Ruodperts Weg – die Hintergründe
Für den Fall das man es nicht in der Geschichte erkannt hat, das Thema dem ich mich ursprünglich widmen wollte, war PTBS/ PTSD, oder Posttraumatische Belastungsstörung im Mittelalter. Tatsächlich kommt es nicht von ungefähr, dass viele, gerade hochrangige Militärs des Mittelalters am Lebensende ins Kloster gingen. Therapeuten wie heute gab es nicht, und wenn, dann nur in Form von Priestern oder Mönchen und der Beichte und Gebet.
Das Kloster konnte mit seinen festen Strukturen Rückhalt geben. Aus dem Hochmittelalter scheint es ebenfalls Texte zu geben, in denen auch von den Dämonen des Krieges die Menschen heimgesucht wurden, aber wie gesagt ich habe das doofe Paper nicht mehr gefunden…
Unser Ruodpert hat ein bisschen den Vorteil, dass er in seinem Krongut, das er von Ludwig zur Verwaltung zugewiesen bekam, eben eine solche Struktur hat. Doch kommen die Moment durch bestimmte Trigger, vorallem wenn er in unbekannten Orten ist immer mal wieder hoch. Ebenso wie hin und wieder ein gewisser Befehlston. Dies kommt natürlich alles beim Pilgern hoch, wenn er seiner festen Struktur beraubt ist und gezwungener Maßen sich mit sich selbst beschäftigen muss.
Roudpert könnte vielleicht aus der Familie der Robertiner stammen, zumindest würde sein Name dafür sprechen. Er stammt aus der nobilitas, dem Adel, und war lange Jahre Soldat. Zunächst unter Karl dem Großen, später dann unter Ludwig dem Frommen und hat sich so manche Sporen verdient.
Mit dem Alter, Ruodpert ist um die 50 in der Geschichte, bekam er als Dank und quasi als Alterssitz einen Königshof zur Verwaltung zugewiesen. Und von dem bricht er auf. Natürlich hab ich Trebur ausgewählt, wie sollte es auch anders sein. Sein Herr, der ihm die Erlaubnis für seine Reise gibt, ist natürlich Ludwig der Fromme, den Adel hin oder her, auch Ruodpert kann nicht tun und lassen, was er will.
Seine erste Etappe führte ihn bei Nauheim in den Wald, den Wildbann Dreieich. Dabei umgeht er Mörfelden und Langen und rastet dann am Hohen Berg bei Dietzenbach. Er zieht weiter in Richtung des heutigen Offenbach und überquert am Ley, heute Offenbach Kaiserlei den Main. Der Ley war ursprünglich eine Untiefe 1 bei der, neben Bürgel eine leichte Fährüberquerung, möglich war. Von hier aus geht er nach Norden, um auf die Handelsstraße zu kommen, die von Frankfurt nach Fulda und weiter ins Grabfeld führt. Er nächtigt dann in Klillianstätten. Das er nun gesagt bekommt, dass es auf der Reffenstraße Räuber gäbe, war eine Art Kunstgriff, da der Vogelsbergübergang, das Schottenkloster und das Ende als erstes geschrieben war und ich ihn irgendwie dorthin lotsen musste.
Sein Weg führt ihn also dann weiter nach Marköbel und zum Glauberg , den er ja meidet und in Konradsdorf, dem späteren Kloster Konradsdorf, übernachtet. Dann gehts an die Nidda, kurz hinter dem Ort Nidda, vielleicht bei Nidda-Kohden trifft er die arme aber freie Familie und nächtigt im Kloster Schotten . Dass der Novize oder Mönch altfranzösisch bzw. gallo-romanisch spricht, hängt damit zusammen, dass das Kloster von den Mönchen des Klosters Honau betrieben wurde. Nun ist Honau nur bei Straßburg gelegen und nicht im zentralen Westfranken, aber das passte ganz gut. Vielleicht hatte es den Novizen aus dem Wetsen nach Honau verschlagen und dann weiter nach Schotten.
Dann geht es auf den Vogelsberg, den er an der Südflanke überquert und endet im Schneesturm an den Uhuklippen. Als ich dort war, um zu checken, ob das überhaupt so ginge, hatte tatsächlich jemand einen Unterstand zwischen den Felsen errichtet. Jackpot! Die grobe Strecke bin ich mal bei einem Trail-Wettkampf über den Vogelsberg gelaufen und kannte sie daher.
Von hier geht es Richtung Osten, wo er an Schlechtenwegen vorbei kommt , da wo sein Weg schlechter wird…(Uh, was für ein Kalauer) und übernachtet an der Position der Burgruine Blankenburg. Hier wollte ich erst ein festes Haus installieren, entschied mich aber dann für einen eher rudimentären Wachturm ( in etwa sowas: The Experimental Building of a Wooden Watchtower in the Carolingian Southern Frontier | EXARC ) Am nächsten Tag zieht er über den Alten Weg, den Semita Antiqua ins Kloster Fulda . Nun erklärt sich, warum ich vor einiger Zeit über das Kloster Fulda geschrieben habe: Das war ein Abfallprodukt der Recherche.
In Fulda trifft er auf Hrabanus Maurus, den er wohl schon länger kennt und mit dem er befreundet ist. Er lernt auch Brun Candidus kennen, den Baumeister und Urkundenschreiber aus Fulda. Der Kämpfer, der Markgraf von Cenomanien, über den beide herziehen, ist natürlich Roland oder Hruotland aus dem Rolandslied. Ich kann nie widerstehen wenn sich mir die Möglichkeit bietet einen Helden zu demontieren.
Hier kann man dann aber auch den Zeitraum, in dem alles spielt, etwas eingrenzen. Hrabanus ist noch Abt in Fulda, aber noch nicht Bischof von Mainz. Die Konflikte zwischen den Söhnen Ludwigs des Frommen haben bereits begonnen. Hrabanus hat Ludwig zwar schon kritisiert, aber die Sache ist noch nicht so weit eskaliert, dass er als Abt von Fulda zurücktritt, was 842 geschah.
Und dann kommt der Punkt an dem ich 15 Stunden vor Veröffentlichung den Teil nochmal umgeschrieben habe. Mir war zuviel Text mit Hraban und zu viel wörtliche Rede. Man hätte da ein Kammerspiel draus machen können! Also saß ich da und überlegt was ich damit mache. Auf einem meiner Monitore lief Youtube mit Musik, wie so oft bei sowas. Da läuft dann irgendwas aktuelles, Bach, oder Mike Oldfield und in diesem Fall Musik aus meiner Kindheit/Jugend und dann kam Stan Ridgeway mit der 7 Minuten Version von Camouflage und “Dessimulatus” war geboren. Dessimulatus heißt verkleidet oder getarnt also Camouflage. Im Lied kommt die Textzeile “It was in the jungle wars of ’65, My weapon jammed…” vor. Also musste mein Camouflage auch 65, also 765 in irgendeinem Wald gekämpft haben. Ein bisschen gesucht und tatsächlich hat da der dux der Aquitanier aufbegehrt. Und da eine Lanze nicht „jammed“ wie ein M16, brach halt einfach die Lanze.
Auch sollte ursprünglich Hraban am Weihnachtstag irgendwelche Therapie-Tipps geben, aber auch die gibt jetzt meine Version von Camouflage. In diesem Fall umschreibt er mit Beichte und dem über das Leben nachdenken Prolonged Exposure Therapy (PE) und Narrative Exposure Therapy (NET).
Als sich dann Hrabanus am Weihnachtstag über das unchristliche Verhalten der Menschen beschwert, die den Sinn von Weihnachten nicht verstehen, ist das in großen Teilen eine echte Predigt von Hrabanus Maurus als Bischof von Mainz!
Und wenn Ruodpert bei der Beobachtung der Menschen im und am Atrium eine besonders Person auffällt, könnte das vielleicht einen Bezug auf aktuelle Personen haben… aber das schließe ich aus rechtlichen Gründen eigentlich aus… *hüstel*
Das Dessimilatus nun tot ist, hat mit dem Konzept, den Liedtext von Camouflage aufzugreifen, zu tun . Dabei wollte ich sein Auftreten am Oculus nicht zu sehr mystifizieren, im Sinne einer Geistererscheinung. Er war zwar Bettlägerig aber tatsächlich habe ich das aus meiner Zeit im Zivildienst in einem Altenheim mehrfach selbst erlebt. Ein Mensch ist in schlechtem Zustand, bettlägerig, plötzlich geht es ihm gut, er kann aufstehen, oft hatte ich das Gefühl, dass diese Menschen noch einmal alle Kraft zusammennehmen, um etwas letztes zu erledigen und sei es im Garten an einer Blume zu riechen und um dann “zugehen”.
Es könnte also durchaus sein, dass Dessideratus sich noch einmal aufrafft, um eine letzte Messe mitzuerleben, wenn auch nur an dem als Schallloch fungierenden Oculus. Den Oculus gabs übrigens wirklich, allerdings ist , da die Ratgerbasilika nicht mehr existiert, nicht bekannt ob er diese Schall verstärkende Wirkung hatte. Aber aus anderen Kirchen ist so etwas durchaus bekannt. Andererseits wäre so ein Ereignis auch eine gute Gelegenheit für das Kloster Dessideratus und seinen Tod zu mystifizieren und sich einen Heiligen zu konstruieren. Ab die haben wohl genug mit Bonifatius zu tun.
Während des Schreibens bemerkte ich, dass die Besteigung des Berges auch für Ruodpert ein Besteigen eines Berges im seelischen Sinn werden würde. Seine Flashbacks nehmen daher ab danach ab und tauchen eigentlich nicht mehr auf.
Als ich feststellen musste, dass im Abschluss eine Katharsis erfolgt, bemerkte ich, dass ich Motive der klassischen Tragödie verwendet hab, ohne mich je mit sowas auseinandergesetzt zu haben, da aber dann die lateinischen Begriffe passten, hab ich sie in die Überschrift übernommen.
Einige letzte Änderungen im Text waren, dass ich Ruodpert sich immer mal wieder waschen lies, um von dem schmutzigen Mittelalter Klischee wegzukommen. Dabei vergaß ich ihn aber seinen Schnurrbart pflegen zu lassen.
Alles in allem war es der Versuch meinerseits eine Geschichte zu schreiben, die irgendwie die Weihnachtszeit füllt. Ich hoffe, es hat ein wenig gefallen.
E. Kümmerle, G. Radtke, Mit dem Main durch Frankfurt – ein geologischer Stadtspaziergang in Jb. nass. Ver. Naturkunde 122, S11 ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive Atmosphäre, durch die ich mir die Geschehnisse gut vor meinem inneren Auge vorstellen konnte. Vielen Dank, Markus!