Die karolingischen Handschriften – Teil II – Die Hofschule (Ada-Gruppe)
In der Regierungszeit Karls des Großen bildeten sich zwei Hauptgruppen der Buchmalerei heraus, die beide in Aachen direkt bei Hofe angesiedelt werden.
Die ältere der beiden Gruppen, bzw. Schulen ist Ada-Gruppe, bzw. Hofschule1. Den Begriff Hofschule, prägte und wählte Koehler, da die Namensgebende Ada wohl nie existierte.
Die Ada-Gruppe, benannt nach dem Ada Evangeliar, steht noch, was ihre Textgestaltung betrifft, in der Tradition der merowingischen Handschriften mit insularer Beeinflussung. Dies zeigt sich bei großen, stark geschmückten Initialen, die aber nun fast eine ganze Seite einnehmen. Sie weisen Paralleen zu insularen Handschriften wie dem Evangeliar von Lindisfarne auf (Abbildung Wiki Commons ). Auch sind sie die ersten Handschriften karolingischen Zeit die eine Purpurfärbung bzw. Purpur allgemein als Farbe nutzen. Dabei kommt jedoch nicht die Purpurschnecke zum Einsatz, vielmehr wurde eine Farbe auf Basis der Pflanze Chrozophora tinctoria genutzt wie neuere Untersuchungen zeigen.2
Erstes bekannte Werk der Hofschule ist das Godescalc Evangelistar, was bedeutet die Hofschule bereits 781-83 bestanden haben muss und es bereits Anordnungen zur Entstehung von Handschriften vor der Epistola da. litteris colendis (794) gegeben haben. Zudem scheint das Evangelistar nicht die erste Handschrift der Hofschule gewesen zu sein3 Zudem gibt es Vermudtungen das die Hofschule zunächst in Worms angesiedelt war, bevor sie nach Aachen zog.
Die Farbgebung entspricht jedoch gerade bei den Initialen den gedeckten Farben der insularen Buchmalerei. Der eigentliche Evangelientext ist doppelspaltig geschrieben, meist aufwendig gerahmt, die Seiten fast vollständig ausgefüllt.
Die Kanontafeln sind die durch architektonische Bogenstellungen gerahmt, beim Evangeliar aus St. Martin zeigt sich dabei auch Flechtwerk mit Tierköpfen, die an Tierstil-Darstellungen erinnern.
Ihre Illuminationen, also die Bilddarstellungen, nutzen nun aber spätantike Vorlagen byzantinischen Stils, wie sie etwa in Konsulardyptichen zu sehen sind und deren Vorlagen wohl im spätantiken Konstantinopel oder Ravenna zu suchen sind4 Dabei füllen die Abbildungen die Seiten fast komplett aus. Es ist der sogenannte horror vacui, das bestreben möglichst keine Freiflächen zu lassen. Das Godescalc Evangeliar und das Evangeliar aus Soisson scheinen sogar die selbe, spätantike Quelle genutzt zu haben, denn nicht nur der Lebensbrunnen scheint identisch, auch der Evangelist Markus weist in beiden Abbildungen Ähnlichkeiten auf unterscheiden sich aber durch den Stil des Zeichners, bzw. durch dessen Ausführung.
Allgemein weist aber die zeichnerische Kunstfertigkeit mit Sicherheit nicht die Kunstfertigkeit der Originale auf.
Nicht immer sind jedoch alle Merkmale in den Handschriften gleich stark oder überhaupt ausgeprägt. Mitunter fehlen Kanontafeln oder die Darstellung der Evangelisten, doch gibt es in allen Bereichen Übereinstimmungen, die Koehler auch über Paläographie nachweisen konnte.
Etwas außenstehend erscheint das kleine Fragment im Fragment eines Evangeliars aus London das am unteren Ende von folio 134v eingeklebt wurde. Es zeigen sich darin jedoch parallen zu einigen Kopfzeilen in anderen Handschriften, wie der Evangeliar aus Soisson.
Mit dem Tod Karls des Großen endete wahrscheinlich auch das Wirken der der Ada-Gruppe. Wahrscheinlich verteilten sich sogar die Gesamtheit der Aachener Künstler in verschiedene Richtungen.
Die Ada-Gruppe ist zunächst die bedeutendere der beiden Gruppen, wird aber durch die Gruppe um das Krönungsevangeliar an Bedeutung zur Zeit der Karolinger abgelöst. Doch die Ada-Gruppe hat auch später noch Nachwirkungen. Anklänge sind noch in der Roudprecht Gruppe des Klosters Reichenau des späten 10. Jahrhunderts zu spüren5
Werke der Ada-Gruppe (Chronologisch geordnet nach Koehler, Ausnahme Londoner Fragment )
Godescalc Evangelistar
(781-783, Aachen) (Ms. nouv. acq. lat. 1203)( https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b6000718s/f1.planchecontact )
Das Godescalc Evangelistar ist die älteste bekannte bzw. erhaltene Handschrift der Ada-Gruppe. Oftmals findet man die Information das sie nicht dazu gerechnet würde, bzw es findet sich nicht in Aufzählungen. Die Parallelen sind jedoch eindeutig und vorallem das die selbe Vorlage für den Lebensbrunnen verwendet wurde wie im Evangeliar aus Saint Médard in Soissons macht dies notwendig, so dass auch die Fachliteratur den Gedescalc Evangelistar an den zeitlichen Anfang der Ada-Gruppe rückt.
Benannt ist es nach dem Schreiber Godescalc (althd. Form des Namens Gottschalk) der in dem Werk selbst genannt ist und als Auftraggeber Karl den Großen und seine Frau Hildegard angibt. Das Werk war als Geschenk an Papst Hadrian I. gedacht, den Karl zwecks der Taufe seines Sohnes Pippin besuchte.
Die untere Reihe der Bilder zeigt in der Mitte den Text zum zum Weihnachtsfasten. Ursprünglich ist die Schrift alternierend Gold und Silbe, jedoch ist das Silber oxidiert und heute, in dieser Abbildung, nur als schwarze Flecken, bzw. dunkelere Streifen zu sehen.
Die große Neuerung des Godescalc Evangelistar ist die Rahmung der Seiten. Dabei sind die Rahmungen so gewählt und positioniert das eine Doppelseite als Einheit erscheint. Auch Christus ist in der Darstellung der majestas (folio 3r) nun bis auf einen Bartflaum am Kinn bartlosdargestellt und grenzt sich so von den insularen Darstellungen ab. Gaehde notiert zur majesats zudem einen byzantinisch Einfluss, möglicherweise auch aus Ravenna und überlegt ob Karl der Große nicht Handschriften nach seinem Sieg über die Langobarden von dort mitbrachte6
Die Evangelisten sind mit ihren Togen wie klassische Philosophen dargestellt. Ebenso ein Verweis auf die Nutzung Antiker Vorlagen, auch wenn es der Kopie noch an Übung fehlt.


Harley Evangeliar
(Harley Golden Gospel) (Aachen, vor 800) (Harley Ms. 2788 )( https://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=harley_ms_2788 )
Im Harley Psalter taucht erstmals ein sogenannter Perlrand im Rahmen des Matthäus auf. Ein möglicher Verweis auf eine Textstelle bei Matthäus (mehr dazu beim Evangeliar von Soissons). Das Evengalieum erscheint somit an seinem Eigentlichen Beginn geschmückt wie ein Reliquiar, mit dem Evangelientext als Reliquie.
Auch bei den Kanontafeln finden sich nun erstmalig Verzierungen, wobei der Schreiber nicht die Namen sondern die Symbole der Evangelisten nutzt.


Soisson Evangeliar/ Evangeliar aus Saint Médard in Soissons
(Aachen vor 827) (Ms. Lat. 8850) ( https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8452550p/f1.planchecontact )
Der Auftraggeber des Evangeliars ist unbekannt, jedoch muss vor 827 entstanden sein, denn in diesem Jahr wurde es von Ludwig dem Frommen und seiner Frau Judith an St. Medard in Soisson übergeben. Wahrscheinlich ist es jedoch etwas älter als das Ada Evangeliar.
Wohl griffen das Evangeliar von Soisson und das Godescalc Evangelistar auf die gleiche, spätantike Quelle zurück. Denn beide Handschriften zeigen den gleichen Lebensbrunnen. Auch die Darstellungen der Evangelisten sind ähnlich.
Erstmalig treten im Soisson Evangeliar ein Perlrand, bzw. ein Rahmen mit Schucksteinen und Perleihen, des Bildnisse von Mathhäus und Lukas auf. Dies ist möglicherweise auf Verweis auf Matthäus 6,20,7 wo es heist: Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. Auch Lukas bietet bei 12,33 eine Entsprecheung:(…) erschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst!


Evangeliar aus Saint-Martin-des-Champs od. Evangeliar der Pariser Arsenal-Bibliothek
( Aachen, um 790) (Ms. Lat. 599)(https://portail.biblissima.fr/ark:/43093/mdata604ca3ec03b23f102d0f6e3b90843a62326a757d )
Mit dem Evangeliar der Pariser Arsenal-Bibliothek und dem älteren Teil des Ada-Evangaliars beginnt die Phase der Orientierung der Schmuckstein imitierenden Rahmung.8

Dagulf Psalter
(793-795, Aachen) (Cod. 1861 HAN MAG) ( https://digital.onb.ac.at/RepViewer/viewer.faces?doc=DTL_4582846&order=1&view=SINGLE )
Wie schon das Godescalc Evangelistar, nimmt man vom Dagulf Psalter an, dass es als Geschenk für Papst Hadrian I gedacht war. Grund soll jedoch das Kitten des Verhältnisses zwischen Karl und dem Papst gewesen sein. Die Franken hatten nach dem Zweiten Konzil von Nizäa nur eine mangelhafte Übersetzung der Beschlüsse betreff des Ikonoklasmus erhalten, die missverständlich war und für extreme Verstimmungen bei den Franken gesorgte hatte, die daraufhin ihrerseits mit dem Opus Caroli regis contra synodum (Werk Karls gegen die Synode) reagiert hatten. Der Papst erhielt die Handschrift jedoch nie, da er zuvor verstarb. Seinen Prunk zeit die Handschrift in der Ausführung in Goldtinte, die in einigen Teilen auf Purpurgrund erfolgt.
Namensgeber ist der Schreiber Dagulf. Es ist der einzige Psalter in der Liste der Ada-Gruppe, aber noch kein Bilderpsalter.
Seine Zugehörigkeit in die Ada-Gruppe verdient er sich durch die Palägrophie. Es waren die gleichen Schreiber am Werk, zudem ähneln die vorhandenen Schuckrahmungen, tewa denen im Evangeliar aus St. Martin. Gleichzeitig weist er aber in seinem Aufbau Ähnlichkeiten mit dem angelsächsischen Vespasian Psalter (London, British Library, Cotton Vespasian A I) auf. 9 Die verwendete karolingische Minuskel entsprichte der aus dem Godescalc Evangelistar und ähnelt dem „alten Stil“ aus Lorsch, besitzt aber auch Ähnlichkeiten mit frühen Handschriften aus Metz und einem unbekannten austrasischen Skriptoriums
Zudem enthält er Athanasisches Glaubensbekenntnis, betont also die Trinität, die Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist, wobei der Heilige Geist durch Vater und Sohn herabkommt und setzt sich somit vom ursprünglichen Bekenntniss von Nicäa ab, in dem der .Heilige Geist vom Vater durch den Sohn entsteht.10

Evangeliar von Saint-Riquier/Evangeliar in Abbeville
(Aachen, kurz vor 800) (Ms4) (https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b55005654j )
Die Handschrift auf purpur gefärbtem Pergament war als Geschenk für den Laienabt von Centula (Saint Riquier) Angilbert gedacht. Angilbert war an der Hofschule taätig, seine dichterische Tätigkeit brachte im den internen Namen Homer ein. Auch war er der Geliebt von Karls des Großen Tochter Bertha mit der er zwei Söhne, Harnid und Nithard, hatte.
In seiner Purpurgestaltung mit Gold und Silbertinte wird es das Krönungsevangeliar und andere Handschriften beeinflussen.


Ada Evangeliar
(790-810, Aachen ) ( StB Trier Hs. 22)( http://www.trier.de/systemstatic/Medien/Hs-22-Ada.pdf )
Namensgeber ist eine gewisse Ada, die im Buch als Auftraggeberin, Äbtissin und Schwester Karls des Großen genannt wird.Diese Information wurde jedoch erst nachträglich (13. Jh.) dem Buch als Widmungsgedicht hinzugefügt. Es gibt keinerlei Hinweise das Karl der Große eine Schwester namens Ada besaß.
Das Ada Evangeliar ist das Leitbuch und Namensgeber der Ada-Gruppe. Mit dem Ada- und dem Lorscher Evangeliar kommt ein wenig mehr Leichtigkeit in die optisch Schweren Handschriften. Dies fällt bei den Bildern der Evangelisten auf. Die schwere, rechteckige Rahmung fällt weg. Die Bogenarkade steht nun frei, dennoch scheut man sich noch vor der Leere des Raums ( horror vacui ) und füllt die Ecken mit Rankenwerk und Tierdarstellungen.
Das Ada Evangeliar wurde wohl in zwei Etappen geschrieben. Teil I (folio 17-38v) wurde von 2 oder mehr Scriptoren angefertigt, wobei einer von dieses Godescalc war. Der zweite Teil (fol 38-172) stammt wahrscheinlich aus einer, jüngeren Hand. Die Seitendekorationen wurden zuerst ausgeführt und anschließend der Text in 2 Zeilen zu 32 Spalten eingefügt.
Mit dem Lorscher Evangeliar ist ebenso gemeinsam, dass die Texte in den Büchern der Evangelistenbilder verschwunden sind. Brenk geht davon aus das der urpsüngliche Gestalter des bildlichen Konzepts keinen Einfluss mehr auf Erstellung hatte.11


Lorscher Evangeliar
( Aachen, um 810 ) (Pal. lat. 50; Victoria Albert Museum Inv.-Nr. 138-1866; Alba Iulia, Biblioteca Documentară Batthyáneum, Ms R II 1 ) ( https://bibliotheca-laureshamensis-digital.de/bav/bav_pal_lat_50 , https://bibliotheca-laureshamensis-digital.de/bav/bav_pal_lat_50/0266/image,info , https://bibliotheca-laureshamensis-digital.de/view/bnr_msrII1 )
Das Lorscher Evangeliar steht in den Rahmenverzierungen aus Perlreihen und Schmucksteinen am Ende der Entwicklung12


Fragment eines Evangeliars in London
(Aachen, 1. viertel 9. Jh). (Cotton MS Claudius B IV )
(https://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=cotton_ms_claudius_b_v_fs001r )
folio 134v zeigt ein eingeklebtes Fragment aus einem Evangeliar das der Ada Gruppe zugerechnet wird. Der Rest des Werks wurde laut McKiddrick beim Brand der Cotton Library 1731 in Ashburnham House vernichtet (bei dem auch der Beowulf schwer beschädigt wurde)

Achtung: hier kann Verwirrung bestehen, denn während die jüngere Schule auch als “Palastschule” bezeichnet wird, verwendet die englische Sprache für die “Hofschule” auch den Begriff der “Palace School” ↩
vgl. C. Denoël et al. Illuminating the Carolingian era: new discoveries as a result of scientific analyses ↩
(( Beate Brenk. Schriftlichkeit und Bildlichkeit in Testo E Immagine Nell´Alto Medioevo S640 ↩
R. Berensen, The Exhibition of Carolingian Art at Aachen S163 ↩
A.Boeckler Bildvorlagen der Reichenau S8 ↩
F. Mütherich, J.E. Gaede Carolingian Painting S32 ↩
Beate Brenk. Schriftlichkeit und Bildlichkeit in Testo E Immagine Nell´Alto Medioevo S665 ↩
G. Denzinger Das Lorscher Evangeliar S89-90 ↩
Rosamund McKitterick Charlemagne S336 ↩
Rosamund McKitterick Charlemagne S314 ↩
Beate Brenk. Schriftlichkeit und Bildlichkeit in Testo E Immagine Nell´Alto Medioevo S675 ↩
G. Denzinger Das Lorscher Evangeliar S90 ↩
[…] http://www.tribur.de/blog/2023/05/13/eine-karolingische-truhe/ […]
Freut mich wenn ich die Anregung für den Nachtrag war. Tatsächlich hat dieses Bild und die Darstellung auf dem Teppich…
Wieder eine sehr schöne Diskussion des Themas. Dein eines Zitat gibt es ja wieder, aber Du hattest es weiter oben…
Vielen Dank für die unglaublich vielen interessanen Artikel im letzten Jahr. Ich weiß gar nicht, wie Du das neben der…
Ein kurzer Gruß von einem stillen Leser, mit den besten Wünschen fürs neue Jahr! Danke für dieses schöne inspirierende Blog!