Die -stadt-Linie wieder aufgegriffen
Ich muss gestehen die Idee mit der Stadt-Linie verfolgt mich. Nur um kurz zusammenzufassen um was es geht, falls einer nicht mitgelesen hat: Jörg Heléne schrieb über eine auffällige Häufung von Ortsnamen in Südhessen, die auf die Endung -stadt enden. Sie liegen in der Linie Stockstadt am Rhein zu Stockstadt am Main.
Ortsnamen die auf -stadt enden gelten allgemein als alamannische Gründungen. Seltsamerweise finden sich diese Orte aber nur in dieser Linie in einer herrausstechenden Häufigkeit, so dass die Theorie aufgestellt wurde, sie seien möglicherweise in der Zeit der fränkischen Landnahme, also um 500, entstanden um eine Verteidingungslinie zu bilden. Ob nun von den Alamannen gegen die Franken oder umgekehrt sei dahingestellt.
Warum ich das Thema gerade jetzt wieder aufgreife ist einfach. Beruflich bin ich immer in der Region Südhessen unterwegs. Am vergangenen Mittwoch musste ich nach Groß-Umstadt. Groß Umstadt liegt auf der -stadt-Linie und besitzt ein Gräberfeld aus jener Zeit. Dieses Gräberfeld soll alamannisch, aber auch fränkisch belegt sein (siehe hier). Ich musste dort zum Kreiskrankenhaus, das außerhalb hinter Altstadt liegt, wo die Straße auf einen Berg führt. Dieser Berg ist der Heinrichsberg, dessen Südwestlicher Teil Herrnberg heißt. Es ist die letzte einigermaßen selbständige Erhebung bevor es in den Odenwald geht. Und dort fiel mir etwas auf.
Zwar hab ich von hieraus einen wunderbaren Blick auf die Veste Otzberg am direkten Odenwaldrand aber auch über das weite Flachland, mit seinen leichten Hügeln, aus denen fast wie eine Perlenkette einige Hügel herausragen: Gundernhausen-Stetteritz liegt auf einem Hügel, dann kommt der Roßberg bei Roßdorf (ein Granitsteinbruch) und dahinter der Rehkopf. Hinter dem Rehkopf liegt Ober-Ramstadt. Leider habe ich keine Fotos gemacht, werde das aber mal nachholen, jedoch sieht man hier ein Bild vom Rehkopf aus über Stetteritz in Richtung Groß-Umstadt.
Diese Hügel böten sich geradezu als „Verteidigungslinie“ an. Aber wie hätten wir uns solch eine „Verteidigungslinie“ vorzustellen?
Auf keinen Fall mit Palisaden und Türmen! Für die Besetzung und den Unterhalt solch einer Anlage wären garnicht genug Menschen vorhanden gewesen. Es gab nur einzelne, kleine Siedlungen, die aus wenigen Gehöften bestanden, von denen wir heute meist nur noch deren Friedhöfe kennen. Hier lebten vielleicht nicht einmal 10 Menschen.
Die Siedlungen lagen in den Niederungen, wo es fruchtbare Äcker und Wasser gab, das auch für die Gerberei und das Bier brauen benötigt wurde.
Diese kleinen Siedlungen, im alamanisch-fränkischen Grenzgebiet waren ständiger Bedrohungen ausgesetzt, wobei diese Bedrohungen nicht unbedingt von anderen Stämmen herrühren mussten.
Zahlreiche Skelettfunde aus dem fränkischen Kerngebiet des 5. und 6. Jahrhunderts zeigen mannigfaltige Verletzungen aus Kampfhandlungen. Lokale Warlords kämpften um Vorherrschaft und überfielen nahe gelegene Siedlungen. Keine sehr ruhige Zeit. Aber sowohl im fränkischen-alamannischen Grenzgebiet, als auch im fränkischen Innland waren nicht sehr viele Menschen an diesen Auseinandersetzungen beteiligt. Aus heutiger Sicht waren es nicht einmal Scharmützel. Vielleicht 10 Kämpfer gegen eine Zivilsiedlung mit nicht mehr Einwohnern (Kinder eingeschlossen).
Die einzige Möglichkeit einem solchen Übergriff zu entgehen war die Siedlung zu verlassen und sich in Wäldern oder Sümpfen zu verstecken. Dies war nur mit entsprechender Vorwarnzeit zu bewerkstelligen.
Und hier kommt nun die „Verteidigungslinie“ ins Spiel.
Wir dürfen uns keine Linie im eigentlichen Sinn vorstellen, vielmehr dürften erhöhte Punkte, wie die oben beschrieben Hügel genutzt worden sein. Ein Unterstand reicht vollkommen aus und ein Feuer, um gegeben falls ein größeres Signalfeuer zu entzünden. Vielleicht war eine der Siedlung stärker befestigt und besaß mehr Männer unter Waffen. Bei einem größeren Einfall von Marodeuren konnten diese möglicherweise über Signalfeuer verständigt und zur Hilfe gerufen werden. Ganz ähnlich wie es die Römer am Limes taten, nur eben in einem wesentlich kleineren Maßstab.
Im Zusammenhang habe ich diese Karte hier gefunden (Hier die Seite dazu), die die Besiedlung des alamannischen Gebietes um 450 eben genau bis zur Stadtlinie angibt. Leider kenn ich die Originalquelle und die Begründung dazu nicht. Im Alamannenkatalog hab ich auch auf den schnellen Blick im Museum nichts gefunden.
Ach, im übrigen wären solche Unterstände archäologisch nur schwer nachzuweisen: eine Feuerstelle, vielleicht ein paar Scherben, ein Pfostenloch muss nicht mal sein, das wäre nicht nur schwer zu finden, sondern könnte auch nur schwer zuzuordnen sein.
Was auch interessant ist, dass viele der Stadtorte an relativ ungünstigen Stellen liegen. Noch im 19. Jhd, hat man sich bei Darmstadt zum Beispiel über den sandigen, unbrauchbaren Boden lustig gemacht. Es ist nicht gerade ein idealer Siedlungsort. Warum also hat man den Platz gewählt, wenn nicht aus strategischen Gründen?
Erwähnenswert auch, dass es in der Gegend Friedberg/Wetteraukreis eine weitere auffällige, relativ kleinparzellige Anhäufung von Stadtorten gibt, die sich zudem namentlich teilweise mit den Orten in Südhessen zu „spiegeln“ scheinen (da gibt es ebenfalls ein Eberstadt, ein Mockstadt und ein Ranstadt = Ramstadt??). Wenn’s nächstes Jahr wieder wärmer ist, müsste man vielleicht mal all diese Orte abfahren und sich mal vor Ort umschauen, ob diese Siedlungsplätze einen militärisch-strategischen Sinn ergeben.
Witzigerweise bin ich das gesamte nächste Wochenende in Nidda, also direkt bei Mockstadt usw. und habe Samstag „frei“. Ich werd mich mal umschauen! Zumindest kann ich sagen das die Nidda da ein recht breites und flaches Tal ergibt. Quasie ein Rampe auf den Vogelsberg, etwa so wie sich der Weg in Odenwald bei Groß-Umstadt zeigt.
Edit: Die Orte wie Ranstadt, Mochstadt und Florstadt liegen auf leichter Anhöhe mit Blick in das breite Tal der Nidda. Wenn ich da immer von der Autobahn fahre hat man das Gefühl nach Norden einen riesegen Streifen Grün überblicken zu können…
Ich habe mir eben mal die Lage der Stadtorte in der Gegend auf ner Karte bzw. bei Google Earth betrachtet. Kein eindeutiger Befund aber doch recht interessant, weil auch die Orte sich grob entlang einer Linie ziehen und nicht auf einem Haufen, wie das eigentlich zu erwarten wäre, wenn man den Suffix einfach nur willkürlich bzw. zu einer bestimmten Siedlungsepoche ohne weiteren Hintergrund verwendet hätte. Und wieder reißen die Stadtorte auffällig schnell ab, wenn man sich von dieser Linie wegbewegte, nur in relativ großer Entfernung (bei Lich zB) findet man wieder Stadtorte, allerdings hab ich auf die Schenlle jeweils nur zwei nördlich (eben bei Lich) und in etwa gleicher Entfernung südlich gefunden.
Wenn ich heute abend noch Lust habe und es mir zeitlich langt, eine kleine, grobe Skizze anzufertigen, blogge ich vielleicht was dazu.
Aber gerade bei Darmstadt ist die ursprüngliche Besiedlung ja nicht gerade auf einer Erhebung zu finden. Warum sollte man so etwas direkt hinter der Erhebnung, auf der heute die Mathildenhöhe ist, errichten?
Man müsste da mal detaillierte topologische Karten zurate ziehen.
Ich glaube du hattest mich etwas falsch verstanden. Die Siedlungen lagen/liegen immer in der Niederung, wegen des Wassers und der Versorgung. Die Erhebungen dienen nur als Aussichtspunkt. Und da passt dann die Mathildenhöhe oder das Oberfeld gut rein und könnte die Lücke Darmstadt Roßdorf schließen.
Naja, zumindest existiert südwestlich Groß-Umstadt´s eine Flur namens „Auf der Warth“.
Oh Danke! Das ist doch schon mal etwas.