zu sagen: Er zeichnet dort das gesamte Zeug auf, das da so rumhängt. Und das ist nicht wenig!
Zunächst ist natürlich das Messer, Kamm im Futteral und oft auch eine Schere. Dann kommen andere Gegenstände, denen Eigenschaften von Amuletten zugesprochen wird: die bereits angesprochenen Schlüssel, Bärenzähne, Tigermuschel, Spinnwirtel, gelochte römische Münzen usw. Und dann kommt noch möglicherweise ein Täschchen, das mit einer Zierscheibe verschlossen ist.
Auch wenn Vogt hier explizit über Alamannen*innen schreibt, unterscheiden sich die Funde nicht von zeitgenössischen merowingischen oder sächsischen Funden. Die Zierscheiben gibt es zuhauf, z.B. aus Darmstadt oder Worms. Ein gläserner Spinnwirtel fand sich zum Beispiel in Warendorf3 oder Ense4 Wobei ich anmerken würde, dass ich den Spinnwirtel weniger als Amulet verstehe, sondern ihn auch als Zeichen des Reichtums der Frau verstehe: Sie hatte es nicht mehr nötig selbst zu spinnen, sie hatte ihr Personal dafür und kann es sich leisten einen kostbaren gläsernen Spinnwirtel am Gürtel zu tragen, was natürlich auch ihre Aufsichtsfunktion über die Spinnerinnen zu zeigt5. Auch die Tigermuschel , eigentlich keine Muschel sondern das Gehäuse der Kaurischnecke, zeigt den Reichtum, kam sie doch aus dem indischen Ozean und der Ostküste Afrikas.
Doch am interessantesten finde ich tatsächlich die Täschen mit den Zierscheiben. Zugegeben, es ist nicht ganz klar, ob es wirklich Täschchen waren, oder ob die Scheiben einfach als Amulett am Gürtel hingen. So schreibt Ursula Koch :
“ Zierscheiben wurden von männlichen Archäologen häufig als Taschenbeschläge angesprochen, obgleich sie meistens in Knöchelhöhe getragen wurden, die Taschen also im Stehen oder beim Gehen nicht erreichbar wären. (…) Wahrscheinlich dienten die Zierscheiben – was ihre Verwendung als Teil einer Tasche nicht ausschließt, – den Trägerinnen als magischer Glücksbringer, schützendes Amulett oder auch als Fruchtbarkeitsamulett wie die ebenfalls am Gürtelgehänge zu findenden Geweihscheiben, mit denen Zierscheiben vereinzelt, oder Cypraeen (Anmerkung: das sind die “Tigermuscheln”) , mit denen Zierscheiben oftmals kombiniert waren. “6
Während Koch die Verwendung als Tasche also nicht ausschließt, schreibt der Flyer des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg zum Kunstwerk des Monats Oktober 20127
“Noch in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts rekonstruierte man die Zierscheiben mit dem umgebenden Ring zu einer Applikation auf dem Überschlag einer Leder oder Stofftasche, wobei der Umfassungsring als Bügel gedient hätte. Heute jedoch werden sie einhellig als symbolisch-dekorativer Hängeschmuck gesehen.”
Ich lasse dieses “einhellig” von 2012, gegenüber der Publikation von 2017, die es eben nicht “einhellig” sieht, einfach mal so stehen, aber wollte das nicht unterschlagen.
Aber meistens gehört zu den Zierscheiben auch ein etwas größerer Ring als die Scheibe selbst, der als Versteifung der Öffnung gedient haben könnte. Was mich an diesen Täschchen die Brücke zu den Karolingern schlagen lässt, sind einige Abbildungen die Vogt, fast schon beiläufig in seinem Text anfügt.
Es sind Abbildungen ganz ähnlicher Taschen, die genauso wie die alamannische oder merowingischen Taschen an einem Band , zum Teil mit Messer, auf Höhe des Schienbeins baumeln. Diese Darstellungen stammen jedoch aus sehr viel späterer Zeit: aus 1506, 1530 oder 1556. letzteres die Familie des Zunftmeisters Hans Rudolf Faesch. ( Bild hier bei Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Faesch_(Familie)#/media/Datei:Hans_Rudolf_Faesch_and_his_family_painted_by_Hans_Hug_Kluber_in_1559.jpg ) Ergänz werden diese Bilder noch von einer ähnlichen Tasche mit rundem Deckel, jedoch direkt am Gürtel verbunden, von ca. 1380.
Wir haben es also mit einer Taschenform und Trageweise zu tun, die sowohl im Frühmittelalter, als auch im Spätmittelalter vorhanden war. Ich bin auch der Meinung (Angabe ohne Gewähr) das ich ähnliche Taschen und Trageweisen auch aus dem Hochmittelalter kenne.
Diese Taschenform, also die vermutliche runde Tasche mit Zierscheibe, taucht von der Mitte des 6. Jahrhunderts auf und lässt sich bis in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts verfolgen8 wo sie dann wohl mit der einsetztenden Beigabenlosigkeit verschwinden. Toni Rey lässt sie aber bis ins frühe 8. Jahrhundert laufen9 Sie liegen somit zeitlich analog zu den metallbeschlagenen, rechteckigen Täschchen die ähnliche jener aus Krefeld Gellep sind10, die ebenfalls meist auf dem Bein gefunden wurden. Zum Beispiel Albisheim/Pfrimm (Donnersbergkreis) Grab 3/1965.

Als ich mir noch einmal diese Täschchen ansah fiel mir die Tasche aus Lich-Steinstraße auf, die in der Mitte der rahmenden rechteckigen Beschläge einen Beschlag besitzt der in seiner Kreisform mit innerem Kreuz doch stark an die entsprechenden Zierscheiben erinnert, wenn auch um einiges kleiner.
Leider fehlt mir dazu die etwas erweiterte Literatur, aber es scheint als seien die rechteckigen Taschenbeschläge nicht mit Zierscheiben vergesellschaftet, was darauf hinweisen könnte, dass runde Zierscheiben und rechteckige Taschenbeschläge dem selben Zweck diente: der Verzierung eines Taschendeckels, lediglich in unterschiedlichen modischen Ausformungen11, bzw in unterschiedlichen Regionen.
Dies würde sich wiederum mit einer Anmerkung decken, die im Flyer des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg zum Kunstwerk des Monats Oktober 2012 zu finden ist. Nämlich das sich die angesprochenen Zierscheiben nur im autrasischen Gebiet ( ostfränkisch-alamannisch bajuwarischen Raum ) fanden12
Trugen nun Frauen der Karolingerzeit auch noch solche oder ähnliche Taschen, war mein Frage, wenn sie sich doch später in ganz ähnlicher Form wiederfinden lassen?
Eigentlich war mir keine Abbildung bekannt, doch ich täuschte mich! Für eine andere Sache sah ich mir noch mal den Psalter Ludwigs des Deutschen an. Auf Folio 120r kniet dort Ludwig betend auf einem Betschemel vor einem Monumentalkreuz , das übrigens an ottonische Triumphkreuze erinnert. Neben dem Kreuz sind der Apostel Johannes (erkennbar an den langen Haaren) und Maria abgebildet. Von Marias Hüfte hängt ein langer Streifen herab, an dessen Ende, in Knöchelhöhe, ein Täschchenen baumelt. Die Form lässt sich nicht genau erkennen. Es könnte Beutel artig sein, oder auch die Form eines quadratischen Briefchens , ähnlich der Elisenhof Tasche oder der Tasche aus Grab 52 oder Lich-Steinstraß (Niederzier/ Kr. Düren) besitzen, genauso aber die Form einer verkleinerten, trapetzförmigen Pilgertasche haben. Hier werden Gedanken an die Form verkleinerter Reliquienbursen wach.
Andere Gegenstände sind am Gürtel jedoch nicht abgebildet. Aber da ist sie! Die Tasche am Ende eines langen Gürtelgehänges der Karolingerzeit!
Im Kontext von Maria, sehe ich dann aber doch einen gewissen Amuletcharakter in der Tasche. Vielleicht tatsächlich in der Form als Reliquienbeutel, aber auch bereits zeitlich vorwegnehmend ein Geldbeutel, vergleichbar mit einem Almosenbeutel in der Ausdrucksform der Gebenden Mutter Maria.
Man(n) mag nun fragen, warum Frauen auf Abbildungen ohne Gürtel, oder wenn mit Gürtel dann ohne irgendwelche Anhängsel daran zu erkennen sind. Nun ist zunächst zu bedenken, dass viele Abbildungen Kopien und “Mashups” spätantiker Abbildungen sind (hatte bereits diverse Male dazu geschrieben). Ein weiterer Grund ist recht profan.
Die meisten illuminierten Miniaturen sind trotz der Größe der Folianten recht klein. Je mehr Details ich in eine solche kleine Zeichnung einfüge, desto unübersichtlicher wird sie und desto komplizierter wird die Zeichnung.
Schaut man sich etwa noch einmal den Psalter Ludwigs des Deutschen an , stellt man fest das er eine Größe von ca. 29,5 × 23,5 cm besitzt. Die Darstellung der Maria selbst ist nur ca. 5cm hoch, der Riemen mit Tasche ca. 2,5cm lang und die Tasche selbst nicht einmal mehr 4mm hoch!
Zudem neigen die Darstellungen zu einem gewissen Maß zur Abstrahierung. Man will nur das Nötige, das wichtige Zeigen um Symbolik zu transportieren. Das Wichtigste ist dann die Frau selbst und vielleicht noch ihre Kleidung, um ihren Stand anzudeuten, bzw. um über Farbe Symbolen zu transportieren. Wenn nun kleine Objekte wie ein Messer oder ein Schlüssel am Gürtel hängen, stört dies die Darstellung. Es wird weggelassen, da es als selbstverständlich empfunden wird.
vgl. M. Schulze-Dörlamm, Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit – ein Amulettschlüssel aus Mainz und ein „Petrusschlüssel“ aus Alzey ↩
E. Vogt, Interpretation und museale Auswertung alamannischer Grabfunde in Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte ↩
siehe dazu hier: https://www.lwl-landesmuseum-herne.de/de/blog/als-kleidung-noch-wertvoll-war-die-spinnwirtel-aus-warendorf/ ↩
Das Gräberfeld von Ense-Bremen S. 27 ↩
Danke an Sally Schönekess /Saponarii für die Informationen ↩
U. Koch Merowingische Zierscheiben mit einem gekreuzten Menschenpaar in Archäologisches Korrospondenzblatt 47 2017 S. 535 ↩
online hier: https://www.museum-heidelberg.de/site/Museum-Heidelberg/get/documents_E1135657815/museum-heidelberg/Dateien/pdf/2012%20Kunstwerke%20des%20Monats/KdM%20Oktober%202012.pdf ↩
U. Koch Merowingische Zierscheiben mit einem gekreuzten Menschenpaar in Archäologisches Korrospondenzblatt 47 2017 S. 534 ↩
T. Rey, Eine frühmittelalterliche durchbrochene Zierscheibe von Muttenz BL S.192 ↩
M. Martin, Tasche oder Täschchen? Zu einem Accessoire der merowingischen Frauentracht S.78 ↩
Zu dieser Idee siehe auch die Taschenverteilung bei: J.Werner, Das alamannische Fürstengrab von Wittislingen S54 ↩
der Flyer erwähnt dazu im westfränkischen Raum als Gegenstück kleinere Riemenverteiler, wobei ich diesen Vergleich für fraglich halte, zumal diese im alamannischen Raum z.B. Grab 30 Oerlingen , sich am selben Gehänge wie die Zierscheibe befinden und an dem dann Kamm und Schlüssel befestigt sind. Sie sind also eben nicht auf den westfränkischen Raum beschränkt!! ↩



Oh ja gerne!
Hallo, Bei Recherchen zur Tunika Heinrich des Zänkers bin ich auf eine ähnlich Lösung gekommen, ich habe mir das Stifterbild…
Hab jetzt gerade Terra X schauen wollen. Seit neusten mit KI generierten Stimmen. Diese Entwicklung gefällt mir nicht. Ich muss…
Gut gelungen. Dieses Miniriemchen im Riemendurchzug der Scheide hält das Ganze.
Freunde von mir waren schon da. Ich weiß nur nicht ob ich selbst schaffen werde :-(