Adelheid von Kiew – eine fast vergessene salische Kaiserin
Jewpraksija, so ihr Geburtsname, auch Eupraxia oder Praxedis, war eine Tochter des Kiewer Großfürsten Wsewold I. von Kiew und dessen zweiter Frau Anna.
Sie wurde zwischen 1067 und 1070 geboren. Bereits 1069 hatte Wsewold I Kontakt mit Udo von Stade aufgenommen um eine Verbindung mit dem sächsischen Fürstenhaus herzustellen. Ähnliches hatte er wohl auch bereits vor 1066 mit dem angelsächsischen England geführt, denn 1070 heiratet Wesewolds Sohn Gyda Haraldsdatter, bzw. Gytha von Wessex, letzte Tochter von Harald II Godwinson, der bei der Schlacht von Hastings gefallen war.
Das Haus der von Stade, die Udonen, war mit den Ottonen verwandt und waren eine der sächsischen Führer des Widerstandes gegen Heinrich IV. Dem Kiewer Großfürsten war dies wohl nicht bewusst bzw. für ihn nicht relevant. Ihm schwebte eher einer Verbindung mit wichtigen Adelshäusern in Europa vor.
Als Jewpraksija nach Sachsen kam, soll sie dies mit einer prachtvollen Karamelkarawane mit reichen Gütern bewerkstelligt haben. Was sich heute höchst fantastisch anhört war durchaus möglich. Die Kiewer Großfürsten hatten enge Beziehungen nach Byzanz. Wsewolods erste Frau war die byzantinische Kaisertochter Anastasia gewesen. Zudem war das Gebiet der Kiewer Rus an die Seidenstraße angebunden.
Mit der Hochzeit mit Heinrich I. von Stade, genannt der Lange, wechselte Jewpraksija auch vom orthodoxen zum römisch katholischen Glauben und wurde auf den Namen Adelheid getauft. Mitunter wird dies auch auf die Hochzeit mit Heinrich IV gemünzt, erscheint aber unwahrscheinlich wegen der ersten Eheschließung. Doch die Ehe hatte nicht lange bestand. Bereits 1087 starb der Markgraf der Nordmark. Der frühe Tod des Ehemannes führte Adelheid in den Quedlinburger Stift, wo sie 1088 auf Heinrich IV traf.
Heinrich IV hatte es 1084 geschafft, trotz aller Widerstände, zum Kaiser gekrönt zu werden. Seine erste Frau, Bertha von Turin, war 1087 in Mainz verstorben. Ihr Tod scheint Heinrich IV wenig getroffen zu haben, hatte er doch zu Beginn der Ehe versucht diese annullieren zu lassen. So kommt es dann auch das der Leichnam kein anständiges Totengedenken erfährt, an unbekanntem Ort “zwischengelagert” und erst 1091 in Speyer beigesetzt wird.
Der nicht so trauernde Witwer trifft also 1088 auf die junge Kiewerin Agnes und ist begeistert von ihrer Schönheit, so die Annalen. Er ist wohl eher von byzantinischer Seide und der Aussicht auf eine Verbindung zum sächsischen Adelshaus begeistert, als er sich mit ihr im Sommer 1088 verlobt und 1089 die Ehe mit ihr eingeht.
Das genau Datum der Eheschließung ist nicht bekannt, die Regesta Imperii geht von ein Datum zwischen dem 1. Juni und Ende Juli aus.1 Jedoch ist mit Köln der Ort bekannt. Adelheid wird umgehend von Bischof Hartwig von Magdeburg zur Kaiserin gekrönt.
Die extrem schnelle Verbindung von Adelheid und Heinrich hat bereits des öfteren Fragen aufgeworfen. Claudia Zey vermutet hierin das Bestreben Heinrichs mit der Heiratet einen sicheren Stand in Sachsen zu bekommen2. Gerd Althoff geht sogar noch weiter und wirft die Frage auf Adelheid nicht ein Friedenspfand seitens der Sachsen im Sinne einer Geisel gewesen sein könnte.3. Eine weitere Theorie nennt Christian Raffensperger4, so hätte eine dynastische Verbindung mit den Kiewer Rus der Versuch eine Brücke zur Orthodoxie und damit zur Überwindung des Schismas sein können und somit eine Stärkung des eigenen Gegenpapstes durch die Rus.
Auch die Urkunden zeugen nicht unbedingt von der großen Liebe oder von Zuneigung. Es fehlen die oft auftretenden Stiftungen. Nur einmal, kurz nach der Hochzeit, taucht Adelheid als Bittstellerin auf. Dann wird es still. Im Frühjahr 1090 zieht Heinrich nach Italien in den Krieg, wird aber wohl von Adelheid begleitet.
Was nun passiert ist, wie so oft im Leben Heinrichs IV, ein Lehrstück in Sachen Quellenkritik. Es gibt nämlich keine neutralen Quellen zu den Geschehnissen die sich nun abspielen werden und die Überlieferungen stammen sämtlichst von Gegnern Heinrichs..
Weihnachten 1093 begeht Heinrich IV mit dem (Gegen-)Papst Clemens III und Adelheid in Verona das Weihnachtsfest.Er zieht weiter und lässt sich danach erst im Herbst wieder in Würzburg nachweisen. Adelheid aber lässt er unter Bewachung in Verona zurück, da sie des Treuebruchs verdächtigt wird.
Durch die Hilfe von Welf IV. kann sie jedoch zu Mathilde von Tuszien fliehen. Welf war ein Feind Heinrichs und hatte das Herzogtum Bayern entzogen bekommen. Welfs 17 jähriger Sohn hatte zuvor die 27 Jahre ältere Mathilde von Tuszien geheiratet. Eben jener Mathilde bei deren Burg in Canossa sich der Bußgang Heinrichs abgespielte hatte und Adelheid fängt an aus dem “Ehe-Nähkästchen” zu plaudern. Heute würde sie ihre Story wohl an die Bild vertickern…
Tillmann Struve5 beschreibt es so: “Diese Frau von zweifelhaftem Ruf scheute sich nicht, die widerwärtigsten Beschuldigungen über sexuelle Verfolgungen auszustreuen, (…)”. Letztendlich läuft die Beschuldigung darauf hinaus, Heinrich habe sie zur öffentlichen Prostitution gezwungen.
Ein Chronist des 12 Jahrhunderts aus Dissibodenberg, dessen Werk heute verloren ist, steigert dies noch und berichtet Heinrich habe seinen Sohn Konrad zum Ehebruch mit Adelheid aufgefordert und diesem erklärt er sei gar nicht sein leiblicher Sohn sondern seine Mutter Bertha habe Ehebruch begangen.
Althoff vermutet, wenn es diese Vergewaltigung überhaupt gab, wäre sie vergleichbar mit der Hinrichtung einer Geisel, bzw. in diesem Sinne zu verstehen, was sich wiederum auf seine Friedenspfand-Theorie bezieht.
Heinrichs Sohn Konrad, den ja spätere Quellen mit mit Adelheid in Verbindung bringen, der versuchte seinen Vater zu entmachten und sich in Mailand zum König von Italien krönen ließ, hatte sich nun auch mit Mathilde von Tuszien verbündet und konnte dadurch einen Großteil von Heinrichs lombardischen Heer für sich gewinnen.
Noch 1094 kommt es bei der Synode von Konstanz unter Führung eines Gegners Heinrichs, Bischof Gebhard III von Zähringen, zu einer Anhörung der Anschuldigungen Adelheids gegen Heinrich. Ob sie selbst anwesend war, oder die Anschuldigungen durch Boten vorgetragen wurden ist nicht bekannt.6
Kurz darauf, im März 1095, treffen sich die Gegnerparteien Heinrichs in Piacenca zu einer päpstlichen Synode. Aufgrund der Anschuldigungen gegen Heinrich von seiten Adelheids, wird Heinrich von Papst Urban II erneut exkommuniziert. Die Ehe von Adelheid und Heinrich wird annulliert bzw. geschieden. Adelheid von ihren Sünden freigesprochen.
Konrad leistet im Anschluß dem Papst den Stratordienst, das heißt er führte das Pferd mit dem Papst darauf an den Zügeln um zu zeigen das der Papst die höhere Person ist und leistet dem Papst den Sicherheitseid, worauf Papst Urban ihm die Kaiserkrone zusichert
1098 Wird Heinrich seinen Sohn Konrad für abgesetzt erklären und den jüngeren Heinrich als Nachfolger bestimmen. Konrad stirbt bereits 1101 in Florenz ohne noch irgendwelchen Einfluss zu besitzen
Und Adelheid?
Wie es bei Schiller heißt: “ Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen”7 Adelheids Dienst als Grund für die Exkomunikation Heinrichs ist getan. Ihre vermeintlichen Beschützer lassen sie fallen. Sie verschwindet aus der Geschichte, bzw. die Information verblassen.
Bis 1099 soll sie sich in Ungarn, bei ihrer Tante der ungarischen Königin Anastasia Jaroslawna aufgehalten haben. Wobei die wahrscheinlich schon Tod gewesen sein sollte da sie nach denn 1060ern nicht mehr in Urkunden auftaucht. Möglicherweise fand sie Schutz bei Ladislaus I.König von Ungarn der mit einer Tochter Rudolfs von Rheinfelden verheiratet war.
Über Ungarn begibt sie sich zurück nach Kiew. Unter dem Namen Eupraxia tritt sie dort ins Kloster ein. Welches erscheint unklar. Mal ist die Rede vom Kloster ihrer Schwester Anna, dem St. Andreas Kloster, mal die Rede vom Höhlenkloster zu der auch die damals gerade erbaute Uspenski-Kathedrale gehört und wo sie auch begraben wurde und eine eigene Kapelle erhielt. Auch der Eintrittszeitpunkt ins Kloster ist nicht klar. Gab Meyer von Knonau 1903 noch zielsicher den Dezember 1105 als Eintrittsdatum an, wohl in Berufung auf die Nestorchronik 1113-1118), eine Geschichtsschreibung der frühen Rus, wobei hier aber der 5. Dezember 1106 angegeben wird, schreiben spätere Bearbeiter wegen der Unsicherheiten des Themas nur noch von “nach 1095”. Sie stirbt vergessen am 20.7.1109.
Es gibt von Adelheid keinerlei zeitgenössischen Abbildungen. Es ist nichts bekannt über ein dos (Witwengut) das sie bei der Hochzeit erhalten haben sollte, da keine Hochzeitsurkunde erhalten ist. Auch fehlt etwa die Stiftung einer Bibel oder der Gleichen.
In der Rezeption kommt Adelheid/Eupraxia schlecht weg. So urteilt die Neue Deutsche Biographie 1953 über sie und Ihre Anschuldigungen gegenüber Heinrich: “( Die Anschuldigungen) entsprachen kaum der Wirklichkeit und lassen nur Rückschlüsse auf eine „psychopathische Veranlagung der armen Frau“ zu.” Auch neuere Quellen wie der zuvor erwähnte Tillmann Struve lassen Adelheid in schlechtem Licht stehen. Rudolph Wahl sieht es in “Heinrich IV. Der Gang nach Canossa” von 1999 etwas weniger aufgeregt. Er sieht Adelheid um den Kaiserlichen Glanz betrogen, den sie wohl anstrebte. Statt dessen musste sie ein Leben im ständigen Kampf und Kriegszug ertragen und wohl sei ihr das “Zusammenleben mit dem von tiefen Depressionen gepeinigten Kaiser der jungen Frau unerträglich” gewesen.
Wie Raffenperger8 )hinwies ist das in der Nestorchronik genannte Datum durchaus interessant, denn es liegt zeitlich etwa 4 Monate nach dem Tod Heinrich IV am 7. August 1106 in Lüttich. Es macht daher den Anschein als habe Adelheid/Eupraxia trotz ihrer päpstlichen Scheidung den Gang ins Kloster erst als Witwe angetreten. Ganz so als sei sie noch verheiratet gewesen.
Während die westliche, und das beinhaltet nicht nur die hier genannte deutsche Rezeption, Heinrich zwar nicht als Unschuldslamm sieht, sieht die östliche und hier vornehmlich die russische Seite die Sache vollkommen anders. Mitunter kamen mir in den Übersetzungen für Heinrich die Worte Perverser, Wahnsinniger oder psychisch Kranker unter.
Beispielhaft sei hier der relativ harmlose Text von bibliotekar.ru genannnt, die das Buch ЖЕНЩИНЫ ДРЕВНЕЙ РУСИ (Frauen des alten Russlands/Woman in Russian History),von Natalia Pushkareva aus dem Jahr 1989 abdruckt9 Man kommt zu einer vollkommen anderen Berwertung: “Der Akt der Eupraxia kam nach den Normen der mittelalterlichen Moral einem zivilen Selbstmord gleich und erforderte erheblichen Mut (obwohl ähnliche Fälle aus der mittelalterlichen Geschichte bekannt sind: mit einer an den Papst adressierten Bulle etwa Eleonore von Aquitanien). In der Folge wurde die Tat von Eupraxia von deutschen Historikern scharf verurteilt. Heinrich IV. wurde vom päpstlichen Gericht verurteilt, vom Thron entfernt und starb in Schande.10 (…) Historische Gerechtigkeit passt nicht zur „Verunglimpfung“ Eupraxias und der „Beschönigung“ Heinrichs IV. durch deutsche Historiker. Sie verlangt, die starken Merkmale von Eupraxia zu beachten, die sie als unabhängige Person charakterisieren, die ihre eigene Verhaltenslinie verteidigt..” (Übersetzung Google)
Übrigens, wie man sich fast denken kann wird Adelheid/Eupraxia meist nicht als Kiewer Rus oder Ukrainerin bezeichnet sondern ist eine waschechte Russin…
Das von der Wikipedia angegebene Datum vom 14. August kann nicht stimmen, da Heinrich sich zu diesem Zeitpunkt in Bamberg aufhält ↩
C.Zey, Frauen und Töchter der salischen Herrscher. Zum Wandel salischer Heiratspolitik in der Krise in Die Salier, das Reich und der Niederrhein S. 47-98 ↩
G.Althoff Heinrich IV. ↩
C.Raffensberger Evpraksia Vsevolodnova – Between East and West in Russian History (Spring-Summer 2003) S26 ↩
T. Struve War Heinrich IV ein Wüstling – Szenen einer Ehe am salischen Hof in Scientia veritatis Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag S.267 ↩
(( C.Raffensberger Evpraksia Vsevolodnova – Between East and West in Russian History (Spring-Summer 2003) S30 ↩
Schiller Die Verschwörung von Fiesco zu Genua, Dritter Akt, Vierter Auftritt Muley Hassan. Die Behauptung es hieße “Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen”, hat sich fälschlicher Weise ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. ↩
C. Raffensperger Evpraksia Vsevolodnova – Between East and West, Russian History (Spring-Summer 2003 S32 ↩
Das Buch ist und war durchaus Bedeutsam, Christian Raffensperger schrieb in Evpraksia Vsevolodnova – Between East and West, Russian History (Spring-Summer 2003): In general, the history of Rus‘ has been the history of the princes of Rus.This has been challenged in recent years by many authors, specifically Natalia Pushkareva ( Woman in Russian History) and Eve Levin, who have attempted to write the history of women in Rus‘ and thus have added a valuable perspective. ↩
Was in dieser Ausführung so nicht stimmt! ↩
Hi, ist schon länger her aber ich hab mich auch mal kurz damit beschäftigt. http://www.ffc1066.de/wp-content/uploads/2009/09/KG_Lager_V1.pdf Grüße der Uhl
Danke habs korrigiert. War wahrscheinlich der holozänische Revolutionskalender von Göbekli Tepe oder so ;-)
Leider doch nur ein Typo … Canossa war ja 11076 … Ich finde den Holozänkalender jedenfalls einer Überlegung wert. Grüße…
Ab heute mit Jahresangaben nach Holozän-Kalender? Ich finde das gut; überlege ebenfalls, den öfter zu verwenden. (Es wird das Jahr…
Großartig! Und deprimierend. Ich habe den Artikel von Google News vorgesetzt bekommen, und er war völlig in style. Vom letzten…