Notre Dame brennt – Meine Eindrücke und Gedanken
Als ich am Montag Abend das Fernsehen anschaltete und mich durch die Programme zappte konnte ich meinen Augen kaum trauen. Auf Welt (früher N24) sah man die Kathedrale Notre Dame de Paris aus deren Dach starker Rauch quoll. Es war gegen 19:50 Uhr.
Hektische Kommentatoren versuchten mit diversen Schalten ein Bild vom Ereignis zu vermitteln. Vom Brand des Dachstuhls war die Rede. Ich war mir diesen ersten Momenten nicht sicher ob ich vielleicht auf eine der vielen schlechten Doku-Fiktionen gelandet war, denn auf den Öffentlich Rechtlichen fand ich nichts. Das Smartphone bestätigte dann aber das Gesehene.
Da brannte doch tatsächlich eine der bekanntesten Kathedralen der französischen Gotik! Eines der Wahrzeichen Paris.
Paris ist für mich eine faszinierende Stadt. Für jede Epoche hat sie mindestens ein herausragendes Baudenkmal. Für die Könige vor Ludwig XIV. den Louvre und die Saint Chapelle, für den Barock den Invaliden Dom, für Napoleon Bonaparte den Triumphbogen, Sacré-Cœur für die Dritte Republik und ich für meinen Teil zähle auch noch Versailles und Saint Denis dazu auch wenn sie außerhalb liegen oder lagen. Und eben Notre Dame de Paris für die Gotik.
Und die brannte!
Einen Brandanschlag schloss ich jedoch fast unverzüglich aus. Ein Brand der im Dachstuhl ausbricht, vor allem wenn Renovierungsarbeiten im Gange sind schreit nach verschmortem Kabel oder ähnlichem. Und dennoch kamen gleich Gerüchte von Brandstiftung auf. Die üblichen Kandidaten spekulierten auf einen Anschlag und twitterten und posteten entsprechend munter drauf los.
Zudem sind Brände in Kirchen oder anderen historischen Gebäuden, vor allem bei Renovierungsarbeiten, gar nicht so selten. 1992 brannte Windsor Castle,1994 brannte der Deutsche Dom in Berlin, 1997 brannte die Grabtuchkapelle des Turiner Doms, 2004 brannte die Anna Amalia Bibliothek in Weimar. 2014 wurde St. Martha in Nürnberg fast vollständig zerstört.
Und Notre Dame brannte noch immer.
Während über Paris langsam die Nacht hereinbrach, konnte man verfolgen wie sich das Feuer immer weiter durch den Dachstuhl fraß und immer näher an die Westfront kam.
Die Übertragung zeigte immer wieder Zuschauer die auf den anderen Ufern, gegenüber der Île de la Cité standen und den Brand beobachteten.
Unweigerlich musste ich an den Kirchenbrand des Mainzer Doms am Tage seiner Einweihung im Jahr 1009 denken. Für die Bewohner Mainz muss der Brand damals ein ähnlich schockierender Moment gewesen sein wie jetzt für die Pariser. Verstärkt wurde der Eindruck am nächsten Tag noch von Aufnahmen die Gruppen von Menschen zeigten die Kirchenlieder sangen.
Größte Sorge bereitete mir der Einsturz des Dachreiters, der ins Langhaus stürzte.
Durch die Kameraperspektive vermutete ich das er mit voller Länge auf des Gewölbe gefallen sein könnte, was dann selbiges zum Einsturz hätte bringen können. Wäre dies geschehen hätte es zu einem echten Problem werden können.
Der Grund liegt in der Gotik selbst: Mit dem Einzug von Gewölben in Kirchenbauten erhöht sich der Schub auf die Außenmauern. Um diesen Schub abzufangen, fing man an Strebpfeiler von außen an die Mauern zu setzten, die den Schub ableiten bzw. auch das Gebäude förmlich nach innen drücken. Beide Kräften von innen und außen gleichen sich aus. Würden nun die Gewölbe fehlen stimmt das Kräfteverhältnis nicht mehr. Die Strebpfeiler könnten nun das Gebäude nach innen zusammendrücken. Mindestens der Obergaden des Langhauses würde dann nach innen stürzen.
Zum Glück hielt aber das Gewölbe und selbst bei den zerstörten Segmenten sind die Kreuzrippen zumindest noch optisch intakt.
Zudem hat Notre Dame de Paris noch einen weiteren Vorteil. Das Gewölbe wurde erst nachträglich eingezogen. Ursprünglich besaß die Kathedrale der Frühgotik einmal eine Flache Holzdecke und auch stärkeres Mauerwerk als etwa die Kathedralen von Reims oder Amiens. Die Strebpfeilerwurden erst nachträglich bis an die Höhe des Obergadens verlängert.
Als das man Flammen im Nordturm erkennen konnte, dachte ich das erste mal darüber nach was wohl passieren würde, wenn die Glocken herabfallen und die Gewölbe der Türme zerschlagen würden. Sehr wahrscheinlich würden sie den Türmen den Rest geben.
Langhaus durch die eigenen Strebpfeiler zerquetscht. Türme eingestürzt, was würde dann noch bleiben?
Zum Glück kam es nicht soweit. Kurz vor 23 Uhr sah ich im Netz erste Aufnahmen einer Drohne, auf der man erkennen konnte das das Gewölbe dem Brand stand zu halten schien. Kurz darauf tauchten Feuerwehrleute auf der Galerie der Westfront auf.
Es wahr ein unwirkliches und unheimliches Bild.
Die ungewohnt dunkel Fassade, zwischen den Türmen der Glutschein des Feuers und auf der dunklen Galerie die starken Lampen der Feuerwehrleute. Es hatte etwas apokalyptisches, fast wie aus einem Endzeitfilm.
Kurz darauf kam die Entwarnung. Das schlimmste sei Überstanden. Es war das Zeichen für mich den Abend zu beenden, zumal um 4 Uhr die Nacht für mich bereits wieder zu Ende war.
Was man nicht mitbekommen hatte, waren die Feuerwehrleute, die trotz des Brandes immer wieder Kunstgegenstände und Reliquien wie die vermeintliche Dornenkrone oder das Hemd Ludwig des Heiligen aus der Kirche evakuierten.
Die Berichterstattung
Leider fiel mir die Berichterstattung in großen Teilen extremst negativ auf. Es war nicht etwa eine reißerische Berichterstattung die mir negativ auffiel. Vielmehr waren es die kleine, fast dilettantisch anmutende, Wissensarmut über Architektur und Kirchenbau.
Während ich ein gewisses Grundwissen habe und mit Hilfe von Google etwa 5 Minuten brauchte um alle Grund- und Aufrisse inklusive Bemaßung der Kirche zu bekommen, schien man bei den Sendern nicht mal fähig zu sein Wikipedia zu konsultieren.
So wurde man nicht müde immer wieder vom „Spitzen Turm auf dem Langhaus“ zu sprechen, oder dem „Pfeil“. Klar das Ding nannte sich „Flechette“, was übersetzt „Pfeil“ bedeutet. Aber in diesem Fall ist der Name eben doch „Flechette“ weil Eigenname und nicht der Pfeil, aber das ist Haarspalterei…
Wirklich aufgeregt hat mich der „spitze Turm in der Mitte des Langhauses“. Es dauerte knappe 3 Stunden bis irgendjemand mal das Wort Vierung in den Mund nahm. Das Wort Dachreiter insgesamt nur einmal. Auch über das Alter des Flechette genannten Dachreiters (um mal korrekt zu sein) war man sich uneins. Meist wurde er in einem Zug mit dem Rest der Dachkonstruktion ins 13 Jahrhundert gepackt („…der 700 Jahre alte Turm…“). Er ist jedoch eines der jüngste Teile des Baus und stammt erst aus der Renovierungszeit Viollet-le-Ducs und ersetzte einen älteren, bereits abgerissenen und weitaus weniger spektakulären Dachreiter.
Interessant war auch der Moment als am nördlichen der beiden Westtürmen Feuer entdeckt wurde. Hier kam es immer wieder zur Aussage das „die beiden Nordtürme“ brennen. Haben die keinen Kompass?
Anderseits habe ich auch ein bisschen Mitleid mit den Moderatoren. Es ist natürlich ein Leidwesen für die Reporter über mehrere Stunden die Bilder zu kommentieren, ohne genau zu wissen was da nun vor sich geht. Aber vielleicht dann doch mal einfach den Wikipedia Artikel zu Notre Dame vorlesen, anstatt sich etwas aus den Fingern zu saugen.
Treffend hat Bastian Bielendorfer die Unbeholfenheit der Moderatoren in zwei Tweets zusammengefasst:
Neue News
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„Wenn das Gebäude nicht mehr zu retten ist, dann wird das abbrennen, das Gebäude“
Ist das Nachrichtenfernsehen oder ein Sketch von Monthy Python?
— Bastian Bielendorfer (@Lehrerkind) 15. April 2019
ARD und ZDF berichtet nicht live. Mit Laufbändern soll im Programm auf die Entwicklung in Paris verwiesen worden sein. Für eine Liveberichterstattung wäre die Zeit zu knapp gewesen und die Korrespondenten seinen erst auf dem Weg zum Ort des Geschehens gewesen sein, zumal man kaum verwertbare Informationen hatte. Auch hier kann ich das ein bisschen Nachvollziehen, wenngleich es mir aber auch unverständlich ist. Wenn beim Fussball ein Grashalm umknickt wird sofort ein Brennpunkt gesendet, aber nicht wenn Notre Dame des Paris brennt. Zumindest hätte das ZDF eine ihrer unzähligen Dokus rausballern können. Andererseits muss man der ARD und ZDF zugestehen das sie so die Untiefen der Unwissenheit umschifft haben in die n-TV und Welt liefen.
Die Zukunft?
Spendengelder der Pariser High Society, des kleinen Mannes und aus der ganzen Welt fließen, der Staat Frankreich, der Besitzer der Kathedrale ist (seit Napoleon sind die Kirchengebäude verstaatlicht) hat den Wiederaufbau binnen 5 Jahren angekündigt (Extrem unrealistischer Populismus!!!) . Ubisoft, die Notre Dame in Assassins Creed Unity ein Denkmal gesetzt haben, bieten das Spiel zum kostenlosen Download an, stellen ihre verwendeten Daten zur Verfügung und spenden 500.000€.
Und Premierminister Philippe will eine Ausschreibung für einen neuen Dachreiter der „Techniken und Herausforderungen unserer Zeit“ vereinen soll.
Warum nicht original, dachte ich. Musste mir aber eingestehen das der als Flechette bezeichnete Dachreiter eben auch schon nicht original ist und eine romatisierende Ausgeburt Viollet-le-Ducs Gehirn ist. Er prägte nur seit 150 Jahren das Bild der Kirche wie wir es kennen. Hier lies sich nun vortrefflich streiten was erhaltenswert ist und was nicht (wäre eine riesen Diskussion in deren Verlauf auch das Technische Rathaus Frankfurt und Brutalismus Allgemeinen Erwähnung finden müssten und ich mir daher schenke). Wahrscheinlich wird es etwas werden das als Mahnmal für den Brand herhalten muss.
Aber zunächst gibt es wichtigeres. Die Temperaturen des Brandes könnten dem Sandstein in den oberen Lagen stark zugesetzt haben. Der Schutt muss von denn Gewölben runter um diese auf ihre Tragfähigkeit zu prüfen. Alles was nicht Niet und Nagelfest ist muss aus der Kathedrale raus, falls nicht doch noch Deckenteile runter kommen. Gemälde und andere Kunstgegenstände müssen getrocknet und restauriert werden. Und so weiter.
Mann kann nur froh sein das wir nicht 1008 oder 1189 schreiben. Die Kathedrale würde nicht mehr stehen.
Bild: cc-by-sa GodefroyParis
[…] http://www.tribur.de/blog/2023/05/13/eine-karolingische-truhe/ […]
Freut mich wenn ich die Anregung für den Nachtrag war. Tatsächlich hat dieses Bild und die Darstellung auf dem Teppich…
Wieder eine sehr schöne Diskussion des Themas. Dein eines Zitat gibt es ja wieder, aber Du hattest es weiter oben…
Vielen Dank für die unglaublich vielen interessanen Artikel im letzten Jahr. Ich weiß gar nicht, wie Du das neben der…
Ein kurzer Gruß von einem stillen Leser, mit den besten Wünschen fürs neue Jahr! Danke für dieses schöne inspirierende Blog!