Der karolingische Bogen bzw. der Bogen der Karolingerzeit
Schon vor geraumer Zeit wurde ich angefragt, doch einmal etwas über den karolingischen Bogen, bzw. den Bogen in der Karolingerzeit zu schreiben.
Und obwohl ich feststellen musste, dass bereits vieles, wenn nicht sogar alles darüber hier und da geschrieben wurde, denke ich doch, dass es noch einige Einwürfe oder Denkanstöße benötigt. Zumal einiges ein bisschen verkürzt ist. Letztendlich war das Ziel alles zusammenzufassen um etwas kompaktes daraus zu machen. Ich habe darauf verzichtet die ganzen Bilder die im Text erwähnt werden einzubinden, stattdessen hab ich diesemal fast alles verlinkt.
Die Textquellen zum karolingischen Bogen
Die Textquellen , wie etwa Kapitularien oder briefliche Anweisungen, sind die sichersten Quellen zur Verwendung von Bögen, die wir haben. Weshalb ich nun zunächst diesen mein Hauptaugenmerk widmen werde.
Das Kapitel 64 der “Langüterverodnung” Karls des Großen, das Capitulare de Villis, ordnet an, dass die Königshöfe wasserdichte Kriegskarren vorhalten müssen, die unter anderem mit 12 Scheffel Mehl und Wein, sowie Schild, Lanze, einem Köcher und einem Bogen beladen sein sollten.
Eine Brief gibt weitere Informationen zu Bögen. Karl der Große ordnet für das militärische Aufgebot Abt Fulrad von St. Quentin (Es handelt sich nicht um Fulrad von St. Denis, dies wird gerne verwechselt), einem unehelichen Karolinger, im Jahr 806 an, das jeder Reiter Schild (scutum) und Lanze (lanceam) , Spatha (spatam) und Semispatha (semispatum, Sax?), und Bogen und Pfeile im Köcher ( arcum et pharetras cum sagittis) mit sich führen soll.1
Hintergrund des Briefes ist , dass Fulrad seine Truppen ins mehr als 800km entfernte Staßfurt nach Sachsen schicken soll. Dabei sollen sie auch Wagen mit Schanzgerät wie Spaten und Versorgung für 3 Monate, und Kleidung und Waffen für ein halbes Jahr mit sich führen. Wahrscheinlich handelt es sich um ähnliche Karren, wie jene im Capitulare de villis.
Kapitel 9 des Capitulare Aquisgranense wiederum gibt für die Fußsoldaten eine Bewaffnung aus Schild und Lanze, sowie einen Bogen mit zwei Sehnen und 12 Pfeilen vor. (Et ipse comis praevideat quomodosint parati, id es lanceum, scutum et arcum cum duas cordas, sagittas duodecim.) In Kapitel 17 wird dann notiert, dass die Kämpfer keinen Knüppel führen, sondern eher einen Bogen nutzen sollten. (Quod nullus in hoste baculum habeat sed arcum)
Dieser Abschnitt ist durchaus von Interesse. Es zeigt zum einen, dass die Standardwaffe des einfachen Fußsoldaten die Lanze in Kombination mit dem Schild war, der Bogen stand in seiner Wertigkeit darunter.
Es ist zu vermuten das die freien Bauern, die dem Heerbann verpflichtet waren, zu jenen Personen zählten, die in aller Regel mit Lanze und Schild ins Feld zogen. Aber scheinbar gab es auch noch viel einfachere Soldaten, wohl die servii, die Unfreien der Adeligen/ Berittenen, die sich als deren Knechte mit im Tross befanden und sich Beispielsweise um das Futter der Pferde zu kümmern hatten. Sie hatten selbst keinen eigenen Besitzt und ein Knüppel war für sie die einzige Möglichkeit sich im Kampf zu verteidigen. Sicherlich konnten sie im Kampf Knochen brechen und Schädel einschlagen, doch letztendlich waren sie “Kanonenfutter” oder “Bauernopfer”.
Die Überlegung, hinter der Entscheidung diese Personengruppe anzuweisen, Bogen statt Knüppel zu verwenden, liegt wahrscheinlich an der Flexibilität. Es ist möglich, zunächst den Gegner auszudünnen, ohne diese Personengruppe zu opfern. Kommt der Gegner nun doch an diese Personen heran, können sie zumindest immer noch mit dem Bogen auf den Gegner einschlagen. Somit ist die Anweisung auch eine versteckte Ermahnung an deren Herren, was die Ausstattung angeht.
Simon Coupland zeigt sich zunächst verwundert, dass die Soldaten angewiesen werden, einen Bogen zu benutzen anstelle einer Lanze und führt dies auf einen generellen Mangel an Bogenschützen im karolingischen Heer zurück, dem man entgegentreten wolle. 2 Er bedenkt dabei jedoch nicht dass das Lanzenblatt einer Flügellanze mal eben eine länge 50cm und ein Gewicht von mehr als einem halben Kilo erreichen kann und damit was die Menge an Eisen angeht einem Sax in nichts nachsteht. Ein Bogen dagegen ist aus Holz gefertigt und benötigt zunächst einmal nur ein gewisses handwerkliches Geschick in Holzbearbeitung.3 Er ist somit leichter herzustellen als eine Lanzenspitze. Auch kann die Aussage in Kapitel 17 dahingehend gewertet werden, das sich die Wertigkeit von Knüppel und Bogen nicht wesentlich voneinander unterschied – wer sich einen Knüppel leisten kann, kann sich auch einen Bogen leisten.
Dies scheint sich auch in einer Beobachtung Jürgen Junkmanns zu bestätigen, wenn er schreibt, dass frühmittelalterliche Bögen oftmals eher schlecht hergestellt wurden und sogar das Bögen des Typs Nydam “geradezu entgegen allen Regeln des Bogenbaus hergestellt” wurden. Sein Schluß darin besteht in der Vermutung, dass in der Regel jeder seinen Bogen selbst herstellte, was sich erst im Hundertjährigen Krieg änderte (Mary-Rose Bögen mit Hornnocke). Diese selbstgebauten Bögen machten es notwendig, dass diese aus Eibe gebaut wurden, um mit der Qualität des Holzes die Nachlässigkeiten des Baus zu kompensieren.4
Der karolingische Bogen als Antwort auf die Awaren?
Vielfach wird die Verwendung des Bogens als Antwort auf die Awarenkriege interpretiert. So nennt auch Coupland im Rückgriff auf Ganshof den kriegerischen Kontakt mit den Awaren als Grund den Bogen auch in der Armee zu nutzen, denn das zuvor entstandene capitulare missorum 5 von 792 oder 786 nennt für die Reiterei keinerlei Bögen. 6 Demnach sollte der Bogen im karolingischen Militär zur Zeit der Awarenkriege Verbreitung gefunden haben. Jedoch war seine Nutzung eine völlig andere als bei den Awaren. Sie kann daher nicht als Übernahme, sondern maximal als Reaktion gewertet werden.
Die römischen Armeen besaßen in ihren Reihen Bogenschützen zu Fuß (sagittarii) als auch berittenen Bogenschützen (equites sagittarii), die den Recurvebogen in Kompositbauweise nutzten. Wurden diese zunächst aus Kretern rekrutiert, traten in der spätrepublikanischen und augusteischen Zeit Einheiten aus Syrien, Thrakien und Anatolien an ihre Stelle. Dabei handelte es sich um hochspezialisierte Auxiliareinheiten, die eben auch verstärkt im Osten eingesetzt wurden.
Zwar dienten auch Franken und Alamannen als Auxiliartruppen, doch Kontakte mit den Bogenschützen der Römer waren minimal bis gar nicht vorhanden. Die germanischen Stämme besaßen daher keine Möglichkeit, sich die Fähigkeit des Baus von Bögen aus Kompositmaterialien wie Knochen, Holz und Sehnen und das Spannen der Bögen als Recurve anzueignen. Die lokalen Gegner gegen die sie eingesetzt wurden und gegen die man bis zur Zeit der Awarenkriege antraf, machte dies auch gar nicht nötig. Zumal die Witterungsbedingungen den Kompositbögen nicht entgegen kamen.
Man blieb daher beim Langbogen in Form des Self Bow, der wahrscheinlich in der Hauptsache für die Jagd diente, aber mit Sicherheit auch im Kampf Verwendung fand, um einen unliebsamen Gegner um die Ecke zu bringen oder auf Distanz zu halten. Es bestand jedoch nie die Notwendigkeit, eigene, spezialisierte militärische Einheiten zu entwickeln. Die Langobarden hingegen verwendeten den Recurvebogen, den sie durch die Byzantiner im Exarchat Ravenna kennengelernt und übernommen hatten. 7 In Byzanz war die Situation des Bogens übrigens eine völlig andere! Der Codex Justinianus verbot sogar die Herstellung von (Kriegs-)Bögen und allen weiteren Kriegswaffen durch private Personen. Dies war den Kaiserlichen Werkstätten und den Soldaten im Winterquartier vorbehalten.8
Entgegen dem Eindruck, den die Miniaturen illuminierter Handschriften und Beschreibungen, wie sie etwa der Geschichtenerzähler Notker Balbulus, verbreiten, waren die karolingischen Einheiten niemals eine völlig durchstrukturierte, einheitliche Truppe mit uniformen Heeresteilen und Ausrüstung, vielleicht mit Ausnahme der scara. Jeder nutzte, was ihm zur Verfügung stand, bzw. was seine Mittel erlaubten. Diesem Chaos entgegenzuwirken, war der Sinn der Kapitularien und entsprechender Briefkommunikation. Was jedoch nicht möglich war, war das Ausheben eines stehenden Heeres mit fixen Truppenteilen.
Einerseits ermöglichten die Kapitularien in gewissem Maße, flexibel auf auf sich ändernde Gegner zu reagieren, andererseits war man auf das Material angewiesen, das verfügbar war. Im Fall des Bogens bedeutete dies, dass man auf das zurückgriff, was vorhanden war: den germanischen Langbogen im weitesten Sinne.
Im gleichen Zug bedeutete dies natürlich auch, dass es keinen einheitlichen Bogen im fränkischen Reich gab. Ein fränkischer Vasall in der Region um Dorestad wird eher einen friesischen Bogen, als ein alamanisches Modell bevorzugen und umgekehrt natürlich genauso. (Auf die lokalen Typen werde ich am Ende noch eingehen.) Der Bogen wirkte sich jedoch kaum auf die Militärstrategie der Franken aus. Zwar gibt es im 10. Jahrhundert hin und wieder Berichte von Bogenbeschuß bei Belagerungen, aber für eine reitende Nutzung, wie sie die Awaren oder später die Magyaren durchführten, war mit einem Langbogen überhaupt nicht möglich.
Die karolingischen Franken hingegen arbeiteten nicht mit der Hit-and-Run-Taktik der Reitervölker, die schweren Kataphrakte der Panzerreiter hätten dies auch nicht ermöglicht. Ihre Bögen können auch nicht auf dem Pferd genutzt werden. Erst abgestiegen können sie richtig eingesetzt werden. Und die Geschwindigkeit mit denen die Reitervölker zuschlagen, hätte es nicht ermöglicht auf die Schnelle eine effektive Bogenschützen Phalanx aufzustellen die den Gegner mit einem Pfeilhagel eingedeckt hätte. Sie passen also eher zu einer Verteidigung oder einer statischen Belagerung. Vielleicht zum Schutz der Lager beim Feldzug oder eben einer Belagerung.
Bögen in karolingischen Abbildungen
Zwar habe ich an dieser Stelle schon die verwendeten Bögen dargelegt, doch stehen die Bilder in Handschriften dem entgegen. Ich habe einige Handschriften exemplarisch heraus gedeutet die Bögen abbilden und werde diese nun betrachten.
Der Stuttgarter Psalter9 zeigt auf Folio 71 Verso eine Gruppe von links anreitender “fränkischer Krieger”, während auf der rechten Seite,ebenfalls nach rechts reitend, berittene Bogenschützen zeigt, die sich nach links wendend, ihre Pfeile auf die Verfolger richten. Ihre Position mit dem Rückwärts gewandten Oberkörper und Bögen, die man als Reflexbogen bezeichnen kann, lassen die Vermutung aufkommen, es handele sich um Awaren. Diese Interpretation kann man so auch im Netz finden.
Zum Beispiel auf der Wikipedia Seite mit dem Lemma “Awarenmark” ( https://de.wikipedia.org/wiki/Awarenmark ). Untertitelt ist dieses Bild mit der Zeile: “Darstellung aus dem Stuttgarter Psalter: Kampf zwischen Franken und Awaren”, diese wiederum verlinkt was die Herkunft angeht auf eine Privatseite. Hier nun untertitelt mit “Eine Illustration aus dem Stuttgarter Psalter (um 830) gibt ein Kampfgeschehen zwischen Awaren und Franken wieder.” die als Quelle wiederum ein Heft aus dem Karfunkelverlag verweist.10
Abgebildet wird in der Darstellung Psalm 60.6 der da lautet “Du hast doch ein Zeichen gegeben denen, die dich fürchten, damit sie fliehen können vor dem Bogen.” ( dedisti timentibus te signum ut fugerent a facie arcus semper ut liberentur amici tui )
Der Text des Psalms und das Bild stimmen jedoch nicht überein. Eigentlich hätten die Franken vor den Bogenschützen fliehen müssen oder zumindest sich in Sicherheit bringen müssen und sie nicht etwa angreifen sollen. Auch der Zeichner hatte so seine Probleme mit der Darstellung, denn er bricht das übliche Schema. Die Bogenschützen sehen bis auf ihre Reitweise und die Bögen nicht fremdländisch aus. Keine Bärte, ungewöhnlich Kleidung und der Gleichen. Auch wirkt die Darstellung wesentlich überladener als andere Miniaturen des Psalters, sie erinnert fast an Schlachtenszenen aus der Maciejowski-Bibel.
Es ist anzunehmen, dass diese Darstellung wieder einer ost-römischen Vorlage entspringt, was den Zeichner in ein Dilemma brachte. Denn wahrscheinlich waren die Bogenschützen keine Awaren, sondern römische berittene Bogenschützen. Diese hatten den Skythischen Bogen (Recurve Bogen) bei ihren Auseinandersetzungen mit dem Partherreich kennen und schätzen gelernt und adaptiert bzw. Schützen als Auxiliartruppen aufgenommen. (s.o.) Auch Byzanz hat diesen Bogen weiterhin übernommen und über Kontakte u.a. mit den Awaren immer weiterentwickelt.11
So könnte beispielsweise ein Bild von fliehenden römischen Bogenschützen (equites sagittarii), gefolgt von sassanidischen Kataphrakten, Pate gestanden haben. Oder auch ein byzantinischer Kataphrakt verfolgt sassanidische Bogenschützen.
Auch der Utrechter Psalter, Beispielsweise auf fol. 14r ( Link zu Pinterest ) zeigt kurze Reflexbögen, die aus der Übernahme von Vorlagen entstanden sind.12 Übrigens ist der Utrechter Psalter ein gutes Beispiel für solche Übernahmen, denn im 12. Jahrhundert wird er selbst wiederum Vorlage für den Eadwine Psalter, der die Tuschezeichnungen coloriert und die Bögen nun zu “miniaturisierten” oder zu kurzen Langbögen macht.
Auch der auf auf fol 14r zu sehende Köcher gibt nur wenig neues oder informatives preis. Es handelt sich um einen runden Köcher, der mit einem abgerundeten Deckel versehen ist und mit dem Tragegurt verbunden ist und somit das Verschließen des Köchers ermöglicht. Funde solcher und ähnlicher Köcher sind über einen langen Zeitraum bekannt, z.B. aus Altdorf, Nydam und Haithabu13 Und was den Utrechter Psalter im Allgemeinen und seine Herkunft angeht hat auch das folgende Ebo-Evangeliar etwas beizutragen.
Auch im Ebo-Evangeliar (fol. 15 v) taucht ein Bogenschütze auf, klar mit einem Recurve Bogen ausgestattet. Das Evangeliar wurde zur selben Zeit, im gleichen Kloster wie der Utrechter Psalter geschaffen. Seine schwungvolle Linienführung und die Haltung der Personen sprechen dafür, dass beide aus derselben Quelle schöpften.14 Was man auch bei den angedeuteten Architekturelementen, etwa im Hintergrund des Evangelisten Matthäus (fol 18v) sehen kann. Wie auch das Krönungsevangeliar werden im Ebo Evangeliar die Evangelisten wie antike Philosophen dargestellt. Die Zeichner des Evangeliars gehörten wahrscheinlich zu jenen Mönchen, die wegen des byzantinischen Ikonoklasmus aus Byzanz fliehen mussten. Folglich übernahmen sie byzantinische Vorbilder, die sie möglicherweise selbst nach Franken mitgebracht hatten. 1516 Der Videolink in der zweiten Fußnote erläutert das auch noch einmal generell. Ansonsten mal auf die Farbgebung und die Linien im Ebo Evangeliar achten und sich mal die in Enkaustik oder Tempera gemalten Mumienporträts des 1. bis 3. Jahrhunderts ansehen. Gerade bei den jüngeren Bildern kann man starke Ähnlichkeiten mit dem Ebo Evangeliar erkennen.17
Was den Goldenen Psalter von St. Gallen angeht muss ich zugeben, dass ich fast auf die Zeichnung auf S141 hereingefallen wäre, denn ich sah zunächst nur den oberen Wurfarm des Bogens, mit einem trompetenartigen Nock, ähnlich den Bögen vom Typ Haithabu. Doch kurz unter dem Kopf des Pferdes ragt der untere Teil des Bogens hervor und mit diesem macht auch die etwas eigenartige Handhaltung Sinn: Wieder handelt es sich um einen kurzen Recurvebogen und wieder soll es eine Vorlage aus dem Osten gegeben haben.
Nur beiläufig möchte ich den Leidener Makkabäer Codex erwähnen, den Ian Heath, bekannt von den Osprey Büchern, die viele kennen werden, als Vorbild für seinen “Carolingian Heavy Archer” in Armies of the Dark Ages 600-1066 verwendet. Zunächst ist die Veröffentlichung, genauso wie eigentlich ursprünglich auch die Osprey Geschichten für Tabletop Strategiespiele gedacht. (Muss ja nix schlimmes sein) Aber der Makkabäer ist von 925 und zwar in Frankreich noch karolingisch, in unseren Breiten aber ist das Ottonisch, zweitens schreit das Ding ebenso wie die Sachen zuvor nach Byzanz (einfach mal die Architektur vergleichen, z.B. fol 9v (Link) sieht nach Hagia Sophia (Link) aus, und die Helme ansehen) Der Bogenschütze auf Fol 9r (Link) mit seinem Reflexbogen ist also, wie alles bisher, disqualifiziert!
Letztendlich kann es vollständig mit der Aussage zusammengefasst werden, dass alle karolingischen Abbildungen von Bogenschützen mit Bögen auf ältere Vorlagen zurückgreifen.18
Archäologische Funde von Bögen
So und jetzt ziehe ich mir noch mal das Unbill sämtlicher Bogenbauer zu, wenn ich vereinfache und sage im Grunde unterscheiden sich die Langbögen seit dem Bogen von Leeuwarden-Heechterp (NL) (Radiocarbon datiert 50 v.Chr. bis 250 n. Chr ), der dem Typ Nydam zugeschrieben wird, nicht wesentlich voneinander. Sie sind stabförmig, im Querschnitt mehr oder weniger D-förmig , wobei die Außenseite flach, die Innenseite die Abgerundete ist. (Im Gegensatz zu den Vorgänger, die flach gebaut sind) Die Enden der Bogenarme sind leicht verlängert. Hauptunterschiede sind die Art Sehnenkerben. Heraus fällt der alamanische Bogen von Oberflacht, der ein fast schon modernes Griffteil und einen fünfeckigen Querschnitt besitzt
Interessant im Zusammenhang mit den Bögen, die in Oberflacht gefunden wurden, ein Fund aus Mikulcice.Hier fand sich das Fragment eines Bogens aus dem 9. Jahrhundert der in seiner Bauweise sehr ähnlich den 200-300 Jahre älteren Bögen aus Oberflacht. Jürgen Junkmanns sieht in dem Bogenfund aus Mikulcice eine Verwandtschaft mit alamannischen Bögen und schließt auf eine Verbindung ausgehend von Osteuropa nach Westen19 Wobei man aber daran denken könnte das eine Verbindung aus Westen nach Osten bestand, zumal die Mährer Vasallen der Franken waren.
Vereinzelt könnte es auch zur Nutzung von erbeuteten Reflexbögen gekommen sein, ohne dass diese nachgebaut oder adaptiert wurden.
Aus dem späten 8. Jahrhundert stammt aus Mikulcice das Fragment eines Reflexbogens, von dem nur der Teil der Sehnenkerbe erhalten ist. Diese ist auf Grund starken Druckes ausgebrochen. (Inv. 353-83) Auf seiner Oberfläche befinden sich möglicherweise Runen des Typs Orchon-Jenissei20 Es handelt sich wahrscheinlich um den Rest eines awarischen Bogens. Allerdings kann dieser auch durch einen awarischen Angriff hierher gelangt sein.
Bögen des 9. Jahrhunderts
Hier nun abschließend eine Liste von Bögen bzw. Bogenfragmenten, bzw. deren Typen dem 9. Jahrhundert zugeordnet werden. Die Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit
Fragment von Aalsum (ca. 720-890) Das 127cm langes Fragment eines Eibenholzbogens stammt aus dem Gräberfeld der karolingerzeitlichen Wurt. Es wird als friesisch angesprochen. Die ursprüngliche Länge betrug etwa 170cm. Der Querschnitt erscheint wie ein abgeflachter Kreis. Der Bogen wurde aus einem dünnen Eibenstämmchen gefertig von dem nur wenig Material abgetragen wurde. Die Sehenenkerben finden sich 4cm vor Begenende. Der Bogen ist namensgebend für Bögen des Typ Aalsum, bzw “friesische Bögen”
Bogen von Haithabu (Bogen 1) (ca. 800-1066) 191,5cm langer, komplett erhaltener Bogen aus Eibenholz. die 7 bzw. 9cm (oben) langen Enden sind trompetenartig verdickt und nach hinten gebogen. Zum Biegen der enden wurden diese über Dampf behandelt oder gekocht. 7cm unter der oberen Sehenenkerbe befindet sich ein kleiner eingeschlagener Nagel mit Rundkopf der bei ausgehängter Sehne diese auffängt. Der Bogen wurde aus einem 5-6cm starken Eibenstämmchen gefertigt und war wohl auf Grund der noch scharfkantigen Sehnenkerbe nur kurze Zeit in Benutzung. Der Querschnitt ist oval bis D-förmig21, wird aber auch als rein oval angegeben.22
Fragment von Wassenaar(ca. 770-950) Das 150cm lange Fragment weist im Querschnitt das typische D-Profil von Langbögen auf. Der Bogen besaß ursprünglich eine Länge von 170-195cm. Er wurde aus einem nur ca. 4cm starken Eibenast oder Stämmchen gefertig. Das Ende des Bogens ist leicht nach hinten abgeknickt, womit er ein Merkmal des Bogens von Haithabu zeigt in dessen Typisierung er auch fällt. Wie Typ Haithabu auch wird er als wikingisch angesprochen.
Bogen von Ballindery (ca. 950-975) Der 185cm lange, komplett erhaltenen Bogen vom Typ Haithabu wurde gemeinsam mit dem bekannten Schwert vom Typ Petersen K gefunden. Wie in Wassenaar und Haithabu gehört er zu den Wikingerbögen und besitzt die typischen abgekickten Enden. (Der Bogen wurde trotz der Datierung wegen des Fundes mit dem Petersen K Schwert aufgenommen)
Fragment von Mikulcice (9. Jahrhundert): 87cm langer Bogenarm aus Eibe, der etwa in der Mitte gebrochen ist. Das Bogenende ist leicht nach hinten geschweift, 8cm und kolbenförmig verdickt. Die Befestigung der Sehne befand sich 5,5cm vom Bogenende. Der Querschnitt des Bogens ist rechteckig flach mit leichter Wölbung zur Innenseite. Im Bereich der ehemaligen Mitte verdickt sich der recht dünne Bogen zu einem stärkeren Griffteil. Der ursprüngliche Länge betrug min. 156cm, sollte aber mit einem rekonstruierten Mittelteil von ca. 25cm eine Gesamtlänge von 180 – 190cm besessen haben. Mit dem verdickten Mittelteil ähnelt er den Bögen vom Typ Oberflacht (Datierung ca. 500-600 n.Chr. ) und wird daher zum Typ Oberflacht gezählt.23
Ergänzung Typ Nydam Ergänzend muss hier der Typo Nydam erwähnt werden, für den ich aber kein passendes Beispiel aus dem 9. Jahrhundert fand. Er ist ebenfalls D-förmig, wird aber im Gegensatz zu den anderen Bögen zum Ende hin einfach schmaler und läuft spitz aus. Die Originalbögen aus dem Nydammoor waren alle aus Eibe gefertigt. Einige der Bögen besaßen ein End, die mit Geweih oder einer oder einer spitzen Eisentülle versehen waren,. Junkmanns vermutet hier die Verwendung als Stoßwaffe. Eine Eisentülle fand sich aber auch bei dem alamanischen Bogen von Altdorf (ca. 660-680), von dem Marti vermutet, der Bogen könne in den Bergen oder bei schwerem Gelände als Geh- / Kletterstock gedient haben.24 Auf Grund ihrer relativ einfachen Form, die man fast als Grundform bezeichnen könnte, wurden sie hier auch in diese Liste aufgenommen.
Disclaimer: Ich bin kein versiertert Bogenschütze, zwar besitze ich einen 30lbs Manau/Rattan Bogen und hab auch schon mehrfach einen steinzeitlichen Eibenflachbogen geschossen, aber hierfür musste ich mich rein auf Literatur verlassen. Das Buch von Jürgen Junkmanns „Pfeil und Bogen: Von der Altsteinzeit bis zum Mittelalter“, ursprünglich seine Dissertation in Tübingen, macht auf mich einen fantastischen Eindruck für die Materie, mit Zeichnungen und Berechnungen für die Kräfte. Es ist definitiv eine Empfehlung wert und bei Google Books findet sich auch ein fast vollständiges Preview.
Quelle: Karoli ad Fuldarum abbatum epistola ↩
Simon Coupland, Carolingian Arms and Armor in the ninth Century in Viator Vol 21 S47 ↩
Wobei nicht einmal scheinbar das notwendig ist , wenn man sich das ungetillerte Stück Holz/Ast mit 30lbs Zugkraft anschaut, der auf S. 82 der englischen Ausgabe der Bibel des Traditionellen Bogenbaus Bd 1 abgebildet ist ↩
Jürgen Junkmanns Pfeil und Bogen: Von der Altsteinzeit bis zum Mittelalter S44 ↩
Online hier bei der dmgh Kapitel 4 https://www.dmgh.de/mgh_capit_1/#page/66/mode/1up ↩
Simon Coupland, Carolingian Arms and Armor in the ninth Century in Viator Vol 21 S49 ↩
Simon Coupland, Carolingian Arms and Armor in the ninth Century in Viator Vol 21 S49 ↩
P.L. Grotowski Arms and Armour of the Warrior Saints S19/20 ↩
Au weia, da wären wir wieder beim Stuttgarter Psalter ↩
Als Quelle ist H. Riesch, Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit. S86, Tafel 53 angegeben ↩
T.G. Kolias Byzantinische Waffen S215 ↩
vgl. V. Alles, Reflexbogen: Geschichte und Herstellung S84 und F. Mütherich u. J.E. Gaehde, Carolingian Painting S.20 ↩
vgl. z.B. A.Rau, Remarks on finds of wooden quivers from Nydam Mose, Southern Jutland, Denmark und R. Marti, Das Grab eines wohlhabenden Alamannen in Altdorf UR-St. Martin ↩
R. Berenson, The Exhibition of Carolingian Art at Aachen S163 und G.R. Benson. New light on the Origin of the Utrecht Psalter S23 ↩
R. Berenson s.o, . ↩
Hierzu empfehle ich auch dieses Video! https://www.khanacademy.org/humanities/medieval-world/carolingian-ottonian/carolingian1/v/saint-matthew-from-the-ebbo-gospel ↩
Als Beispiel mal diese Bilder miteinander vergleichen: Mumienportät https://de.wikipedia.org/wiki/Mumienportr%C3%A4t#/media/Datei:Homme_avec_barbe,_portrait_fun%C3%A9raire,_Fayoum,_%C3%89gypte.jpg und Evangelist Matthäus https://en.wikipedia.org/wiki/Ebbo_Gospels#/media/File:Saint_Matthew2.jpg ↩
vgl. z.Bsp. Jim Bradbury The Medieval Archer S12 ↩
Jürgen Junkmanns Pfeil und Bogen: Von der Altsteinzeit bis zum Mittelalter S42 ↩
Zdenek Klanica, Zur Periodisierung vorgroßmährischer Funde von Miculcice S383-385 ↩
nach Junkmanns ↩
L. Polacek, O. Marek, R. Skopal, Holzfunde aus Mikulcice S198 ↩
L. Polacek, O. Marek, R. Skopal, Holzfunde aus Mikulcice S197 ↩
R. Marti, Das Grab eines wohlhabenden Alamannen in Altdorf UR-St. Martin S95 ↩
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…