Westslawen – Eine Suche
Während ich noch immer an meiner königlichen Kleidung arbeite und immer noch nach der richtigen Seide für den Mantel suche, wurde an mich eine Bitte herangetragen.
Ich soll die Kleidung für eine slawische Dame des frühen 9. Jahrhunderts nähen.
Um ehrlich zu sein hab ichs mit den Slawen nicht so. Wenn, dann habe ich mich ja mit den Mährern befasst, aber da dann auch aus dem Aspekt der karolingischen Beziehungen, was dann eher zu Männern führt. Aber man kann ja etwas recherchieren und sowas halt dann immer die Birne fit.
Ums mir nicht zu einfach zu machen, wurden für die Darstellung einige Vorgaben gemacht. Da die Dame Wurzeln in Leipzig und im Unteren Odertal hat, sollte nach Möglichkeit irgendwie die Darstellung auch einen Bezug in die ein oder andere Region aufweisen. Macht die Sache nicht einfacher…
Ich organisierte mir zunächst ein wenig Literatur, die über die mir vorliegende Mährische hinausgeht. Jedoch war das meiste eher theoretischer Natur, nicht viel über Sachkultur und gar nichts über Kleidung. In meiner leichten Verzweiflung begann ich den Spieß umzudrehen. Was haben denn andere gemacht und kann ich da irgendwie ansetzen?
Also suchte ich Google nach Bildern ab und landete dann irgendwann bei Pinterest um bei Quellenangaben mich von dort wieder weiterzuhangeln.
Die Bildsuche ergab zunächst ein recht homogenes Bild. Stirnbänder mit Schläfenringen, meist auf Leder oder Brettchenwebborte und dreiteilige Schürze. Nur eine Datierung fehlte meist und wenn sie vorhanden war sagte sie alles, nur nicht 9. Jahrhundert. Aber ich hatte zumindest einige Bezeichnungen aus der Sachkultur, der ich nachgehen konnte.
Und langsam zeichnete sich ein Bild der slawischen Frauenkleidung im 9. Jahrhundert vor mir. Dabei musste ich feststellen, dass meine Vorstellung von einem Klischee geprägt war, das sich aus dem 10.-13. Jahrhundert speiste und noch dazu weniger westslawisch als eher ostslawisch war.
Ich merkte aber auch, dass der ganze Theoriekram wichtiger war als ich dachte. Daher zunächst einen kurzen Überblick über die frühe Geschichte der Slawen.
Kurze Geschichte der Slawen und ihre Migration
Irgendwann im 6. Jahrhundert begannen die Slawen bzw. die Protoslawen ihre angestammte Heimat, die der Sprachvorschung nach im Bereich der nördlichen Ukraine (zwischen Kiew und Kharkiv) und Belarus lag, zu verlassen. Ging man früher von ganzen Stammesverbänden aus die die Heimat verließen, nimmt man eher einzelne Familienverbände an, die sich erst unterwegs zu Stämmen zusammengeschlossen.
Neben der Sprachentwicklung ist es, wie so oft die Keramik die über die Wanderungen der Slaven Auskunft gibt und nach der die einwandernden Gruppen benannt sind. Die Westslawen wanderten dabei in die Gebiete ein die während der Völkeerwanderungszeit von germanischen Verbänden verlassen wurden. Die wenigen zurückgebliebenen Germanen wurden assimiliert.
Für die Westslawen, die für mich hier wichtig sind, gibt es mehrere Gruppen.
Zunächst die Prager Gruppe (6.-7. Jh.) die über Mähren und Böhmen in Richtung Saale und Elster, bis an die Mittelbe ziehen. Dabei ist es interessant das sie Einflüsse der Przeworsk-Kultur aufnehmen, aus denen die Vandalen, Burgunden und Lugier werden.
Mit Verzögerung folgt etwa der selben Route die Rüssener Gruppe (7.-8. Jh) deren Einfluss bis ins nördliche Thüringer Becken reicht. Zusammen werden diese Gruppen die Sorben bilden (hat nur bedingt mit den heutigen Sorben zu tun, die aus den Lusizern und Milzenern hervorgingen und weiter östlich siedelten) . In das Gebiet der heutigen Sorben rückte im mittleren 9. bis 10. Jahrhundert noch die Tornower Gruppe nach.
Weiter nach Westen konnten die Sorben allerdings nicht ziehen da sie sich direkt an der Grenze zum fränkischen Reich befanden, mit denen sie immer wieder aneinander gerieten. Die Grenzzone zwischen Sorben und Franken wird als Limes Sorabicus bezeichnet.
Eine nördlichere Route über das Oder-Weichsel Gebiet nahm die Feldberger Gruppe die ins 7./8.-9. Jahrhundert datiert wird und sich in Mecklenburg-Vorpommern und östlichen Holstein niederlässt. (z.B. Abodriten) Etwa parallel trifft in Mecklenburg auch die Sukow-Dziedzice-Gruppe ein, die aus der Weichsel-Warte Region von Osten kommt.
Und das waren auch schon die im Moment für mich wichtigsten Gruppen der Westslawen. Es gibt also zumindest in dieser Region zwei Hauptwellen, eine die den Elbe Saale Bereich besiedelt und eine etwas spätere Gruppe, die den Norden in Anspruch nimmt.
Daneben gibt es auch Bewegungen in das heutige Franken( Bayern) und Österreich, Gruppen die in den Süden ziehen, und dort die frei gewordenen Grenzregion zwischen Franken und Byzantinern besiedeln – die Späteren Kroaten, Serben, Mazedonier uvm., sowie Gruppen die nach Griechenland und in Richtung Konstantinopel ziehen. Sie bilden die Südslawen, sowie die Gruppe die nach Norden und Osten zieht und dann die Ost-Slawen bilden, aus denen sich die Rus entwickeln.
Die Fundlage
Ein grundsätzliches Problem aber an der Fundlage sind die Bestattungen. Es scheint als sei die Sitte der Körperbestattung bei den Westslawen erst mit dem Kontakt mit den Franken aufgekommen und habe dann entsprechend die Brandbestattungen abgelöst. So sind Körperbestattungen zum Beispiel zunächst bei den Mährern zu finden (vor Mitte 9. Jh.) und wurden von dort aus von den Böhmen ( zweite Hälfte 9. Jh. ) übernommen.1
Dennoch gibt es zumindest einige Textile Funde, wie in den Gräbern des Gräberfeldes Obere Holzwiese in Thunau. Hier konnte Beispielsweise im Frauengrab Grab 208 ein leinwandbindiges Textil am Körper und eine darüber liegendere gröbere Wollschicht. Dies wird als als Kleid und leichter Mantel gedeutet, wobei das Material des leinwandbindigen Gewebes nicht mehr bestimmt werden konnte. Auf der linken Brust fand sich eine Plattenfibel, auf deren Unterseide die Gewebe fest korrodiert waren und somit den Mantel verschlossen hätte. Auf der Fibel wiederum fanden sich Reste eine sehr feinen Wollgewebes (0,1 mm Garne, Dichte mit mehr als 20 Fäden pro cm )2 , die wohl zu einem Schleier gehörten. Im Großen und Ganzen also das übliche frühmittelalterliche Bild einer Frauenkleidung.
Das Schläfenring-Dilemma
Wie bereits gesagt, musste ich aber meine Vorstellungen revidieren. Es fängt mit den geradezu ikonischen Schläfenringen an. Sie gelten wie kaum etwas anderes als Erkennungszeichen einer slawischen Frau. Doch sieht es so aus, dass sie nicht einmal ursprünglich slawisch sind.
Im mährischen Raum , speziell am Fundplatz der Prager Burg, tauchen die frühen, dünnen S-förmigen Schläfenringe im 10. vielleicht aber auch schon im späten 9. Jahrhundert auf. Sie wandeln sich im 10./11. Jahrhundert zu dicken Schläfenringen3 Im nördlichen Gebiet der Westslawen, und dazu zählt das Untere Odertal, kommen Schläfenringe dann erst im späten 10., frühen 11. Jahrhundert auf.4
Die Mode der Schläfenringe führten also Wanderbewegung von Süd nach Nord durch, aber woher stammen sie ursprünglich? Zu der Süd-Nord-Bewegung scheint des weiteren eine West-Ost-Bewegung hinzukommen, denn S-Schleifenringe wie die Schläfenringe finden sich bereits im 7. Jahrhundert in Thüringen und im östlichen Franken5
Was nun die Schleifenringe im östliche Franken und Thüringen angeht machen auch diese eine Wanderbewegung nach Osten durch und waren schon etwa im 6. Jahrhundert im heutigen Frankreich nachweisbar.
Kurzer Info Einschub
Auswahl an Funden von Ohringen und Bommelohringen im fränkischen Reich:
Ohrringe Frankfurt am Main Erlenbach Grab 31, (Mitte 7. Jh.)6 Grab 93 ( zweites Viertel 7. Jh)7, Erfurt8Bommelohringe Grab B202 Kölner Dom (Wisigarde Grab)9, Bommelohringe Grab 95 Frankfurter Dom ( Kindergrab eines adeligen Kindes)10, Bommerlohringe Grab 2587 Arcy-Ste-Restiture (frühes 6. Jahrhundert ) Bommerlohringe Grab 1777 Arcy-Ste-Restiture (frühes 6. Jahrhundert )11
Die Form der Übernahme stammt wahrscheinlich aus einer Modeentwicklung, die aus Byzanz stammt und in zwei Wellen die Slawen erreichte. Zum einen in einer meist vereinfachten Form durch S-Schleifenringe und in Form von Bommelohringen 12 (S-Schleifenringen mit einer im Ring befestigten Bommel). Die Zweite Welle kam wahrscheinlich über die Südslawen (z.B. Kroaten und Mazedonier ) aus dem Byzantinischen Reich wieder nach Norden und zeigte reich verzierte Ringe, wie etwa den Schleifenring vom Typ Zawada, der meist als Ohrring, aber auch als Schläfenring bezeichnet wird.
Ein Problem gibt es aber noch. Die S-Schleifenringe aus dem fränkischen Reich werden als Ohrringe angesprochen. Dies geschieht auf Grund ihrerer Lage im Grab, aber auch wegen ihrer Gestaltung, denn dort wo die späteren Schläfenringe ein offenes Ende aufweisen, besitzen die fränkischen Variante ein kleines Häkchen, welches in die S-Schleife greift und somit den Ring verschließt. Doch wie wurden nun aus den Ohrringen Schläfenringe?
Hierzu habe ich keine Quelle, aber eine ganz eigene Vermutung. Die Slawen im Kontaktgebiet mit den Franken übernahmen zunächst den Ohrring in seiner Funktion als Ohrring. Wer reich war, besaß mehr als ein paar Ohrringe, doch mehrere Ringe in einem Ohr zu tragen bringt relativ wenig. Man will die die zusätzlichen Ringe aber dennoch zeigen und befestigt sie daher am Kopftuch oder Stirnband (Vitta), eben in der Nähe der Ohren. Da hierfür, bei Verwendung eines geflochtenen Lederbandes das zusätzliche Häkchen hinderlich ist, verschwindet es. Der slawische Schläfenring entsteht. Nun da er nicht mehr für das Ohr geeignet ist kann er auch andere, vor allem aber dickere Formen annehmen wie etwa die späteren dicken und holen Schläfenringe aus ganzen Blechen.
Bei den Schläfenringen taucht übrigens noch ein kleines Problem auf. Das Band, an dem diese befestigt sind. Man kann wunderschöne broschierte, brettchengewebte Bänder als Stirnband/Vitta kaufen. Problem: Die meisten stammen erst aus dem 11. oder 12. Jahrhundert, oder sogar noch später.
Bei der slawischen Nachbestattung im Leubinger Fürstenhügel fand sich der Rest eines geflochtetenen Lederbandes, in die die Ringe gesteckt waren.
Aus Grab 5 der Grabung in Parchim-Löddigsee konnte aus S-Förmigen Schleifenende das Stück eines Leinenfadens geborgen werden. Der Faden zeugt von einer zweifachen Vernähung des Schläfenrings mit doppelt gelegten Faden.13 Dies ist natürlich kein Hinweis worauf sie befestigt waren, aber zumindest waren sie angenäht und nicht durchgesteckt. Und aus Kałdus (PL) stammt ein Seidenstirnband aus in Samitbindung.14. Also auch wieder keine Brettchenwebborte.
Das war es in dieser Suche für das Erste. Es wartet aber noch ein Berg an Paper die zumindest mal angesehen werden wollen!
E. Nowotny, Thunau am Kamp – Das frühmittelalterliche Gräberfeld auf der Oberen HolzwieseS.184 ↩
K. Grömer, Einfaches Leinen, Wolltuche, gemusterte Stoffe und Seidensamit – Textile Identitäten in den frühmittelalterlichen Gräbern von Thunau/Obere Holzwiese in 50 Jahre Archäologie in Thunau am Kamp S258 ↩
E. Nowotny, Thunau am Kamp – Das frühmittelalterliche Gräberfeld auf der Oberen HolzwieseS.52 ↩
D. Biermann, P. Roskoschinski Die Funde in Das slawische Gräberfeld von Stolpe S.166 ↩
K.Schwarz, Frühmittelalterlicher Landesausbau im östlichen Franken zwischen Steigerwald, Frankenwald und Oberpfälzerwald S.38 ↩
Königinnen der Merowinger S 54 ↩
Königinnen der Merowinger S 57 ↩
BN. Hausmair, Die frühmittelalterlichen Grabfunde von Micheldorf/Kremsdorf, OÖ S64 ↩
Königinnen der Merowinger S 81 ↩
Königinnen der Merowinger S 168 ↩
Die Franken S355 ↩
E. Nowotny, Thunau am Kamp – Das frühmittelalterliche Gräberfeld auf der Oberen HolzwieseS.54 ↩
E-M Pfarr, Kleine Spuren geben Auskunft – Untersuchungen zu Textilresten aus spätslawischen Gräbern bei Stolpe an der Oder, S67 ↩
M. Grupa, Silk bands from an early medieval cemetery in Kałdus (Poland) ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…