Geschichtsunterricht in der Schule
Dieser Artikel erwuchs aus der Frage, was von meinem Geschichtswissen eigentlich aus meiner Schulzeit stammt. Man muss dazu wissen, das ich in der Schule zwar Geschichte als Wahlpflichtfach in der 11. Klasse hatte, aber dann als Leistungskurs Kunst und Biologie gewählt habe und inzwischen seit mehr als 15 Jahren aus der Schule bin.
Also hab ich mir Zettel und Stift genommen und mich hingesetzt und aufgeschrieben was vom Frühmittelalter und sonst so eindeutig aus der Schulzeit hängen blieb. Bis auf einige Witzchen wegen der Namensähnlichkeit einer historischen Persönlichkeit und der eines Lehrers, Drei-Felder-Wirtschaft und Lehnspyramiden fiel mir aber tatsächlich nicht viel ein.
Nach dem ich schon einige Ansätze nahm um dies zu einem Artikel zu verarbeiten und mir einige Informationen besorgt hatte dachte ich, ich frage einfach mal bei anderen nach. Ich wollte jedoch nicht direkt nach dem Gefühl fragen, das man hat, wenn man an seinen Geschichtsunterricht denkt. Ich wollte nicht klar machen worauf ich hinaus wollte.
Vielleicht kann sich der ein oder andere noch an die Fragen erinnern, die ich am am 2.9. stellte. Die Erste war: Woher kommt Euer Interesse an Geschichte, Die Zweite lautete: Woher stammt Euer Grundstock an Geschichtsbildung.
Es waren zwar nur 18 Personen die die Antworten klickten, aber bei der ersten Frage Antwortete keiner mit „Schule“ (aber 2 mit Comics!), bei der zweiten Frage waren es immerhin 2 Personen, die die Schule wählten.
Selbst bei nur 18 Personen ist dies kein sonderlich gutes Abschneiden für die Schule, was meine Gedanken bestätigte. Nun gehe ich mal davon aus das eher geschichtsinteressierte Personen das Blog lesen und vielleicht hat der Ein oder Andere auch beruflich damit zu tun. Kurzum das Ergebnis verwundert und lässt die Schule etwas schlecht aussehen.
Doch woran könnte das liegen?
Ich weiß nicht wie es sich bei Anderen verhält, wahrscheinlich nicht unähnlich. Bei uns war das Aufstöhnen immer groß, wenn die Thematik 3. Reich angesprochen wurde. Da fielen Sätze wie „Uh, nicht schon wieder“ und „Immer die gleiche alte Leier“. Ich kann mich noch erinnern das wir unsere Lehrer einmal fragten ob man nicht auch mal Geschichte von Japan lernen könnte um die Kultur besser zu verstehen, wenn man dorthin mal Geschäftsbeziehungen haben sollte, das wurde aber abgewiesen, weil nicht im Lehrplan.
Kulturelle Zusammenhänge und logische Schlußfolgerungen die sich ergeben, zum Beispiel die Entwicklung von Militär und Architektur auf unterschiedliche Feinde (Als mögliche Reaktion auf die Awaren werden im Capitulare de Villis die Königshofe dazu verdonnert Bögen auf Lager zu haben) oder Entwicklungen politischen oder religiösen Ursprungs die über lange Zeiträume ablaufen (fränkisches Eigenkirchenwesen bis zum Wormser Konkordat) habe ich erst sehr viel später, nach der Schule, erkannt. Und erst als ich Zusammenhänge selbst erkannte und ein Gefühl für die Vergangenheit entwickelte, fing Geschichte für mich an richtig Spaß zu machen.
Wie bereits gesagt informierte ich mich. Als ich begann für diesen Post zu recherchieren war noch der 2009er Lehrplan in Kraft, der sich aber nicht wesentlich von dem aktuellen für die Jahrgangsstufen 6-13 unterscheidet, den ich mir angesehen habee. Hier ist im kleinste aufgegliedert welcher Gestalt, welchem Ereignis des Mittelalters sich der Lehrer zuzuwenden hat, in den 15 bzw. 22 Schulstunden (Je nach G8 od. G9)., wobei ich anmerken muss das Lehrer bei G8 etwas mehr Freiheit in der Gestaltung haben, was aber dem kürzeren Zeitraum geschuldet ist. Freiheiten werden dem Lehrer nur geboten wenn er Zeit über hatte. Dabei kommt es zu skurrilen Konstruktionen. „Fürstliche Territorialgewalt“ beginnt erst mit Friedrich II, ein Hinweg vom Ministerialenwesen wird hier ausgeklammert.
Der Merowinger Chlodwig, wird hier noch immer als Chlodowech bezeichnet. Eine Namensform die man heute in keinem modernen Buch mehr findet und Otto der Große wird auch nur durchgenommen wenn der Lehrer Zeit über hat.
Der Lehrplan hält auch einige Überraschung parat. Einen riesen Brüller finde ich dieses Zitat:
Besonderes Gewicht sollte darauf gelegt werden, Ausgrabungen, Museen und – in den Jahrgangs-stufen 9 und 10 – Archive im Sinne regionalgeschichtlicher Betrachtungsweise in den Unterricht einzubeziehen. Anregungen dazu finden sich in der Spalte „Hinweise und Erläuterungen“.
Die Erläuterungen lauten dann wie folgt:
Exkursion zu einer Pfalz; Wiederholung: Auflösung des röm. Reiches; Judentum, Christentum, Islam
Übung: Quelleninterpretation, Karteninterpretation; Internetrecherche und Einsatz fachspezifischer CD-ROMs
Ich habe weder eine Grabung noch ein Museeum (ausserhalb von Klassenfahrten) besucht, das auch nur im Hauch mit dem Geschichtsunterricht zu tun hatte. Wir haben aber mal die Hessische Landesbiblithek in Darmstadt besucht, aber das im Rahmen des Deutschunterrichts. Von CD-ROMs in einer Zeit in der die Schule froh war überhaupt 286er zu haben und ich zuhause einen 386er und 486er hatte, wollen wir nicht reden. Aber wo wollte man hin und wann sollte man das machen? Zu welcher hessischen, frühmittelalterlichen Pfalz wollte man denn? Einen Tagesausflug mit Geschichte? Bei solchen Vorschlägen wurde zu unserer Zeit von Lehrern nur gelächelt. Kein wichtiges Fach (Mathematik, Englisch, Deutsch…) hätte seine Stunden dafür hergegeben. Und auch heute noch erscheinen mir diese Vorstellung nicht durchführbar. Zumal es als frühmittelalterliche/karolingische Pfalz nur Frankfurt gäbe und Gelnhausen und Seligenstadt, so schön sie sind, am Thema vorbeirauschen würden. Ich möchte einen Kasseler Leher sehen der den Eltern seiner Schüler mitteilt das sie Geld rausrücken sollen, damit die Schüler in Frankfurt/Main sich die Mauern auf dem Domhügel und das Archäologische Museum ansehen!
Aber zurück in die Gegenwart. Immer wieder tauchen im Lehrplan Formulierungen wie
Sie (Die Schüler) verstehen, dass Glaube und Herrschaftsstrukturen das Leben der Menschen im Mittelalter bestimmten und setzen sich mit der mittelalterlichen Denkweise und der mit ihr verbundenen Weltsicht kontrastierend zu ihrer eigenen auseinander
Ich halte diese Gegenüberstellung für ausgemachten Blödsinn. Es ist genau das was Pro7 Galileo gemacht hat, als sie einen Produktionsleiter aus der Papierindustrie Papier schöpfen ließen oder einem Koch in Haithabu „Wikinger“-Essen vorsetzten. Es ist amüsant, es zeigt Unterschiede, hat aber überhaupt nichts mit Verstehen zu tun.
Ich denke dabei daran wie der Lehrer die Geschichte von Karl dem Großen als „Sachsenschlächter“ erzählt, man vielleicht die Pros und Cons dazu erfährt und sich die Quellen ansieht. Man vergleicht es vielleicht mit der näheren Gegenwart und dann? Dann kommt vielleicht noch der Spruch „Es waren halt andere Zeiten.“ Ja, aber was für Zeiten? Es wird hier kein Verstehen stattfinden.
Das Grundproblem des Geschichtsunterrichts in Schulen überhaupt entsteht m.E. bereits bei der Grundauffassung von Geschichte. Während für mich Geschichte etwas eigenständiges und hoch komplexes darstellt, ist es in der Schule nur ein „Hilfsfach“. Geschichtsbewuststein scheint hier nur Nebeneffekt zu sein. Und das weiß auch das Fach/ das Schulamt, wenn es schreibt:
Das Fach Geschichte trägt gemeinsam mit den Fächern Erdkunde und Sozialkunde zur politischen Bildung bei. Die Beschäftigung mit politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen, Ereignissen und Prozessen der Vergangenheit ermöglicht die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein. Dieses bietet Hilfe zur Standortfindung, Standortbestimmung und Teilhabe am demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in der gegenwärtigen Gesellschaft und in einer sich schnell verändernden Welt.
Hessischer Lehrplan, Teil A, 1 Aufgaben und Ziele des Faches Geschichte
Geschichte ist also kein Fach das über Geschichte informieren soll. Auch aktuelle geschichtliche, archäologische Erkenntnisse wird das Fach nicht vermittel und ich denke mal Geschichtslehrer werden auch zugeben müssen das sie das gar nicht können!
Das letzte Zitat beinhaltet da fast schon alle Probleme. Geschichte wird hier Linear begriffen, die einen Weg beschreibt der unausweichlich zum Nationalsozialismus als großes Finale mündet das erstmals direkt in der 10. Klasse und quasi als „Reprise“ noch einmal in der 12. Klasse erscheint. Dies spiegelt sich natürlich auch in den Abituraufgaben wieder. Keine Frage das dieses Thema wichtig ist, dass möchte ich auch gar nicht in Frage stellen. Nur ist die Frage ob Geschichte als Fach, in dieser dieser Auffassung vermittelt, überhaupt Verständnis für eine andere Epoche vermitteln kann?
Vielleicht hatte der bei Adorno habilitierte Ludwig von Friedemann (hess. Kultusminister von 1969-74) recht, als er das Fach Geschichte zugunsten des neuen Fachs Gesellschaftslehre abschaffen wollte. Es hätte den Punkt von dem was Geschichte in der Schule heute ist besser getroffen.
Leider habe ich für dieses Problem auch keine Lösung. Es wäre aber ein radikales umdenken notwendig, eine andere Form der Wissensvermittlung und ich denke hier nicht an die Unterichtsmaterialien die Knopps „die Deutschen“ anbietet! (sie dazu den Artikel in dem ausgezeichneten Blog zum Thema von Daniel Bernsen). Vielleicht würden LH-Projekte helfen oder mal einen Besuch eines Archäologen oder Historikers.
Wahrscheinlich aber betrifft diese Problematik nicht nur Geschichte, sondern alle Nebenfächer.
Zum Abschluss möchte ich noch auf eine Klassenarbeit Geschichte 7. Klasse Thema Karl der Große verweisen, die ich bei Klassenarbeiten.de fand.
Die letzte Frage des Tests lautet:
Lies die Meldung, die am 13. November 2007 in fast allen deutschen Zeitungen zu lesen war. Begründe den Namen des Preises und den Ort der Preisverleihung. Bundeskanzlerein Merkel erhält Karlspreis 2008. Der Internationale Karlspreis der Stadt Aachen geht im nächsten Jahr an Bundeskanzlerin Merkel. Sie werde für Ihre Verdienste umd die Weiterentwicklung der Europäischen Union geehrt, teilte die Jury mit (…) Der Karlspreis wird seit 1950 für besondere Verdienste um die europäische Einigung verliehen.
Das ist genau das , was ich meine! Mit Geschichte und Karl dem Großen hat das für mich nur am Rande zu tun! Außerdem bedient sich die Sache sowieso dem altbekannten Problem des Pater Europae (Vater Europas), das ein vollkommen anderes Bild Europas des Frühmittelalters (christiches, west-römisches, Kaisertum und Gottesstaat) mit der heutigen EU gleichsetzt und davon zeugt, das hier nur bedingtes Verstehen der historischen Thematik vorliegt. Die richtige Antwort wäre übrigens: Der Preis wurde nach Karl dem Großen benannt, weil er schon damals ein großes einiges Europa haben wollte. Als ein weiteres Zeichen mit der Verbundenheit seiner Idee wurde Aachen, als Karls Lieblingpfalz und Todesort gewählt. ( Das die Gründer des Preises aus Aachen kamen und auch wirtschaftliche Interessen gehabt haben könnten, scheint keine Rolle gespielt zu haben)
Hallo Markus Zwittmeier!
Als ich zur Schule ging, gabs noch keine PCs, im Studium habe ich auf einem selbstgebauten Sinclair gerechnet und 1-0- Piepser auf Tonband abgespeichert, damit nicht alles verloren geht beim Ausschalten. Und im Geschichtsunterricht mußten wir Seiten auswendig lernen und aufsagen. Ich war schnell im Lernen – und im Vergessen.
Außerdem: War nicht die Bewältigung der jugendlichen Gegenwart wichtiger und schwieriger als irgendwelche Geschichtspersonen? Wahrscheinlich hätte uns eine Geschichte der Sexualität viel mehr interessiert 😉 Aber darüber wird ja kaum gesprochen. Wie der Sonnenkönig als Kind unter die Röcke der Frauen kriechen und sich dort verstecken und noch mehr durfte, wie die Sachsen vor der Ehe Verkehr habe sollten und erst heirateten, nachdem ein Kind (oder mehrere) unterwegs waren ….
Meine Kinder heute finden aber Geschichte sehr spannend, auch weil sie viel mit mir darüber diskutieren können und weil ich (als Tiefenpsychologe) Bezüge zum aktuellen menschlichen Fühlen und Denken eröffne. Wenn z. B. Napoleon sagt, die Geschichte werde von den Siegern gemacht, so gibt es deutliche Parallelen zur Meinungsbildung in pubertären Gruppen. So kann man auch aktuell mit Geschichte mehr verstehen – und seine Meinung besser durchsetzen. Das macht es interessanter.
Aber interessanter ist die Geschichte auch geworden, weil heute strategische Gedanken und originale Bewaffnung in PC-Spielen nachgebaut werden können. – Keinem von uns ist es bspsweise bisher gelungen, die Römer den Germanen entkommen zu lassen. Oder wollten wir das gar nicht 😉
Und noch ein weiterer Punkt hat mein persönliches Interesse für wirre Phasen wie die Sachsenkriege Karls des Großen und den dreißigjährigen Krieg angespornt: Nachdem ich wußte, daß mein Y-Chromosom ein wikingisches ist und meine Vorfahren schon 1480 Richter-Dynastien bildeten, versetze ich mich ganz anders in bestimmte Phasen der Geschichte hinein.
Für mich sind also die Hauptfaktoren aus Sicht der Jugendlichen: Anwendbares Wissen für die Gegenwart (Argumentieren, PC-Spiele), Diskussionspartner mit neuen Perspektiven (das fasziniert mich ja heute noch, deshalb antworte ich ja hier erfreut) und Familiengeschichte. Trotzdem: Enorm wichtig ist ein guter Lehrer – aber darauf habe ich als Vater keinen Einfluß.
Herzliche Grüße und danke für das interessante Thema
Christoph
Ein einfaches Markus tuts auch 😉
Das totale Auswendiglernen war zum Glück nicht mehr ganz so wichtig bei uns, aber von Kreativität waren wir weit entfernt.
Der Lehrer ist wahrscheinlich einer der entschiedensten Aspekte, aber ich wollte denen nicht die Schuld in die Schuhe schieben, weil ich glaube das viele von denen innerhalb schulischer Konventionen gefangen oder desillusioniert sind, sozusagen unterdrückt durch das Lehrer-„Über-ich“ 😉
Sachen wie Sexualität einfließen zu lassen, kann schon mal ein Weg sein. Naja, jetzt nicht „Praktiken des Hohen Mittelalters“. Ich denke da mehr an die Anekdoten die überliefert sind, z.B. gibts von der Synode 895 in Trebur Texte über die Verhandlungen, da wurde in mehreren Fällen zu Gunsten betrogener Ehefrauen entschieden. Die Überlieferungen wie Heinrich IV. seine Frau verführen lassen wollte und er hinter dem Vorhang lauerte, sie ihn sah, erkannte was er vorhatte und ihn unter dem Vorwand einen einen Räuber zu ahnen mit einem Stuhl zusammenschlug, Die Toiletteneimer bei Ludwig XIV hinterm Vorhang… etc. alles so kleine Geschichten die die Vergangenheit lebendiger machen würden. Weg von dem trockenen Einerlei! Geschichte lebendig machen!
Vielleicht genauso wichtig (oder wichtiger?)sind auf jeden Fall die Eltern. Ich hab den Vorteil gehabt einen geschichtsinteressierten Vater zu haben und es war in dem Fall auch ein Vorteil katholisch erzogen worden zu sein und so auch kirchliche Situationen zu kennen und diese zu hinterfragen. Dieses „Warum ist etwas wie es ist“ hat mich erst hier her gebracht.Es gibt wahrscheinlich noch hunderte weitere Aspekte.
Sehr geehrter Herr Dr. Markus 😉
Ich möchte mich zu einem Teilaspekt deiner interessanten Ausführungen äußern:
“Uh, nicht schon wieder” und “Immer die gleiche alte Leier”
Geht mir im Zusammenhang mit dem Dritten Reich auch heute noch so.
Der penetrante, in den Medien omnipräsente Negativkult um das tote Alien
aus Braunau, ruft bei immer mehr Menschen eine natürliche Abwehrreaktion
hervor. Womit man zweifellos das Gegenteil vom Angestrebten erreicht.
Warum aber so viel Drittes Reich (wodurch natürlich andere Dinge viel zu kurz kommen)?
In meinem Leitfaden fürs Geschichtsstudium steht ein entlarvender Satz,
der diese Frage beantwortet:
„Geschichte ist ein geeignetes Instrument für politisch-gesellschaftliche Erziehung.“
Das hört sich wenig nach Objektivität und einer lockeren, sympathischen
Herangehensweise an, sondern eher nach krampfhafter, ideologisch-politisch motivierter
Instrumentalisierung.
Marx und Engels lassen hier mit ihrer in der DDR so beliebten „Geschichtsphilosophie“
grüßen.
Unter dem Aspekt darf man übrigens auch den gesamten Opus des Herrn Knopp
verstehen, der sich z.B. im Zusammenhang mit Karl dem Großen nicht entblödet
schamlos schwül von der „Europäischen Integration“ zu schwärmen,
indem er das (durch brutale Gewalt!) geschaffene Frankenreich mit der EU
vergleicht!
Es gibt also politische Beweggründe dafür, warum man meint 12 Jahren
Nationalsozialismus eine deutlich höhere Gewichtung einräumen zu müssen,
als den über 2000 (!) Jahren mitteleuropäischer bzw „deutscher'“ Geschichte davor.
Man ist offenbar der Meinung, dass das heutige deutsche Volk umgehend
Gefahr läuft in die Denkmuster der 30er-Jahre zurück zu fallen, wenn man es nicht
von Kindesbeinen an mit den Verfehlungen Urgroßelterngeneration konfrontiert.
Immer und immer wieder. Jahr ein, Jahr aus.
Instrumentalisierte Geschichtspolitik eben.
Da passt es auch ins Bild, dass sich bei der Sendung „Planet Wissen“ vor zwei Tagen
ein Archäologe hinstellt und verkündet, die Kelten seien für die heutigen Menschen besser
als Vorbilder geeignet, da sie ja, im Gegensatz zu den Germanen, nicht durch den
Nationalsozialismus vorbelastet seien (!!!).
Begriffe wie „Sockenschuss“ oder „ein Fall für den Vogeldoktor“, gehen einem da
unweigerlich durch den Kopf und die Computermaus knirschte in meiner Hand ähnlich
gefährlich wie meine Zähne 😉
Wenn also selbst in den Köpfen von Fachleuten, die sich eigentlich schwerpunktmäßig
mit der weiter zurück reichenden Vergangenheit beschäftigen, ständig der durchgeknallte
Landschaftsmaler aus Brauna über die Schulter blickt, dann darf man sich
nicht über die seltsame Gewichtung der Lehrpläne wundern.
Althistoriker und Co. haben längst die Waffen gestreckt und sich der Tatsache
ergeben, dass ihr Forschungszweig als tendenziell unwichtig abgestempelt
wurde – zugunsten der institutionalisierten, immerwährende Vergangenheitsbewältigung
und kollektiven Selbstbespiegelung.
Einer dieser Kollateralschäden eben, welche die einst an sich nicht unnotwendige,
aber oft maßlos überzogene, „Reeducation“ bei der (oft nur vermeintlichen)
Intelligenzelite angerichtet hat ^^
Nur meine in Senf gegossene, persönliche Meinung.
wie Du es beschreibts entspricht für mich auch dem Vermerk im hessischen Lehrplan:
Tatsächlich glaube ich das ein Fach wie Politik bereits früher eingeführt werden müsste, welches sich dann wiederum mit einem (gewünschten) Fach wie Medienkompetenz ergänzen sollte. Tatsächlich hätte ich mir immer gewünscht wenn die jüngere Geschichte (Weimarer Republik => Drittes Reich) in Politik behandelt worden wäre, weil es ja nachhaltig die deutsche Politik beeinflusst. Beim Thema der Judenfeindlichkeit hätte ich mir gewünscht, dass noch einmal explizit auf die geschichtlichen Vorgänge (auch des Mittelalters) eingegangen worden wäre ums so einen komplexen Zusammenhang dazustellen (Ich denke gerade an das Pogrom von Mainz 1096, und den Konflikt zw. H. IV und Bischof Emicho, muss aber nicht sein). Ich finde das Thema immer wesentlich komplexer als es nur auf „Hitlers Helfer“ , „Hitlers Haustiere“ und Dep(p)ression zu reduzieren. (In dem Fall fällt mir auch immer wieder die Lebensgeschichte von Karl Marx ein, ist aber eine andere Sache)
Das die Mediävistik, hinter der klassischen Antike und auch sonst allem hinterherhinkt ist auch altbekanntes Problem, dass sich aber ändern wird.(hoffe ich) So, das nur früh am Morgen
Oh ja, das Mittelalter hinkt, was die Informationskultur darüber betrifft,
der Antike in der Tat massiv hinter her!
Das Problem verdanken wir dem Humanismus, der vom Mittelalter
ja bekanntlich wenig hielt. Das ist auch heute noch in den Köpfen der
Menschen drinnen.
Aber das ist nicht das einzige Problem, wie ich z.B. von angehenden
Geschichtslehrern weiß. Viele Schulleiter (meist keine sehr jungen
Leute mehr), geben viel eher die Bewilligung für einen Ausflug zu
einer musealen Antiken-Veranstaltung, als zu einer die mit
dem Mittelalter zu tun hat.
Ein wichtiger Grund dafür: Die inflationären Mittelaltermärkte sind
qualitativ meist unter aller Kajüte und haben den Ruf von mittelalterlichen
Veranstaltungen allgemein und nachhaltig bei vielen Entscheidungsträgern
ruiniert: Plastikzelte, Gothic-Gedöns „Jack Sparrow“-Imitatoren(!) und
viele Besoffene – da können Kinder nichts lernen.
@ Markus
«Also hab ich mir Zettel und Stift genommen und mich hingesetzt und aufgeschrieben was vom Frühmittelalter und sonst so eindeutig aus der Schulzeit hängen blieb.»
» Die Zeit – Lehrplaene-Bildung-Schule
Geht mir auch so 🙂
Erstmal vielen Dank für die nette Erwähnung im Artikel! 🙂
Mit dem Artikel machst du einen sehr weiten Bogen auf und berührst sehr unterschiedliche Bereiche… ein paar Ideen, die mir beim Lesen durch den Kopf schossen, möchte ich gerne noch anfügen:
Als Schüler hat mich Geschichte interessiert, wenn ich mich richtig erinnere, dann würde ich sagen trotz des Unterrichts und trotz meiner Lehrer. Ich hatte dann auch den Leistungskurs belegt und hab Geschichte dann auch als eines von zwei Hauptfächern auf Lehramt studiert.
Damals, also direkt am Ende meiner Schulzeit, konnte ich das Thema Nationalsozialismus auch nicht mehr hören und sehen und war dessen überdrüssig, was in der Tat ein wohl eher ungewünschter Effekt des Unterrichts war, wo wir das Thema nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern u.a. auch in Religion und Deutsch mehrfach behandelt haben. Ich habe Veranstaltungen über die NS-Zeit zu Beginn meines Studiums regelrecht gemieden.
Als ich dann vor ein paar Jahren angefangen habe als Lehrer zu arbeiten, habe ich angenommen, dass es heutigen Schüler auch gerade angesichts der medialen Präsenz des Thema ähnlich gehen müsste. Meine Erfahrungen sind aber (für mich überraschend) andere: Schüler sind auch noch am Ende ihrer Schulzeit mehrheitlich sehr interessiert an dem Thema und haben interessanterweise viele offene Fragen, auf die sie berechtigerweise im GU Antworten suchen.
Problematisch finde ich hingegen, dass dem großen Interesse jüngerer Schüler an zeitgeschichtlichen Themen durch den chronologischen Durchgang des GU gar nicht oder kaum entsprochen werden kann. Warum muss ich 7.klässlern, die wissen wollen, „wie das mit Hitler war“ und mit der Erwartung auf diese und andere Fragen Antworten im Geschichtsunterricht zu erhalten, erklären, dass sie im GU darauf bis zur 10 warten müssten, dann kommt das Thema laut Lehrplan dran??? Drei Jahre sind nicht nur für Kinder und Jugendliche eine kleine Ewigkeit… Nicht umsonst, gibt es zur Zeit in einigen Bundesländern entsprechende Debatten, ob und wie auch in den Lehrplänen das Vorziehen solcher Themen ermöglichen soll (wie z.B. die DDR-Geschichte in Brandenburg).
Übrigens hat auch in Hessen die Einführung eines neuen Curriculums einige Wellen geschlagen: http://geschichtsunterricht.wordpress.com/2010/07/07/kompetenzorientierung/
Ich würde auch dafür plädieren, wegzugehen von dem weit verbreiteten „Stoffdenken“. An den Geschichtsunterricht werden eine Vielzahl von Forderungen gestellt, was alles inhaltlich behandelt werden sollte. Solange wir weitermachen hier Stunden zu zählen und Inhalte gegeneinander aufzuwiegen und auszuspielen, bringt uns das nicht wesentlich weiter. Natürlich braucht es historische Inhalte, die müssen auch gesetzt werden, um an ihnen historisch zu lernen. Historisches Denken und Lernen macht sich jedoch nicht an einzelnen Inhalten oder Epochen fest, sondern es muss hierbei um den Erwerb und die Vertiefung von Kompetenzen gehen, die die Schülerinnen und Schüler über die Schule hinaus u.a. in die Lage versetzt, Geschichtsdarstellungen kritisch wahrzunehmen, analysieren und bewerten zu können und selbst Geschichte darstellen zu können.
Natürlich können Inhalte motivieren. Aber es gibt kaum/keine Inhalte, die 30 völlig unterschiedliche Individuen im gleichen Maße ansprechen. Motivation und Interesse deshalb über Inhalte eines Fachs zu suchen wird nicht funktionieren. Meines Erachtens bieten sich hier vor allem zwei Möglichkeiten: zu eine stärkere thematische Differenzierung und Individualisierung des Unterrichts und zu anderen neben der Person der Lehrkraft, die sicherlich für die Motivation eine Rolle spielt, der Einsatz methodisch und medial abwechselungsreicher Lernszenarien.
Das angesprochene Problem des Vergessen von „uninteressanten“, nicht vernetzten Inhalten ist keines, das allein dem Geschichtsunterricht eigen wäre, sondern für alle Schulfächer gilt. Wer sich nicht privat, als Hobby oder im Beruf mit gewissen Themenbereichen auseinandersetzt, verliert sein Schulwissen wieder. Das merken viele dann oft als Eltern, wenn sie gemeinsam mit ihren Kindern die Hausaufgaben anschauen und sich allenfalls daran erinnern, dass sie dies oder das auch mal in der Schule „hatten“….
Interessanterweise scheint mir die Behaltensleistung in den Fremdsprachen noch mit am höchsten. Das könnte daran liegen, dass diese aufeinander aufbauen und sowohl der Wortschaft als auch die Grammatik permament (implizit) wiederholt werden. Was im übrigen auch sehr schwer macht, in einer Fremdsprache wieder „einzusteigen“, wenn man mal einen längeren Zeitraum verpasst hat – das ist in Geschichte und Politik anders, weil hier aufeinander folgende aber letztlich voneinander getrennte Themen behandelt werden. Ein möglicher Ansatz könnte sein, für das historische Lernen eine Grammatik und einen Wortschatz zu entwickeln, der dann im Sinne eine Spiralcurriculums nicht eine chronologische Reihenfolge, sondern eine Progression mit entsprechenden Wiederholungen und Vertiefungsphasen bietet.
Ganz ähnlich antwortete ein ehemaliger Leher von mir auf Google plus, eben das nicht nur das Fach Geschichte sondern auch andere Nebenfächer von dieser Problematik betroffen sind und man generell durch das Curriculum eingeengt wird.
Über die Sache mit der Fremdsprache musste ich, mehr durch Zufall, gestern denken. Meine 2nd-grade-Cousine aus Charlotte NC(nach Charlotte von Mecklenburg-Strelitz benannt , liegt im County Mecklenburg 😉 ) war erstaunt ob meines guten Englisch und meinte ich würde dort nicht als Deutscher auffallen. In der Schule sah das anders aus, zumal wir ja eher ein englisches Englisch lernten und in unserer Freizeit auch schon mal Filme im (amerikianischen-)englischen Original sahen und Liedertexte übersetzten. Die dort gewonnen Erkenntnisse in Klassenarbeiten einfließen zu lassen war schlichtweg Chaos, da unser (recht alter) Englischlehrer mit mit den Begriffen nichts anfangen konnte (oder wollte). Mein heutiges englisch, so bilde ich mir ein, stammt aus den 90ern und verdanke ich einem 14.4 Modem das mich durch ein hauptsächlich englischsprachiges neues Medium namens Internet führte und das mich dazu zwang Englisch ernsthaft zu verstehen wenn ich etwas dort lesen wollte.