Die karolingischen Handschriften – Teil IV – Die ältere Reimser Gruppe
Obwohl in Reims schon vor 800, etwa mit dem Gaudelgaudus-Sakramentar, Handschriften entstanden, ist die Schule von Reims in direkter Bezug mit der Biographie des Erzbischofs Ebo von Reims verbunden.
Ebo soll als Unfreier geboren worden sein, wurde aber durch Karl den Großen in den Stand eines Freien, nicht jedoch in den eines Adeligen (nobilitas) erhoben, was ihm unter anderem den Spott des Biographen Ludwigs des Frommen, Thegans von Trier, einbrachte. Am Hof wurde er zum Priester und Staatsmann erzogen. Er wurde Bibliothekar und Berater von Ludwig dem Frommen und nach dem Tode Karls des Großen wurde er 816 von Ludwig dem Frommen zum Erzbischof von Reims ernannt.
Der ehrgeizige Ebo legte in der Abtei von Hautvillers, 20km von Reims entfernt, ein bedeutendes Skriptorium an, bzw. entwickelte dieses weiter.
Zunächst war er Parteigänger Ludwigs des Frommen, wandte sich aber im Streit um die Thronfolge von ihm ab und unterstützte Lothar. Von diesem erhielt er zudem 833 die Abtei St. Vaast, die zuvor vom Lorscher Abt Adalung geführt wurde. Eine Abtei in der eine andere Schule entstehen wird.
Doch dann kam der tiefe Fall Ebos. Nachdem die Entmachtung Ludwigs des Frommen rückgängig gemacht worden war, floh Ebo zunächst und wurde dann im Kloster Fulda inhaftiert. Nach dem Tod Ludwigs versuchte er sich erneut in Reims, konnte aber keinen Fuß mehr fassen und wurde von Karl dem Kahlen vertrieben. Auch fiel er bei Lothar in Ungnade da er sich auf Grund seines Alters weigerte als Gesandter nach Konstantinopel zu gehen. Er suchte Zuflucht bei Ludwig dem Deutschen und war zuletzt dritter Bischof im noch jungen Bistum Hildesheim tätig, das damals nur eine Missionskirche und keinen Dom besaß. Er starb am 20.3.851.
Wahrscheinlich im Kloster Hauteville entstanden nach dem Eintreffen Ebos einige der bekanntesten und bedeutendsten Handschriften der karolingischen Zeit, darunter das Ebo-Evangeliar, der Utrechter Psalter und der Berner Physiologus.
Alle der in Reims bzw. Hauteville gefertigten Handschriften wären ohne die Entwicklung der Gruppe des Krönungsevangeliars nicht denkbar.
Wahrscheinlich nahm Ebo einige jener byzantisch stämmigen Mönche mit nach Reims, die zuvor am Ebo Evangeliar gearbeitet hatten. Denkbar wären auch Schüler der Mönche oder eben neu eingetroffene Glaubensflüchtlinge, denn die Konflikte des byzantinischen Ikonoclasmus dauern noch bis 843 an und spült immer neue Handwerker in den Westen.
Die Arbeitsweise der Reimser Schule unterscheidet sich eklatant von denen anderer Skriptorien. So wurden nur zeitweise luxuriöse Handschriften wie das Ebo Evangelar geschrieben und die eigentlichen Skriptorien waren nicht auf einen Ort festgelegt, sondern Arbeitsplätze waren verteilt über die Stadt und außerhalb, wie in Hautevillers.
Mütherich vermutet in der Gesamtheit der Reimser Handschriften nicht mehr als 8 Schreiber. Auch waren diese wohl nicht in Reims oder Hautviller beheimatet, sondern wohl exklusiv für ein Projekt zusammen geholt worden und fertigten in diesem Zeitraum, quasi nebenbei auch die anderen Handschriften. Dabei scheinen die Seiten der Handschriften nicht chronologisch angefertigt worden zu sein.
Alle unter Ebo entstandenen Handschriften greifen auf antike Vorlagen bzw. kopieren direkt antike Vorlagen.
Ebo Evangeliar
(Hautvillers/Reims, um 825 )(Épernay, Bibliothèque municipale, , MS1 ) ( https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8458375p.image )
Das Ebo Evangeliar ist das Hauptwerk der Schule. Seine Evangelistenbilder greifen auf die selbe Vorlage zurück, die für das Krönungsevangeliar verwendet wurde. Doch nun kommt leben in die Abbildungen. Die Kleidung wird mit einem schwungvollen Strich dargestellt, die einen üppigen Faltenwurf der Kleidung darstellt. In ebensolchem Strich ist auch der Hintergrund gestaltet.
Vor Allem ist es wieder das Bild des Matthäus, das die Aufmerksamkeit verdient. In seinem Hintergrund sind zwei Gebäude dargestellt. Wie Matthäus selbst werden usn auch die Gebäude wiederbegenen.
Auch die Kanontafeln sind durchaus von Interesse. Auf ihren Giebeln sind immer wieder Figuren dargestellt. Auch sie werden uns auf die ein oder andere Art wiederbeginn.


Utrechter Psalter
(Hautvillers/Reims, 825-835) ( Universitätsbibliothek Utrecht, Ms. 32 ) (https://objects.library.uu.nl/reader/index.php?obj=1874-284427&lan=en#page//11/51/45/11514575807329943918974580038627186786.jpg/mode/1up )
Ich habe vom Utrechter Psalter nur einige Abbildungen ausgewählt, zum einen da es viel zu viele sind, zum Anderen aber sind eben solche ausgewählt die ihre Parallelen direkt aufzeigen. So etwa im ersten Abschnitt der in der Rotunde sitzende Mann am Schreibpult. Es ist exakt der Evangelien-Matthäus, ebenfalls mit Tintenhorn in der Hand!
Bogenschützen ähneln dem Bogenschützen auf den Giebeln der Kanontafeln und die Stadtansicht wird uns gleich “Fragment eines Evangeliares” wieder begegnen.
Die Bilder des Utrechter Psalters als solches sind extrem Komplex und schwer zu lesen. Man muss sie sich vorstellenwie einen 50 Seitigen Comic dar, der auf eine Bild runter gedampft wurde. Dabaie sind wieder Bilder direkt aus spätantiken Vorlagen übernommen, andere neu gestaltet worden, wobei, wie im Stuttgarter Psalter, Aussagen wörtlich genommen werden. Ein Bild kann mehrere Vorgänge gleichzeitig darstellen, also den Anfang den Mitteleteil und das Ende eines Psalms, aber auch verweise auf andere Psalmen erhalten.

Berner Physiologus
(Abtei Hauteville um 830) (Codex Bongarsianus 318) ( https://www.e-codices.unifr.ch/en/bbb/0318/ )
Der Physiologus stellt ein Werk zur Naturkunde dar und entstand Ursprünglich im 2. bis 4. Jahrhundert. Der Physiologus und seine Abbildungen sind eine Kopie einer antiken Handschrift. So ist die Sonne auch schon mal als Sonnengott Helios dargestellt. Die Rahmungen der Bilder und ihre Darstellungen errinnern an den Vergilius Vaticanus oder den auch an den Vergilius Romanus. Die Figuren sind aber in weiten Teilen mit dem bekannten Schwung dargestellt, der uns im Utrechter Psalter und dem Ebo Evangeliar begenet.
Auf folio 125r bezeichnet sich ein gewisser Haecpertus aus Schreiber des Buches. ,

Terenz-Handschrift in Paris
2. Hälfte (?) 9. Jh., Reims (Lat. 7899 ) (https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b84525513/f30.planchecontact.r=lat )
Alle bekannten Terenz Handschriften, wie auch etwa der in Corbie entstandene Vatikanische Terenz Vat.Lat.3868, sind Kopien einer Vorlage aus der Mitte des 4. bis Ende des 5. Jahrhunderts.1 So auch der Terenz aus Reims. Das Porträt des Terenz ist etwa direkt mit dem Terenz aus dem Vatikan ( Codex Vaticanus Latinus 3868 ) identisch, der auf eine Vorlage aus dem 3. Jahrhundert beruht und um 825 in Corvey oder Aachen entstand.2
Die Datierungen der Vorlage beruhen übrigens auf Untersuchungen der dargestellten Theatermasken und der Frisur des Terenz.

Fragment eines Evangeliars
zweites Drittel 9. Jh., Reims, Evangeliar, (Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, B. 113) ( https://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ms/content/titleinfo/5980372 )
Leider nur fragmentarisch ist ein in Düsseldorf verwahrtes Evangeliar erhalten. Die beiden erhaltenen Minuaturen sind im selben Stil und dem selben Federstrich wie der Utrechter Psalter gezeichnet worden. Auch die Stadtansichten sind identisch gegenüber jenen im Psalter.

Loisel-Evangeliar
(1 Hälfte 9. Jahrhundert Reims) (Paris Lat 265) ( https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b84238343 )
Die Darstellung der Evangelisten erscheinen in diesem Evangeliar einfacher, weshalb es, neben der Schriftanalyse, auf die 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts datiert wird. Die Figuren weisen zwar bereits den Schwung auf, vor allem Johannes, aber dennoch wirken sie einfacher.

Evangeliar von Hurault
(2. Viertel 9. Jahrhundert Reims) (BNF Latin 265) ( https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8426039b )
Im Hurault Evangeliar werden nur Drei der Vier Evangelisten abgebildet, Lukas fehlt. Matthäus ist wieder identisch zum Ebo Evangeliar. bzw. die Darstellungen des Evangeliars sind direkte Kopien des Krönungsevangeliars.
Dennoch besitzen die Darstellungen den Schwung und ausgearbeiteten Hintergründe, wen auch wesentlich zurückhaltender.

A.W. Byvanck, Antike Buchmalerei Das Vorbild der Terenzilustrationen S115 ↩
Bild Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Codex_Vaticanus_Latinus_3868#/media/File:Vaticana,_Vat._lat._3868_(2r).jpg ↩
[…] http://www.tribur.de/blog/2023/05/13/eine-karolingische-truhe/ […]
Freut mich wenn ich die Anregung für den Nachtrag war. Tatsächlich hat dieses Bild und die Darstellung auf dem Teppich…
Wieder eine sehr schöne Diskussion des Themas. Dein eines Zitat gibt es ja wieder, aber Du hattest es weiter oben…
Vielen Dank für die unglaublich vielen interessanen Artikel im letzten Jahr. Ich weiß gar nicht, wie Du das neben der…
Ein kurzer Gruß von einem stillen Leser, mit den besten Wünschen fürs neue Jahr! Danke für dieses schöne inspirierende Blog!