Geruchsreise Version 2
Vor fast einem Jahr hab ich eine „Geruchsreise“ in ein frühmittelalterliches Dorf geschrieben. Schon damals wollte ich diese Beschreibung/Erzählung eigentlich weiterschreiben, hatte es dann aber irgendwie aus den Augen verloren. Als ich im Museum war und wir überlegt hatten ob man nicht irgendwie auch geruchsmäßig Stimmung verbreiten könnten musste ich wieder daran denken. (Ein Misthaufen macht sich glaub ich dann doch nicht so gut im Museum…)
Also hab ich die Geschichte ein wenig verändert und verlängert. (Hauptsächlich ab Markt und Kirche) Aus dem unbestimmten Ort ist ein Königshof geworden, den der König in Vorbereitung eines kommenden Feldzuges besucht und den er vielleicht ausbauen will. Ich möchte den Text, mit Bildern versehen in der Ausstellung verwenden. Da auch Schulklassen der umgebenden Orte die Austellung besuchen könnte das gerade für die interessant sein, naja wahrscheinlich eher für die Lehrer um die Schüler zu quälen.
Mich würde nun interessieren ob ich irgendetwas wesentliches vergessen habe! Ich denke daran vielleicht das militärische Lagerszenario noch ein wenig auszubauen, weiß aber noch nicht genau wie. Auch ist mir der König irgendwie zu Positiv dargestellt. Ich hätte ihn gerne etwas ambivalenter ohne dabei Wertung abzuliefern. (deswegen die Sachsen)
Bei den Beschreibungen stütze ich mich übrigens auf Angaben aus dem Brevium Exempla, und dem Capitulare de Vilis, sowie archäologische, geologische und botanische Befunde, sowie diverse Urkunden die ich mal wild gemixt hab. Also alles vielleicht zuviel…
Wenn man heute über einen “Mittelaltermarkt” schlendert, steigen einem Bratwurstgerüche, Gewürze (ab und an auch mal verbrannte Kartoffeln, die es eigentlich noch nicht gab und hier und da der Geruch eines Holzfeuers in die Nase. Leute bleiben stehen und schnuppern und finden das alles ja sehr romantisch und nippen an ihrem Met für 3 Goldrandtaler plus 4 Goldrandtaler Pfand für den Tonbecher…
Die Realität im Mittelalter aber war eine andere. Ich möchte Sie auf eine kleine, fiktive Frühmittelalter mitnehmen.
Wir befinden uns nun etwa in der Mitte des 9. Jahrhunderts irgendwo im fränkischen Kerngebiet und bewegen uns auf einen Vicus, eine Siedlung, zu, die zu einem Königshof gehört. Es ist Herbst, die Ernte ist größtenteils eingefahren, es ist Zeit für die Märkte, denn Martini rückt näher und damit die Zeit für die Abgaben. Zu Anfangs stehen wir auf einem matschigen Waldweg in einem Mischwald aus Stieleichen, Hainbuchen und Erlen, durchzogen von morastigen Senken. Noch umweht uns der Geruch von feuchtem Wald, gefallenem Laub – mit einem Wort: Herbst.
Der Geruch ändert sich jedoch schlagartig, als wir uns dem Waldrand nähern. Beißender Rauch treibt uns Tränen in die Augen. Am Waldrand sehen wir die Urheber: Köhler verhütten Holz zu Kohle, die für Eisengewinnung und Schmiedefeuer benötig werden. Aus den Meilern quillt der beißende Rauch.
Vor uns liegt die Siedlung. An einen einen Pfahl ist ein toter Wolf genagelt. Er soll die Wölfe abhalten Schafe zu reißen die auf einer Weide stehen. Heidnisch hatte der Priester dies genannt.
Die Siedlung ist in eine dichte Dunstglocke gehüllt. Es ist nicht etwa Nebel, sondern Rauch der Feuer aus den Hütten und den Werkstätten, der sich bei der noch vorherrschenden warmen Inversionswetterlage über der Siedlung und in der weiten Lichtung fängt.
Der Rauchgeruch ist von nun an unser ständiger Begleiter auf unserem weiteren Weg.
An einer Brücke die einen der unzähligen Bachläufe der Aulandschaft quert, steht ein Mann und uriniert an die Böschung, dann nimmt er seinen Eimer und holt Wasser.
Ein brennender Uringeruch weht uns um die Nase. Er stammt von den Gerbern und Färbern am Rande der Siedlung, die direkt am Bachlauf liegen, direkt bei einer Brauerei. In den Uringeruch mischt sich der Geruch nach nassem Hund. Es sind aber keine Hunde die da im Wasser baden gehen, es sind Frauen die Wolle waschen die später versponnen oder gefärbt wird.
>Wir befinden uns nun in der Siedlung, der Geruch von Fäkalien ist allgegenwärtig. Er stammt von den Bewohnern der Siedlung und deren Vieh. Schweine traben über den den Weg, der mit Reisigbündeln bedeckt ist, damit man nicht direkt im Dreck der Tiere und Menschen steht.
Um die Häuser sind kleine Gräben gezogen in denen sich brackiges Wasser und Fakalien sammeln, zum Teil haben die Häuser auch Fäkalien- und Abfallgruben. Ein Mann mit einer Forke kommt uns entgegen. Er riecht extrem buttersauer nach Schweiß. Daran sollten wir uns hier gewöhnen, denn eigentlich jeder riecht hier so, naja der oder die andere mehr oder weniger mit einer Note Tier. Die Menschen wohnen mit ihrem Vieh unter einem Dach.
Wir kommen an das Zentrum der Siedlung. Die ohnehin schon locker gruppierten Gehöfte umschließen einen Platz an dem eine einfache steinerne Kirche steht, die schon ein wenig heruntergekommen aussieht. Davor herrscht reges Treibenn. Hier gibts “frischen” und durch Trocknung haltbar gemachten Fisch und Flußkrebse, die mit den Fäkalien um die Wette stinken. Neben an schlachtet einer ein Schwein, die Innereinen werden in einer Molle gesammelt – alles wird verarbeitet. Daneben steht ein Mann und uriniert neben seine Kiepe , fällt nicht weiter auf.
Es wird Leinöl angeboten, ob es ranzig ist kann man beim riechen nur schwer feststellen, da die anderen Gerüche für uns modernen Menschen alles überdecken, ist aber gut möglich. Der Wein den es zu kaufen gibt ist sauer wie Essig und man kann ihn eigentlich nur verdünnt und gewürzt „genießen“. Eine Frau verkauft aus einem Weidenkorb Roggen. Die körner sehen klein und schrumpelig aus. Im Frühjahr hatte es viel geregnet und die Ernte war schlecht. Es ist gut möglich das sich unter die Roggenkörner ein Mutterkorn befindent, ein Teil eines hochgiftigen Pilzes, der auf dem Roggen wächst und das gefürchtete Antoniusfeuer auslösen kann. Eine Krankheit die zu Wahnsinn, Organversagen und Tod führen kann. Wir gehen zur Kirche, davor sitzt ein Mann, dem ein Bein fehlt, das andere scheint gebrochen gewesen zu sein und wuchs wohl falsch zusammen. Sein Beinstumpf ist eitrig und offen. Vielleicht war er einst ein Krieger oder er wurde von einem Bären angefallen, vielleicht war er aber auch nur ein Krimineller den man bestraft hatte. Es riecht nach Verwesung.
In der Kirche ist alles anders. Weihrauch und Kräutergeruch überdeckt die Gerüche der Menschen die sich zum Gebet versammelt haben. So muss es im Paradies sein.
Doch als wir näher in Richtung der Chorschranke treten vermischt sich der Geruch der verbrannten Harze und Kräuter mit einem seltsam süßlichen Geruch. Die Frauen die vor dem frisch verschlossenem Grab beten sagen es sei der „Geruch der Heiligkeit“. Es ist wohl eher der Geruch des Todes. Für die Frauen ist der tote Priester, der vergangene Woche hier bestattet wurde ein Heiliger. Durch seine Gebete sollen sie, die als unfruchtbar galten, schwanger geworden sein. Im Dorf gibt es aber auch andere Gerüchte und für manche war der Priester alles andere als ein Heiliger.
Wir verlassen die kleine Saalkirche wieder.
Unruhe ist ins Dorf gekommen.
Über den schlammigen Reisigweg auf dem wir in das Dorf gekommen sind kommen nun Pferde auf uns zu. Auf ihnen sitzen Reiter die Lanzen in den Händen halten. Die Leute tuscheln. Hinter den Reitern laufen Fußsoldaten. Sie tragen Lanzen und Schilde, ihre Kleidung ist genauso verschmutzt wie die der Passanten. Ihnen folgen wieder Reiter die leichte Rüstungen und Schwerter an der Seite tragen, ihre Helme sind prunkvoll verziert und auch sie tragen Lanzen.
In einigem Abstand folgen weitere Reiter in prachtvollen Kleidern, die mit Edelsteinen, Perlen und eingewebten goldenen Fäden verziert sind. Es ist der König in Begleitung seines engsten Hofstaates. Zwei Bischöfe, und mehrere Grafen unterhalten sich mit dem König. Ihre Sprache klingt anders als die der Dorfbewohner, immer wieder fallen lateinische Begriffe.
Für die Umgebung haben sie keinen Blick. Es folgen mehrere Ochsenkarren, auf dem ersten befindet sich die Königin in Begleitung von Nonnen und Hofdamen. Neben den Wagen laufen Mönche. Vielleicht ist auch der neue Priester des Ortes darunter. Es folgen weitere bewaffnete Reiter, Infanteristen, Karren und Zivilisten.
Die Dorfbewohner sehen von alle dem wenig. Sie haben den Blick zu Boden gesenkt, manche sind auf die Knie gefallen. Einige beten. Doch nicht für das Seelenheil ihres Königs. Sie beten der König möge seinen Hof schnell wieder verlassen, damit die knappen Vorräte nicht noch weiter geschmälert werden.
Wir folgen dem Troß, vorbei an den Rennöfen, in denen aus Eisenerz Eisen gewonnen wird. Der König schaut zufrieden auf die qualmenden Lehmschlote. Er braucht das Eisen für seine Waffen. Ein Feldzug steht an.
Der königliche Zug überquert eine Brücke und zieht durch eine hölzerne Palisade in einen geschützten Hof in dem eine Kapelle, ein steinernes Haus und einige andere Gebäude, wie Scheunen und Grubenhäuser liegen.
Ein Graf springt vom Pferd und kniet neben dem Pferd des Königs und hält dessen Steigbügel als der König absteigt. Ein ehrenvolles Amt.
Der König begibt sich in den Steinbau, wo er den Verwalter des Hofes treffen wird um sich mit ihm über die wirtschaftliche Situation des Hofes zu beraten und ihn fragen ob der Hof im nächsten Frühjahr in der Lage sein wird beim Durchzug seine Armee zu versorgen.
Während schon die Pferde versorgt werden, steigen auch die Königin, die Hofdamen und die Nonnen von ihren Karren ab und begeben sich zur Kapelle. Auch der die Bischöfe und die Mönche sind auf dem Weg. Es ist die neunte Stunde des Tages. Zeit für die Non, das Stundengebet.
Einige Reiter schlagen Zelte auf. Die Fußsoldaten, viele sind in den Obstgärten vor den Toren des Hofes geblieben, bauen sich Unterstände aus Laub für die Nacht und sammeln Feuerholz.
Einer der Grafen inspiziert die Stallungen und die darin stehenden Wagen. Sind sie, wie es der König verlangt, mit allem für einen Kriegszug vorbereitet? Kann sich der Hof verteidigen?
Der König wird nicht lange bleiben. Der Hof steht wirtschaftlich im Moment nicht gut da, er muss ihn schonen, sieht aber Potential. Er sagt dem Verwalter Unterstützung durch den Bischof zu, falls es im Winter zu Engpässen kommen sollte. Wenn der Feldzug im Frühjahr erfolgreich sein sollte, woran er durch Gottes Hilfe fest glaubt, wird er den Hof ausbauen lassen. Eine große Kapelle und mehrere steinerne Gebäude vielleicht sogar einen Saalbau will er errichten. Die alte Palisade soll durch eine Mauer ersetzt werden. Der Verwalter wird angehalten noch vor Einbruch des Winters eine größere Rodung durchzuführen. Mit dem Holz soll ein neuer Hafen befestigt werden. Das gerodete Land soll von zwangsumgesiedelten Sachsen beackert werden, die der König hier her bringen lässt..
In zwei Tagen wird er den Hof wieder verlassen.
Einer der Bischöfe, der Erzkanzler des Königs, muss zurück in seine Stadt. Er soll für den Feldzug des Königs seine Truppen ausheben.
Wir verlassen den Hof wieder durch das Tor.
Im Obstgarten sitzen mittlerweile die Soldaten zusammen. Man flickt die ausgetretenen Schuhe. Näht die verschlissene Kleidung. Waffen werden mit Sand poliert und geölt damit sie nicht rosten. Essen wird unter freiem Himmel gekocht. Aus dem Ort wurde mittlerweile Bier herangeschafft um die ausgetrockneten Kehlen zu befeuchten.
Nebel wabert vom Fluß heran. Die Weg der in Richtung der Bischofsstadt führt ist besser als der Waldweg über den wir in die Siedlung gekommen sind. Es sind noch einige Steine, spuren einer römischen Straße vorhanden. Wir sollten uns beeilen in die Stadt zu kommen bevor es dunkel und unsicher wird. Wölfe, Bären und Straßenräuber soll es hier geben, auch über Dämonen munkelt man.
Hat mir sehr gefallen und ich habe mich immer auf den nächsten Teil gefreut. Der Text schuf wirklich eine intensive…
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…