Das Palatium von San Vincenzo al Volturno
Ich hatte nach letzter Woche versucht eine fiktive Rekonstruktion für den im Brevium Exempla genannten Hof Annappes aus dem Ärmel zu schütteln. Zwar entsand da einiges, auch mit gehörigem Aufwand, aber es erschien mir nicht richtig. Zuviel war gemischt, links sah es aus als gäbe es nur Holz, während rechts die Spätantike von der Renaissance geküsst wurde und eine unheilige Ehe eingingen.
…und da wir hier nicht beim “Festival der bunten Baustile” sind verwarf ich das Model in seinem Aussehen, bzw. seiner Gestaltung und nahm noch einmal Bücher und Papier zur Hand.
Man kann sich vorstellen das es extrem schwierig ist Informationen zu frühmittelalterlichen Steinbauten, spezieller Profanbauten zu finden, die nicht den Prunk und Protz einer Aachener oder Ingelheimer Pfalz beinhalten. Eines der ältesten steinernen Wohnbauten Deutschlands etwa ist das Graue Haus in Oestrich Winkel und das stammt grob aus der Zeit um 1075. Was auch schon 275 Jahre nach der Kaiserkrönung Karls des Großen liegt.
Beim Durchblättern meiner Unterlagen kamen mir schließlich die Klosterpfalzen in den Sinn. So viel sollten sie sich nicht unbedingt von den königlichen Eigengütern, zumindest im Aussehen eines “Palatiums” unterschieden haben. Zumal der klassische Kreuzgang erst um 800, möglicherweise durch die Anianische Reform, entsteht. Also je früher , je besser.
Tatsächlich habe ich eine Klosterpfalz, oder zumindest als solche gedeutete, gefunden die ich architektonisch sehr reizvoll finde, vereint sie doch einige Merkmale und Elemente die auch im Brevium Exempla genannt werden und und hat darüber hinaus auch gewisse Besonderheiten.
Und bei den archäologischen Arbeiten wurde dort auch Teile eines karolingischen Schwertgurtes gefunden. Die Rede ist von dem italienischen Kloster San Vicenzo al Volturno.
Die Geschichte des Klosters lässt sich zunächst grob in wenigen Schritten erklären.
An einer Brücke über den Volturno entsteht in der Spätantike eine kleine Siedlung die im 5. Jahrhundert eine Begräbniskirche erhält. Um 730 Gründen Mönche in der aufgelassenen Siedlung ein Kloster, restaurieren die Begräbniskirche und nutzen sie als Klosterkirche. 792 wird der Franke Joshua Abt des Klosters (Die Äbte wechselten in ihrer Herkunft immer zwischen Franken und Lombarden). Um 800 beginnt er mit einer grundlegenden Umgestaltung des Klosters. Bis 830 wird weiter südlich eine neue, wesentlich größere Klosterkirche mit Umgangskrypta, Atrium und Vorkirche errichtet. Man verlegt die Wohngebäude und lässt bedeutende Werkstätten einrichten. Und mit der alten Klosterkiche und dem Kloster passiert etwas sehr interessantes.
Der Abt lässt aus dem alten Kloster und der Kirche einen “Palace Complex”1 , bzw. ein “Palatium”2 errichten. Also eine Pfalz.
Zwar gibt es unter einem Nachfolger Joshuas, Epiphanius noch einige weitere Umbauten, im Groben bleibt aber die Anlage erhalten. 848 wird die Abtei durch ein Erdbeben beschädigt und 860 durch Sawdan dem Emir des kurzlebigen Emirats von Bari geplündert. 1115 wird eine neue Klosterkirche auf der gegenüberliegenden Seite des Volturno geweiht und eine neue “moderne” Klosteranlage entsteht. Das karolingische Kloster verfällt.
PS: bei der Beschreibung habe ich mich nicht in den Himmelsrichtungen geirrt: die Kirche ist tatsächlich gewestet!
Der Zugang zur Klosterpfalz erfolgt über das Kloster, durch einen Laubengang der süd-westlich der (auf dem Plan als „Upper Thoroughfare“ bezeichnet) Klosterpfalz verlief auf einem Hang. Er verlief also höher. An ihm lag auch das Haus des Abtes, möglicherweise mit turmartigem Anbau. Von dort aus erreichte man ein Vestibül mit mehreren Treppen. Aufgrund der Hanglage wurde es durch zwei große Bögen vom Innenhof aus beleuchtet.
Im Vestibühl führte eine Treppe zunächst auf ein Zwischenstock, von wo aus man eine weitere Treppe auf ein höheres Niveau zum Saalbau erreichen konnte, oder aber man sich weiter hinunter in Richtung des Gartenniveaus begeben konnte.
Hier ergaben sich nun drei mögliche Richtungen. Zum einen über einige Stufen und einen kleinen Gang zum Garten nach westen, oder nach Norden in die Kellerräume des Saalbaus, bzw. in die Kapellen, oder aber nach Süden in den “Saal der Propheten” (Im Plan „Assembly Hall“ und weiter ins Refektorium, also wieder in den eigentlichen Klosterbezirk.
Der “Saal der Propheten”, benannt nach den Wandmalereien von Propheten und umgeben mit Sitzbänken, diente wahrscheinlich als Ankleideraum und somit als Schleuse in das Kloster.
Der Garten war an zwei Seiten mit einem Laubengang umgeben. Er orientierte sich am früheren Kreuzgang oder Klosterhof der jedoch mehr als doppelt so groß war und sich weiter nach Süden erstreckte. Vom Laubengang konnte über eine größere Tür wieder der Kellerraum des Saalbaus erreicht werden, aber nach Osten auch das großzügige Refektorium für gehobene Gäste. Von diesem Raum fehlt allerdings heute der östliche Abschluss, da er durch den Fluss Volturno abgeschwemmt wurde.
Interessantester Teil des Umbau Joshuas ist aber wahrscheinlich der Saalbau.Dafür erfährt die alte Klosterkirche einen Totalum- bzw. Ausbau.
Der Chorraum wird im Erdgeschoss baulich abgetrennt um weiterhin als Kapelle zu dienen.
Ein zweites Stockwerk wird eingezogen, der nun einen representativen Saalbau bildet, der jedoch in einer Gallerie vor dem Altarraum endet und so den Blick in die nun verkürzte Kapelle gewährt. Um den Saal für im Süden und Osten ein Gang herum, der das ehemalige Seitenschiff nutzt.
Das Erdgeschoss ist unterhalb des Saals in drei Räume geteilt, wovon einer wohl auch in der zweiten Ausbaustufe als Stall diente. Auch hier führt ein Gang südlich und östlich um die Räume herum. Er liegt unterhalb des Ganges im ersten Stock und ist durch Fenster zum Laubengang hin erhellt. Zudem gibt es ein breiteres Tor vom Laubengang in den Gang im Erdgeschoss.
Im Erdgeschoss führte am Kappelenteil ein Gang von Nord nach Süd und unterquert so den Saal. Er ermöglicht es die eigentliche Gastkapelle, die Kryptenkirche mit Triconchos im Norden, zu erreichen.
Der Saalbau war dabei reich gestaltet. Er besaß eine Pflasterung aus Opus Sectile aus zweifarbig grauem Marmor, die Wände waren aufwändig bemalt, wobei die Bemalung auch hier opus sectile imitierte. Der Saal muss zu dem eine figürliche Ausmalung besessen haben deren Reste sich als Fragmente in in den Trümmern des Gebäudes fanden.
Hodges, Gibson und Mitchel vergleichen den Saalbau mit dem etwas früher entstandenen Palastkomplex von San Pietro a Corte in Salerno des Herzogs von Benevent aber auch mit Santa Maria del Naranco in Asturien.
Der Bau eines solchen Palastes hatte pragmatische Gründe. Als Joshua die Abtei ausbauen lies, war ihm bewusst das ein Aufstieg der Abtei leichter war, wenn den entsprechenden adeligen Personen auch eine ansprechende Unterkunft bieten konnte. Je lieber sie sich hier aufhielten, umso größer sollte die Unterstützung sein.
Zwar konnte ich in der Regsta Imperii keinen Aufenthalt eines Königs/Kaiser finden, dennoch wird die Abtei immer wieder mit Sonderrechten ausgestattet, aber auch Fillialstellen des Klosters werden besucht. Ludwig II zieht, auch auf Bitten der Abtei San Vincenzo, gegen das Emirat Bari, hielt sich in der Region auf und nächtigte sicherlich in der Abtei. Bischof Hatto von Mainz, bzw Abt der Reichenau scheint sie besucht zu haben denn er berichtet vom Kloster.
Warum ich nun eine italienische Klosterpfalz ausgrabe, nachdem ich bergangene Woche über das Brevium Exempla und den Hof von Annappes schrieb ist relativ einfach. Auch in dieser italienischen Abtei, die sicherlich Anleihen an römische Bauten aufwies (römische Spolien wurden gesichert verbaut), finden sich Element wieder die das Brevium Exempla für Annappes nennt. So zum Beispiel die sala regalis, hier als direkt als palatium bezeichnet. Auch hier finden sich die Laubengänge, wie in Annappes zwei Stück. Ab man die Laufgänge als solarium bezeichnet ist fraglich, zumindest in der Art in der sie bei Hodges, und dadurch auch in meinem Bild, dargestellt sind, ist eher zweifelhaft.
Neben meiner Visualisierung hatte 1997 der Architekt Davide Monaco bereits einmal eine Rekonstruktion online gestellt, die man sich noch hier ansehen kann: https://xoomer.virgilio.it/davmonac/sanvin/svricos5.html
Monaco hatte allerdings den Eingang in den Osten , in das Refektorium für gehobene Gäste gelegt und dabei eine Bogenstellung am östlichen Rand rekonstruiert. Laut den Grabungsplänen gibt es zum einen keinerlei Spuren der Ostwand mehr, zum Anderen weisen die gefundene Fliesen eher auf einen gehobenen Inneraum hin, als auf ein Durchgangsportal. Eine Tür gab es dagegen noch in der Ostwand des Saalbaus (wahrscheinlich der ursprüngliche Kircheneingang). Dieser würde sich auch im Bezug auf die Nutzung als Pferdestall im Untergeschoss auch als zusätzlicher Eingang anbieten. Und gehobene Gäste wären bestimmt nicht durch den Hintereingang gekommen sondern hätten den offiziellen Weg durch die Abtei genommen, wohl verbunden mit einem Kirchgang oder Gebet in der Klosterkirche.
Ich habe mich daher bei meiner Visualisierung an die bei Hodgins und Mitchel publizierten Grabungspläne und Risszeichnungen gehalten. Wobei angemerkt sein muss das in ein und der selben Quelle der Saalbau/die ehemalige Kirche unterschiedlich dargestellt wird. Mal ist sie als Basilika mit Seitenschiffen dargestellt, mal als Hallenkirche ohne das darauf im Text eingegangen wird. Ich habe mich für die Basilikavariante entschieden.
Verwendete Quellen:
Richard Hodges and Alessia Rovelli, San Vincenzo al Volturno in the sixth century
John Mitchell, Monastic Guest Quarters and Workshops: The Example of San Vincenzo al Volturno
Richard Hodges, The 9th Century Abbots House At S.Vincenzo Al Volturno
Richard Hodges, Sheila Gibson and John Mitchell, The making of a monastic city. The architecture of San Vincenzo al Volturno in the ninth century
Danke Christian, tatsächlich war ich vor 2 Jahren dort, muss aber gestehen das ich den Textilien wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe.…
Hi. Bin grad über den Artikel gestoßen. Wenn du mal in die Nähe von Hildesheim kommst: Im dortigen Domschatz befinden…
Nein aktualisiert nicht. Die müsste noch in der Variante wahrscheinlich noch irgendwo in meinem Archiv schlummern
Hallo Markus, hast du die Karte zwischenzeitlich zufällig für einen anderen Post/Vortrag/Ausstellung aktualisiert?
Pfalz Derenburg, es fehlt mi ein gesicherter Lageplan der Pfalz und der Vorburg