Der Fall Tassilo III. – Teil 3 – Die Sicht Karls
Wenn man etwas sicher über Karl sagen kann, so ist es seine Abneigung dagegen Macht zu teilen, oder sie abzugeben. Gegen Verwandte mit Herrschaftsanspruch geht er vor (Etwa gegen die Söhne seines Bruders Karlmann) . Seine Söhne verheiratet er erst spät (Ludwig der Fromme 794) , seine Töchter gar nicht ( er plant zwar Rotrud nach Byzanz zu verheiraten , was aber nicht zustande kommt) , hat aber scheinbar auch kein Problem damit wenn seine Söhne und Töchter außereheliche Beziehungen haben. Bestes Beispiel ist hier Bertha, die mit dem Hofkaplan (!), Diplomat und Dichter Angilbert, die Söhne Nithard und Hartnid hat. Wichtig ist ihm dabei, dass keine ehelichen, legitimen Erben entstehen, die ihm gefährlich werden könnten.
Dies könnte an den Erfahrungen mit seinem Bruder Karlmann liegen, aber auch viel tiefer gehen. Etwa an die Erinnerungen der merowingischen Bruderkriege oder die pippinidisch-karolingische Sukzessionskrise. Dies wird in dieser Geschichte einen wichtigen Faktor spielen und sollte nicht vergessen werden.
Die alten Herzogtümer sind Geschichte, bis auf eines.
Die Merowinger hatten in neu eroberten Gebiete und Grenzgebieten Ducate , Herzogtümer eingerichtet, an deren Spitze ein dux stand. Dieses Amt wird als Herzog übersetzt, ich finde jedoch Statthalter, Gouverneur oder Truchsess treffender. Tastächlich hat Tolkien seine Idee für den Truchsess von Gondor aus diesen entlehnt und beim Truchsess von Gondor und Grima Schlangenzunge zeigen sich da Ähnlichkeiten….
Diese Statthalter stammten aus den merowingertreuen Familien und übernahmen sowohl militärische als auch zivile Aufgaben. Mit der Zeit aber entwickelnden sie ein Eigenleben. Zum Teil nutzten sie das Machtvakuum, das während der merowingischen Bruderkriege entstand um ihre Macht auszubauen und ihre eigenen Ziele zu verfolgen.
Als die arnulfingisch-pippinidischen Hausmeier ihren Machtaufstieg begannen, erkannten sie bald schon das die Herzogtümer ihrem Machtanspruch im Wege standen und verschwinden mussten. Sie zentralisierten die Macht mehr und mehr auf sich. Ende des 7. Jahrhundert verschwindet das Herzogtum Thüringen, das Herzogtum Elsass verschwindet 742 aus den Quellen, das Herzogtum Alemannien endet 743, bzw 746 nach der Schlacht von Epfach und dem Blutgericht von Canstadt und das Herzogtum Aquitanien endet 768 mit dem Tod Waifars.1
Kleiner Treppenwitz der Geschichte: In Aquitanien tauchte nochmals nach dem Tod des Waifar trat ein Hunold (II.) ,vielleicht ein Sohn oder Verwandter Waifars, auf der versuchte, sich als Herzog ins Spiel zu bringen. Er musste fliehen und floh ausgerechnet zu den Langobarden. Eine Variante gibt an, er starb bei der Belagerung Pavias, als er sich weigerte sich zu ergeben und von den Bewohnern Pavias gesteinigt wurde…
Nur das Herzogtum Baiern existiert zur Zeit Karls des Großen noch. Aber einfach so Auflösen war nicht möglich. Der Herzog ist gottesfürchtig und hat sich nichts ernsthaft zu Schulden kommen lassen. Er hat den Treueid gegenüber Karls Vater erfüllt und ist sogar gegen die mit ihm verwandten Langobarden ins Feld gezogen. Und was noch schlimmer ist: Herzog Tassilo ist Karls Cousin mütterlicherseits. Und doch war er als Herzog dem alleinigen Machtanspruch Karls im Weg. Und zunächst braucht er es noch. Aber man darf nicht heutige Handlungs- und Sichtweisen auf die Zeit Karls übertragen. Karl sah sich sicherlich im Recht, denn schließlich war seine Familie vom Papst gesegnet, womit sein Regierungsauftrag direkt von Gott kam.
Als Karl 769 an die Macht kommt zeichnet sich ein Bruderkrieg ab, der aber auf Grund des plötzlichen Todes des Bruders Karlmann nicht eintritt.
Karls Mutter Bertrada, die sich auf Seiten Karls befindet, lässt durch den bairisch stämmigen Abt und Gründer des Klosters Fulda einen Nichtangriffspakt mit den Baiern schließen, damit diese nicht dem Bruder im Kriegsfall zur Hilfe kommen.
Der Tod des Bruders macht das Bündnis mit den Langobarden unnötig und Karl verstößt die Tochter des Desiderius. Die Ehe wurde wahrscheinlich von Bertrada, Karls Mutter eingefädelt, die oftmals die Fäden im Hintergrund in der Hand hielt. Karlmanns Frau Kinder fliehen zu den Langobarden und Karl beginnt den Sachsenkrieg.
Die Trennung von Desiderata scheint das derzeit bestehende Verhältnis zwischen Karl und Tassilo in keinster Weise verändert zu haben, zumal der Nichtangriffspakt besteht. Karls neue Frau, die aus der Alamania stammende Hildegard, soll die Ururenklelin des Herzog Gottfrieds sein, ihre Mutter Imma war eine Tochter des alemannischen Herzogs Hnabi, der wiederum ein Sohn Huoching und der ein Sohn von Gottfried war. Sie würde somit ebenso von den Agilolfingern abstammen wie Tassilo .2 Aber auch ihre Väterliche abstammung aus dem Haus der Geroldonen wird mit den Agilolfingern in Verbindung gebracht da Gerold, bzw.die Variante als Garibald einer der Leitnamen der Agilolfinger ist. Ihre familiären Beziehungen sollen möglichen feindlichen Aktionen der Baiern vorsorgen.
Erst mit ihrem Tod 783 treten Spannungen zwischen Karl und Tassilo offener zu Tage3
772, während sich Karl nun im Beginn des Sachsenkrieges befindet, wagt es Tassilo seinen Sohn Theodo in Rom von neuen Papst Hadrian taufen und salben zu lassen. Tassilo hatte Karantanien und ließ dort nun das Christentum verbreiten. Die Taufe war eine symbolische Dank an Tassilo.
Vor Allem die Handlung der Salbung dürfte Karl Bauchschmerzen bereitet haben. Die Salbung mit Chrisam-Öl ist zwar regulärer Bestandteil einer Taufe, aber im Kontext einer Taufe durch den Papst, die ohnehin kaum einem zusteht, könnte Tassilo einen universellen Herrschaftsanspruch ableiten. Zudem bezeichnet der Papst Tassilo als neuen Konstantin. War es nicht Karl der sich die später das Motto renovatio Romanorum imperii zu eigen machte? Aber fränkischen Herrscher versuchten seit langem wie die Römer zu sein und jetzt kommt dieser dahergelaufene bairische Herzog, dessen Volk noch vor 2 Generationen voller Heiden war und wird mit Konstantin verglichen?
Hier erstarkt eine neue Macht, die Karl so nicht neben sich akzeptieren kann, denn sie gefährdet die gottgegebene Ordnung und das Reich. Doch Karl sind die Hände gebunden.
773 begehrt der Langobarde Desiderius auf und versucht beim neuen Papst gegen Karl zu intrigieren. Er möchte die Söhne Karlmanns zu Söhnen krönen lassen, was für Karl nicht hinnehmbar ist, da diese Situation das Reich in Gefahr bringt, wenn sich Karlmanns verbliebene Anhänger diesen neuen Königen anschließen würden. .Karl ist gezwungen zu intervenieren, wenn er nicht einen Aufstand riskieren will. Zu seinem Vorteil hat ihn der Papst um Hilfe gebeten, was seinen Einsatz legitimiert. Und mit einem Eingreifen der Baiern sollte auf Grund des Nichtangriffspaktes nicht zu rechnen. Wenn doch, würden sie schon spüren was es heißt die Franken zu betrügen.
Ihm gelingt es die Langobarden vollständig zu besiegen und nimmt den Titel “König der Langobarden” an. Doch nicht nur Tassilo war mit den Langobarden verbündet, auch die Awaren verlieren ihren stärksten Verbündeten mit den Langobarden.
Neben dem Sieg über die Langobarden und der Freundschaft des Papsts, bringt ihm der Sieg auch die Kontrolle über die Adria Häfen, den Handel nach Byzanz darüber und eine Option auf die Seemacht der in der Adria ein.
Verlief der Handel von Italien ins Frankenreich zuvor in der Hauptsache über den Seeweg hin zu provenzalischen Häfen, gewinnen nun die Alpenpässe an Bedeutung4 Doch die östliche Pässe waren in bayerischer Hand und ohne zusätzliche Zölle nicht nutzbar.
776 kommt es nochmals zu einem Aufstandsversuch der Langobarden, doch der Aufstand wird niedergeschlagen, einige Langobarden fliehen zu den Awaren.
In den nächsten Jahren wird Karl hauptsächlich im Sachsenkrieg gebunden sein. Eine Verschnaufpause 778 nutzt er zu einem Heerzug nach Spanien. Auch Tassilo kommt seinen Pflichten nach und entsendet ein Kontingent, das die Franken unterstützt, nimmt aber selbst nicht teil, wozu er aber auch nicht verpflichtet ist. Doch bekanntermaßen scheitert das Unternehmen kläglich. Falls bairische Truppen überlebt hatten, so folgert Wolfram, könnte dieses Ereignis Zweifel an der Unbesiegbarkeit des fränkisches Heeres hätte aufkommen lassen können, was Tassilo veranlasst haben könnte die Situation falsch einzuschätzen. 5
Als sich Karl 781 beim Papst aufhält, er lässt seine Söhne Pippin und Ludwig krönen, sendet er und der Papst Boten zu Tassilo die diesen an sein Pflichten erinnern sollen. Der Vorwurf an Tassilo ist, er habe die praesentia regis (Gegenwart des Königs) , versäumt. Wohl geht es um eine Zusammenkunft, einen Reichstag an dem Tassilo nicht anwesend war. Nach Stellung von Geiseln erscheint Tassilo in Worms und leist seine Eide. Wie es sich formell gehört, stellt Karl Gegen Geiseln. Wahrscheinlich wollte sich Karl Tassilos Treue gegen die Awaren versichern, denn schon 782 tauchen die Boten des Khagan und des Jugurrus bei einer Reichsversammlung in Lippspringe auf und gleichzeitig verstärken sie Ihre Truppen an der Enns. Diese fühlten sich von dem Bündnis, bzw. der Treue Tassilos für Karl bedroht . Die Awaren versuchen einen Frieden zu sichern, doch zeigen sie mit der Verstärkung ihrer Truppen auch die kampfbereitschaft6
Bald schon nach dem Karls Frau Hildegard am 30. April 783 in Thionville stirbt und auch kurz darauf Karls Mutter Bertrada stirbt, heiratet er bereits im Oktober 783 Fastrada.
Vorallem die ältere Forschung sah in der schnellen Heirat mit der jungen Fastrada eine triebgesteuerte Kurzschlussreaktion Karls und in Fastrada nur die Tochter irgendeines Grafen Radolf aus dem Maingau und eines Großvaters Hortlaicus der in der Pfalz Frankfurt in ihrem beisein einen Ruotmund erschlagen hatte und wohl zu den Mattonen zählen.
Diese Darstellung ließ sich aber auch am einfachsten mit der Beschreibung Einhards in Einklang bringen, der sie als grausam beschreibt.
Dass Karl für seine Triebigkeit keine Ehefrau benötigte, zeigen seine zahlreichen Konkubinen, die er auch parallel zu seinen Ehefrauen hatte. Mathias Becher formulierte es dann auch so: Karl lebt “polygam in rechtlich nicht genau definierten Verbindungen“7
Zu diesem Schluss kam auch bald die Wissenschaft. Es musste also eine neue Begründung für die Heirat mit Fastrada her. Nun waren es die Kinder Karls, die eine neue Mutter benötigten, die schnell mit Fastrada gefunden wurde.8
Aber auch hier gibt es Probleme, denn einen Mutterersatz hätte es durchaus durch eine Amme geben können und auch sonst sind die Ehen Karls wohl immer politisch zu verstehen. Karls erste Ehe mit Himiltrud wurde durch seinen Vater Pippin eingefädelt und war sicherlich poltisch. Karls Ehe mit der Tochter des Desiderius, König der Langobarden, war klar politisch. Die Ehe mit der Alemannin Hiltrud war politisch. Sie stammte aus dem alamannischen Hochadel und war mit den Agilofingern verwandt. Auch Karls letzte Frau Luitgard, bei der nicht ganz klar ob Karl und sie verheiratet waren, ist in politischem Kontext zu verstehen. Sie stammte möglicherweise aus dem Haus der Etichonen, die einst die Herzöge des Elsass gestellt hatten, aber sicherlich aus dem alamannischen Hochadel.
In diese Reihe würde eine Fastrada aus “einfachem mainischen Adel” und als bloßem Mutterersatz schlecht passen. Und so ist ein erster bedeutender Verwandter Fastradas schnell ausgemacht. Es ist der Hofkaplan und spätere Bischof von Mainz Richulf. Er stellte nach dem Tod Fastradas eine Grabstätte in St. Alban zur Verfügung, das eigentlich den Mainzer Bischöfen vorbehalten war.
Mütterlicherseits soll sie ebenso mit den Agilolfingern verwandt gewesen sein9. Werner verweist auf Metz und Friese die eine Abstammung in einen “hedenischmattonischen Sippenverband”, der eng mit dem “mainländischthüringischen Zweig der Agilolfinger” sehen10 Zur Erklärung: Heden ist der Leitnamen der durch die Franken eingesetzten und wieder entmachteten thüringischen Herzöge.
Das nun Hildegard zunächst einmal wesentlich besser als Fastrada wegkommt, liegt zum einen an der sich verändernden Sexualmoral. Diese erforderte eine vorbildliche Königin und Mutter und Hildegard mit ihren 9 Kindern in 12 Jahren war geradezu Ideal dafür. Hinzu kommt das Hildegard besonders gefördert wurde durch ihre Verwandten, etwa im Kloster Reichenau, sowie der Begräbnisstätte in St. Arnulf in Metz, das Züge einer dynastischen Grablege bekommt. Während Fastradas Kloster Münsterschwarzach nie eine Bedeutung wie die Reichenau erreichte und ihre Begräbnisstätte nur den Mainzer Bischöfen vorbehalten war.11 Hildegard hatte also einfach das bessere Marketing.
Hinzu kommt in der Rezeption der Fastrada eben Einhard und seine Aussagen zu Fastrada. Einhards Einschätzung zu Fastrada, die er nie selbst kennengelernt hatte und die er als grausam bezeichnet, könnte sich darauf beziehen, dass sie dem Reich nicht nützlich im Sinne Einhards war. Durch Fastrada sollen alte Streitigkeiten nicht zur Ruhe gekommen sein und neue sich entzünden, wie Felicitas Schmieder es formuliert. Ihre verwandtschaftlichen Beziehungen nach Thüringen, die über ihren Vater Ratulf möglicherweise bis in den Kreis des Aufständischen Hartrad reichen und über ihre Mutter zu Tassilo, standen den Interessen Einhards diametral gegenüber, der möglicherweise mit Hildegard verwandt war.12 In eine ähnliche Kerbe schlägt Matthew Innes, der wiederum die Frage aufwirft ob nicht Einhards Familie, die im weitesten Sinne Ostfranken wie Fastrada waren, nicht durch Fastradas Einwirkungen Verluste hinnehmen mussten.13
Das Einhard im übrigen Fastrada die Schuld an der Verschwörung Pippins des Buckligen gibt ist insofern interesant, da der Aufdecker der Verschwörung Kaplan Fardulf ist und der wiederum ein enger Vertrauter Fastradas ist. 14 Das heiß es kam zu Verschwörungen während der Zeit Fastrada, die aber alle nicht erfolgreich waren. Und eher das Fastrada sie ausgelöst hat, hatte sie wohl eher Einfluss auf ihre Auflösung.
785 ist dann für Karl ein außerordentlich gutes Jahr. Girona in Spanien wird von den Franken erobert und mit der Taufe Widukinds scheint der Sachsenkrieg beendet.
Im darauffolgenden Jahr kann Karl den Thüringer Aufstand ohne viel Aufwand niederschlagen und beginnt dabei Thüringen zu konsolidieren und beginnt im Anschluss einmal den Süden und Osten des Reiches “feucht auszuwischen“ . Der Aufstand in Thüringen hat ihm gezeigt, dass er niemandem vertrauen kann, nicht einmal der eigenen Familie, wenn schon sein Schwiegervater an diesem Aufstand beteiligt war. Zudem kann er es nicht mehr zulassen, wenn das einzelne Personen zu viel Macht erlangen und somit königsgleich handeln können. Eine Handlung gegen ihn ist eine Handlung gegen die Gottgegebene Ordnung und damit gegen Gott!
787 ändert Karl dazu seine Politik. Dazu bricht er sogar mit Byzanz. Die Hochzeitsplanungen für seine Tochter mit dem Byzantinischen Thronfolger enden. Karl will verhindern das Langobarden, mit den Byzantinern verbünden. Er zieht gegen Benevent, wo der langobardische Herzog Arichis II, der auch mit einer Tochter des Desiderius verheiratet ist, auf eine Gesandtschaft Kaiserin Irenes, die ihm den Titel des Patricius verleihen soll. Arichis II schickt seinen Sohn Romuald mit Geschenken zu Karl, der ihn jedoch als Geiseln nimmt. Arichis II zieht sich ins befestigte Salerno zurück und entsendet einen weiteren Sohn, Grimoald an Karl. Dieser kann einen Friedensvertrag für einen jährlichen Tribut von 7000 Solidi aushandeln. Karl behält Grimoald und weitere Geiseln und schickt Romuald zu seinem Vater, der bald schon stirbt. Das Romuald und Grimoald später wieder revoltieren werden, spielt hier keine Rolle.
Mittlerweile ist es Ostern und Karl wieder beim Papst in Rom, als zwei Boten Tassilos eintreffen. Tassilo hatte wohl von Karls Säuberungen erfahren und versucht nun das Schlimmste zu verhindern. Die Boten bitten den Papst um Fürsprache mit Karl, um einen Friedensvertrag auszuhandeln. Karl bietet den Boten an, sofort einen Vertrag zu unterzeichnen, wohl wissend, dass es nur Boten sind und dass sie selbst keine Befugnis haben. Der Papst droht nun mit dem Kirchenbann für ganz Bayern wenn man sich nicht Karl unterwirft.
Man mag darin eine räudige Verhaltensweise sehen, was es sicherlich auch ist, aber Karl hat keine Wahl. Wenn er das fränkische Reich sichern und ihm Stabilität geben will, muss er alle Widersacher beseitigen. In Karls Verständnis erfüllt er damit Gottes Willen!
Die Reichsannalen berichten über das Zusammentreffen mit den Boten Tassilos, besser als es dann war. Oder wie es Regina Heyder schreibt: “Zumindest in der Perspektive der Reichsannalen hatte sich Karl auf dem Italienzug zweimal als Friedensfürst erwiesen” 15 Gemint ist , er hat in Benevent für Frieden gesorgt und auch Tassilo ein Angebot gemacht, das sogar vom Papst abgesegnet wurde.
Nachdem Karl aus Rom zurückkehrt, reist er nach Worms, wo unter anderem wieder ein Reichstag stattfindet. Hier findet sich in den Reichsannalen ein seltsamer Eintrag der bereits für viel Kopfzerbrechen gesorgt hat:
Et pervenit idem mitissimus rex ad coniugem suam domna Fastradane regina in civitate Wormatia; et ibi ad invicem gaudentes et laetificantes ac Dei misericordiam conlaudantes
Und derselbe gütige König kam zu seiner Gemahlin, Königin Fastrada, nach Worms. Und dort jubelten sie und erfreuten einander und priesen die Gnade Gottes.16
Der hier Fettgedruckte Teil ist es der für Verwirrung sorgt, denn in seiner Art ist er einzigartig. Weinfurther sieht darin ein inniges Verhältnis der Beiden, Staab spricht von Dankbarkeit eines Paares nach langer Trennung. Regina Heyder sieht in dem Zusammentreffen Karls und Fastradas in Worms 787 eine demonstrativen Vollzug der Ehe, aus der möglicherweise eine weitere Tochter entsprang , was Johannes Fried annahm17. Diese zweite Tochter wäre dann Hiltrud, die demonstrativ den gleichen Namen wie Tassilos Mutter erhielt, die ja auch Karls Tante war.18 Die Reichsannalen wären demnach so verfasst worden das Karl wirklich nichts unversucht lies eine Versöhnung mit Tassilo herbeizuführen19
Der Reichstag endet mit einem geplanten Angriff auf Baiern, da sich Tassilo nicht unterworfen hat. Für Karl legt das nahe, dass der gläubige Tassilo jemand anderem schon einen Treueid geschworen hat, den er nicht brechen kann. Und da er noch immer mit der Tochter des Desiderius verheiratet ist, liegt nahe, dass er sich den Awaren andingt.
Man zieht los. Drei Heere, eins von Norden, eines von Süden aus der Lombardei und Karl selbst von Westen marschieren nun auf Baiern. Tassilo hat nun keine Wahl. Die Reichsannalen berichten:
da kam er, von allen Seiten gezwungen, persönlich [auf das Lechfeld], gab sichdem König als Vasall in die Hände, erstattete ihm das von König Pippin übertragene Herzogtum Zurück und gestand, in allem gefehlt und Übel getan zu haben. Dann erneuerte er wieder den Eid, stellte zwolf auserlesene Geiseln und seinen Sohn Theodoals Dreizehnten.20
Der Prozess in Ingelheim 788
Im letzten Teil habe ich die Annales Nazariani als Quelle genutzt, die den Prozess in einem anderen Licht erscheinen lassen als die Reichsannalen. Die Reichsannalen berichten nun folgendes:
Karl berief eine Synode noch Ingelheim, bei der Tassilo und alle seine Vasallen erschienen. Die Getreuen daheim in Baiern tuschelten schon, den Tassilo würde sich wohl als Betrüger erweisen, denn auf das Drängen seiner Frau Luitberga hatte er seinen Sohn, andere Geiseln und ein Haftgeld übergeben.
Wir erinnern uns. Die Annales Nazariani, berichten das die Frau und Kinder Tassilos von Franken festgenommen wurde und mit dem Schatz heimlich nach Ingelheim geschafft wurden, während Tassilo darauf wartete von Karl empfangen zu werden.
Die Reichsannalen aber fahren fort, damit das Tassilo das Vorgeworfene, also die Übergabe von Frau Kind und Geld, nicht leugnen konnte. Er soll also seine eigene Familie verraten haben. Auch gestand er, die Awaren informiert zu haben, dass die Leute Karls gegen ihn intrigiert hätten. (Womit er nicht unrecht hatte) Und selbst wenn er 10 Kinder hätte, würde er sie alle töten, damit er nicht mehr in dieser Herrschaft leben muss und es wäre besser zu sterben als zu Leben. Diesem selbst auferlegten Todesurteil stimmten Franken, Bayern, Langobarden und Sachsen aus allen Provinzen, die bei der Synode anwesend ware zu, erinnerten ihn zusätzlich an den “harisliz” (wörtlich Heereschlitzung, hier Wehrzersetzung oder Fahnenflucht) die er unter Pippin 763 begangen habe und verurteilten ihn zum Tod. (Schon interessant das auch die Sachsen sich explizit daran erinnern!)
Doch der gütige König Karl, aus Barmherzigkeit und Gottesliebe, weil er Tassilos Verwandter war, sprang ein, um ihn vor dem Tod zu bewahren, und fragte den Herzog, was er den nun machen solle. Und der bat darum, geschoren zu werden und ins Kloster gehen zu dürfen, um Buße für seine Sünden zu tun.
Es ist eine eigenartige Wendung, die Tassilo hier vollführt. Zuerst kämpft bis zum Blut und dann “achneee lieber bereuen“. Noch interessanter ist die Rolle Karls. Der oberste Richter und Lenker der Franken hat bei einem Prozess nichts zu sagen, sitzt teilnahmslos am Spielfeldrand, während Tassilo sich quasi selbst zum Tod verurteilt, was Franken, Bayern, Langobarden und Sachsen genauso sehen, nur um dann als großer Mildtäter aus dem Off zu erscheinen. Auch der Vorwurf der Wehrzersetzung/ der Fahnenflucht taucht in keiner anderen Quelle auf. Und auch nur die um 790 entstandenen Reichsannalen berichten für das Jahr 763 rückwirkend davon. Sie sind also keine verlässliche Quelle.
Der Aufstand Pippins des Buckligen 792, der seinen Ausgang in Regensburg genommen hatte, stand wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem verbliebenen Anhänger Tassilos. Diesen bairischen Restwiderstand galt es nun letztmals den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und man musste Tassilo dafür zum vollkommenen Verzicht bringen. Dazu hatte ich ja bereits im letzten Teil geschrieben.
Als Essentiell für diesen Ausgleichsprozess sieht Felicitas Schmieder Fastrada. Ihre Verwandtschaft mit den Agilolfingern, und vor allem die Namensgebung ihres zweiten Kindes, würden demnach nichts anderem dienen als dem Ausgleich. Das Kind trug den Namen von Karls Tante und Tassilos Mutter: Hiltrud 21
Auch der Ort dieses Treffens in Frankfurt könnte symbolträchtig und mit voller Absicht gewählt worden sein. So bringt Egon Wamers die Idee auf, dass das bi-rituelle Kindergrab unter dem Dom, nach dem sich folgenden Kirchenbauten orientierten, aus der Familie der Fastrada war.22
Demnach könnte aber auch ein Zusammenhang zwischen der Krankheit und Tod Fastradas und der Einberufung Tassilos III. nach Frankfurt 794 bestehen. Ähnlich formuliert es hier wieder Schmieder, die somit den Tod Fastradas als Verlust “gerade erst mühsam erreichten Ausgleich” sieht. 23 Vielleicht bestand in Frankfurt die letztmalige Chance auf einen Ausgleich, da sich bereits bestehende Krankheit Fastradas verschlimmerte. Der Verzicht Tassilos fand am 1. Juni statt, der Tod Fastradas am 10. August,
R. Deutinger, wer waren Agilolfinger? S187 ↩
W. Störmer, Die Bajuwaren – Von der Völkerwanderung bis Tassilo III S.87 ↩
W. Störmer, Die Bajuwaren – Von der Völkerwanderung bis Tassilo III S.87 ↩
A. Verhulst. The Carolingian Economy S.106 ↩
H.Wolfram, Tassilo III. Höchster Fürst und niedrigster Mönch, S S.44 leider nur in der E-Book variante… ↩
Béla Miklós Szőke Die Karolingerzeit in Pannonien S.13 ↩
M.Becher, Karl der Große S.109 ↩
C.Brunner, Im Bett mit Karl dem Großen – Frauenleben zwischen Aufopferung und Machtausübung S.51 ↩
Regina Heyder, Fastrada – die ambivalente Königin S.258 ↩
M. Werner, Adelsfamilien im Umkreis der frühen Karolinger S165 ↩
M. Innes, Queenship in Dispute: Fastrada, History and Law S.231 ↩
Felicitas Schmieder, Fastrada – Karl der Große, die Bayern und Frankfurt am Main S333 ↩
Matthew Innes, Queenship in Dispute: Fastrada, History and Law S.233 ↩
Matthew Innes, Queenship in Dispute: Fastrada, History and Law S.232 ↩
Regina Heyder, Fastrada – die ambivalente Königin s260 ↩
In Verbindung mit den folgenden Interpretationen hat das für ein furchtbares Kopfkino gesorgt, bei dem aus einem offenen Fenster die Rufe “Oh, Gott! Ja, Karl! Oh, Gott!” dringen ↩
Regina Heyder, Fastrada – die ambivalente Königin s260 ↩
Felicitas Schmieder, Fastrada – Karl der Große, die Bayern und Frankfurt am Main S334 ↩
Regina Heyder, Fastrada – die ambivalente Königin S.261 ↩
Zitiert nach: Die Bajuwaren Von Severin bis Tassilo 488-788 S164 ↩
Felicitas Schmieder, Fastrada – Karl der Große, die Bayern und Frankfurt am Main S334 ↩
E. Wamers, Franconofurd 2 Das bi-rituelle Kinderdoppelgrab
der späten Merowingerzeit unter der Frankfurter Bartholomäuskirche (»Dom«) S. 209 ↩
Felicitas Schmieder, Fastrada – Karl der Große, die Bayern und Frankfurt am Main S334 ↩


Oh ja gerne!
Hallo, Bei Recherchen zur Tunika Heinrich des Zänkers bin ich auf eine ähnlich Lösung gekommen, ich habe mir das Stifterbild…
Hab jetzt gerade Terra X schauen wollen. Seit neusten mit KI generierten Stimmen. Diese Entwicklung gefällt mir nicht. Ich muss…
Gut gelungen. Dieses Miniriemchen im Riemendurchzug der Scheide hält das Ganze.
Freunde von mir waren schon da. Ich weiß nur nicht ob ich selbst schaffen werde :-(