Wadenwickel, Hosen und Strümpfe im 9. Jahrhundert
Ich habe die letzten Wochen in Hotels verbracht und kam leider nicht zum Schreiben. Derweil habe ich mich aber einmal gedanklich mit Hosen, Wadenwickeln und Co., also vereinfacht Beinbekleidung der karolinger auseinander gesetzt und dies nun zu Papier gebracht.
Die wohl einfachste Bekleidung für den Fuß im Schuh ist der Fußlappen. Ein Tuch wird um den Fuß gewickelt, der Fuß in den Schuh gesteckt und fertig. Diese Verwendung ist so einfach, wie genial, so dass die russische Armee zum Beispiel diese, von Zar Peter dem Großen aus Holland übernommene Idee, erst 2013 durch Socken ersetzte.
Problem dieser Einfachheit ist jedoch das es dafür keinen archäologischen Beleg gibt. Ein einfaches Tuch verrottet einfach zu leicht und wäre auch, wenn es nicht am Fuß einer Moorleiche gefunden würde, nur schwer seiner Funktion zuzuordnen.
Die wohl bekannteste Form im Frühmittelalter sind die Wadenwickel. Auch sie gab es schon viel länger. Der Cherchen Mann aus dem Tarimbecken trug sie 1000 v. Chr. Die Mumie vom Søgårds Mose trug sie, ebenso wie der Mann von Bernuthsfeld, der Wadenbinden im Sinne eines langen wollenen Streifens trug1 Die merowingische Königin Arnegunde trug sie. Und alle sind immer ein wenig verschieden.
Während der Mann von Bernuthsfeld lange wollene Binden um die Beine gewickelt hatte, wohl ohne irgendeine Schließe, wurden Arnegundes Wickel von einer elaborierten Wadengarnitur gehalten ( Abbildungen hier) . Ganz ähnlich dem knapp 500 Jahre zuvor verstorbenen Mann aus Søgårds Mose. Der besaß jedoch keine Wadengarnitur, sondern befestigte die Wadenwickel oben und unten mit zwei Bändern.
Soweit so gut, jedoch sind wir mit dem Mann von Bernuthsfeld in erst bis ca. ins Jahr 700 gekommen. Mich interessiert nun aber das karolingische 9. Jahrhundert und was die Funde angeht wird es ein bisschen dürftig. Also machen wir etwas, was ich in diesem Fall immer mache. Ich schaue mir die Abbildungen an.
Die Abbildungen
Diese Abbildung zeigt die Beine Karls des Kahlen aus dem Codex aureus von St. Emmeram. Entstanden um 870 in St.Denis.
Die Füße Karls stecken in flachen, aber prächtigen Schuhen, welche an Schleswig Typ 2 (13.Jh.) oder Haithabu Typ 2 (9.Jahrhundert) erinnern. Auf dem Fuß sitzt eine goldene Schnalle, wobei nicht festzustellen ist ob es sich um Schnallen für den Schuh, eine Sporengarnitur, oder Teil der Wadenbänder ist. Am wahrscheinlichsten erscheint mir eine Sporengarnitur zu sein.
Die Waden stecken in eng gewickelten, roten Bändern, Wadenwickeln. Diese sind kreuzweise wiederum mit goldenen Bändern gesichert, ähnlich der Wadengarnitur wie sie für Arnegunde in der Ausstellung Königinnen der Merwoinger rekonstruiert wurde, wo die Schließe auf dem Fuß bei Arnegunde Teil der Wadenbänder ist2
Generell entspricht die Abbildung der Beschreibung Einhards zu Karls des Großen Aussehen, auf die noch einzugehen sein wird.
Doch schon das zweite Abbildung, wiederum Karl der Kahle um 870, ebenfalls St. Denis oder Metz, doch dieses mal das Sakramentar Karls des Kahlen, zeigt etwas anderes.
Was sehen wir hier?
Wir sehen rote Hosen, unter den Knien mit goldenen Bändern fixiert wobei es nicht so aussieht das hier wie in merowingischer Zeit Schnallen und Riemenzungen verwand wurden.
Darunter trägt er blaue, naja nennen wir es ersteinmal Socken, die ebenfalls mit goldenen Bändern gehalten werden. Echte Schuhe sind keine zu erkennen.
Die Unterschiede der Bilder zeigen sich in ihrem Sinn und der damit einhergehenden Darstellung. Der Codex aureus zeigt ein Herrscherbild in voller Pracht und mit Herrschaftsinsignien und stellt Karl als absoluten Herrscher dar3. Im Sakramentar steht Karl neben den Päpsten Gregor IV. und Johannes VIII. , in gleicher Größe, also gleichberechtigt , dargestellt, während er von Gott aus dem Himmel gekrönt wird. Dabei trägt er eine breite Riemenzunge, wie sie im klerikalen Bereich üblich war.4 Seine Kleidung ist weniger prachtvoll, es ist weniger das Krönungsornat des ersten Bildes , als mehr eine gehobene Alltagstracht (eines Herrschers) in klerikalem Ambiente. Oder anders gesagt, der König ist Teil der christlichen Welt, gleichberechtigt mit dem Klerus, weil Gott gegeben.
Nun stammen vorangegangene Bilder aus verschiedenen Quellen, wurden von verschiedenen Schreibern/Zeichnern gefertigt. Sind sie vergleichbar? Ich meine ja, denn Es gibt eine Handschrift die alle Varianten vereint. Nämlich den Goldenen Psalter von St. Gallen, der den vorangegangene Bilder zeitlich auch sehr nahe ist.
Unter 1. sehen wir den Herrscher wieder mit geschmückten Schuhen. Darin scheint er eine blau-grüne Hose zu tragen die am Knöchel mit mehreren golden Streifen verziert ist. Möglicherweise handelt es sich dabei um die Andeutung von Wickeln. Auf dem Schienbein zieht sich der goldene Streifen nach oben, wo er wieder in einem Band unter dem Knie mündet, also am ehesten eine Wadengarnitur.
Bei 2. sehen wir wieder die Strumpfartige Fußbekleidung die auf dem Schienbein mit einem Band befestigt scheint. 1. und 2. Sind in einer Szene dargestellt. Der Thron zeigt uns das wir uns in einem Innenraum befinden. Der unebene Untergrund , mit Gras bewachsen, steht hier symbolisch für den steinigen Weg den der „besockte“ Protagonist noch vor sich hat. Es handelt sich dabei um David, während König Saul noch auf dem Thron sitzt.
Bei 3., wieder ein Herrscherbild auf dem Thron, trägt nun auch der Herrscher diese Socken, wobei sich ein lockerer Faltenwurf der Socken zeigt. Wieder befinden sich Bänder unter den Knien (rechts leider etwas abgeschnitten), wobei keinerlei Schnallen oder Riemenzungen erkennbar sind.
Unter 4. sehen wir einen Arbeiter. Er trägt Schuhe mit diesen Socken oder aber Wadenwickeln darin, darüber eine Hose. Es gibt eine weitere Abbildung, welche Krieger zeigt, die eindeutig Wadenwickel tragen (hier nicht abgebildet, aber Psalter S75), während sie David festnehmen, während auch Saul in Schuhen Wickel trägt, aber keine Knieriemen.
Fassen wir bis hierhin kurz zusammen: Es scheint Socken zu geben, die im Innenraum(!) getragen wurden, ähnlich Hausschuhen. Es gibt Hosen, die möglicherweise zu unterscheiden sind. Zum einen solche die mit Riemen unter den Knien zusammen gehalten wurden und solche die dies nicht benötigten. Oftmals findet man in der Literatur den Verweis, die Hosen seien weit gewesen, was Personen dazu zwang diese am Knie zusammen zu binden, damit dies nicht störte. Da aber der Handwerker wohl am ehesten von einer weiten Hose benachteiligt gewesen wäre, er diese aber nicht zusammenbindet und sie ebenfalls eng anliegt scheint hier etwas anderes vorgelegen zu haben. Auch das merken wir uns, wird noch wichtig! Ebenso gab es Wickel, als scheinbar auch Socken, die in Schuhen getragen wurden.
Die Chronisten
Aber scheuen wir uns nun einmal an, was die Geschichtsschreiber, in meinem Fall Einhard und Notker, zur Bekleidung der Beine zu sagen haben. Zunächst Einhard:
…die Oberschenkel bedeckten leinerne Hosen (et feminalibus lineis ) (…) die Unterschenkel waren mit Schenkelbändern (tibialia) umhüllt. Sodann umschnürte er seine Waden mit Bändern (fasciolis) und seine Füße mit Stiefeln.
(Abschnitt 23, S.46-47, Einhard Viat Karoli Magni Reclam)
Diese Beschreibung Einhards trifft ziemlich exakt auf die Abbildung Karls des Kahlen aus dem codex aureus zu, nur sehen wir eben keine Hosen auf der Abbildung.
Notker notiert 50 bis 70 Jahre später:
Die Tracht der alten Franken bestand in Schuhen, die außen mit Gold geschmückt, und mit drei Ellen langen Schnüren versehen waren, scharlachroten Binden (fasciolae) um die Beine, und darunter leinenen Hosen (et subtus eas tibialia vel coxalia linea) von der selben Farbe, aber mit kunstreicher Arbeit verziert.
(Abschnitt 34 S.37, Der Mönch von Sanct Gallen über die Thaten Karls des Großen, W. Wattenbach, 1850)
Interessant finde ich die verwendeten Begriffe die hier im Kontext der Hose genutzt werden. Was wir heute als Hose verstehen wurde in römischer Zeit als bracae oder feminalia/femoralia bezeichnet, so wie es Einhard tut. Notker nutzt den Begriff tibialia, (Wenn die Übersetzung korrekt ist und Notker die Hose nicht einfach unterschlägt) den Einhard für die Wadenwickel nutzt und eigentlich bei den Römern eine von Legionären getragene Filzsocke war. Aber der Begriff wird auch für das genutzt was wir heute als Beinlinge kennen, denn tibialia kommt von tibia, das Schienbein, also „das Schienbein bedeckende“.
Und wo wir gerade bei römischen Socken waren. Die kennen auch die udones, wollene Socken die im Haus getragen wurden. Wahrcheinlich handelt es sich bei den sockenartigen Fußbekleidungen eben um solche udones, bzw deren Nachfolger.
Aber zurück zu Notkers tibialia. Könnte Notker tatsächlich Beinlinge gemeint haben? Das könnte erklären warum er keine Hose als solches erwähnt, denn sie wäre dann als Unterhose zu verstehen. Doch gab es Beinlinge zu jener Zeit?
Ja und Nein. Nein, weil wir sie nicht explizit aus Franken kennen. Tatsächlich kennt der Klerus spezielle Fußbekleidung, bestehend aus Sandalen und Strümpfen, sogenannte Pontifikalstrümpfe, die im Grunde nichts anderes als Beinlinge sind, mindestens seit dem 6. Jahrhundert5 Die bekanntesten Vertreter ihrer Art stammen aber aus dem 11. Jahrhundert und sind die Pontifikalstrümpfe Clemens II in Bamberg, aber auch die Strümpfe Heinrichs III aus Speyer. Ursprünglich waren diese liturgischen Strümpfe weiß und wurden ebenfalls als udones bezeichnet.6
Aber gerade aus dem byzantinischen Raum sind auch lange, bis zum Oberschenkel reichende Strümpfe bekannt7. Oftmals werden diese Strümpfe auf Abbildungen mit Bändern über dem Knie, wohl wegen ihrere Weite zum Oberschenkel hin, zusammen gehalten. Im Gegensatz zu den Beinlingen des Hoch und Spätmittelalters waren sie nicht auf pass geschnitten sondern besaßen einen geraden Schnitt. Ein solches Paar Beinlinge findet sich im Bode Museum zu Berlin (Abb. hier ).
Und fast vergessen habe ich einige Stofffragmente aus dem Hafen von Haithabu, also „wikingisch“, die von Inga Hägg als Beinlinge interpretiert werden.
Fazit
Wir können also davon ausgehen das es Beinlinge durchaus gegeben hat. Sie waren wahrscheinlich dem Adel vorbehalten, der damit seinen modischen Bezug zu Byzanz ausdrücken wollte. Als Kleidung kam sie daher wohl nur zu festlichen Gelegenheiten zum Tragen. Auch ist ein religiöser Bezug, bzw. eine Überlagerung zu den Pontifikalstrümpfen möglich. Dies wird deutlich wenn man sich vor Augen hält das die Kleidung der Reichsinsignien des Hochmittelalters mit Alba und Pontifikalstrümpfen komplett liturgische Bezüge hat. gleiches gilt auch für den Sternenmantel Heinrichs II. und den Kunigundenmantel die später auch vom Bamberger Dom liturgisch genutzt werden.
Bei festlichen Veranstaltungen bzw. im inneren von Gebäuden scheinen zu dem udones ähnliche Strümpfe genutzt worden zu sein. Durchaus verständlich wenn man bedenkt das man nicht unbedingt allen Dreck von draußen mit rein bringen wollte. Man muss dabei gedanklich weg kommen von den Heu ausgelegten Burgen in Filmen wie Ivenhoe oder Robin Hood der 50er Jahre.
Doch was ist jetzt mit Riemengarnituren für die Wadenbinden? Wurden noch Wadengarnituren genutzt wie etwa in der Merowingerzeit? Die Abbildungen Karls des Kahlen scheinen lediglich Bänder, möglicherweise Seidenbänder mit Goldlahn, zu zeigen. Die Abbildung aus St. Gallen dagegen scheint eine entsprechende Garnitur zu sein.
Hier besteht das Problem das sich die Metallfunde aus Franken relativ gering sind, da die bei Bestattungen keine Beigaben mehr beigelegt wurden. Noch kleiner sind die Funde von karolingischen Herrschergräbern. Die strebt nämlich gegen Null! Lediglich einen goldenen Riemenschieber gibt es, der wohl 1800 bei der Öffnung des Grabes Ludwig III. in Lorsch entfernt wurde und wohl zu den goldenen Sporen gehörte und später dann in Seeheim auftauchte (Seeheimer Riemenschieber, heute Museum Darmstadt) . Bis auf den Riemenschieber ist nichts erhalten.
Und jetzt kommt das große aber! Denn außerhalb der Francia gibt es durchaus Funde! Und zwar Funde die eindeutig karolingischer Herkunft sind. So finden sich Teile von Wadenbingarnituren in Sevilla. Noch interessanter ist Männergrab 100 in Mikulčice(CZ). Hier in der Hauptstadt des zweitweise mit den Karolingern verbündeten Mährerreiches findet sich das Grab eines Reiterkriegers aus dem zweiten Drittel des 9. Jahrhunderts bei dem sich auf Kniehöhe kleine Gürtelschnallen mit aufgesetztem Dekor und kleine Riemenzungen die zu einer Wadenbindengarnitur gehörten.8
Wadenbindengarnituren waren also durchaus noch in Benutzung, scheinen jedoch bei den karolingischen Franken nach und nach aus der Mode gekommen zu sein. Hierfür sprechen auch die die bereits genannten späteren Pontifikalstrümpfe, an denen Seidenbänder befestig sind.
Nachtrag 1.5.2021: Šimon Ungerman hat nun kürzlich ein Paper online gestellt, welches sich in einem kurzen Exkurs mit der Frage von Wadengarnituren im fränkischen Reich befasst.9 Das Ganze ist Bestandteil der Veröfffentlichung „Great Moravian Elites from Mikulčice“ desCzech Academy of Sciences, Institute of Archaeology in Brno (Brünn) von denen er wohl seine gesamten Beiträge Online gestellt hat.
Ungerman greift Forschungen von M. Müller und A. Bartel zu Beinbekleidung in karolingischer und ottonischer Zeit auf und kommt letztendlich ebenfalls zum Schluss das Wadengarnituren auch fränkischen/ karolingischen Reich getragen wurden.
Heumüller, M. und Kegler, J.F. 2016: Der Mann von Bernuthsfeld und seine Zeit. Die neue Ausstellung im Ostfriesischen Landesmuseum Emden. Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 04/2016, 178-184. ↩
vgl. E.Wamers, P. Périn, Königinnen der Merowinger, S114 ↩
vgl. R. Pizzinato, Vision and Christomimesis in the Ruler Portrait of the Codex Aureus of St. Emmeram ↩
J.Braun Handbuch der Paramentik, S.181 ↩
E.Coatsworth, Clothing the Past – Surviving Garments from Early Medieval to Early Modern Europe S.275 ↩
M. Eichinger, Profane Kleidung im byzantinischen Kulturbereich, S46 ↩
M. M. Schulze-Dörlamm – Gegossene Gürtel und Riemenbeschläge mit karolingischem Pflanzendekor aus Andalusien S747 ff ↩
https://www.academia.edu/45611433/3_6_Belt_and_Its_Parts_3_7_Calf_Straps ↩
Eine Antwort
[…] Zeit die Form von Beinlingen angenommen um sie als Strümpfe für meinen Karolinger zuverwenden. (Ich hatte über das warum hier geschrieben) Als Schnitt verwendete ich den der Beinlinge Heinrichs III. und da ich mich mit denen befasste, […]