Als die Dämme brachen
Nur wenig hat in letzter Zeit das Wasser auf den Wiesen abgenommen und scheinbar will es in nächster Zeit auch nicht weg gehen. Das nehme ich nochmal zum Anlass über die Hochwässer in der Region zu schreiben. Und zwar nicht nur über ein Hochwasser sondern das Hochwasser schlechthin. Es war natürlich bei weitem nicht so verheeren wie das Magdalenenhochwasser 1342, aber dafür gab es schon die Fotographie. Auch handelt es nicht über Trebur , sondern den Nachbarort Geinsheim. Ist aber leicht übertragbar.
Die Rede ist vom Hochwasser 1882/83, das letzte das die Dämme zum Bersten brach. Man fühlte sich in dieser Zeit recht sicher, denn 1882 war erst der „neue Deich“ fertiggstellt worden und der Rhein von Gernsheim bis zur Mainmündung eingedämmt. In der seit 1863 geführten Geinsheimer Pfarrchronik beschrieb Pfarrer Ludwig Göhrs dieses Hochwasser.

Geinsheim beim Rückgang des Hochwassers, deutlich an den Scheunen und Häusern der Wasserstand zu erkennen
Bereits der ganze Sommer 1882 war regnerisch gewesen. Bäche und Flüsse führten ständig „hoch“. Ende November waren die Rheinauen überflutet und linksrheinisch bei Nackenheim brach bereits der erste Deich und am 28. November hatte der Oppenheimer Pegel mit 22 Fuß bereits den Jahrhunderthöchststand erreicht. Seit November hatte man alle Dämme mit Dammwachen besetzt, doch diese wurden eine Woche später wieder abgezogen und bis zur dritten Dezemberwoche war der Wasserstand auf 10 Fuß gefallen.
Das Wetter besserte sich und Weihnachten rückte mit schönstem „Frühlingswetter“ heran. Am 1. Weihnachtsfeiertag setzte jedoch Dauerregen ein und bis zum 28. Dezember waren am Pegel wieder 18 Fuß erreicht und die Sommerdämme drohten überzulaufen, so dass die Dammwachen am 29.wieder ausrückten. Am selben Tag stieg das Wasser wieder bis 22 Fuß an und der Landdeich an der Rabenspitze (nördlich des Kornsands) brach und entlang des „neuen Deichs“ an der Schwarzbach strömte das Wasser bis vor Groß Gerau und zerstörte dort eine Brücke.
In der Nacht hörte man dann von der linksrheinischen Seite Schreie. Der Deich östlich von Oppenheim war gebrochen.
Durch die Brüche sank der Wasserspiegel zunächst ab, schwoll aber anschließen wieder auf 21 Fuß an. Die Sylversternacht war von Angst geprägt: “ Bange Nachrichten und Befürchtungen schwirrten durch die Luft; am Damm wurde gedämmt, aufgepflöckt, mit Sandsäcken gestopft; im Ort wurde geraumt, Gruben geleert und alles für den Notfall vorbereitet.“
Fast das ganze Ort war auch in der Nacht noch wach und versuchte im Dunkeln zu hören ob der Rhein heranrauscht. Auch den neuen Deich hatte man zum Teil mit Geinsheimern besetzt, da dieser von „faulen und zum Theil betrunkenen Bewohnern entfernter Orte bewacht“ wurde. Ein Anspielung auf die Feindschaft zwischen Geinsheimern und Treburern jener Tage. Bei Wallerstädten hatte das Militär den Damm bezogen. Als die Glocken der Kirche am Morgen des neuen jahres die Gläubigen zum Gebet rief hörte man plötzlich vom Rhein her Schüsse fallen. Der Damm war gebrochen. Vom Kirchendach her wurden die Dämme von der Ferne beobachtet und man konnte die Dammwachen fliehen sehen. Die Glocken wurden zur Warnung erneut geleutet und eine halbe Stunde später, gegen 10:00 Uhr drückte der Bach mit dem sinnigen Namen „die Bach“ westlich von Geinsheim ins Ort. Auf die Schnelle versuchte man mit Karren Rüben, Kartoffeln und Futtermittel aus den niedriger gelegenen Teilen des Ortes in Sicherheit zu bringen.
Gegen 12:00Uhr hatt der Rhein bereits die Dammstraße in Richtung Oppenheim überflutet. Vom Kreisamt Oppenheim waren auf telegraphische Anweisung hin Niersteiner mit Nachen aufgebrochen um in Wallerstädten Hilfe zu leisten, vier von von ihnen blieben zum nächtlichen Patrouillendienst und für Rettungen in Geinsheim. Das Wasser hatte bald den ganzen Ort umzingelt als es plötzlich schneller zu steigen begann. Auch in Erfelden war der Deich gebroch, doch davon ahnte niemand etwas.
Mittlerweile räumte man die unteren Stockwerke der Häuser aus, versprießte den Boden, damit er sich durch die Feuchtigkeit nicht hebt und Stellte Bänke vor die Türen um sie im Notfall als Stege benutzen zu können.
Am Abend hatte das Hochwasser die alte Höhe von 1845 überschritten und stieg weiter so dass in der Nacht weitere Häuser geräumt werden mussten. Bis in den Pfarrhof der alten Kirche, einem der höchsten Punkte stand das Wasser und der Pfarrer öffnete den Rohbau der neuen Kirche in den das Vieh getrieben wurde, das sonst nirgendwo Unterschlupf gefunden hatte.
Am 2. Januar ließ der Pfarrer als Notsignal auf dem Dachreiter des Rathauses ein Bettlaken auf einer Stange errichten, worauf Niersteiner Nachen zur Hilfe eintrafen. Immer mehr Häuser mussten evakuiert werden, da das Wasser die Gefache ausgeschwemmt hatte und die Häuser einzustürzen drohten. Man brachte die Obdachlosen ins Rathaus, ins Schulhaus, ins Gasthaus zum Löwen und auch die Stube des Pfarrers war mit Obdachlosen voll besetzt.
In der Nacht entstand erneut Trubel. Das Gasthaus Krone beim Rathaus drohte einzustürzen, die Kellergeölbe hatten sich bereits gesenkt. Mit Balken wurde das Haus abgestützt und schließlich geräumt. Es musste später abgerissen werden. Der Pfarrer hatte mittlerweile den Altar zum Esstisch umfunktioniert und versuchte mit seiner Frau so gut er konnte die Obdachlosen mit Suppe zu verköstigen.
In der Nacht vom 2. zum 3. Januar zog auch noch ein Gewitter über die verängstigte Bevölkerung hinweg, aber seit 22 Uhr stand das Wasser still, es fiel zwar nicht aber dafür stieg es auch nicht weiter.
Zu diesem Zeitpunkt waren 90 Personen im Schulhaus untergebracht!
Am 3. Januar konnte man sich erstmals ein Bild von der Zerstörung machen: Balken schwammen durch die Straßen, ganze Scheunen lagen umgekippt in den Gassen, Heuballen waren von den Äckern ins Dorf geschwemmt worden, so dass man über sie in die oberen Stockwerke der Häuser gelangen konnte. Manche Straßen waren durch die Trümmer blockiert und konnte mit dem Boot nicht erreicht werden. Die Backsteinhäuser drohten einzustürzen. Von 180 Wohnhäusern waren 90 verlassen und nur noch 30 konnte man von trocken erreichen.
Die Nacht vom 3. auf 4. Januar war die erste Ruhige ohne Sturm, Regen und Hilfeschreie. Der Pfarrer macht unternahm daraufhin eine Fahrt mit einem Nachen nach Wallerstädten. Nirgendwo konnte er Land erblicken und lediglich die Kronen der Weiden und Kirchbäume die überall wuchsen schauten aus dem Wasser. Am Abend des Tages trafen 3 Pontons mit Pionieren von Kastel her kommend ein um die Lage zu sichern. Sie errichteten ein eine Wohnbaracke und eine Suppenküche wurde eingerichtet. Sie blieben bis zum 10. Januar.
Am 5. Januar begann das Wasser zu fallen. Ein Komitee wurde eingerichetet um erste Maßnahmen durchzuführen.
Am 8. Januar inspizierte Großherzog Ludwig IV. mit Gefolge von Leeheim kommend die Situation. Er beordete eine Abteilung des hessischen Infantrie-Regiments Nr. 115 unter Leutnant Mootz nach Geinsheim Die mehrere Vieh und Wohnbaracken errichteten. Am selben Tag wurden Kinder mit Pontons aus dem Ort nach Oppenheim und Nierstein gebracht. Von 185 Kindern blieben nur 50 im Ort.
In den nächsten Jahren wurden die Dämme weiter erhöht und gesfestigt. 100 Jahre später stand das Wasser erneut an den Kronen der Dämme. Noch höher als es 1882 der Fall war. Ich war zwar erst 10, aber ich kann mich noch sehr gut an die Panik erinnern die im Ort herrschte. Die Dämme hielten.
[Edit] Ganz vergessen! Noch heute kann man Spuren des Hochwassers sehen! Durch Verwirbelungen im Wasser wurde mancherorts durch die Strömung sandiger Boden fortgeschwemmt. Kleine Teiche blieben zurück. Sie alle tragen auch heute noch den Namen „Neujahrsloch“.
Sehr geehrter Herr Zwittmeier,
ein sehr lebendig geschriebener Artikel. Gefällt mir gut, wie Sie den Leser mit in das Geschehen einbeziehen. Witzigerweise habe ich über eine ähnliche Situation etwas geschrieben: Die Sturmflut von 1825 im Alten Land:
http://jbshistoryblog.de/2011/01/1825-in-der-nacht-als-der-deich-brach/
Ich würde mich über Ihr Feedback sehr freuen und ich werde Ihren Blog auf jeden Fall weiter im Auge behalten 🙂
Viele Grüße
J. Blümel
Danke! Hab ich dem Pfarrer Göhrs zu verdanken und seiner Chronik.
PS: Hier geht auch ein zwangloses „du“, komme mir sonst zu alt vor 😉
Hallo Markus,
woher stammt der Hinweis auf das Magdalenenhochwasser von 1342 in Trebur?
Es gibt nur Hochwassermarken von der Donau, Main und Rhein ab Mainz.
Nicht aber am Neckar und Oberrhein.
Viele Grüße
Manfred
Sie stammt aus der Mainzer Chronik (Res Moguntiacae von Nicolaus Serarius) in der es heißt das Wasser im Dom einem Mann bis an den Gürtel reichte ( Moguntia Metropolitana flueret ad hominis usque cingulum). Ich hatte die Höhen grab umgerechnet, wobei möglich Rückstaue und ähnliches nicht berücksichtigt wurden. Ich hatte mehrfach darüber geschrieben, einfach mal nach „Magdalenenhochwasser“ suchen.
PS: Die Uni Mainz hat dazu wohl auch ein Projekt am Laufen.
Als Veranschaulichung:
http://darmstadt.ykom.de/serverlocal/diys_static/hessen_sammlung_karten_ulb.html#HE1882__ID_25_6_2009_11_44_16_840